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Küste in Brand

Im Westen Irlands baut ein Konsortium um Shell eine Hochdruckpipeline für Gasvorkommen, die der Staat verhökert hat. Der Widerstand ist mannigfaltig

Von Florian Osuch *

Ein Konsortium aus drei multinationalen Energiekonzernen unter Führung von Shell plant die Ausbeutung eines Erdgasfeldes vor der Westküste Irlands. 30 Milliarden Kubikmeter Gas werden in diesem Corrib-Feld etwa 80 Kilometer vor der Region Mayo im Atlantik vermutet.

Das Gas soll nicht wie üblich direkt auf See, sondern an Land aufbereitet und dafür durch eine Hochdruckleitung aus dem Corrib-Vorkommen zur Raffinerie gepumpt werden. Unvorhersehbare Folgen für die Region und ihre Umwelt werden erwartet. Zudem hat die Regierung in Dublin die gesamten Verwertungsrechte an die Konzerne Shell, Statoil und Marathon abgetreten.

Viele Gegner des Megaprojekts haben sich zu einer »Shell-To-Sea«-Kampagne zusammengeschlossen. »Shell ins Meer« ist doppelsinnig gemeint. Das Bündnis aus Anwohnern, Umweltschützern und linken Aktivisten lehnt das Projekt nur zum kleineren Teil grundsätzlich ab. Die meisten streben eine Gasförderung auf See an.

Die »Rossport-Five«

Bewohner der Region im äußersten Westen Irlands haben Sorgen, vertrieben zu werden. Da die Hochdruckpipeline zehn Kilometer ins Landesinnere reicht, wurden zahlreiche Bürger des Dorfes Rossport bereits zum Verkauf ihrer Grundstücke gezwungen. Im Jahr 2005 erwirkte Shell per einstweiliger Verfügung gegen sie den Landverkauf. Dieser Vorgang ist einmalig in Irland. Bisher konnten Zwangsverkäufe nicht für Privatunternehmen, sondern nur für staatliche Projekte im öffentlichen Interesse wie Schulen, Krankenhäuser oder Straßen angeordnet werden. Unklar ist, welche Auswirkungen diese gerichtliche Entscheidung auf zukünftige Zwangsenteignungen innerhalb der EU haben wird.

In Rossport verweigerten damals fünf Männer den Verkauf ihres Landes und wurden verhaftet. Als »Rossport-Five« wurden sie international bekannt und im September 2005 nach drei Monaten aus dem Gefängnis entlassen.

Gefahren birgt vor allem die lange Pipeline. Wenn Gas gefördert wird, ist es in einem unstabilen Zustand. Es muß mit hohem Druck transportiert werden, ist dabei noch geruchsneutral. Der typische Geruchsstoff wird erst später hinzugefügt, damit austretendes Gas schnell identifiziert werden kann. In der Spezialleitung des Shell-Projekts steht das Gas unter einem siebenmal höherem Druck als in normalen Leitungen. Die Explosion einer solchen Pipeline in Carlsbad (New Mexico, USA) hatte vor sieben Jahren zwölf Todesopfer gefordert.

Die Auswirkungen einer explodierenden Leitung mit veredeltem Gas erlebten in der BRD im August 2007 die Bewohner der hessischen Gemeinde Weinbach-Gräveneck. Eine außerhalb des Dorfes gelegene Pipeline mit vergleichsweise stabilem Gas richtete noch Schäden an 250 Meter entfernten Häusern an. Im irischen Rossport stehen Gebäude bereits 70 Meter neben der unterirdisch verlegten Pipeline. Öffentliche Straßen und Zufahrtswege zu etlichen Grundstücken überqueren die Leitung, die im übrigen noch ein erdrutschgefährdetes Sumpfgebiet passieren soll.

Ein Unfall hätte zudem verheerende Folgen für Tiere und Pflanzen. Abfälle und Giftemissionen bedrohen ohnehin die Umwelt. Die Abwässer der Gasraffinerie werden in der Broadhaven Bucht aufbereitet, in der Delphine und Walen leben.

Statt den Profit aus den Gasvorkommen gesellschaftlich zu verteilen, hat die irische Regierung alle Verwertungsrechte den Konzernen überlassen. Aus dem Parteienspektrum lehnt einzig die irische Linkspartei Sinn Féin das umstrittene Projekt ab. Die irischen Grünen waren als kleiner Koalitionspartner einer grün-schwarzen Regierung sogar an der Planung und Umsetzung beteiligt.

Bolivarischer Ansatz

Sinn Féin kritisiert, daß die Bevölkerung Irlands das eigene Gas teuer von Shell kaufen muß, lehnt das Projekt jedoch -- wie die Mehrheit der Einwohner Mayos -- nicht grundlegend ab. Die Partei favorisiert eine Variante ohne Pipeline und fordert, daß die Menschen am Gewinn der Gasförderung beteiligt werden. Sie orientiert sich dabei an Venezuela, wo im Zuge der Bolivarischen Revolution private Öl- und Gaskonzerte teilweise oder vollständig verstaatlicht wurden. Nach Angaben von Gerry Adams, Vorsitzender von Sinn Féin, wird der Wert der Corrib-Gasvorkommen auf zwölf bis 21 Milliarden Euro geschätzt. Der Gesundheitshaushalt der irischen Regierung zum Beispiel liegt bei weniger als der Hälfte.

Streit gibt es über die Radikalität des Widerstands gegen das Projekt. »Shell-To-Sea« und Sinn Féin haben sich friedlichen Mitteln verpflichtet. Andere Umweltaktivisten schließen Sabotagen und Gewalt gegen Sachen nicht aus. Ende März kam es zu einem Großbrand auf einer Baustelle. Werkstoffe einer Shell-Vertragsfirma, die am Bau der Pipeline beteiligt ist, verbrannten. Der Schaden wurde auf rund 250000 Euro beziffert. John Egan, Sprecher von Shell-Irland, war sicher, daß das Feuer vorsätzlich gelegt worden war.

* Aus: junge Welt, 5. Juni 2008


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