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Trauer in Israel über tote Soldaten - Beirut empfängt freigelassene Hisbollah-Kämpfer

Berichte - Kommentare - Erklärung des israelischen Außenministeriums - Hintergrund

Am 16. Juli 2008 kam es zum lange erwarteten Austausch von Gefangenen zwischen der liobanesischen Hisbollah und Israel. Unter Vermittlung des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) kamen fünf libanesische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen frei - die Hisbolla übergab die sterblichen Überreste zweier israelischer Soldaten, die vor zwei Jahren bei einem Grenzgefecht gefangen genommen worden waren. Bis zuletzt war unklar gewesen, ob die beiden Soldaten vielleicht doch noch lebten.
Im Folgenden berichten wir über den Austausch anhand einiger Artikel und Kommentare.



Austausch sorgt in Israel für Trauer und Wut

Angehörige, Medien und Politiker kritisieren den ungleichen Handel mit der Hisbollah Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Freude in Libanon, Schmerz in Israel: Am Mittwoch (16. Juli) ließ der jüdische Staat Samir Kuntar und vier weitere Hisbollah-Kämpfer gehen – und bekam dafür zwei Särge mit den Leichen zweier Soldaten.

Bis zur letzten Minute hatten die Familien Eldad Regevs und Ehud Goldwassers, jener beiden Soldaten, deren Gefangennahme durch die Hisbollah-Miliz vor zwei Jahren den Libanonkrieg eingeleitet hatte, gebangt und gehofft. Obwohl das Militär die beiden schon vor Wochen für tot erklärt hatte. Die schreckliche Gewissheit, dass die Armee Recht hatte, bekamen die Angehörigen bereits vor dem eigentlichen Beginn des Austausches: Kurz vor neun Uhr zeigte »Al Manar«, der auch in Israel empfangbare Fernsehsender der Hisbollah, wie Männer in dunklen Anzügen auf der libanesischen Seite der Grenze zwei Särge aufbauten. Sie wurden anschließend durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) an Israel übergeben. Das IKRK übergab nach eigenen Angaben unterdessen die sterblichen Überreste von acht Hisbollah-Kämpfern, die während des Kriegs getötet worden waren, an die schiitische Miliz. 1200 Libanesen und 160 israelische Soldaten starben im Verlauf des Libanonkrieges.

Anderswo brach kalte Wut aus: Während in Südlibanon bereits gefeiert wurde, eine Musikkapelle die Instrumente stimmte, äußerten sich einige der Angehörigen der Familie, die 1979 von Samir Kuntar und seiner Gruppe nahezu vollständig umgebracht wurde, den Medien gegenüber schockiert. »Ich hatte gehofft, dass wenigstens einer der Soldaten noch lebt. Dann hätte ich verstehen können, dass man einen eiskalten Killer gehen lässt«, sagte Ronnie Keren, einer der Brüder des damals ermordeten Familienvaters. Ein zweiter Bruder, Baruch Keren, erklärte, er würde Kuntar persönlich töten, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Die Ehefrau, die damals überlebt hatte, sagte hingegen, sie akzeptiere die Freilassung, auch wenn sie sie nicht unterstütze.

Dieser Austausch ist ein Ereignis, das Familien spaltet, mehr als alle Gefangenenaustausche zuvor, und damit auch ein Ereignis, das nicht nur die Regierungen Israels und Deutschlands in Bedrängnis bringt, sondern auch die Verhandlungen über einen Austausch mit der Hamas im Gaza-Streifen gefährden könnte. Denn von rechts, von links, selbst im Lager der Regierungskoalition wurde an diesem Mittwoch in sehr deutlichen Worten die Frage gestellt, ob man nicht zu weit gegangen sei, sich möglicherweise von den Vermittlern der Bundesregierung einen »unfairen Deal« (die Zeitung »Haaretz«) habe aufdrängen lassen. Und damit wird es für Israels Regierung sehr viel schwieriger werden, die Freilassung von möglicherweise bis zu 600 palästinensischen Gefangenen, eine Reihe davon mit Blut an den Händen, als Gegenleistung für den Soldaten Gilad Schalit, der vor zwei Jahren in den Gaza-Streifen verschleppt worden war, durchzusetzen.

Das weiß man auch bei der Hamas. Zwar beglückwünschte Ismail Hanija, der Regierungschef im Gaza-Streifen, die Hisbollah zum »Sieg«. Aber in der zweiten und dritten Reihe macht man kaum einen Hehl daraus, dass man sich von der Organisation in Libanon verraten fühlt. »Viele in der Hamas glauben, dass die Hisbollah ihre Verhandlungen mit der Hamas hätte abstimmen müssen, denn was in Israel vor sich geht, wird natürlich auch in Gaza verfolgt«, sagte ein palästinensischer Journalist, der im Gaza-Streifen arbeitet – eine Haltung, die auch der Vater Schalits teilt, der sich seit der Entführung unermüdlich für einen Austausch einsetzt. »Die Regierung hat meinen Sohn im Stich gelassen«, sagte er am Mittwoch.

In der Tat bemühen sich denn auch Israels Regierung und die Militärspitze, die Hoffnungen auf einen weiteren Austausch zu dämpfen: Dass es bald zu einem Durchbruch in den von Ägypten und der Türkei vermittelten Gesprächen kommen werde, sei sehr unwahrscheinlich. Denn dass das Kabinett noch einmal einem Deal zustimmen würde, ist nach der Reaktion von Öffentlichkeit und Politik am Mittwoch fraglich: Sollte Gilad Schalit ebenfalls tot sein, würde dies jeden Politiker in ärgste Bedrängnis bringen, der dem Handel zugestimmt hat – und das in einer Zeit, in der das Rennen um die Nachfolge von Premierminister Ehud Olmert in vollem Gange ist.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juli 2008

K o m m e n t a r e

Um die sterblichen Überreste zweier Soldaten nach Hause zu holen, hat Israel Hisbollah-Kämpfer freigelassen - und nach Auffassung der Zeitung DIE WELT einen hohen Preis gezahlt:
"Für die Israelis ist es religiöses und moralisches Gebot, über den Tod hinaus jene zu schützen, die für die Verteidigung des Landes ihr Leben einsetzen. War aber die Heimführung der sterblichen Überreste die Aufwertung wert, die Hisbollah erfuhr? Das Problem besteht darin, dass nicht nur die ungleichen Tauschaktionen es Hisbollah erlauben, sich als Terrororganisation ins Kriegsvölkerrecht hineinzustehlen, sondern auch Terror, Entführung und Mord zu einer profitablen Unternehmung zu machen. Dieser Status quo schwächt die israelische Abschrekkung, prämiert Entführungen und stellt gefangenen Terroristen in Aussicht, dass sie bald wieder freigepresst werden", heißt es in der WELT.

Auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG spricht von einem "Riesenerfolg für die Schiitenmiliz". Und fragt sich, welche langfristigen Ziele die israelische Regierung verfolgt:
"Sinn macht der spektakuläre Häftlingstausch für Israel nur, wenn sich hinter den Kulissen wirklich etwas im größeren Rahmen bewegt, im Nahost-Konflikt. Wenn Israels Friedens-Vorgespräche mit Syrien Erfolg versprechen, wenn Iran deshalb ernsthaft um seinen Bundesgenossen in Damaskus fürchten muss. Und wenn die Hisbollah dieser Entwicklung positiv gegenübersteht. Dann wäre das makabre Hin und Her von Särgen und Häftlingen ein Indiz dafür, dass sich die Verhältnisse insgesamt ändern. Das alles aber ist nicht garantiert. Fürs Erste hat Israels Regierung die Hisbollah und ihren Führer gestärkt. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Nasrallahs Miliz erstmals Imageprobleme hatte", schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

Die DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN ziehen folgende Bilanz:
"Für die Rückführung der beiden toten Soldaten lässt Israel mit Samir Kuntar ausgerechnet einen als Top-Terroristen einsitzenden Mörder frei. Unter Libanons Schiiten gilt Kuntar als Volksheld, dessen Freilassung zu Spekulationen über die Erpressbarkeit Jerusalems führen dürfte. Für Olmert ist der Deal zumindest kurzfristig dennoch ein Erfolg. Der seit Monaten angesichts von Korruptionsermittlungen geschwächte Premier kann zeigen, dass die Maxime des Staates, alles zu tun, um in die Hände des Gegners gefallene eigene Soldaten zurückzubringen, noch gilt." So weit die DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN.

Für die Motivation der Armee sei es sehr wichtig gewesen, die toten Soldaten nach Hause zu holen, hält die TAGESZEITUNG fest, denn:
"Wer würde sich schon gern zum Kampf ins feindliche Land schicken lassen, um dort womöglich vergessen zu werden? Gleichzeitig wird Israel durch den so ungleichen Handel verwundbarer. Der einzige Weg, um die Gefahr für die an der Nordgrenze stationierten Soldaten zu vermindern, ist die baldige Beilegung des Streits um die Scheeba-Farmen, also um das umstrittene Areal im Dreiländereck Syrien, Libanon, Israel. Solange die islamischen Extremisten einen Grund finden, gegen Israel zu kämpfen, bleibt die nächste Soldatenentführung nur eine Frage der Zeit", schreibt die TAZ aus Berlin.

Quelle: Pressespiegel des Deutschlandfunks, 17. Juli 2008; http://www.dradio.de/presseschau/

Tote dienen den Lebenden

Von Roland Etzel

Es mag schauerlich klingen, bis zu drei Jahrzehnte alte Leichenteile im politischen Geschäft gegen lebende Menschen auszutauschen. Doch es ist gewiss nicht schauerlicher, als der Krieg selbst es war, in dem diese Menschen umkamen. Jetzt kann dem gerade im Nahen Osten für beide Seiten starken Wunsch Rechnung getragen werden, den Familien der Opfer endlich die Möglichkeit einer Bestattung in ihrer Tradition zu ermöglichen.
Der vielleicht noch wichtigere Aspekt liegt aber darin, dass die durch Krieg gestorbenen Toten den Lebenden hier einen Friedensdienst leisten konnten. Sie haben die verfeindeten Seiten – die libanesische Schiitenpartei und den israelischen Staat – genötigt, miteinander Kontakt aufzunehmen, der sonst zumindest jetzt nicht zustande gekommen wäre. Dies ist noch längst kein Dialog, aber immerhin haben Gespräche stattgefunden. Dass die zunächst nur über Dritte praktikabel waren, liegt in der Natur der Sache; wobei dieser Dritte – der deutsche Geheimdienst BND – eine selten erlebte Nützlichkeit an den Tag legte.
Das koordinierende Auswärtige Amt heimst dafür von allen Seiten Lob ein, und das völlig zu recht. Man sollte dabei aber nicht überhören, dass in den Chor der Schmeichler ganz unverfroren auch jene einstimmen, die ansonsten jegliche Gespräche mit vermeintlichen Terrorpaten wie Syrien oder Hisbollah verteufeln. Die Außenpolitiker der Kanzlerin zählen dazu.

Neues Deutschland, 17. Juli 2008 (Kommentar)



Beirut empfängt Freigelassene

Übergabe von Gefangenen und Gefallenen an libanesisch-israelischer Grenze

Von Karin Leukefeld **

Im Libanon wurde am Mittwoch (16. Juli) die Rückkehr von fünf Freiheitskämpfern, die sich seit langem in israelischer Gefangenschaft befunden hatten, gefeiert. Zudem übergab Israel an der Grenze zum Libanon unter Vermittlung des Roten Kreuzes die sterblichen Überreste von 199 libanesischen und palästinensischen im Widerstand gegen die israelische Armee getöteten Frauen und Männer. Der Mittwoch wurde im Libanon als »Nationaler Feiertag« begangen. Im Gegenzug hatte zuvor die islamische Widerstandsorganisation Hisbollah die Leichname von Ehud Goldwasser und Eldad Regev übergeben.

Die beiden israelischen Soldaten waren bei Gefechten im Grenzgebiet zum Libanon am 12. Juli 2006 vermutlich lebensgefährlich verletzt worden. Die genauen Todesumstände blieben bisher ungeklärt. Tel Aviv hatte deren Gefangennahme zum Anlaß für einen 34 Tage andauernden Krieg genommen, in dessen Verlauf mindestens 1200 Libanesen, überwiegend Zivilisten, ums Leben kamen. 160 Israelis, die meisten von ihnen Soldaten, starben während des Überfalls auf das nördliche Nachbarland. Mit der jetzigen Gefangenenübergabe sei das letzte Kapitel des Krieges 2006 abgeschlossen, meinte am Mittwoch der Journalist und Autor Robert Fisk gegenüber dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira.

Die gesamte Aktion war durch die Vereinten Nationen vermittelt worden, in deren Auftrag ein deutscher BND-Mann agiert hatte. Vom israelischen »Friedhof der Zahlen«, wie die Libanesen den Ort nennen, auf dem nahe der israelisch-libanesischen Grenze gefallene libanesische Kämpfer beerdigt waren, wurden die sterblichen Überreste von 199 libanesischen und palästinensischen Kämpfern von LKW des Roten Kreuzes nach Libanon gebracht. Unter den Toten befanden sich neben zwölf Hisbollahmitgliedern, die beim Krieg 2006 ums Leben kamen, auch viele kommunistische Kämpfer, die an der Seite der Befreiungsbewegung Palästinas (PLO) gekämpft hatten. Zudem sollten die sterblichen Überreste der Palästinenserin Dalal Al-Maghrebi übergeben werden. Sie hatte im April 1979 als eine der ersten Frauen ein palästinensische Kommando angeführt und war, ebenso wie ihre Gefährten, erschossen worden.

Unter den nun Freigelassenen befand sich Samir Kantar, der als Siebzehnjähriger in den Reihen der PLO gekämpft hatte. Er war in Israel zu fünfmal lebenslanger Haft verurteilt worden. Zudem kamen vier Hisbollahkämpfer frei, die während des Krieges 2006 gefangengenommen worden waren. Die Männer wurden vom Grenzübergang Nakoura im Südlibanon per Hubschrauber nach Beirut geflogen, wo sie von Vertretern aller Parteien sowie Staatspräsident Michel Sleiman begrüßt wurden. In Sidon feierten derweil die Menschen auf dem zentralen »Platz der Märtyrer«, wo 200 Menschen beerdigt sind, die während der israelischen Invasion 1982 getötet worden waren.

** Aus: junge Welt, 17. Juli 2008

Israel erhält die Leichen von Eldad Regev und Ehud Goldwasser

Im Rahmen des Gefangenenaustauschs für die Freilassung der beiden entführten israelischen Soldaten sind Israel heute Morgen am Grenzübergang Rosh Hanikra zwei Särge übergeben worden. Die israelische Armee hat nach eingehenden Untersuchungen bestätigt, dass es sich bei den darin liegenden Leichen um die Überreste von Eldad Regev und Ehud Goldwasser handelt.

Der Staat Israel und die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) betrachten die Rückführung der entführten Soldaten als ihre oberste Pflicht. Diese rührt von den hohen moralischen Werten der israelischen Gesellschaft her und der tiefen Verpflichtung gegenüber den Soldaten, die zur Verteidigung des Landes ausgeschickt werden. Darin besteht Israels wahre Stärke.

Der Bericht der Hisbollah zu Ron Arad stellt eine Tarnschrift dar, die die Hisbollah und den Iran von der Verantwortung in der Angelegenheit befreien soll. Daher hat die Regierung entschieden, ihn zurückzuweisen. Die Regierung betrachtet die Hisbollah und den Iran als verantwortlich für das Schicksal Ron Arads. Somit wird die israelische Regierung ihre Bemühungen um alle möglichen Informationen in Bezug auf das Schicksal Ron Arads und auch die Lokalisierung und Rückführung der entführten und vermissten Soldaten fortsetzen.

Der 1961 im Libanon geborene Samir Kuntar ist ein verabscheuungswürdiger Mörder, dessen Verbrechen fürchterlich sind: Am 22. April 1979 gelangte die Bande Kuntars mit einem Schlauchboot an die Küste Nahariyas, schoss auf eine Polizeistreife und ermordete den israelischen Polizisten Eliyahu Shahar. Um Mitternacht brach die Bande in das Haus der Familie Haran ein und entführte den Vater Dani sowie die vierjährige Tochter Einat als Geiseln. Die Mutter Smadar und die zweijährige Tochter Yael versteckten sich im Schlafzimmer. Die zweijährige Yael erstickte im Versteck, als ihre Mutter versuchte, sie zum Schweigen zu bringen, damit sie nicht von der Terrorbande entdeckt würden.

Die Täter schleppten die Geiseln in Richtung Meer. Nachdem sie von Polizisten und Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte gestellt worden waren, schoss Samir Kuntar aus kürzester Distanz auf Dani Haran und ermordete kaltblütig Einat, indem er ihren Schädel mit seinem Gewehrkolben auf einem Felsen zertrümmerte. Während des Schusswechsels am Strand wurden ein israelischer Polizist und zwei Mitglieder der Terrorbande getötet. Die beiden überlebenden Terroristen, Kuntar und Ahmed al-Abras, wurden verhaftet, verurteilt und in Israel eingesperrt. Al-Abras wurde im Mai 1985 als Teil des als „Jibril Deal“ bekannten Gefangenenaustauschs freigelassen.

Samir Kuntar wurde des Mordes, des versuchten Mordes und der Entführung schuldig gesprochen und zu fünf lebenslänglichen Haftstrafen plus 47 Jahren Haft verurteilt.
(...)
Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die israelische Reaktion auf die Entführung von Regev und Goldwasser ungewöhnlich schwer war. Das Handeln Israels hat der Hisbollah schweren Schaden zugefügt, durch die Tötung hunderter ihrer Aktivisten, die schwere Beschädigung ihres Waffenarsenals, die Zerstörung von Kommandoposten, befestigten Stellungen und ihres Viertels in Beirut sowie die tagtägliche Existenzangst ihrer Anführer. Israel wird auf jeden zukünftigen Entführungsversuch von welcher Seite auch immer mit aller Härte antworten.

Man darf Soldaten, die eine Grenze überwachen, um Zivilisten zu schützen, nicht mit Terroristen auf eine Stufe stellen, die diese Grenze durchbrechen, um sie zu töten. Ehud Goldwasser und Eldad Regev dienten als gewöhnliche Reservisten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte und befanden sich auf israelischem Hoheitsgebiet, als sie bei der Kontrolle des Grenzzauns am 12. Juli 2006 von der Hisbollah entführt wurden.

Die Hisbollah stellt nicht nur eine Bedrohung für Israel dar, sondern auch ein Hindernis für den Frieden und eine Bedrohung für die Stabilität des Libanon. Die vom Iran finanzierte Terrororganisation hat sich der Vernichtung Israels mittels Gewalt und Terrorismus verschrieben. Ihre extremistische islamische Ideologie weist alle Friedensgespräche zurück und bedroht jede pragmatische arabische Partei, die such um ein Abkommen mit Israel bemüht. Obgleich die Hisbollah im Libanon ansässig ist und behauptet, dessen Interessen zu vertreten, ist sie blind gegenüber den Aspirationen der libanesischen Bevölkerung. Es sei daran erinnert, dass es neben der gleichzeitigen Bombardierung Nordisraels die nicht provozierte Entführung der beiden israelischen Reservisten war, die – zum Nachteil von Millionen israelischer und libanesischer Bürger gleichermaßen - den zweiten Libanonkrieg ausgelöst hat.

Die Hisbollah verhöhnt weiterhin die internationale Gemeinschaft. Sie setzt unter eklatanter Verletzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1701 den Waffenschmuggel und den Ausbau ihres Raketenarsenals fort Sie trainiert und versorgt Terroristen nicht nur in der Grenzregion zu Israel, sondern im gesamten Libanon, und schüchtert sowohl die libanesischen Sicherheitskräfte als auch die UN-Friedenstruppen ein. Die internationale Gemeinschaft muss mit Entschiedenheit handeln, um diese handfeste Bedrohung für Zivilisten sowohl in Israel als auch im Libanon zu beseitigen.

Es muss betont werden, dass der Handel zur Rückführung der israelischen Soldaten die Hisbollah in keiner Weise legitimiert. Israels Entscheidung, seine Soldaten zurückzubringen darf nicht als Indikator eines Politikwechsels gegenüber der vom Iran finanzierten Terrororganisation interpretiert werden. Die internationale Gemeinschaft muss die Gefahr erkennen, die die Hisbollah und ihre extremistischen Kohorten für die Stabilität des Nahen Ostens darstellen, und sollte ihre Unterstützung der pragmatischen Elemente in der Region, die Frieden durch Dialog und Kompromiss zu erreichen trachten, verstärken.

Auszug aus einer Erklärung des Außenministerium des Staates Israel, 16.07.08




Gefangenenaustausch Israel-Hisbollah: Rückkehr um jeden Preis?

Ministerpräsident Olmert deutet möglichen Kurswechsel in Bezug auf Gefangenendeals an

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem ***


Ein neuer Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hisbollah steht bevor: Die letzten fünf libanesischen Häftlinge in israelischen Gefängnissen werden gegen zwei Soldaten ausgetauscht, die vor fast genau zwei Jahren im israelisch-libanesischen Grenzgebiet gefangen genommen worden waren.

Der Countdown läuft: An diesem Mittwochmorgen um acht Uhr MESZ sollen am israelisch-libanesischen Grenzübergang Rosch Hanikra fünf libanesische Gefangene gegen zwei israelische Soldaten ausgetauscht werden. In Israel wird davon ausgegangen, dass die beiden am 12. Juli 2006 gefangen genommenen Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev wahrscheinlich tot sind.

Auf den ersten Blick sieht dieser Gefangenenaustausch nicht sonderlich spektakulär aus. Gegen die mehr als 600 libanesischen und palästinensischen Gefangenen, die Israel beim letzten Deal im Januar 2004 freigelassen hatte, nehmen sich die fünf, die nun gehen dürfen, eher bescheiden aus. Doch auch dieser – wieder unter deutscher Vermittlung zustande gekommene – Austausch hat es in sich: Denn dieses Mal wird auch Samir Kuntar, der 1979 gemeinsam mit einem Kommando der Palästinensischen Befreiungsfront in Naharija an der libanesischen Grenze eine Familie mit äußerster Gewalt tötete, nach Hause zurückkehren, um dort vermutlich mit Freudenfeuer empfangen zu werden.

Dieses Ereignis ist nicht nur für die Bewohner des verschlafenen Badeortes Naharija bis heute ein Trauma – es sorgt auch dafür, dass dieser Gefangenenaustausch an anderer Stelle heftig umstritten ist. Samir Kuntar galt bisher immer als Faustpfand für den Flugnavigator Ron Arad, der 1988 über Libanon abgestürzt war und seitdem vermisst wird. Nur: Ob er noch am Leben ist, ist unklar; ob die Hisbollah überhaupt weiß, was mit ihm geschehen ist, gilt in israelischen Regierungskreisen mittlerweile als unwahrscheinlich.

Bereits in der vergangenen Woche hatte der Vermittler des Bundesnachrichtendienstes der Regierung in Jerusalem einen Brief aus Libanon übergeben, von dem man sich Aufschluss darüber erhofft hatte, was mit Arad passiert ist. Das Schreiben sei indes wenig erhellend gewesen, heißt es, man müsse davon ausgehen, dass auch die Hisbollah im Trüben fische. Es sei Zeit, nach vorne zu blicken und die Leute nach Hause zu holen, von denen man wisse, wer sie festhält, sagte Ministerpräsident Ehud Olmert am Dienstag zu Beginn einer Kabinettssitzung, in der die Regierung dem Austausch mit 22 zu 3 Stimmen ihre Billigung erteilte. Ein überraschend deutliches Votum, das vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass Olmert in der Sitzung versprach, dass dieser Austausch der letzte seiner Art mit der Hisbollah sein werde. »In Zukunft werden wir nach anderen Regeln spielen.« Will heißen: Es ist gut möglich, dass Israel seine Politik ändern wird und künftig nicht mehr alle Israelis um jeden Preis zurückholen wird.

Denn der innenpolitische Preis ist extrem hoch. Zwar hat Olmert, dessen politische Karriere wegen einer Reihe von Korruptionsaffären mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in ein paar Monaten vorbei sein wird, nichts mehr zu verlieren, doch in der Koalition brodelt es. Selbst innerhalb von Olmerts Partei kritisieren Abgeordnete, es sei irrational, lebende Gefangene für Soldaten auszutauschen, von denen man nicht einmal wisse, ob sie noch am Leben sind. Das Rabbinat des Militärs hatte die beiden vor einigen Wochen für tot erklärt. Benjamin Netanjahu, Chef des rechtskonservativen Likud-Blocks, kritisierte zudem, man verhelfe der Hisbollah damit zu einem Punktsieg und stärke auf diese Weise deren Stellung in Libanon.

Eine recht wahrscheinliche Vorhersage: Bereits in der vergangenen Woche hatte Hassan Nasrallah, Chef der radikal-islamischen Organisation, eine große Willkommensfeier für die fünf Freigelassenen angekündigt; die der Hisbollah nahestehenden Medien sprechen schon jetzt davon, die Organisation habe ihren Sieg im Libanon-Krieg nun durch eine weitere Errungenschaft perfekt gemacht.



*** Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2008

Hintergrund - BND gut vernetzt im Nahen Osten

Wenn Israel mit der Hisbollah verhandelt, dann sind im Hintergrund stets Vermittler des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Einsatz. Der Grund: die guten Kontakte des deutschen Geheimdienstes in der arabischen Welt. Sie sind Nebenprodukte des Kalten Krieges. Auf der einen Seite sah sich die Bundesrepublik wegen des Holocausts dem Staat Israel gegenüber in der Pflicht; auf der anderen Seite wollte man nicht auf die Beziehungen zu den arabischen Staaten verzichten.

Bis in die 60er Jahre galt jedoch gleichzeitig eine nach dem CDU-Politiker Walter Hallstein benannte Doktrin, die den Abbruch der Beziehungen zu allen Staaten vorsah, die die DDR anerkannten. Ein Netz aus der Regierung nahestehenden Organisationen wie Parteistiftungen sollte Kommunikationswege offenhalten, falls es tatsächlich zum Abbruch von Beziehungen kommen sollte. Denn im Nahen Osten als Vermittler tätig zu werden, galt bisher allen Bundesregierungen als Teil der Verantwortung für das Überleben Israels.

Dabei half ausgerechnet DDR-Staatschef Walter Ulbricht: Nachdem er 1965 in Kairo wie ein Staatsgast empfangen worden war und Ägypten damit de facto die DDR anerkannt hatte, wurde die Hallstein-Doktrin kurzerhand aufgegeben, ohne die Beziehungen zu Ägypten abzubrechen. Stattdessen nahm die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zu Israel auf – mit dem Ergebnis, dass man nun offen als Vermittler fungieren und dabei auf das Vor-Ort-Wissen der in der arabischen Welt arbeitenden Deutschen zurückgreifen konnte.

Dass Deutschland heute vor allem zwischen Israel und der Hisbollah vermittelt, während Ägypten und die Türkei für die Hamas und Syrien zuständig sind, hat übrigens schlicht damit zu tun, dass diese beiden Länder dort die besseren Kontakte haben. liv

(Neues Deutschland, 16. Juli 2008)

Gnadenakte und Tauschgeschäfte

Israel hat in den vergangenen 25 Jahren immer wieder spektakuläre Gefangenenaustausche abgewickelt. 1983 lässt Israel 4600 palästinensische und libanesische Häftlinge im Gegenzug für sechs im Libanon in Gefangenschaft geratene Soldaten frei. 2004 findet nach mehrjährigen Verhandlungen ein Austausch in Deutschland statt:Israel lässt rund 500 Gefangene frei und bekommt dafür die sterblichen Überreste dreier Soldaten. Außerdem lässt die Hisbollah den israelischen Geschäftsmann Elhanan Tennenbaum frei.

In Israel konnten diese Aktionen nur abwickelt werden, indem das Justizsystem für den politischen Zweck eingespannt wurde. Wenn ein Häftling, der in einem Prozess rechtskräftig verurteilt wurde, freikommen soll, so ist ein Gnadenakt des Staatspräsidenten nötig, der auf Empfehlung des Justizministeriums handelt.

Bisher haben Israels Präsidenten, wenn auch zögernd, immer mitgespielt – so auch diesmal Shimon Peres, der Samir Kuntar am Dienstag in einem Schnellverfahren begnadigte. Drei weitere Libanesen, die im Laufe des Libanonkriegs 2006 wegen "Tötung" und "Waffenbesitz" aufgegriffen worden waren, waren noch in Untersuchungshaft. Bei ihnen genügte eine Entscheidung des Staatsanwalts, das Verfahren einzustellen. Der fünfte eingetauschte Libanese hatte den Rechtsstatus eines "illegalen Kämpfers" und fiel unter die Autorität der Armee.

(seg, szi/DER STANDARD, Printausgabe, 17.7.2008)




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