Irre Iren - oder irrt die EU?
Ein Kommentar aus Österreich über das Nizza-Referendum in Irland
Von Adalbert Krims*
Die Ablehnung des Vertrages von Nizza durch die irische Bevölkerung hat
nicht nur die Regierung in Dublin, sondern auch die EU und ihre
Mitgliedsstaaten völlig überraschend getroffen. In ersten Kommentaren war
sogar von der "Undankbarkeit" der Iren die Rede, die bisher am meisten von
der EU-Mitgliedschaft profitiert hätten - und nun die Erweite-rung
blockieren würden. Dann beklagte man die mangelnde Aufklärung, die sich in
der niedrigen Wahlbeteiligung niedergeschlagen habe - wodurch eine
Minderheit bewusster EU-Gegner die eigentliche öffentliche Meinung
verfälschen konnte. Die österreichische Außenministerin Benita
Ferrero-Waldner machte sogar die Kritik am Nizza-Vertrag durch das
EU-Parlament und andere politische Kräfte dafür verantwort-lich, dass die
Iren entweder gar nicht an der Abstimmung teilnahmen bzw. mehrheitlich mit
Nein stimmten. Beim EU-Gipfel in Göteborg wurde einerseits betont, dass das
irische Referendum nichts am Erweiterungs-Fahrplan ändern werde,
andererseits aber "selbstkritisch" ein-gestanden, dass die EU in Hinkunft
"bürgernäher" werden müsse (das hatte man schon nach dem dänischen "Nein"
zum Maastricht-Vertrag - und seither immer wieder - feier-lich bekräftigt).
Der Gipfel in Göteborg hat jedenfalls gezeigt, dass die EU einerseits in
Bezug auf die irische Volksabstimmung ziemlich ratlos ist, andererseits aber
"business as usual" weiter betreiben will (mit der unverbindlichen verbalen
Ankündigung von "mehr Bürgernähe"). Konsequenzen müssten allenfalls in
Irland selbst gezogen werden - im Sinne einer besseren "Aufklärung der
Bevölkerung", was dann doch noch eine Ratifizierung des unveränderten
Nizza-Vertrages bis Ende 2002 möglich machen sollte. Immerhin könnten ja
nicht ein paar hunderttausend Menschen auf einer kleinen Insel über das
Schicksal der anderen 300 Millionen in den übrigen 14 Mitgliedsländern (plus
nochmals Zigmillionen in den Kandidatenländern) bestimmen. "Vergessen" wird
bei dieser Argumentation, dass es eben nur in Irland ein Referendum gegeben
hat - und sich die anderen Staaten bei allen wichtigen EU-Entscheidungen (z.
B. beim Euro oder auch der EU-Eingreiftruppe) eine Befragung ihrer
Bevölkerungen "erspart" haben (der Euro könnte z. B. sicher nicht eingeführt
werden, weil es dafür in mehreren Mitgliedsstaaten - darunter im größten,
nämlich Deutschland - KEINE Mehrheit gegeben hätte).
Der irische Ministerpräsident Bertie Ahern, der wirklich für ein Ja seiner
Bevölkerung gekämpft hatte, hat in Göteborg seinen EU-Kollegen zu erklären
versucht, dass das Referendum in Irland keineswegs als Nein zur Erweiterung
der Union zu verstehen sei, sondern sich gegen die Annäherung der EU an die
NATO sowie gegen den Verlust an Souveränitätsrechten gerichtet habe. Damit
dürfte Ahern der wirklichen Bedeutung des irischen Referendums ziemlich nahe
gekommen sein. Eigentlich ging es gar nicht um die Erweiterung - und auch
gar nicht um den genauen Inhalt des Nizza-Vertrages (der der großen Mehrheit
der Iren - wie auch der anderen Europäer - im Detail gar nicht bekannt ist),
sondern es ging um die Entwicklung der EU insgesamt, die zunehmend Unbehagen
auslöst. Bei dieser Interpretation wird aber auch klar, dass das irische
Votum durchaus eine über das Land hinausgehende Signalwirkung hat. Vor allem
die kleineren Nicht-NATO-Staaten in der Europäischen Union könnten aus der
Volks-abstimmung in Irland lernen und sich gegen die Militarisierung (und
"NATOisierung") der Union sowie gegen die Zentralisierung aller wichtigen
Entscheidungen in der EU zur Wehr setzen. Bis jetzt sieht es allerdings
nicht danach aus, dass irgendeine Regierung (einschließlich der irischen) an
solche Konsequenzen denkt.
Dass es den österreichischen Regierungsparteien nicht angenehm sein kann,
dass die Iren gegen die Aushöhlung ihrer Neutralität und gegen den weiteren
Verlust an Souverä-nität gestimmt haben, liegt auf der Hand. Allerdings
haben auch die Oppositionsparteien das "Signal aus Irland" offenbar nur
widerwillig zur Kenntnis genommen. Bei den Sozial-demokraten überwog das
"Bedauern" über die Entscheidung der irischen Bevölkerung, für die Grünen
war sie vor allem ein Protest gegen die mangelnde Demokratie in der EU
(wobei aber unklar bleibt, was denn eigentlich unter "Demokratisierung" der
Union zu verstehen sein soll - die Aufwertung des EU-Parlaments ist zwar
einerseits sicher not-wendig, andererseits könnte sie aber auch zu einer
weiteren Marginalisierung der kleineren Mitgliedsstaaten führen, die nur
über wenige Abgeordnete verfügen und deren tatsächlicher Einfluss derzeit in
erster Linie im Vetorecht im Rat besteht).
Obwohl also das irische Referendumg durchaus positive Aspekte hat, ist aber
vor allem die sehr niedrige Wahlbeteiligung bedenklich. Sie ist jedoch
ebenfalls kein rein irisches, sondern ein gesamteuropäisches Problem. Je
mehr die BürgerInnen das Gefühl bekommen, dass über ihre Köpfe hinweg
entschieden wird und sie außerdem ohnehin keine wirklichen Wahlmöglichkeiten
haben, desto niedriger wird die Beteiligung am (formal)demokratischen
Prozess sein. Die einzelnen Nationalstaaten - und die Politik überhaupt -
verlieren immer mehr Zuständigkeiten. Zugleich werden auf EU-Ebene
Entscheidungen getroffen, die dann tiefgreifende Auswirkungen in den
Mitgliedsstaaten haben (wie z. B. die Maastricht-Kriterien der Währungsunion
oder die Liberalisierung und Privatisierung bisher öffentlicher
Dienstleistungen...) und für den Bürger etwa in Form von Sozialabbau oder
anderen Leistungskürzungen spürbar werden. Diese (neo-liberale) Politik wird
dann als Folge von "Sachzwängen" dargestellt, für die eigentlich niemand
zuständig ist - außer die "Gesetze des Marktes". Wenn aber die Politik sich
ohnehin von allem zurückzieht, ist es zumindest verständlich, dass sich
immer mehr Menschen fragen, warum sie dann überhaupt noch an Wahlen bzw.
Abstimmungen teilnehmen sollen - und wenn sie schon teilnehmen, wollen sie
wenigstens "denen da oben" (wer immer diese auch genau sein mögen) einen
"Denkzettel" verpassen.
Insofern zeigen sich sowohl an der Beteiligung als auch am Ergebnis der
irischen Volks-abstimmung eine Reihe von grundsätzlichen Problemen der EU
und aller ihrer Mitglieds-staaten (die übrigens durch die Erweiterung nicht
gelöst, sondern vielleicht sogar ver-schärft werden - vor allem, wenn die
sozialen Kosten des EU-Beitritts die euphorischen Wohlstandserwartungen in
den Kandidatenländern auf den Boden der Realität zurück-holen werden). Der
Nizza-Vertrag ist durch Irland zu einem Symbol geworden - was er auf Grund
seines Inhalts eigentlich gar nicht verdient. Jetzt seine Ratifizierung
einfach - ohne Wenn und Aber - durchzuziehen, wird vielleicht technisch
klappen, aber keine Lösung für die Krise des EU-Modells bringen.
* Adalbert Krims ist Vorsitzender der österreichischen Aktion "Kritisches Christentum" und Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift. Der Beitrag erschien in der jüngsten Ausgabe.
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