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"Maximalistische Positionen"

Verhandlungen über das iranische Atomprogramm im kritischen Stadium

Von Knut Mellenthin *

Im Streit um das iranische Atomprogramm ist keine Einigung in Sicht. In Wien ging am Freitag eine weitere Verhandlungsrunde zwischen Vertretern des Iran und der internationalen Verhandlungsgruppe ohne Annäherung in den Hauptfragen zu Ende. Der auch »5+1« genannten Gruppe gehören die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, USA – und Deutschland an. Gemäß einer Rahmenvereinbarung, die am 24. November 2013 unterzeichnet wurde, dem »Joint Plan of Action«, arbeiten die sieben beteiligten Staaten an einem umfassenden, langfristigen Abkommen, durch das der gesamte Streit beigelegt werden soll. Die sieben Staaten haben sich vorgenommen, dieses Abkommen bis zum 20. Juli fertigzustellen. Es bleibt ihnen also nicht einmal mehr ein Monat. Allerdings könnten die Verhandlungen, sofern alle Beteiligten sich einig sind, auch um ein halbes Jahr und vermutlich sogar noch darüber hinaus verlängert werden.

Das fünftägige Treffen in der vergangenen Woche war bereits das fünfte in diesem Jahr. In der Woche davor hatten sich die Iraner zu Einzelgesprächen mit Delegationen der USA, Frankreichs, Rußlands und Deutschlands getroffen. Auch während der Verhandlungen in Wien gab es immer wieder Unterbrechungen für bilaterale Diskussionen. Da alle Seiten anscheinend gern den ins Auge gefaßten Termin 20. Juli einhalten würden, wird in diesem Stadium sehr intensiv und konkret gearbeitet. Die nächste Verhandlungsrunde in der österreichischen Hauptstadt soll schon am 2. Juli beginnen. Vermutlich wird sogar noch ein weiteres Treffen vor dem 20. Juli stattfinden.

Die Zusammenkunft in der vorigen Woche war die erste überhaupt, bei der über den Text des Langzeitabkommens diskutiert wurde. Eigentlich war geplant gewesen, damit schon beim vorangegangenen Wiener Treffen im Mai anzufangen, doch hatte sich das als unmöglich erwiesen. Einzelne inoffizielle Informationen besagen, daß jetzt mit dem Entwurf der Einleitung – also des vielleicht unkompliziertesten Teils des Abkommens – begonnen worden sei, aber daß man damit noch nicht zu Ende gekommen sei.

Genaueres ist nicht bekannt. Die sieben Staaten haben strenge Vertraulichkeit über die Verhandlungen vereinbart, und erstaunlicherweise hat das bisher sogar im Wesentlichen funktioniert. Im Gegensatz dazu werden zum Beispiel die Vierteljahresberichte der Internationalen Atomenergiebehörde über den Iran regelmäßig noch am selben Tag bekannt, an dem sie den Mitgliedsländern der IAEA zugeleitet werden. Der iranische Außenminister Mohammad Dschawad Sarif sagte am Freitag lediglich, daß »noch keine Übereinstimmung in den Hauptfragen« erreicht worden sei. Die Gegenseite sei noch nicht zu »ernsthaften Gesprächen auf der Grundlage der Realitäten« bereit. Es gebe dort »maximalistische Positionen«.

Gleichzeitig kursiert im US-amerikanischen Abgeordnetenhaus der Entwurf eines offenen Briefes an Präsident Barack Obama zur Unterschrift. Die Initiatoren sind der Republikaner Ed Royce, der den Vorsitz im einflußreichen Außenpolitischen Ausschuß führt, und der ranghöchste Demokrat in diesem Gremium, Eliot Engel.

Das Schreiben nimmt Bezug auf das im »Joint Plan of Action« enthaltene Versprechen, alle »atombezogenen« Sanktionen aufzuheben, falls das angestrebte Abkommen zustande kommt. Im US-amerikanischen Recht gebe es den Begriff ausschließlich »atombezogener« Sanktionen gar nicht, argumentieren die Verfasser. Fast alle Strafmaßnahmen gegen Iran seien mehrfach begründet und bezögen sich auch auf dessen Raketenprogramm, seine »zunehmende Unterstützung für den internationalen Terrorismus« und die Entwicklung chemischer oder biologischer Waffen. Voraussetzung für die Aufhebung der meisten Sanktionen sei, daß Iran alle diese Aktivitäten »dauerhaft und überprüfbar« einstelle. Anderenfalls werde der Kongreß seine Zustimmung verweigern, auf die Obama angewiesen wäre.

* Aus: junge Welt, Montag 23. Juni 2014


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