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Der Kronprinz wird neuer "Taoiseach" Irlands

Brian Cowen übernimmt in Dublin das Amt des Ministerpräsidenten

Von Axel Reiserer, London *

Mit Brian Cowen wird ein politisches Urgestein Regierungschef der Republik Irland. Der Pragmatiker folgt heute auf den charismatischen Bertie Ahern, der wegen einer Finanzaffäre gehen muss.

Die Welt wird heute auf Moskau blicken. Doch der Machtwechsel von Bertie Ahern zu Brian Cowen in Irland ist für die grüne Insel ähnlich epochal wie die Stabübergabe von Wladimir Putin an Dmitri Medwedjew im Kreml. In beiden Fällen muss der Nachfolger erst beweisen, dass er seinem jeweiligen Vorgänger das Wasser reichen kann.

Dabei fehlt es Brian Cowen weder an Erfahrung noch an Vorschusslorbeeren. Seit 1984 gehört der 48-jährige Vater zweier Kinder als Abgeordneter der Langzeit-Regierungspartei Fianna Fáil bereits dem Parlament an und bekleidete schon in sieben Regierungen Ministerposten, darunter für Äußeres und zuletzt Finanzen. Schon lange galt er als Kronprinz von Ahern, dem er stets bedingungslos loyal ergeben war. Von den Skandalen seines Vorgängers allerdings wusste er sich immer fernzuhalten. Damit bewies er einiges politische Geschick: Charlie McGreevy, der unbestritten als größtes politisches Talent der grünen Insel gilt, büßt bis heute mit der Abschiebung in die EU-Kommission dafür, dass er vor Jahren Ahern intern kritisiert hatte.

Mit Cowen kommt nun ein Fianna-Fáil-Urgestein als »Taoiseach«, als Ministerpräsident, an die Regierungsspitze. Sein Mandat in der Grafschaft Offaly hat der neue Premier von seinem Vater praktisch »geerbt«. Das ist einer der Gründe für die Vorschusslorbeeren. Denn anders als dem ehrgeizigen Aufsteiger Ahern fehlt es Cowen nicht an Bodenhaftung. Wenn ihn die Iren wegen seines Aussehens, das an einen tollpatschigen Bären erinnert, nach einer gleichnamigen Comic- Figur »Biffo« nennen, ist das durchaus liebevoll gemeint. Cowen hat keine »Freunde« in der Dubliner Geschäftswelt und daher auch keine »Verpflichtungen« wie sie dem einst unantastbaren Ahern letztlich zum Verhängnis wurden. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger fehlt Cowen aber auch dessen legendärer Draht zum »einfachen Mann«.

Ahern ließ in seinen elf Jahren als Premier keine Gelegenheit aus, sich als Mann des Volkes zu präsentieren. »Bertie nimmt auch an der Öffnung eines Beutels Kartoffelchips teil«, ätzte einmal ein Mitarbeiter. Cowen dagegen gilt als harter Arbeiter, der oft missmutig wirkt. Vom Volk wird das aber offensichtlich nicht als Nachteil gesehen – 78 Prozent halten ihn nach einer Umfrage für den geeigneten Nachfolger Aherns.

Das Vertrauenspolster kann Cowen dabei gut gebrauchen – erstmals nach einem Jahrzehnt weisen alle wirtschaftlichen Indikatoren nach unten. Auch der »keltische Tiger« muss sich auf härtere Zeiten gefasst machen. Zudem steht Irland Mitte Juni die Volksabstimmung über den Lissabonner EUReformvertrag ins Haus. Dabei versucht die Regierung mit einem nie da gewesenen Propagandaeinsatz, die Iren auf ein »Ja« einzuschwören. Und ganz Europa hält den Atem an, denn ein »Nein« der Iren würde den gesamten Vertrag zu Fall bringen. Gerade der enorme äußere Druck, der sich in Besuchen und mahnenden Worten von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bis zu EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso niederschlägt, macht die Iren aber zunehmend störrisch. In aktuellen Umfragen steigt die Zahl der Gegner des Vertrags deutlich an. Zumindest eines ist damit sichergestellt: Europa wird am 12. Juni gespannt nach Irland blicken.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2008


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