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Ein Moratorium

Iran und der Westen einigen sich auf Termin für Inkrafttreten des Genfer Abkommens zum Atomstreit

Von Knut Mellenthin *

Das Genfer Abkommen zwischen dem Iran und der internationalen Verhandlungsgruppe soll am nächsten Montag endlich in Kraft treten – fast zwei Monate nach seiner Unterzeichnung am 24. November. So viel Zeit war erforderlich, um sich über die konkreten Details der »ersten Stufe« des Vertrags, ein sechsmonatiges Moratorium, zu einigen. Während das Genfer Abkommen veröffentlicht wurde, bleiben die jetzt getroffenen Durchführungsvereinbarungen vorläufig unbekannt.

Iran hat in Genf zugesagt, während der Dauer des Moratoriums die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent zu unterbrechen und seinen Vorrat an Uran dieses Grades so umzuwandeln, daß eine Weiteranreicherung zur Waffenfähigkeit – das wären ungefähr 90 Prozent – ausgeschlossen ist oder zumindest langwierig wäre. Teheran hat sich außerdem verpflichtet, die Anreicherung auf fünf Prozent für die Herstellung von normalem Reaktorbrennstoff auf ihrem jetzigen Niveau zu belassen. Iran darf während des Moratoriums keine neuen Gaszentrifugen, mit denen die Anreicherung betrieben wird, installieren oder produzieren. Gleichzeitig sollen die Überwachungsrechte der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Iran erheblich ausgeweitet werden. Inspektoren der IAEA dürfen alle Atomanlagen jetzt täglich betreten. Die IAEA erhält darüber hinaus auch Zutritt zu Bereichen, die nicht in ihre Zuständigkeit fallen. Darunter sind Uranminen und Fabriken zur Herstellung von Zentrifugen.

Die USA und die EU wollen im Gegenzug während des Moratoriums »in bescheidenem Ausmaß« (Präsident Barack Obama) einige Sanktionen lockern. Wie weit sich das überhaupt praktisch auswirken wird, ist ungewiß. Solange 90 bis 95 Prozent aller Strafandrohungen gegen Geschäfte mit dem Iran in Kraft bleiben und sogar noch schärfer als vor dem Genfer Abkommen überwacht werden sollen, werden westliche Unternehmen sich kaum auf Risiken und Langzeitabschlüsse einlassen.

Den bei weitem größten Posten der versprochenen »Anreize« macht ohnehin die Freigabe von Erlösen aus iranischen Ölverkäufen früherer Monate aus. Auf Anweisung der US-Regierung müssen Irans Kunden – das sind hauptsächlich China, Indien, Japan, Südkorea und die Türkei – ihre Zahlungen auf Sperrkonten festlegen, über die Iran nur einen begrenzten Warenkatalog kaufen darf. Von diesen Konten sollen jetzt nach Insiderangaben insgesamt 4,2 Milliarden Dollar an den Iran ausgezahlt werden. Die Überweisungen sollen in acht Teilen erfolgen: die erste in Höhe von 550 Millionen Dollar (403 Millionen Euro) am 1. Februar, die letzte erst am 20. Juli, also bei Ablauf des Moratoriums. Auf der anderen Seite wird Iran jedoch durch die fortbestehenden Sanktionen, vor allem gegen seinen Ölexport, während des Moratorium-Halbjahres zwischen 15 und 25 Milliarden Dollar verlieren.

Gleichzeitig macht im Senat die Sammlung von Unterstützern für eine neue Sanktionsresolution gute Fortschritte. Ihre Zahl liegt jetzt bei 59 der 100 Senatoren. Der Gruppe gehören 43 Republikaner – bis auf zwei die gesamte Fraktion – und 16 Demokraten an. 67 Stimmen wären erforderlich, um das Präsidentenveto auszuhebeln, das Obama bereits angekündigt hat, falls dieses Gesetz vom Kongreß beschlossen werden sollte. Die USA haben sich im Genfer Abkommen verpflichtet, während der Verhandlungen mit Iran keine neuen Sanktionen einzuführen – allerdings mit einem Vorbehalt hinsichtlich der Rechte des Präsidenten und des Kongresses.

In der bisher schärfsten Stellungnahme von Regierungsseite erklärte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Bernadette Meehan, am Freitag: »Das amerikanische Volk hat klar zum Ausdruck gebracht, daß es eine friedliche Lösung dieses Problems bevorzugt. Wenn gewisse Kongreßmitglieder wollen, daß die USA zu militärischen Aktionen greifen, sollten sie das der amerikanischen Öffentlichkeit aufrichtig ins Gesicht sagen.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. Januar 2014


Kuh vom Eis?

Abkommen mit Iran in Kraft

Von Knut Mellenthin **


Im internationalen Streit um das iranische Atomprogramm beginnt am nächsten Montag ein sechsmonatiges Moratorium. Iran wird einen Teil seiner Uran­anreicherung vorübergehend einstellen, einen anderen Teil auf seinem derzeitigen Stand einfrieren. Im Gegenzug haben die USA und ihre europäischen Verbündeten geringfügige Sanktionserleichterungen versprochen. Das amerikanische Finanzministerium gibt deren Gesamteffekt mit ungefähr sieben Milliarden Dollar an. Andererseits wird Iran aber durch die fortbestehenden Sanktionen in den kommenden sechs Monaten zwischen 15 und 25 Milliarden Dollar verlieren. Iran wird also im Juli, wenn das Moratorium endet, wirtschaftlich und finanziell noch schlechter dastehen als heute. Das wird auch die iranische Bevölkerung spüren, der gegenwärtig von ihrer Regierung große Illusionen über die Auswirkungen der »Annäherung« an den Westen vorgegaukelt werden.

Fast zwei Monate hat es nach der Einigung in Genf gebraucht, um die konkreten Einzelheiten des Moratoriums festzulegen. Ob wirklich alle Differenzen über dessen Durchführung ausgeräumt sind, muß sich erst noch zeigen. Auf jeden Fall beginnt der wirklich schwierige Teil der Verhandlungen erst jetzt. Es geht dabei um eine »umfassende, endgültige Lösung«. Am Ende des Weges soll, so steht es im Genfer Abkommen, Iran nicht anders behandelt werden als irgendein anderer Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags. Alle Sanktionen sollen aufgehoben werden. Ein Jahr Zeit, nicht mehr, haben Iran und die internationale Verhandlungsgruppe für diese Gespräche zur Verfügung. Das sechsmonatige Moratorium kann einmal verlängert werden, nicht öfter. Sollte man sich danach nicht einig sein, werden vermutlich in den USA und in Europa, aber auch im Iran die Skeptiker die Oberhand gewinnen.

Die Chancen, daß es zu einer langfristig tragfähigen Einigung kommt, sind leider gering. Das liegt hauptsächlich daran, daß Israel, die Israel-Lobby der USA und der amerikanische Kongreß ständig mit am Verhandlungstisch sitzen. Schon jetzt hat die Obama-Administration mehrfach deutlich gemacht, daß sie das Genfer Abkommen nicht als Grundlage einer »umfassenden, endgültigen Lösung« akzeptiert. Außenminister John Kerry und andere Regierungsmitglieder fordern, daß Iran auf die Fertigstellung seines noch im Bau befindlichen Schwerwasserreaktors in Arak verzichtet. Urananreicherung soll Iran höchstens noch in einer symbolischen, rein gesichtswahrenden Größenordnung betreiben dürfen. Beides widerspricht eindeutig den grundsätzlichen »Elementen für den letzten Schritt einer umfassenden Lösung«, auf die man sich gerade erst vor zwei Monaten im Genfer Abkommen geeinigt zu haben schien. Gleichzeitig werden in beiden Häusern des Kongresses Gesetze vorbereitet, die es dem Präsidenten völlig unmöglich machen sollen, eine für den Iran annehmbare friedliche Lösung des Konflikts auszuhandeln. Die Kriegsgefahr bleibt trotz Entspannungssignalen akut.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 14. Januar 2014 (Kommentar)


Eine Chance für mehr Vernunft

Roland Etzel zur Übergangslösung im Atomstreit mit Iran ***

Nach den dramatischen Genfer Atomverhandlungen im Herbst war die nunmehrige Inkraftsetzung des Abkommens zwischen Iran und der 5+1-Gruppe vergleichsweise unspektakulär. Teheran baut vorerst keine Zentrifugen mehr und darf nun für ein paar Milliarden Dollar im Westen eingefrorener Öleinnahmen einkaufen.

Zu verdanken ist das vor allem einer heimlichen Rückkehr Obamas zu einer koexistenten Außenpolitik im Mittleren Osten einerseits und einer Wiederentdeckung diplomatischer Umgangsformen durch Teheran andererseits. Der Widerstand Frankreichs war zwar hinderlich, am Ende aber erwartungsgemäß ohne Belang. Israels Einreden gegen jegliche Abkommen mit Teheran wurden am Ende von niemandem mehr beachtet.

Dennoch ist lediglich Zeit erkauft. Die kalten und heißen Krieger im US-Kongress sind noch längst nicht gewillt, den Pfad der Konfrontation zu verlassen und die Schmach der Teheraner Botschaftsbesetzung vor über 30 Jahren endlich abzuhaken. Die Vorstellungen der Kriegsbesessenen um Senator McCain sind evident wie eh und je, auch wenn sie jetzt einen Dämpfer erlitten. Das gilt ebenso für die in Iran vorerst ins zweite Glied gedrängte Ahmadinedschad-Gruppe. Aber wie es aussieht, wollen beide Seiten diesen Trend nicht durch Kraftmeierei gefährden.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 14. Januar 2014 (Kommentar)


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