Referendum mit offenem Ausgang
Eine Woche vor zweiter Abstimmung über »Lissabon« sind viele Iren noch unentschlossen
Von Florian Osuch *
Am Freitag kommender Woche (2. Okt.) ist die irische Bevölkerung zum zweiten Mal aufgerufen, über den Lissabon-Vertrag abzustimmen. Im Juni des vergangenen Jahres hatte eine Mehrheit von 54 Prozent der Iren gegen das Vertragswerk votiert, das faktisch als EU-Verfassung den gültigen Vertrag von Nizza ablösen soll.
Irland ist der einzige der 27 EU-Staaten, in dem die Bevölkerung über den Vertrag abstimmen kann
und muss. Das schreibt die irische Verfassung vor. Die Entscheidung in Irland gilt als
richtungweisend für die Präsidenten Polens und Tschechiens, die ihre Unterschriften unter den
Vertrag vom Ausgang des Referendums auf der grünen Insel abhängig machen.
Wie die Iren entscheiden werden, ist allerdings nach wie vor offen. Zwar liegen laut einer Umfrage
der »Irish Times« die Befürworter mit 46 Prozent weit vor den Gegnern mit 29 Prozent. Ein Viertel
der Abstimmungsberechtigten ist jedoch noch unentschlossen. Und gegenüber Prognosen vom Mai
dieses Jahres ist das Ja-Lager stark geschrumpft (minus acht Prozentpunkte). Bei der ersten
Abstimmung im Juni 2008 hatten sich die Gegner des Lissaboner Vertrags mit 54 Prozent gegen die
Befürworter durchgesetzt. Auch damals hatte in Umfragen zunächst das Ja-Lager die Nase vorn.
Parteipolitisch hat sich gegenüber dem letzten Jahr nichts geändert. Die Regierungskoalition aus
christlich-konservativer Fianna Fáil, Liberalen und Grünen mobilisiert ebenso wie die oppositionelle
Labour Party und die bürgerliche Fine Geal mit eigenen Kampagnen für ein »Yes to Lisbon«. Die
irischen Grünen setzten ganz auf europäischen Klimaschutz: Man könne den Klimawandel nicht
allein bekämpfen. Die Sozialdemokraten bekommen Unterstützung vom schwergewichtigen
europäischen Gewerkschaftsdachverband ETUC, dem auch der DGB angehört. John Monks,
Generalsekretär der European Trade Union Confederation, bezeichnete das Vertragswerk als
»guten Deal« für die arbeitende Bevölkerung und hofft auf einen zustimmenden Ausgang des
Referendums.
Einzig die irische Linkspartei Sinn Féin stellt sich quer und fordert, das klare Votum der ersten
Abstimmung zu akzeptieren. Gerry Adams, Präsident von Sinn Féin, wies darauf hin, dass in der
kommenden Woche »exakt der gleiche Vertrag mit genau denselben Konsequenzen für Irland und
Europa« zur Abstimmung stehe. Seine Partei sehe insbesondere die Rechte der Arbeiterklasse
gefährdet und warnt vor der Aufgabe der irischen Neutralität, weil der Vertrag das Land in ein
gemeinsames Verteidigungsbündnis zwinge.
Ähnliche Kritik übt auch die Socialist Party, die bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni
einen Achtungserfolg erzielen und erstmals einen Sitz gewinnen konnte. Durch »Lisbon II« drohe
weitere Privatisierung im Gesundheits- und Bildungssektor, warnt der frischgebackene EUAbgeordnete
Joe Higgins aus Dublin.
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac bezeichnete die neuerliche Abstimmung als
»Missbrauch der Demokratie«. Christian Felber von Attac-Österreich äußerte, die Menschen »sollen
so lange abstimmen, bis der Regierung das Ergebnis gefällt«. Die Änderungen und Zugeständnisse
an die irische Bevölkerung seien nicht rechtsverbindlich, sonst müsste die Ratifizierung ebenso in
den anderen EU-Staaten wiederholt werden.
In Deutschland hat Bundespräsident Horst Köhler für heute (25. Sept.) angekündigt die Ratifikationsurkunde für
den Lissabon-Vertrag bei der italienischen Regierung als Hüterin der EU-Verträge zu hinterlegen. Der Vertrag gilt damit in Deutschland als ratifiziert. Im Sommer hatten Bundestag und Bundesrat die Änderungen an den Begleitgesetzen im Schnellverfahren verabschiedet. Dies war nötig, nachdem
das Bundesverfassungsgericht mehr Mitspracherechte Deutschlands in EU-Fragen verlangt hatte.
* Aus: Neues Deutschland, 25. September 2009
Zurück zur Irland-Seite
Zur EU-Europa-Seite
Zur Seite "EU-Verfassungsvertrag, Lissabon-Vertrag"
Zurück zur Homepage