Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Alles wieder offen

Die iranische Führung widerspricht den US-amerikanischen Behauptungen über den Kompromiss von Lausanne

Von Knut Mellenthin *

Im Streit um die Zukunft des iranischen Atomprogramms scheint fast alles wieder offen. Am Donnerstag schaltete sich der »oberste Führer« Ajatollah Ali Khamenei erstmals in die Diskussion über den Kompromiss ein, den Iran und seine internationalen Verhandlungspartner eine Woche zuvor in Lausanne gefeiert hatten. Er sei weder für noch gegen das Ergebnis der Gespräche, da bisher noch gar nichts Verbindliches vereinbart worden sei. Es sei noch nicht einmal klar, ob die Verhandlungen überhaupt zu einem Abkommen führen würden. Zwar vertraue er den iranischen Unterhändlern und unterstütze sie, aber er mache sich Sorgen, weil »die andere Seite« lüge und ihre Versprechen breche, mahnte Khamenei. Er gilt im Iran zwar als höchste politische und religiöse Autorität, äußert sich aber nur noch selten öffentlich.

Seine Kritik konzentrierte sich naturgemäß auf den Streitpunkt, der die Iraner mehr als alles andere interessiert: die Aufhebung der von mehreren westlichen Staaten und vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen. »Alle Sanktionen« müssten sofort aufgehoben werden, sobald ein Abkommen ausgehandelt sei, forderte Khamenei. Dagegen hielten Sprecher der US-Regierung am Donnerstag an der Behauptung fest, die iranische Delegation habe in Lausanne zugestimmt, die Strafmaßnahmen lediglich zu »suspendieren«, und auch das erst, nachdem die Internationale Atomenergiebehörde IAEA die Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen durch den Iran bestätigt hat. Bis dahin könnten nach Vertragsabschluss noch sechs Monate oder sogar ein ganzes Jahr vergehen. Außerdem soll es Washington zufolge zunächst nicht um »alle« Sanktionen gehen, sondern nur um die »nuklearbezogenen«. Ein nicht unerheblicher Teil der westlichen Strafmaßnahmen sind mit angeblichen Verstößen gegen die Menschenrechte, Unterstützung des internationalen Terrorismus, destabilisierenden Einflüssen in der Region oder der Entwicklung konventioneller Raketen begründet.

Grundlage der US-amerikanischen Darstellung ist eine Zusammenfassung der angeblich in Lausanne ausgehandelten Einigung, die wenige Stunden nach Beendigung der Gespräche vom State Department veröffentlicht wurde. Das iranische Außenministerium konterte am selben Tag mit einem eigenen Papier, das jedoch wenig später ohne Begründung von der Website genommen wurde. Am Mittwoch sprach der Chef der iranischen Atomenergiebehörde, der frühere Außenminister Ali Akbar Salehi, von der Möglichkeit, demnächst doch noch eine autorisierte Zusammenfassung aus iranischer Sicht zu veröffentlichen. Der Nuklearphysiker Salehi hatte an den Verhandlungen in Lausanne als Experte teilgenommen.

Mit Sicherheit ist das sogenannte »Factsheet« der US-Regierung keine gemeinsam erarbeitete Vereinbarung. Neben mehreren Konsenspunkten, deren Richtigkeit inzwischen von iranischer Seite bestätigt wurde, enthält das ausführliche Papier auch viele Aussagen, die eindeutig als Wünsche oder allenfalls Auslegungen der US-Administration zu erkennen sind. Offenbar sollen sie dazu dienen, der amerikanischen Öffentlichkeit den bisher erreichten Stand der Dinge besser verkaufen zu können.

Verbindlichen Charakter für alle Beteiligten hat nur die kurze »Gemeinsame Erklärung«, die nach Abschluss der Lausanner Gespräche vom iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif und von der EU-Außenpolitikchefin Federica Mogherini als Sprecherin der internationalen Verhandlungsgruppe verlesen wurde. Diese Stellungnahme ist allerdings so arm an präzisen Aussagen, dass man den Eindruck gewinnen könnte, es habe in den Gesprächen seit November 2013 keine Fortschritte gegeben. Damals hatten sich Iran und die Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – auf einen detailreichen »Gemeinsamen Aktionsplan« geeinigt, der bereits zentrale Elemente des angestrebten Langzeitabkommens enthielt.

Die »Gemeinsame Erklärung« von Lausanne, die zweifellos Wort für Wort mit der iranischen Delegation abgestimmt wurde, widerspricht den Forderungen nach »sofortiger Aufhebung aller Sanktionen bei Vertragsabschluss«, die jetzt in Teheran vorgetragen werden. Wörtlich besagt der maßgebliche englische Text: »The European Union will terminate the implementation of all nuclear-related economic and financial sanctions and the United States will cease the application of all nuclear-related secondary economic and financial sanctions simultaneousley with the IAEA-verified implementation by Iran of its key nuclear commitments.«

Damit ist erstens klar formuliert, dass nicht »alle« Sanktionen gemeint sind, sondern nur die »nuklearbezogenen«. Zweitens ist festgehalten, dass es nicht um eine endgültige Aufhebung der westlichen Sanktionen geht, sondern zunächst nur um deren zeitweise Nichtanwendung, auch wenn das von der US-Administration gebrauchte Wort »Suspension« offenbar bewusst vermieden wurde. Drittens ist deutlich, dass die Aussetzung der Strafmaßnahmen erst dann erfolgen soll, wenn die IAEA die Erfüllung der Vertragsverpflichtungen durch den Iran überprüft und bestätigt hat. Möglich wäre allenfalls, in den kommenden Verhandlungen die von iranischer Seite vorzunehmenden technischen Schritte in einzelne Abschnitte zu gliedern und deren Abschluss jeweils mit der Außerkraftsetzung bestimmter, genau vereinbarter Sanktionen zu verbinden.

Mit Sicherheit strittig ist, wie weit der Begriff der iranischen »Verpflichtungen« gefasst werden soll, die vor der Aussetzung der Sanktionen erfüllt sein müssen. Nach der Maximalvorstellung der US-Regierung müsste dazu auch die Klärung sämtlicher Vorwürfe aus der Vergangenheit hinsichtlich »möglicher militärischer Dimensionen« des iranischen Atomprogramms gehören. Die meisten Dokumente, die diese Vorwürfe begründen sollen, kommen von ungenannten westlichen Geheimdiensten, hauptsächlich wohl aus Israel. Viele angebliche Beweismittel wurden bisher der iranischen Seite nicht einmal zugänglich gemacht. Die Diskussion dieser Vorwürfe könnte sich noch jahrelang hinziehen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 11. April 2015


Iran ist grundsätzlich mit starken Beschränkungen seines Atomprogramms einverstanden

Von Knut Mellenthin **

Iran hat bei den Verhandlungen, die in der vorigen Woche in Lausanne stattfanden, langfristigen Einschränkungen seines zivilen Atomprogramms zugestimmt. Es handelt sich dabei allerdings nur um eine bedingte Einigung, denn als gemeinsamer Grundsatz gilt: »Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist«. Die Ausarbeitung der Einzelheiten eines Langzeitabkommens soll bis zum 30. Juni erfolgen.

Außenminister Sarif und andere Regierungssprecher haben die grundsätzliche Bereitschaft Irans bestätigt, die Kapazität ihrer Anlage zur Anreicherung von Uran in Natanz drastisch zu reduzieren. Statt derzeit 10.000 Gaszentrifugen sollen dort nach Vertragsabschluss nur noch 5.000 betrieben werden. Sie dürfen ausschließlich von dem veralteten, störanfälligen und wenig effektiven Typ sein, den die IAEA als IR-1 bezeichnet. Die Beschränkung soll zehn Jahre lang in Kraft bleiben. Das bedeutet, dass Irans künftige Kapazität noch nicht einmal ein Zehntel der Menge erreicht, die zur Produktion des Brennstoffs für ein einziges Atomkraftwerk erforderlich wäre. Für dieses geringe Volumen an schwach angereichertem Uran gibt es im Iran kaum praktische Verwendungsmöglichkeiten.

In Irans kleinerer und neuerer, erst im Januar 2012 in Betrieb genommenen Anreicherungsanlage bei Fordo soll künftig weder angereichert noch überhaupt mit radioaktivem Material gearbeitet werden dürfen. Auch Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Anreicherung – gemeint sind Tests mit neuen Zentrifugentypen – dürfen dort nicht mehr stattfinden. Diese iranischen Verpflichtungen sollen, zumindest nach US-amerikanischen Aussagen, 15 Jahre lang gelten. Die Produktionsstätten von Fordo liegen in Bunkern tief unterhalb eines Bergmassivs und gelten als schwer zerstörbar. Die iranische Propaganda hebt die Tatsache hervor, dass weder Natanz noch Fordo geschlossen werden sollen und dass dort auch nach Vertragsabschluss weiter produziert werden kann.

Von iranischer Seite nicht bestätigt, aber bisher auch nicht dementiert ist die Behauptung der US-Regierung, dass Teheran zugestimmt habe, seine Vorräte an schwach angereichertem Uran von gegenwärtig 10.000 Kilo auf nur noch 300 Kilo zu verringern. Das müsste vermutlich in erster Linie durch die Ausfuhr des Materials ins Ausland geschehen. Nach übereinstimmenden Aussagen hat der Iran sich außerdem bereit erklärt, die technische Ausstattung des noch im Bau befindlichen Schwerwasserreaktors bei Arak so zu verändern, dass dort beim Betrieb kein waffenfähiges Plutonium mehr anfällt.

Der größte Klärungsbedarf vor Abschluss eines Langzeitvertrages besteht offenbar auf dem Gebiet der Erprobung modernerer Zentrifugentypen. Iran betreibt die Anreicherung bisher ausschließlich mit der IR-1, testet aber eine Reihe sehr viel leistungsfähigerer Modelle bis zu einer IR-8. Sich diese Option auch künftig offenzuhalten, ist ein zentrales iranisches Interesse. Die »Gemeinsame Erklärung«, das einzige offizielle Dokument der Lausanner Gespräche, hält dazu lediglich fest, dass Umfang und Zeitplan der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zwischen den Beteiligten vereinbart werden sollen.

** Aus: junge Welt, Samstag, 11. April 2015


Die Sache mit der UNO

Von Knut Mellenthin ***

Mindestens sechs Resolutionen des UN-Sicherheitsrats beschäftigen sich mit dem iranischen Atomprogramm. Vier davon sind mit Sanktionen verbunden. Die Aufhebung dieser Beschlüsse ist Teil der Verhandlungen zwischen dem Iran und der Sechsergruppe. Die iranische Seite fordert die »Annullierung« aller Resolutionen sofort nach Inkrafttreten eines Langzeitabkommens. Dagegen vertritt vor allem die US-Regierung den Standpunkt, dass die Beschlüsse durch eine neue Resolution ersetzt werden müssten. Diese solle eine Reihe von Maßnahmen, die bisher gültig waren, auch für die absehbare Zukunft festschreiben. Dazu gehören nach amerikanischer Ansicht »wichtige Beschränkungen hinsichtlich konventioneller Waffen und ballistischer Raketen sowie Vorkehrungen, die die Untersuchung von Frachttransporten sowie das Einfrieren von Guthaben erlauben«.

Die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen sind wirtschaftlich sehr viel weniger schwerwiegend als die indirekten Strafmaßnahmen der USA und der EU, die sich gegen Irans Handelspartner richten und vor allem Irans Exporte und Staatseinnahmen schwer getroffen haben. Immerhin gehört zu den beschlossenen Strafmaßnahmen aber ein Verbot der Waffenausfuhr aus dem Iran sowie der Lieferung eines breiten Spektrums von Waffen, darunter auch defensiver Luftabwehrsysteme, an ihn. Güter, die der Atomindustrie dienen könnten, dürfen generell nicht an den Iran verkauft werden. Außerdem untersagt eine 2010 verabschiedete Resolution dem Land die Erprobung ballistischer Raketen. Die US-Regierung möchte möglichst viele dieser Verbote zumindest vorläufig bestehen lassen.

Das einzige offizielle Dokument der Lausanner Gespräche, die »Gemeinsame Erklärung«, spricht von einer neuen Resolution, die alle bisherigen Entschließungen ersetzen und »für einen zu vereinbarenden Zeitraum gewisse einschränkende Maßnahmen enthalten« soll, die offenbar gleichfalls noch auszuhandeln sind. Der Zeitpunkt, wann das geschehen soll, ob gleich nach Vertragsabschluss oder erst nach Erfüllung aller iranischen Verpflichtungen, ist in der »Gemeinsamen Erklärung« nicht erkennbar.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 11. April 2015




Zurück zur Iran-Seite

Zur Iran-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur USA-Seite

Zur USA-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage