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Aus der Luft gegriffen

Die Gespräche vom 24. November über das iranische Atomprogramm endeten optimistisch. Ein Schluss der Wirtschaftssanktionen, der Umfang der Urananreicherung und die Dauer von Strafauflagen bleiben jedoch strittig

Von Knut Mellenthin *

Die internationalen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm gehen weiter. Teheran und die Sechsergruppe - bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland - genehmigten sich am 24. November in Wien sieben zusätzliche Monate, um zu einer umfassenden und langfristigen Einigung zu kommen. Somit kann das ein Jahr zuvor im »Joint Plan of Action« vereinbarte Moratorium nötigenfalls noch bis zum 1. Juli 2015 bestehen bleiben. Zunächst hatte es nur bis zum 20. Juli 2014 gegolten, war dann aber erstmals verlängert worden.

Das Moratorium sieht vor, dass Iran in dieser Zeit erhebliche Einschränkungen seiner nuklearen Tätigkeiten in Kauf nimmt. Hauptsächlich geht es dabei um die Anreicherung von Uran für die Herstellung von Reaktorbrennstoff. In diesem Zusammenhang hat das Land die Anreicherung auf 20 Prozent in der unterirdischen Anlage bei Fordo, die als militärisch schwer anzugreifen gilt, vorläufig eingestellt. Die Anreicherung auf fünf Prozent in der älteren Produktionsstätte Natanz darf während der Laufzeit des Moratoriums nicht ausgedehnt und die Zahl der dafür eingesetzten Gaszentrifugen nicht erhöht werden. Das bereits produzierte Material muss in eine Form umgewandelt werden, die sich nicht ohne weiteres zur Herstellung von höher angereichertem, waffenfähigem Uran - 85 bis 90 Prozent - eignet. Außerdem ruhen während des Moratoriums die Bauarbeiten am Schwerwasserreaktor bei Arak, in dem beim Betrieb Plutonium entstehen würde, aus dem Nuklearwaffen hergestellt werden könnten.

Im Gegenzug wurden einige von den USA und der EU verhängte Wirtschaftssanktionen vorübergehend außer Vollzug gesetzt. Der Gesamteffekt ist jedoch, auch wegen der Vorläufigkeit der Suspendierung, bisher gering geblieben. Am wertvollsten ist für den Iran die Zusage der US-Regierung, monatlich 700 Millionen Dollar freizugeben, die aus Erdölverkäufen stammen und auf Geheiß Washingtons nicht ausgezahlt werden durften. Die laufenden Verluste Irans durch die fortbestehenden westlichen Sanktionen liegen zwei- bis dreimal so hoch.

Teil des Moratoriums ist außerdem, dass Iran seine Ölausfuhr mengenmäßig auf dem Stand von 2013 halten darf. Das waren ungefähr eine Million Barrel (159 Liter) pro Tag, weniger als halb soviel wie vor dem 2012 in Kraft getretenen Importboykott der EU. Seit Beginn des Moratoriums konnte Iran seine Ölausfuhr mengenmäßig um höchstens zehn Prozent steigern. Gleichzeitig sank der Ölpreis jedoch um mehr als 30 Prozent, so dass sich im Endeffekt ein beträchtlicher Einnahmeausfall ergibt. Das ist bitter, da Teheran seine Staatsausgaben und seine Importe überwiegend durch den Export von Erdöl finanziert.

Streitpunkt: Wirtschaftssanktionen

Obwohl der Streit um das iranische Atomprogramm schon seit 2002 ausgetragen wird, wurden die westlichen Sanktionen erst mit Beginn der Amtszeit von Barack Obama im Januar 2009 und vor allem in den letzten drei Jahren so drastisch verschärft, dass sie wirklich zu »greifen« begannen. Trotzdem steht Iran insgesamt wirtschaftlich gegenwärtig immer noch sehr viel günstiger da als vor Beginn des Konflikts. Das ist nicht zuletzt am Umfang des iranischen Außenhandels abzulesen. 2012, als es bereits einen starken Einbruch durch den europäischen Ölboykott gab, lag der Wert der Exporte immer noch mehr als doppelt so hoch wie im Jahre 2003. In Zahlen: ein Anstieg von knapp 30 Milliarden US-Dollar auf über 65 Milliarden. 2011 hatte Iran sogar für 107 Milliarden Waren ins Ausland verkauft. Die Steigerung seiner Einnahmen, hauptsächlich aufgrund hoher Ölpreise, ermöglichte Iran auch eine Verdoppelung seiner Importe: von 31 Milliarden im Jahr 2004 auf 67 Milliarden im Jahr 2012.

Diese Zahlen verdecken aber den Hauptschaden, den Iran durch die Sanktionen der USA und ihrer Verbündeten erlitten hat und weiter erleidet: Die iranische Erdöl- und -gasproduktion hat einen riesigen Nachholbedarf an Investitionen und Innovationen, insbesondere auch durch westliche Technologie und Know-how. Ursache dafür ist ein amerikanisches Gesetz, das 1996 unter Präsident William Clinton erlassen wurde. Es bedroht jedes Unternehmen, das in einem Jahr mehr als 20 Millionen Dollar in die iranische Energiewirtschaft investiert, mit dem Ausschluss vom US-Markt. Später wurde es dahingehend verschärft, dass jede Investition geahndet werden kann. Begründet wird das Gesetz unter anderem mit der Unterstützung Irans für die libanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas. Diese Bestimmungen würden voraussichtlich auch nach einer Einigung in den gegenwärtigen Verhandlungen noch jahrelang weiter in Kraft bleiben. Denn im »Joint Plan of Action« geht es nur um solche Sanktionen, die ausschließlich mit dem Streit um das iranische Atomprogramm zu tun haben.

Aber ohne Aufhebung dieses Gesetzes wird Teheran voraussichtlich weder die dringend notwendige Modernisierung seiner Erdölproduktion durchführen noch seinen Traum verwirklichen können, zu einem erstrangigen Erdgasexporteur zu werden. Iran besitzt zwar nach Russland die zweitgrößten Vorkommen der Welt, hat aber bisher sogar etwas mehr Gas importiert als exportiert. Das könnte sich in diesem Jahr erstmals geändert haben. Aber Irans einziger Kunde von Bedeutung ist immer noch die Türkei. Pläne für eine Gasleitung nach Pakistan sind durch den Druck der USA auf die Regierung in Islamabad blockiert. Euphorisch vorgetragene iranische Hoffnungen, demnächst zum Gasgroßlieferanten der EU zu werden, liegen vorerst weit jenseits der Realisierbarkeit. Das materiell nicht begründete Geschwätz iranischer Politiker und Medien über dieses Thema hat gegenwärtig nur den Effekt, Russland zu verstimmen, als dessen Konkurrent Teheran dann auftreten müsste.

Streitpunkt: Auflagendauer

Ziel der Verhandlungen, die nach dem neuen Zeitplan bis zum 1. Juli 2015 abgeschlossen werden sollen, ist es laut dem »Joint Plan of Action«, »eine gemeinsam vereinbarte langfristige und umfassende Lösung zu erreichen, die sicherstellen soll, dass Irans Atomprogramm ausschließlich friedlich sein wird«. Die Regierung in Teheran würde das am liebsten nur durch außergewöhnlich intensive und häufige Kontrollen ihrer Atomanlagen gewährleisten. Diese Idee hat sie aber angesichts der kollektiven Sturheit der Sechsergruppe aufgeben müssen. Die USA und ihre europäischen Verbündeten wollen Iran dazu zwingen, sich - für einen noch auszuhandelnden mehrjährigen Zeitraum - schwerwiegenden Einschränkungen für sein ziviles Atomprogramm zu unterwerfen. Dabei werden sie von Russland und China mehr unterstützt als behindert. Hinsichtlich der praktischen Auswirkungen muss man von »Bewährungsauflagen« und »Bewährungsfrist« sprechen.

Beide Elemente dieser »umfassenden Lösung« hängen in den Verhandlungen eng miteinander zusammen: Je kürzer der geforderte Zeitraum, für den die Regelungen gelten sollen, um so weitgehender könnten vermutlich die Auflagen und Einschränkungen sein, die Iran sich vorübergehend gefallen lassen würde. Denn am Ende winkt die Verheißung, so steht es im »Joint Plan of Action«, dass das Land nach Ablauf der vereinbarten Frist »wie jeder andere Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags« behandelt werden soll. Dieser Vertrag sieht zwar Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien, eine Unterorganisation der UNO, vor, aber keinerlei Beschränkungen der friedlichen Nutzung der Atomenergie.

Der dritte Faktor, der neben der Länge der »Bewährungsfrist« und dem Umfang der Auflagen bei den Verhandlungen in die Kalkulation einbezogen werden muss, ist der Zeitplan für die Aufhebung der Sanktionen: Je rascher diese Strafmaßnahmen fallen, um so akzeptabler werden der iranischen Seite wahrscheinlich Zugeständnisse bei den anderen beiden Faktoren erscheinen. Letztlich braucht Teheran ein Verhandlungsergebnis, das der eigenen Bevölkerung als »Erfolg« verkauft werden kann. In diesem Kontext spielen die Aussichten auf schnelle und weitgehende Lockerungen des Sanktionsregimes eine vorrangige Rolle. Das könnte über negative Aspekte der Gesamtlösung hinwegtrösten. Umgekehrt wären selbst relativ günstige Vereinbarungen hinsichtlich Dauer und Härte der Auflagen innenpolitisch schwer zu vermitteln, wenn damit keine deutliche, schnell im Alltagsleben spürbare Erleichterung bei den Sanktionen verbunden wäre.

Alle an den Verhandlungen Beteiligten geben sich mehr oder weniger zuversichtlich, was das Erreichen einer Vereinbarung bis zum 1. Juli angeht. Den stärksten »Optimismus«, wie sie selbst diese nicht auf Fakten und Analysen gestützte Einstellung nennen, zeigen die Iraner. Außenminister Mohammed Dschawad Sarif behauptete am 25. November, einen Tag nach dem Ende der Verhandlungen in Wien, dass man nicht die Absicht habe, die vollen sieben Monate und sieben Tage bis zur neuen Deadline auszuschöpfen. Eine grundsätzliche Einigung über die Hauptpunkte eines Langzeitabkommens sei »innerhalb weniger Wochen« möglich. Gesprächsteilnehmer aus anderen Ländern erscheinen weniger euphorisch. Von »wesentlichen Fortschritten« sprechen dennoch alle, aber auch von »großen Abständen« zwischen den Standpunkten, die noch zu überwinden seien. Da strikte Vertraulichkeit der Verhandlungen vereinbart ist und bisher sogar erstaunlich weitgehend eingehalten wird, hat das Publikum es schwer, sich über den Wahrheitsgehalt der Bekundungen selbst ein Bild zu machen. Die folgende Übersicht kann daher nur der Versuch einer Annäherung sein.

Streitpunkt: Urananreicherung

Dass Iran bereit ist, den Einschränkungen seines Atomprogramms für eine Dauer von sieben Jahren zuzustimmen, hat der »Oberste Revolutionsführer« Ajatollah Ali Khamenei vor einigen Monaten öffentlich bekundet. Er wird in westlichen Medien automatisch als Hardliner bezeichnet, hat aber bisher den Verhandlungsführern immer wieder sein volles Vertrauen ausgesprochen und ihnen die nötige Rückendeckung gegen ihre Kritiker gegeben. Außenminister Sarif äußerte in einem Interview, dass Iran mit jeder Lösung leben könne, bei der die Auflagen weniger als zehn Jahre gelten. Die Vorstellungen der US-Administration sind nicht bekannt. Sie könnten bei fünfzehn Jahren liegen, vielleicht mit einem Spielraum nach unten bis zur Zehnjahresgrenze, falls die Iraner auf anderen Feldern noch mehr Zugeständnisse machen. Die Republikaner und die Pro-Israel-Lobby würden jede Einigung schärfstens bekämpfen, bei der Irans »Bewährungsfrist« nicht mindestens 20 Jahre beträgt.

Israels Premier Benjamin Netanjahu verlangt sogar lebenslängliche Sicherungsverwahrung. Soll heißen: Dem Iran dürfe niemals die Anreicherung von Uran erlaubt werden, alle dafür genutzten Anlagen seien vollständig zu demontieren und zu zerstören, und niemals dürfe Iran behandelt werden wie alle anderen Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags. So redet der Regierungschef eines Landes, das den Vertrag nicht unterzeichnet hat, das in den 1960er Jahren hinter einem Vorhang von Lügen und Rechtsbrüchen zur Atommacht wurde und das heute ungefähr ebenso viele Nuklearwaffen besitzt wie China.

Im »Joint Plan of Action« vom 24. November 2013 hat Iran grundsätzlich zugestimmt, dass die »Parameter« seiner Urananreicherung in der gesamte Zeit der »Bewährungsfrist« gemeinsam mit der Sechsergruppe festgelegt werden sollen. Das betrifft, wie es dort ausdrücklich heißt, den Umfang und den Grad der Anreicherung, die Kapazität der einsetzbaren Zentrifugen, die gestattete Lagermenge an angereichertem Uran und sogar die Standorte, an denen die Anreicherung durchgeführt werden darf.

Eine der zentralen Streitfragen in den Verhandlungen ist die Kapazität zur Anreicherung, über die Iran künftig - bis zum Ende der »Bewährungsfrist« - verfügen darf. Gegenwärtig betreibt das Land die Anreicherung ausschließlich mit einem veralteten Gaszentrifugentyp, der von der IAEA »IR-1« genannt wird und in den 1970er Jahren in Pakistan entwickelt wurde. Diese Geräte sind, verglichen mit modernen Modellen, von geringer Effektivität und haben außerdem eine hohe Störanfälligkeit. In Natanz und Fordo sind insgesamt rund 20.000 solcher Zentrifugen aufgestellt, von denen aber - vermutlich aus technischen Gründen - immer nur etwa 10.000 gleichzeitig im Einsatz sind.

Nach den vorliegenden unbestätigten Berichten wollen die USA der Islamischen Republik für die Zeit der »Bewährungsfrist« zwischen 4.500 und 6.000 Zentrifugen des Typs »IR-1« genehmigen. Aus den Veröffentlichungen geht nicht hervor, ob sich diese Zahl auf die Gesamtmenge der zum Einsatz bereitstehenden Geräte bezieht oder nur auf die Zahl der jeweils tatsächlich arbeitenden. Nicht deutlich wird außerdem, wie Teherans Gegenvorschlag aussieht. Er könnte bei 8.000 liegen. Aus Kreisen der iranischen Verhandlungsführung wird intern argumentiert, dass man schon jetzt einen großartigen Sieg errungen habe, da die US-Regierung angeblich anfangs nur 1.500 Zentrifugen erlauben wollte. Diese Seelenmassage verfängt allerdings nicht bei allen Iranern: Kritiker warnen davor, dass Irans Urananreicherung zur »Dekoration« verkommen würde, falls man sich auf die amerikanischen Forderungen einlässt.

Teherans Entscheidung zu diesem Thema wird wahrscheinlich weitgehend davon abhängen, in welchem Umfang der Iran während der »Bewährungsfrist« seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit moderneren Zentrifugentypen fortsetzen darf. Den vierteljährlich vorgelegten Berichten der IAEA zufolge experimentiert man dort mit fünf Modellen, deren Effektivität bei einem Vielfachen der »IR-1« liegen könnte. Falls die Vermutung zutrifft, dass heute noch keines der fünf Modelle einsatzreif ist, könnte eine Einigung, bei der Iran seine Tests fortsetzen kann und die Länge der »Bewährungsfrist« etwa zehn Jahre nicht wesentlich überschreitet, für die Iraner selbst dann attraktiv sein, wenn nur wenige tausend der alten Zentrifugen zur Anreicherung eingesetzt werden dürften. Da das Land mit dem angereicherten Uran im Grunde nichts anfangen kann - es reicht bei weitem nicht aus, um auch nur einen einzigen Reaktor zu betreiben -, ist nicht einmal ausgeschlossen, dass Teheran dem Abtransport des Materials nach Russland zustimmt. Entsprechende Gerüchte wurden bisher nur ausweichend dementiert.

Streitpunkt: Wirtschaftssanktionen

Die schwierigste der noch zu klärenden Fragen ist aus iranischer Sicht eindeutig der Zeitplan für die Lockerung, Suspendierung und letztlich die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen. Während iranische Politiker und Medien anfangs mit der Illusion operierten, dass der angestrebte Abschluss eines Langzeitabkommens sofort zum Verschwinden aller Sanktionen führen würde und dass schon die Tatsache der Verhandlungen mit der Sechsergruppe einen »Zusammenbruch des Sanktionssystems« auslösen werde, macht sich heute eine realistischere Sichtweise bemerkbar.

Es war aber von Anfang an klar, dass es gar nicht möglich sein würde, alle Sanktionen mit einem Schlag aufzuheben. Erstens ist im »Joint Plan of Action« nur von den »nuklearbezogenen« Strafmaßnahmen die Rede. Das sind aber, soweit es die USA angeht, nur wenige. Über Sanktionen, die beispielsweise mit der angeblichen iranischen Unterstützung für den »internationalen Terrorismus« - gemeint sind Hisbollah und Hamas - und der »Destabilisierung der Region« begründet sind, muss zu einem späteren Zeitpunkt gesondert gesprochen werden. Zweitens stellt die Rahmenvereinbarung vom November 2013 auch für die »nuklearbezogenen« Sanktionen nicht deren sofortige Aufhebung in Aussicht. Dort steht lediglich, dass die »umfassende Lösung« des Konflikts in einem »wechselseitigen, schrittweisen Prozess« zu deren Aufhebung führen werde, soweit diese mit Irans Atomprogramm in Zusammenhang stehen.

Drittens schließlich könnten die vom US-Kongress beschlossenen Sanktionen nur von diesem wieder beendet werden. Dafür hätte Obama, selbst wenn er wollte, keine Mehrheit. Er könnte nur von einer Klausel Gebrauch machen, die in den meisten derartigen Gesetzen eingebaut ist: Der Präsident darf den Vollzug der Maßnahmen zeitlich befristet aussetzen, indem er sich auf übergeordnete »nationale Interessen« beruft. Das gilt aber jeweils nur für ein halbes Jahr, schafft also keine Rechtssicherheit, wie sie für den Abschluss großer Geschäfte mit dem Iran oder mehr noch für umfangreiche Investitionen erforderlich wäre. Darüber hinaus hätte Teheran keine Garantie, dass Obamas Nachfolger, der im Januar 2017 sein Amt antritt, das Verfahren fortsetzt.

Die US-Administration hat bereits angekündigt, dass sie nur zu einer »langsamen und schrittweisen« Abschaffung der Sanktionen bereit wäre. Intern ist von mehreren Jahren, vielleicht sogar von mehr als zehn, die Rede. Tendenziell könnte es darum gehen, sie für die gesamte Dauer der noch zu vereinbarenden »Bewährungsfrist« als Drohmittel in Kraft zu lassen.

Ein weiteres schwieriges Thema in diesem Zusammenhang sind die UN-Sanktionen, die in vier Resolutionen des Sicherheitsrats - die erste 2006, die vorläufig letzte 2010 - fixiert sind. In wirtschaftlicher Hinsicht sind sie sehr viel weniger schwerwiegend als die Strafmaßnahmen, die die USA und andere westliche Staaten im Alleingang praktizieren. Wichtig wäre für den Iran dennoch, dass zumindest der 2010 verhängte Waffenboykott aufgehoben würde, um die russischen Defensivwaffen zu erhalten. Darüber hinaus ist Teheran aus grundsätzlichen politischen Überlegungen daran interessiert, dass alle Resolutionen des Sicherheitsrats gleichzeitig mit der Unterzeichnung des bis zum Juli 2015 angestrebten Langzeitabkommens aufgehoben werden. Unter anderem fordern diese Beschlüsse nämlich vom Iran - wenn auch nur als zeitweise »vertrauensbildende Maßnahme« - die Einstellung der Urananreicherung und sämtlicher damit verbundenen Arbeits- und Forschungstätigkeiten. Statt einer ersatzlosen Streichung aller Resolutionen wird die Sechsergruppe aber vermutlich nur deren bedingte Suspendierung durch einen neuen Sicherheitsratsbeschluss anbieten.

Mittlerweile scheint sich die Teheraner Verhandlungsführung darauf zu konzentrieren, als Minimum wenigstens die sofortige Aufhebung der amerikanischen Sanktionen gegen den Erdölexport und gegen den Zahlungsverkehr mit iranischen Banken durchzusetzen. Letztere machen es dem Land sehr schwer, auch nur sogenannte humanitäre Güter wie Medikamente, medizinische Geräte und Lebensmittel, die alle nicht auf den Sanktionslisten stehen, legal im Ausland zu kaufen.

Als wären das nicht schon genug Hindernisse für eine Verhandlungslösung, droht außerdem eine Blockade durch den US-Kongress, in dem die Republikaner nach der Wahl vom November 2014 auch den Senat beherrschen. Abgeordnete und Senatoren könnten bereits bestehende Sanktionsgesetze verschärfen und sogar neue beschließen. Das im »Joint Plan of Action« festgehaltene Versprechen Washingtons, während der laufenden Gespräche keine weiteren Strafmaßnahmen zu verhängen, steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt der US-Verfassung. Demzufolge wäre Obama zwar verpflichtet, gegen Beschlüsse des Kongresses, die dieser Zusage widersprechen, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen. Dieses Veto könnte aber unwirksam gemacht werden, wenn das jeweilige Gesetz von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten und Senatoren bestätigt wird. Dazu wären die Republikaner aus eigener Kraft nicht imstande, sondern bräuchten Unterstützung aus den Reihen der Demokraten. Daran scheiterten Initiativen in dieser Richtung im Frühjahr. Für die offizielle Pro-Israel-Lobby, das AIPAC, bedeutete das die schwerste politische Niederlage seit langem. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass das American Israel Public Affairs Committee in den kommenden Monaten sehr vorsichtig taktieren wird.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 10. Dezember 2014


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