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Daumenschrauben und Geschenke

Von IWF und EU gefordertes Kürzungspaket führt zu Unruhen in Irland

Von Christian Bunke, Manchester *

Während die irische Regierung an der Umsetzung des von IWF und EU geforderten Kürzungspaketes arbeitet, verlassen die ersten Ratten das sinkende Schiff. Justizminister Dermot Ahern von der regierenden Fianna-Fail-Partei kündigte an, nicht mehr bei den für Anfang 2011 angekündigten Wahlen zur Verfügung zu stehen. Weitere Politiker machten ähnliche Andeutungen.

85 Milliarden Euro will die irische Regierung »einsparen«. Unter anderem soll der Mindestlohn um zwölf Prozent von bislang 8,65 Euro pro Stunde auf 7,65 Euro gekürzt werden. Allein bei der Sozialhilfe werden sieben Milliarden Euro gestrichen. Justizminister Ahern allerdings wird 129000 Euro Rente jährlich bekommen. Außerdem erhält er ein »Good-bye«-Paket im Wert von 308000 Euro. Die anderen bald in Rente gehenden Politiker freuen sich auf ähnliche Geschenke.

In der irischen Bevölkerung nehmen derweil die Proteste zu. Am Samstag demonstrierten über 100000 Menschen in Dublin gegen den IWF, die EU und die Streichorgien. Auf Schildern, Transparenten und in Sprechchören wurden Kampfmaßnahmen bis zum Generalstreik gefordert. Vertreter des irischen Gewerkschaftsbundes ICTU wurden aufgrund ihrer bisherigen Tatenlosigkeit ausgebuht.

Darauf reagierte nun die sowohl in Großbritannien als auch in Irland operierende Großgewerkschaft Unite. Deren Regionalsekretär für Irland, Jimmy Kelly, rief am Mittwoch alle Oppositionsparteien auf, gegen das Rettungs- und auch das sogenannte Sparpaket zu stimmen. Am Donnerstag will die Gewerkschaft einen Gegenentwurf vorstellen. Kelly erklärte weiter: »Wir haben begonnen, eine Kampagne des zivilen Ungehorsams einschließlich Streiks zu planen. Diese Kampagne wird die Wut der Bevölkerung auf die Straße tragen, die von ihren politischen Führern komplett im Stich gelassen wurde«.

Die Oppositionsparteien wollen sofortige Neuwahlen erzwingen. Die republikanische Sinn-Féin-Partei arbeitet deshalb an einem Mißtrauensantrag gegen die Regierung. Parteichef Jerry Adams ließ sich zwischenzeitlich in Dublin nieder, über eine Kandidatur seinerseits wird spekuliert.

Sinn Féin veröffentlichte inzwischen einen alternativen Haushaltsentwurf. In diesem werden verschiedene Reichensteuern zur Etatkonsolidierung vorgeschlagen. Außerdem sollen parlamentarische Spesenabrechnungen besser kontrolliert werden. Im Gesundheitssystem ist vorgesehen, Privatisierungsmaßnahmen rückgängig zu machen und die Herstellung von Medikamenten zu verstaatlichen. Diese und weitere Maßnahmen, so Sinn Féin, würden eine Sanierung des Haushaltes ermöglichen, ohne die arbeitende Bevölkerung zu belasten.

In dieser Woche formierte sich außerdem die »United Left Alliance« auf einer Veranstaltung in Dublin mit über 300 Teilnehmenden. Diese vom Europaabgeordneten der Socialist Party mitinitiierte Allianz sieht sich als Alternative auch zur Labour-Partei und Sinn Féin. Beide würden die Logik des Marktes akzeptieren und hätten dies in der Vergangenheit auch bewiesen. Außerdem würden diese Parteien sich weigern, eine Koalition mit rechten bürgerlichen Parteien auszuschließen. Deshalb sei eine echte linke Alternative für kommende Wahlen notwendig, so die Allianz.

* Aus: junge Welt, 2. Dezember 2010


Euro-Schirm schützt jetzt auch Dublin

Frankreich und Deutschland einigen sich auf permanenten Krisenmechanismus

Von Gabriel Rath, London **


Irland soll 85 Milliarden Euro erhalten. Mit der Einigung, die von den 27 EU-Finanzministern und der Eurogruppe abgesegnet wurde, ist Irland nach Griechenland das zweite Land in der Eurozone, das Gelder aus dem Eurorettungsfonds bekommt.

Es endete, wie es begonnen hatte: Der irische Finanzminister Brian Lenihan kam zur entscheidenden Sitzung zu spät. Als Irland vor zehn Tagen in Verhandlungen über ein internationales Rettungspaket einstimmen musste, steckte er im Brüsseler Verkehrschaos fest. Und als die EU-Finanzminister am Sonntag (28. Nov.) in Brüssel dem 85-Milliarden-Hilfspaket ihren Segen erteilten, verzögerte heftiger Schneefall in Dublin die Abreise des irischen Finanzministers.

Das hinderte jedoch seinen Ministerpräsidenten Brian Cowen nicht daran, am frühen Nachmittag zu bestätigen, was bereits durchgesickert war: Irland hat sich mit der EU, dem Weltwährungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank auf ein Rettungspaket geeinigt. »Wir erwarten heute einen Abschluss der Gespräche«, teilte das Amt des irischen Regierungschefs mit. Die Regierung habe dem Paket in einer Sondersitzung am Samstag zugestimmt.

Wie mehrere EU-Finanzminister, so etwa Christine Lagarde (Frankreich), am Sonntag bestätigten, soll Irland von der internationalen Gemeinschaft 85 Milliarden Euro erhalten. Unklar blieben bis Redaktionsschluss aber noch die Laufzeit des Kredits und die Höhe des Zinssatzes. Dem Vernehmen nach soll Irland sechs bis neun Jahre bekommen, um den Kredit zurückzuzahlen. Der irische Kommunikationsminister Eamon Ryan dementierte gestern Medienberichte, wonach sein Land 6,7 Prozent Zinsen zahlen muss.

Mit der Einigung, die zuerst die 27 EU-Finanzminister und dann die 16 Mitglieder der Eurogruppe absegneten, ist Irland das zweite Land, das Geld aus dem Eurorettungsfonds bekommt. Im Mai musste Griechenland angesichts des Drucks der Märkte das Handtuch werfen. Athen erhielt 110 Milliarden Euro zu einem Zinssatz von 5,2 Prozent und mit einer Laufzeit von drei Jahren.

Um eine Wiederholung der Krise der letzten Monate auf Dauer zu verhindern, besprachen die Finanzminister auch längerfristige Maßnahmen. Nach Angaben aus diplomatischen Kreisen erzielten dabei Deutschland und Frankreich eine »Einigung über einen permanenten Krisenmechanismus« nach 2013. Dann endet der Eurorettungsschirm, er soll durch eine permanente Struktur ersetzt werden, bei der auch Privatinvestoren zur Kasse gebeten werden: »Frankreich und Deutschland haben massiven Druck gemacht, ein klares Signal zu senden, dass der Privatsektor ebenfalls seinen Beitrag leisten muss«, zitierte die Nachrichtenagentur »Reuters« einen Gesprächsteilnehmer.

Ebenfalls mit Blick auf die Verhinderung weiterer Krisen erörterten die Finanzminister die Lage in Portugal. Das südeuropäische Land ist als nächstes ins Visier der Märkte gekommen. Die Regierung drückte Ende vergangener Woche ein hartes Sparprogramm durch und bestreitet, internationale Hilfen zu brauchen. Sorge bereitet Beobachtern aber die strukturelle Schwäche der portugiesischen Wirtschaft.

Von dem irischen Hilfspaket sollen nach Angaben aus EU-Kreisen bis zu 35 Milliarden Euro in die Bankenrettung und 50 Milliarden Euro in die Budgetsanierung fließen. Die Regierung stellte in der Vorwoche zusätzlich einen brutalen Sanierungsplan vor.

** Aus: Neues Deutschland, 29. November 2010


Sozialer Kahlschlag droht

Iren wehren sich gegen Kürzungen auf dem Rücken der Schwächsten

Von Christian Bunke ***


In Irland brodelt die Volksseele: Die milliardenschweren Sparmaßnahmen zur Haushaltskonsolidierung des krisengeschüttelten Landes sollen hauptsächlich von der Bevölkerung getragen werden. Am Samstag (27. Nov.) gab es eine Massendemonstration in Dublin.

Über 100 000 Menschen demonstrierten am Samstag gegen das geplante Rettungspaket und die damit verbundenen Angriffe auf Sozialstaat und Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung Irlands. Zu den Protesten aufgerufen hatte der irische Gewerkschaftsbund. Bereits im Vorfeld hatte es viele örtliche Demonstrationen, sowie Massenmobilisierungen von Studierenden gegeben. Viele Demonstranten forderten auf Schildern und Transparenten Arbeitsniederlegungen oder die Ausrufung eines Generalstreiks.

Die Demonstration endete vor dem General Post Office, der Dubliner Hauptpost. Hier hatte im Jahr 1916 der so genannte Osteraufstand begonnen, hier wurde zum selben Zeitpunkt auch die irische Unabhängigkeitserklärung verlesen. Einer der Autoren dieser Erklärung, James Connolly, vertrat Zeit seines Lebens die Auffassung, dass Irland nur als sozialistischer Staat wirklich frei von imperialistischer Ausbeutung sein könne. Wäre er heute noch am Leben, er würde seine Auffassung wohl bestätigt sehen.

85 Milliarden Euro wollen Europäische Union und der Internationale Währungsfonds (IWF) für die kommenden sechs Jahre an Irland verleihen. An den Details wurde am Wochenende noch hektisch gearbeitet. Am Sonntag stellten die EU-Finanzminister die Eckpunkte vor. Bereits jetzt ist aber klar, dass Irland in jedem Fall jegliche Souveränität über den eigenen Haushalt verlieren wird. Jede zukünftige Finanzentscheidung wird von der EU und dem IWF abgesegnet werden müssen.

Damit ist ein drakonisches Sparpaket verbunden, welches überwiegend von den ohnehin gebeutelten irischen Erwerbslosen und Werktätigen geschultert werden soll. 15 Milliarden Euro sollen in den nächsten vier Jahren eingespart werden. Zehn Milliarden Euro sollen dabei weniger ausgegeben werden, Fünf Milliarden Euro sollen durch neue Massensteuern eingenommen werden.

Unter anderem soll der Mindestlohn um zwölf Prozent von 8,65 Euro auf 7,65 Euro gekürzt werden. Im öffentlichen Dienst sollen Gehaltskürzungen kommen. Die Studiengebühren werden von 3000 auf 6000 Euro pro Jahr verdoppelt. Für Dienstleistungen wie die Wasserversorgung sollen von nun an Gebühren bezahlt werden. Dies hatte die Regierung vor einigen Jahren bereits versucht durchzusetzen, es wurde allerdings damals durch eine Massenrevolte der Bevölkerung verhindert.

Nach der Demonstration am Samstag gab es noch eine kleinere Kundgebung mit dem Europaparlamentarier Joe Higgins von der Socialist Party. An ihr beteiligten sich rund 3000 Menschen. Higgins gehört zu einer neuen Linksallianz, die für die kommenden Wahlen eine sozialistische Alternative anbieten will. Auf diese Initiative gab es in Irland ein großes Medienecho, die Gründungspressekonferenz wurde sogar im Fernsehen live übertragen.

Die Regierung steckt in jedem Fall tief der Krise: Die Grünen sind aus der Koalition mit der konservativen Fianna Fáil ausgestiegen, die Forderung nach sofortigen Neuwahlen steht immer stärker im Raum. Nicht nur die sozialistischen Linkskräfte, auch die irischen Nationalisten um Sinn Fein wittern Morgenluft. Sinn Fein konnte bereits letzte Woche eine Nachwahl gewinnen und erwägt nun, die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen.

Und die Bevölkerung gibt der Regierung wenig Rückhalt: Die Iren lehnen die vollständige Rückzahlung ihrer Staatsschulden laut einer Umfrage mehrheitlich ab. In der Erhebung des Instituts Quantum Research, die die irische Sonntagszeitung »Sunday Independent« veröffentlichte, sprachen sich 57 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Rückzahlung der Schulden ausgesetzt werde. 43 Prozent sprachen sich für die Rückzahlung aus.

Zudem lehnten rund zwei Drittel der Befragten die Sparmaßnahmen der Regierung ab. Am deutlichsten falle die Ablehnung bei der Senkung des Mindestlohns aus: 66 Prozent der Befragten seien dagegen, berichtete die Zeitung. 60 Prozent lehnen demnach eine Verringerung der Familienzuschläge und 65 Prozent der Befragten eine Erhöhung der Studiengebühren ab.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. November 2010


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