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Irland im Griff bankrotter Banken

Von Gabriel Rath, Dublin *

Garantie aller Spareinlagen öffnete für den Staat ein Fass ohne Boden Die Rettung maroder Banken brachte Irland an den Rand des Staatsbankrotts. Trotz EU-Milliarden sind die Probleme ungelöst.

Irland stemmte sich lange gegen den Staatsbankrott. Im Herbst dieses Jahres hatte die Regierung dem Tosen der Finanzmärkte nichts mehr entgegenzusetzen – und beantragte EU-Hilfen. Selbst ein in offenkundiger Panik verkündetes radikales Sparpaket, das bis 2014 das Haushaltsdefizit von derzeit 32 Prozent auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts herunterfahren soll, verfehlte seine Wirkung. Zeitweilig wurden irische Staatsanleihen zu Konditionen wie jene der Ukraine oder Pakistans gehandelt.

Was Irland finanziell in den Abgrund zu stoßen droht, ist die Rettung der Banken. Sie hatten den Immobilienboom in der Hochkonjunkturphase von 1997 bis 2007 leichtfertig angefeuert. Als dann im Zuge der Weltfinanzkrise die Blase platzte, sprang der Staat ein. Irland sprach als erstes EU-Land im September 2008 eine universelle Garantie für Bankeinlagen aus – sehr zum Ärger der EU-Partner, die ebenfalls unter massiven Druck verunsicherter Sparer kamen und auch zum eigenen Nachteil Irlands. Denn die Regierung öffnete damit ein Fass ohne Boden. Wenn man heute ein Pub in Dublin besucht, wird man kaum einer Diskussion entkommen, in der vehement behauptet wird, die damalige Bankengarantie sei nichts als ein Rettungsschirm für korrupte Bauherren und größenwahnsinnige Banker gewesen. Wie ein Spaziergang zu den Bauruinen der Hauptstadt und den nie vollendeten megalomanischen neuen Hauptsitzen der Banken zeigt, war es vielleicht auch umgekehrt: die Bauherren waren größenwahnsinnig, die Banker korrupt. Beide Gruppen hatten auf die Fianna-Fail-Partei besonders unter Ex-Premier Bertie Ahern bestimmenden Einfluss.

Es war die gloriose Zeit des »keltischen Tigers«, als ein Niedrigsteuersatz von 12,5 Prozent Konzerne aus aller Welt nach Irland lockte. Microsoft, Pfizer, Dell, Siemens – die ersten Namen der Weltwirtschaft gaben den Iren 70 Jahre nach der Unabhängigkeit und nach Generationen bitterer Armut endlich das Gefühl, den Anschluss geschafft zu haben. Eurostat erklärte Irland 2007 zum zweitreichsten Land der EU. Die Politologin Etain Tannam sagt: »Damals wurden wir zu einer Gesellschaft, in der sich der Wert eines Menschen danach bestimmte, welches Auto er fährt und wie viele Zimmer sein Haus hat.«

Dies war, stellte sich beim Zusammenbruch der Wirtschaft 2008 heraus, größtenteils auf Pump finanziert. Allein die Rettung der Anglo Irish Bank kostete den Steuerzahler bisher 32 Milliarden Euro. Rechnet man die beiden anderen irischen Großbanken hinzu, dürften Gesamtkosten von 69 Milliarden zu erwarten sein. Davor hatte der Staat den Banken bereits faule Immobilienkredite von 77 Milliarden Euro abgenommen und in einer »Bad Bank« geparkt.

Es droht noch eine weitere akute Gefahr: Von 270 000 neuen Hauseigentümern aus den letzten Jahren des Aufschwungs befinden sich heute 200 000 mit ihren Hypothekenkrediten im Rückstand. Eine Gruppe von Ökonomen hat daher in einem Zeitungsbeitrag für sie einen Schuldenerlass gefordert.

Angesichts dieser dramatischen Lage sah sich die Regierung dann doch genötigt, EU-Hilfen zu beantragen. Brüssel verlangt nun, zwei der drei Banken-Fässer ohne Boden abzuwickeln. Die wahren Nutznießer der Finanzhilfen sind auch hier die Dealer: deutsche, französische und britische Großbanken, die den Großteil der irischen Bonds halten und keine Ausfälle hinzunehmen brauchen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Dezember 2010


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