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Dickes Geschäft

Der Iran ist ein außergewöhnlich lukrativer, Milliardenumsätze verheißender Markt. Die deutsche Wirtschaft will ihren Handel mit dem Staat so schnell wie möglich und vor den anderen europäischen Konkurrenten reaktivieren

Von Jörg Kronauer *

"Ich bin bestimmt kein SPD-Mitglied, aber er ist ein guter Wirtschaftsminister."" Reinhold Festge, Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), war des Lobes voll, als die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihn am 22. Juli nach seinem Urteil über Sigmar Gabriels soeben beendete Iran-Reise befragte. Festge hatte den Minister begleitet, als dieser am 19. Juli mit einigen Wirtschaftsvertretern nach Teheran aufgebrochen war – als erster hochrangiger Regierungsvertreter eines westlichen Staates nach dem Abschluss des Nuklearabkommens am 14. Juli. Als »Türöffner« für die deutsche Industrie habe Gabriel sich betätigen wollen, und das sei ihm glänzend gelungen, schwärmte Festge: Allseits sei anerkannt worden, »dass die Deutschen die ersten waren«, die nach der Einigung auf das Ende der Sanktionen über etwaige Geschäfte in Iran verhandelt hätten. »Die Franzosen wollen einen Termin haben, ebenso die Spanier, die Italiener. Aber alle schön nach Gabriel«, freute sich der VDMA-Präsident und schloss anerkennend, der SPD-Vorsitzende habe da »einen richtigen Coup gelandet«.

Die deutsche Wirtschaft hat es eilig mit dem Iran-Geschäft. Zwar brummt der Exportmotor in der Bundesrepublik wie eh und je: 2014 erreichten die deutschen Ausfuhren mit beinahe 1.134 Milliarden Euro einen neuen Rekord und stiegen in den ersten drei Monaten 2015 weiter um 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Die schweren Einbrüche im Russland-Handel konnten unter anderem durch das rasante Wachstum der Lieferungen in die Vereinigten Staaten mehr als wettgemacht werden. Der Dollar rollt zur Zeit schneller, als der Rubel fällt. Doch heißt das natürlich nicht, dass die deutschen Unternehmer sich nun bequem zurücklehnen würden. Schon gar nicht, wenn sich ein jahrelang sanktionsbedingt fast verschlossener, aber außergewöhnlich lukrativer, Milliardengeschäfte verheißender Markt auftut – und noch dazu einer, der eigentlich traditionell zu den Schwerpunkten der deutschen Außenwirtschaft gehört.

Iran nimmt im Mittleren Osten nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich eine herausragende Stellung ein. Umso mehr, als die US-geführte Kriegskoalition im Jahr 2003 den Irak in Schutt und Asche legte und damit Teherans langjährigen Rivalen Bagdad machtpolitisch und ökonomisch ausschaltete – und das auf lange Sicht. Iran besitzt die viertgrößten Erdöl- und die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt und kann daraus nicht nur politisches Kapital schlagen, sondern mit den Ressourcen prinzipiell auch hohe Geldsummen mobilisieren, also investieren. Mit fast 80 Millionen Menschen verfügt das Land aus der Sicht eines Unternehmers zudem über gut zweieinhalbmal so viele potentielle Kunden wie Saudi-Arabien mit seinen 30 Millionen Einwohnern. Es bietet also auch jenseits der Öl- und Gasindustrie, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie es Mitte Juli formulierte, einen »Absatzmarkt von gewichtiger Größe«. Hinzu kommt, was Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und schon seit Jahren ein energischer Befürworter einer engeren Kooperation mit Teheran, bereits in einem 2008 von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichten Band festhielt: »Die Bevölkerung ist gut ausgebildet, zumindest im regionalen Vergleich. Fast alle Iranerinnen und Iraner haben Lesen und Schreiben gelernt. Das Humankapital für einen wirtschaftlichen Take-off wäre also vorhanden.«

Einen solchen Start sagen Experten nach dem Abschluss des Abkommens über das iranische Atomprogramm zwischen dem Iran und den USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland nun auch tatsächlich voraus. Trotz der Sanktionen habe Iran zuletzt immerhin ein Bruttoinlandsprodukt von rund 420 Milliarden US-Dollar erreicht, bilanzierte am 22. Juli Ian Bremmer, »Editor-at-Large« des Time Magazin und Präsident der New Yorker »Eurasia Group«, die Risikoanalysen erstellt. Die iranische Wirtschaft könne laut Schätzungen bis Mitte 2016 ein Wachstum von vielleicht fünf Prozent und bis Ende 2017 von acht Prozent erreichen: »Es handelt sich nicht nur darum, Ölexporte in die Höhe zu schrauben; Iran ist nicht nur ein weiterer Erdölstaat, sondern eine recht diversifizierte Ökonomie mit einem starken Kapitalmarkt und einer breiten Konsumentenbasis.« Das nötige Geld, um den Aufschwung anzustoßen, ist wohl da: Rund 100 Milliarden US-Dollar aus iranischem Besitz sollen im Ausland eingefroren sein, heißt es. Sie könnten nun freigegeben werden und zum erhofften Take-Off beitragen. Nur die Zustimmung des US-Kongresses steht noch aus. Kommt sie zustande, dann stünde einem ansehnlichen Iran-Boom wohl nichts im Weg.

Handel schon seit dem Kaiserreich

Für die deutsche Industrie handelt es sich bei dem aktuellen Bemühen, die Geschäfte wieder in Gang zu bringen, in gewisser Weise um eine Rückkehr zur historischen Normalität. Der Handel mit dem vorderasiatischen Land begann bereits in den Zeiten des Kaiserreichs aufzublühen, als die Teheraner Eliten ihre Beziehungen zum aufstrebenden Staat in Mitteleuropa zu intensivieren suchten, um den rivalisierenden Großmächten Russland und Großbritannien nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Der Reichsregierung kam das damals für ihre Expansionspläne in Richtung Persischer Golf – Stichwort Bagdad-Bahn – gerade recht. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten deutsche Unternehmen ihre Iran-Aktivitäten fort und belieferten das Land unter anderem mit Maschinen und Anlagen zum Aufbau einer eigenen iranischen Produktion. Man müsse trocken konstatieren, »dass Deutschland der tatsächliche Begründer der jungen persischen Industrie war«, notierte der Historiker Heinz Glaesner in seiner 1976 in Leipzig veröffentlichten Dissertation »Das Dritte Reich und der Mittlere Osten«. In der Nazizeit erlebten die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen einen regelrechten Boom: Die Exporte nach Iran stiegen von 30,4 Millionen Reichsmark im Jahr 1936 auf 46,3 Millionen Reichsmark im Jahr 1938 an. 1940 kamen sogar 40 Prozent der gesamten Importe Irans aus Nazideutschland.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es der westdeutschen Industrie recht rasch, wieder an ihre zuletzt so starke Stellung anzuknüpfen. Als sich 1952 die Deutsch-Iranische Handelskammer wiedergründete – übrigens unter starker Beteiligung von Wirtschaftsleuten, die schon 1936 bei der Ersterrichtung der Institution zugegen gewesen waren –, da war die Bundesrepublik bereits erneut zum größten Handelspartner Irans avanciert. Ihre Spitzenstellung behielt sie in den folgenden Jahrzehnten bei. Davon zeugt nicht zuletzt, dass der Auftrag zum 1975 begonnenen Bau des Kernkraftwerks Buschehr an die Kraftwerk Union AG ging, ein Jointventure von Siemens und AEG. Wie in diversen anderen Ländern hatte die Bundesrepublik also ihre Finger auch in der iranischen Atomindustrie. Erst der Sturz des Schah und die Regierungsübernahme durch Ajatollah Khomeinis Islamisten begannen an der bundesdeutsch-iranischen Erfolgsgeschichte zu kratzen. In den 1980er Jahren gingen zunächst die Erdölimporte der Bundesrepublik aus Iran drastisch zurück. Zudem waren immer wieder starke Einbrüche beim Export in das Land zu verzeichnen, die nur noch zeitweise Spitzenwerte um umgerechnet vier Milliarden Euro (etwa 1983 und 1992) erreichten, dazwischen aber immer wieder auf Werte bis zu 1,2 Milliarden Euro sanken.

Mit dem Atomstreit mit Teheran eskalierte dann der innerwestliche Machtkampf um das deutsche Iran-Geschäft. Gelang es Berlin noch bis 2005, einen Anstieg der deutschen Iran-Exporte auf fast 4,5 Milliarden Euro gegen wachsenden Druck aus Washington politisch abzufedern, so mussten die Ausfuhren ab 2006 immer weiter zurückgefahren werden – bis auf einen Tiefpunkt von rund 1,85 Milliarden Euro im Jahr 2013. Die deutsche Wirtschaft hatte sich durchaus energisch dagegen gewehrt. Mit Verweis auf die rasant zunehmenden Aktivitäten Chinas im Iran warnte 2008 etwa das Handelsblatt, wer jetzt »nicht dabei« sei, »ist für Jahre aus dem Geschäft«. Begleitend hieß es in Unternehmenskreisen immer wieder – wie in solchen Fällen üblich –, man müsse gegenüber Teheran nicht auf Konfrontation, sondern auf »Wandel durch Handel« setzen. Der Nah- Und Mittelost-Verein (NUMOV), derjenige Außenwirtschaftsverband, der für Iran zuständig ist, gab im Bemühen, die immer geringere Zahl in dem Land tätiger deutscher Firmen zu unterstützen, sein Bestes. Er hatte keinen Erfolg: Gedrängt von den Vereinigten Staaten sah sich Berlin, wie das Handelsblatt verärgert berichtete, im Jahr 2009 sogar gezwungen, den Verband schriftlich aufzufordern, »auf Informationsveranstaltungen für deutsche Firmen« zum Iran-Geschäft »zu verzichten«. Denn sie stünden »in klarem Widerspruch zu der Politik der Bundesregierung und könnten größeren außenpolitischen Schaden für Deutschland nach sich ziehen«, erläuterte das Bundeswirtschaftsministerium in einem Schreiben an den NUMOV. »Aus diesen Gründen möchte ich Sie im Namen des Wirtschaftsministeriums und des Bundeskanzleramtes auffordern, von den Veranstaltungen abzusehen.« Ohne eine Wende im Atomstreit war also für die deutsche Industrie nicht mehr viel drin.

Intensive Vorabgespräche

Die Wende kam am 24. November 2013 mit der Genfer Einigung auf ein Übergangsabkommen im Atomstreit mit Teheran – und damit begann unmittelbar eine Art Aufwärmphase für erneute Iran-Geschäfte der deutschen Industrie. Am 3. Dezember 2013 verschickte der NUMOV, der viereinhalb Jahre zuvor von der Bundesregierung noch so schroff abgekanzelt worden war, eine eilige Einladung – »nur für Mitglieder« – zu einem »Sonderforum Iran«, das bereits am 12. Dezember in Berlin stattfinden sollte. »Das Auswärtige Amt hat uns heute in Zusammenarbeit mit dem BMWi (Bundeswirtschaftsministerium, jW) in kompetenter Weise über die neuesten Entwicklungen im Iran informiert«, teilte der Lobbyverband befriedigt mit. Man wolle »dies zum Anlass nehmen«, die Informationen nun an interessierte Unternehmer weiterzuleiten. Man bemühe sich zudem um die Anwesenheit sachkundiger »Repräsentanten aus den relevanten Ministerien« bei dem mit Spannung erwarteten »Sonderforum Iran«. Interesse äußerte auch Teheran. Anfang Februar 2014 warb Außenminister Mohammed Dschawad Sarif bei einem Aufenthalt in Berlin seinerseits um die Aufmerksamkeit deutscher Unternehmen. »Testen Sie uns, ob wir Angst haben, unsere Märkte für ausländische Firmen zu öffnen«, sagte er. Und mit Verweis auf den Bestand alter bundesdeutscher Maschinen und Anlagen in seinem Land fügte er hinzu: »Ein Drittel der iranischen Wirtschaft ist deutsch – darauf können Sie aufbauen.«

So ging es weiter. Am 16. Februar 2014 kündigte der NUMOV für den 8. April eine »Iranian German Business Conference« in Berlin an und stellte die »Anwesenheit einer hochkarätigen Delegation aus dem Iran auf Ministerebene« in Aussicht. Er hatte nicht zuviel versprochen: Mohammed Resa Nematsadeh, iranischer Minister für Industrie, Bergbau und Handel, und Akbar Torkan, ein früherer Verteidigungsminister, der nun dem engsten Beraterzirkel von Irans Staatspräsident Hassan Rohani angehörte, trafen in der Bundeshauptstadt mit deutschen Firmenvertretern zusammen. Im Juli drängelte dann der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Peter Ramsauer (CSU), es genüge nicht, dass bislang nur Bundestagsabgeordnete und eine Referatsleiterin aus dem Wirtschaftsministerium in Teheran gewesen seien. Es müssten nun endlich auch hochrangige Politiker dorthin reisen: »Die Wirtschaft braucht solche Türöffner dringend«. Nun, die Unternehmen schlugen sich auch ohne »Türöffner« bereits nicht schlecht, wenngleich die Konkurrenz natürlich nicht schlief. Frankreich zum Beispiel hatte schon Anfang Februar 2014 eine hochkarätig besetzte Delegation in die Islamische Republik entsandt, um künftige Geschäfte in die Wege zu leiten. Obwohl die vollständige Aufhebung der Sanktionen immer noch auf sich warten ließ, gelang es der deutschen Industrie, ihre Iran-Exporte im Gesamtjahr 2014 auf immerhin 2,4 Milliarden Euro zu steigern; den Wendepunkt zum Besseren hatte man also schon hinter sich gelassen.

Mit Gabriels Iran-Reise wurde nach der Phase intensiven Warmlaufens nun quasi der offizielle Startschuss für die deutsche Wirtschaft gegeben: Jetzt dringt auch die oberste politische Ebene offen auf den Ausbau der Geschäfte. Ein wenig demonstrative Zurückhaltung bleibt zwar noch. »Der Maschinenbau verfällt nicht in Goldgräberstimmung«, teilte zum Beispiel der VDMA am 20. Juli mit. Denn es sei ja schließlich nur »eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen« vorgesehen. Und »da dies auch von der Erfüllung der Nuklearzusagen des Iran abhängt, wird es noch einige Monate dauern, bis die ersten Embargovorschriften gestrichen werden«. Anfang 2016 wird es wohl soweit sein – sofern im US-Kongress nichts anbrennt. Außerdem gibt es noch praktische Probleme. Iran-Geschäfte, die bereits heute möglich seien, scheiterten immer wieder »an der fehlenden Bereitschaft der Banken«, sie »zu finanzieren oder Zahlungen durchzuleiten«, klagte der VDMA. Und in der Tat: Die deutsche Finanzbranche ist recht zurückhaltend geworden, seit etwa die Commerzbank in den Vereinigten Staaten knapp eineinhalb Milliarden US-Dollar zahlen musste, weil sie mit der Finanzierung solcher Unternehmungen gegen US-Sanktionsvorschriften verstoßen hatte. Da müsse nun umgedacht werden, verlangte beispielsweise Ulrich Ackermann, Leiter der Außenwirtschaftsabteilung beim VDMA, am 14. Juli: »Wenn die Finanzinstitute trotz des klaren Politikwechsels ihre eigene Geschäftspolitik weiterhin nicht anpassen, lassen sie die produzierende Industrie im Regen stehen«.

Konkurrenz schläft nicht

Dafür aber steht aus Sicht der deutschen Wirtschaft viel zu viel auf dem Spiel. Teheran setze neben der Öl- und Gasbranche zunächst auf den Ausbau der Automobil-, der Bergbau- und der Metallindustrie, teilte der zustündige Minister Nematsadeh am 23. Juni bei Gesprächen mit EU-Vertretern in Wien mit. Dabei handelt es sich durchweg um Zweige, in denen sich Firmen aus der BRD Hoffnung auf lukrative Aufträge machen. Zum Beispiel die Autoindustrie: VW und Daimler etwa wollen ihre Modelle unbedingt im Iran verkaufen, wo es durchaus eine signifikante zahlungskräftige Mittelschicht gibt. Die französische Konkurrenz von Renault und Peugeot hat dort allerdings schon im vergangenen Jahr erste Gespräche geführt, hat also zeitlich einen Vorsprung; Peugeot-Markenchef Maxime Picat soll zuletzt sogar wöchentlich mit den zuständigen Stellen in Teheran verhandelt haben. Zudem ist Peugeot offenbar bereit, iranischen Wünschen nach einer engeren industriellen Kooperation zu entsprechen und nicht mehr nur – wie früher – Einzelteile zu liefern, die dann im Iran montiert werden. Statt dessen soll der gesamte Produktionsprozess gemeinsam mit seinem Kooperationspartner Khodro realisiert werden. Es eilt also aus deutscher Sicht. Dabei haben es BRD-Firmen nicht nur mit der französischen Konkurrenz zu tun. Sieht man von den Vereinigten Arabischen Emiraten ab, die in der iranischen Importstatistik ganz vorne stehen, weil über sie in den letzten Jahren beträchtliche Mengen europäischer und US-amerikanischer Produkte unter Umgehung der Sanktionen geliefert wurden, so ist China in der Zeit des Embargos Handelspartner Nummer eins geworden. Inzwischen fahren unter anderem auch chinesische Autos auf iranischen Straßen. Umso mehr drängt die Zeit.

Das gilt erst recht für die Öl- und Gasbranche, für die allein Teheran in den nächsten fünf Jahren Projekte im Wert von 185 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt hat. Erdölverträge mit Shell, Eni und Glencore sind bereits in Arbeit. Deutsche Unternehmen hoffen derzeit insbesondere auf lukrative Aufträge zur Modernisierung der maroden Ölindustrie. Ob in der Ölbranche mehr drin ist, muss sich zeigen. Wirtschaftsminister Gabriel tut sein Bestes. Selbstverständlich verhandelte er mit dem iranischen Ölminister Bidschan Sanganeh, als dieser zum »Energy Security Summit 2015« anreiste, zu dem die Organisatoren der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz für den 6. und 7. Mai in Berlin eingeladen hatten. Mit Sanganeh ist Gabriel auch bei seiner jüngsten Iran-Reise zusammengetroffen, nachdem er von dessen Stellvertreter Amir Hossein Samaninia am Flughafen abgeholt worden war. »Es gibt kein Land in der Welt, wo die Petrochemie so leicht zu haben ist und so billig«, warb Sanganeh aus Anlass seiner Gespräche mit Gabriel. Teheran plane, »die Ölproduktion auf 4,7 Millionen Barrel auszubauen«; da seien lukrative Geschäfte drin. Und nicht zuletzt habe die Regierung vor, die »Kapazitäten in der Gasförderung« deutlich zu erweitern.

Im Fokus: Irans Erdgasbranche

Vor allem die iranische Erdgasbranche ist für Berlin und für die deutsche Wirtschaft interessant. Zum einen ist die Bundesregierung fast verzweifelt auf der Suche nach neuen Erdgaslieferanten, um die Bedeutung der Einfuhren aus Russland so rasch wie möglich relativieren zu können. Iran ist in diesem Zusammenhang schon seit Jahren im Gespräch. Zum anderen haben deutsche Konzerne im Erdgassektor eine deutlich stärkere Stellung als beim Erdöl. Aufträge aus der iranischen Erdgasbranche, vielleicht sogar eine Beteiligung an der Förderung, wären also ein doppelter Erfolg. In Berlin ist aufmerksam registriert worden, dass Vize-Ölminister Samaninia in der Öl- und Gasbranche »exzellente Möglichkeiten für Partnerschaften und Jointventures« ausgemacht hat. Er hat angekündigt, die Erdgastagesförderung bis 2017 von den derzeitigen 700 Millionen Kubikmetern auf 1,1 Milliarden Kubikmeter steigern zu wollen. Auf einem Investorenforum in Wien erklärte er weiterhin: »Europa könnte mittel- und langfristig möglicherweise ein Markt dafür sein«. Möglicherweise – denn in Ostasien kann man mit Erdgas deutlich höhere Preise erzielen als in Europa, weshalb Teheran gegenwärtig zur Produktion von Flüssiggas tendiert, um dieses dann zumindest teilweise in Richtung Osten verschiffen zu können. Allerdings schließt das angesichts der riesigen iranischen Vorräte weder Flüssiggaslieferungen nach Europa noch den ergänzenden Bau einer Pipeline aus. Der Kampf ums iranische Gas ist also eröffnet. Und auch hier geht es um Aufträge auf allen Ebenen: Der deutsche Anlagenbauer Linde bemüht sich darum, in der Iranischen Republik Verflüssigungsanlagen errichten zu dürfen. Damit fiele ganz unabhängig von der Frage, wer letztlich wieviel von dem Rohstoff bekommt, immerhin beim Aufbau der Infrastruktur ein erkleckliches Sümmchen für die deutsche Industrie ab.

Und weil bei alledem so viel auf dem Spiel steht – der Bundesverband der Deutschen Industrie hält unabhängig vom möglichen Zugriff auf Öl und Gas schon mittelfristig deutsche Iran-Exporte im Wert von mehr als zehn Milliarden Euro für realistisch –, macht der Wirtschaftsminister weiter Druck. Anfang Januar wird zum ersten Mal seit 2001 die Deutsch-Iranische Wirtschaftskommission wieder zusammentreffen, die den Ausbau der bilateralen Geschäfte politisch flankieren soll. Sie wird sich in Teheran versammeln, eventuell in Anwesenheit von Gabriel. Denn Anfang 2016 werden, wenn alles läuft wie geplant, die wichtigsten Sanktionen aufgehoben. Dann kann der Minister, den VDMA-Präsident Festge in den höchsten Tönen lobte, gleich vor Ort nach dem Rechten sehen. Das traditionsreiche deutsche Iran-Geschäft ist dem Sozialdemokraten die Mühe allemal wert.

* Aus: junge Welt, Montag, 27. Juli 2015


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