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Einigung – aber worauf?

Die Darstellungen aus Teheran und Washington über die Ergebnisse der Atomverhandlungen widersprechen sich

Von Knut Mellenthin *

Iran und seine internationalen Verhandlungspartner haben sich am Donnerstag in der Schweiz auf die zentralen Elemente eines Langzeitabkommens geeinigt. Vorausgegangen waren monatelange Gespräche und ein mehrtägiger Endspurt, an dem die Außenminister beteiligt waren. Nun sollen in den kommenden drei Monaten alle Details des Vertrages ausgehandelt werden. Die sieben Staaten – neben Iran die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – haben sich dafür als Endpunkt den 30. Juni gesetzt. Gegenstand des angestrebten Abkommens sind umfangreiche Beschränkungen und Kontrollen des iranischen Atomprogramms, für die Laufzeiten zwischen zehn und 25 Jahren vorgesehen sind. Im Gegenzug sollen die meisten Sanktionen, die von den USA und ihren Verbündeten gegen den Iran verhängt wurden, außer Vollzug gesetzt und vielleicht irgendwann sogar völlig aufgehoben werden. Alle beteiligten Regierungen werteten die Einigung von Lausanne in ersten Kommentaren als großen Erfolg und historischen Einschnitt. Lediglich Israel und seine internationale Lobby kündigten verstärkten Widerstand gegen jede Verständigung mit dem Iran an.

Wichtige Vereinbarungen von Lusanne

Als Zarif und die EU-Aussenbeauftragte Mogherini die Grundsatzvereinbarung zusammen verlasen - sie zuerst auf Englisch und er anschliessend auf Farsi - lächelten sie sich zwischendurch immer wieder zu, als wären sie alte Bekannt und würden regelmässig gemeinsam auftreten.

Im Einzelnen verpflichtet sich Iran, die Zahl seiner Zentrifugen zur Urananreicherung für die kommenden zehn Jahre von derzeit 19.000 auf 6100 zu verringern. Zudem dürfen sie für 15 Jahre nur noch Uran auf 3,67 Prozent anreichern.

Die Urananreicherungsanlage von Fordo wird in ein Forschungszentrum umgewandelt. Der halbfertige Schwerwasserreaktor von Arak wird so modifiziert, dass er kein waffenfähiges Plutonium erzeugen kann. Alle Atomanlagen sowie die Uranbergwerke und Fertigungsanlagen für Zentrifugen und Brennstäbe sollen für 25 Jahre scharfen Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) unterliegen.

Die Eckpunkte-Einigung sei die Grundlage, um in den kommenden drei Monaten das abschliessende Abkommen auszuhandeln, sagte der deutsche Außenminister Steinmeier. Wenn das gelinge, "könnte das auch Hoffnung für Entspannung in der Region und zwischen Iran und den arabischen Staaten wecken". Vielleicht entstünden sogar "Aussichten einer Entschärfung anderer gefährlicher Krisen und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten".

Nach Neue Zürcher Zeitung (online), FAZ-online und www.swissinfo.ch, 3. April 2015



Über die jetzt in der Schweiz getroffenen Vereinbarungen gehen die Darstellungen allerdings weit auseinander. Das US-Außenministerium veröffentlichte am Donnerstag ein ausführliches Papier mit den »Parametern«, auf die man sich angeblich geeinigt hat. Die meisten davon finden sich jedoch in der von iranischen Medien verbreiteten, um mindestens ein Drittel kürzeren Fassung jedoch nicht wieder. In manchen Punkten widersprechen sich die Aussagen beider Seiten sogar offensichtlich.

Als unstrittiger Anhaltspunkt bleibt die knappe gemeinsame Erklärung, die nach Abschluss der Schweizer Gespräche von der Außenpolitikchefin der EU, Federica Mogherini, und Irans Außenminister Dschawad Sarif auf einer Pressekonferenz vorgetragen wurde. Sie enthält jedoch keine konkreten Einzelheiten. Immerhin stimmen die Darstellungen aus Teheran und Washington darin überein, dass Iran sich grundsätzlich bereit erklärt hat, die Urananreicherung zehn Jahre lang nur noch mit 5.000 Zentrifugen zu betreiben. Das bedeutet eine Halbierung seiner gegenwärtigen – ohnehin schon geringen – Kapazität. Zur Verdeutlichung: Damit könnte künftig nicht einmal ein Zehntel des Brennstoffs produziert werden, der für den Betrieb eines einzigen Kernkraftwerks erforderlich ist. Praktisch bedeutet das, dass alle in der Vergangenheit verkündeten iranischen Pläne, in den nächsten Jahren bis zu zwanzig neue AKW zu bauen und sich bei deren Versorgung mit Brennelementen unabhängig zu machen, für lange Zeit auf Eis gelegt sind.

Im übrigen hat die iranische Regierung den noch sehr viel weiter gehenden US-amerikanischen Mitteilungen über die angeblichen »Parameter« der Einigung bisher nicht widersprochen. Demzufolge soll Iran sich auch verpflichtet haben, in den nächsten 15 Jahren keine weitere Anreicherungsanlage zu bauen. Der iranische Vorrat an schwach angereichertem Uran solle von derzeit rund 10.000 Kilo auf nur noch 300 Kilo verringert werden. Auch das soll angeblich 15 Jahre lang gelten. Praktisch liefe das darauf hinaus, dass Iran einen großen Teil des Materials exportieren müsste, was Teheran bisher kategorisch abgelehnt hatte. Wirtschaftlich wäre dann die Fortsetzung der Anreicherung möglicherweise sogar unrentabel.

* Aus: junge Welt, Samstag, 4. April 2015


Teheran unter Druck

Vorläufige Einigung mit Iran

Von Knut Mellenhin **


Iran ist grundsätzlich bereit, sein ziviles Atomprogramm für die nächsten zehn bis 15 Jahre auf einem verkrüppelten Zustand einzufrieren, der es kaum noch sinnvoll erscheinen ließe. Das würde auf lange Zeit das Ende aller Träume von einer unabhängigen Versorgung mit nuklearer Energie bedeuten. Anscheinend geht die iranische Führung davon aus, dass die Folgen der westlichen Sanktionen, die vor allem den Ölexport als Haupteinnahmequelle des Landes schwer getroffen haben, ihr kaum noch eine andere Wahl lassen. Iranische Medien veröffentlichen zunehmend Berichte, die ein ernstes Bild der wirtschaftlichen Lage, beispielsweise unter dem Aspekt der Massenarbeitslosigkeit, zeichnen.

Insofern ist Teherans vorläufige Einigung mit der Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – eine nachvollziehbare Entscheidung, die sicher vom größten Teil der Bevölkerung begrüßt wird. Dass es sich um einen großen Sieg der iranischen Unbeugsamkeit handelt, wie jetzt die Politiker und Medien des Landes einstimmig schwärmen, muss allerdings bezweifelt werden. Es ist überdies keine kluge Verhandlungstaktik, wenn man bedenkt, dass es bis zum Abschluss eines rechtlich bindenden, alle Details regelnden Vertrages noch ein langer und harter Weg ist. Aber vielleicht verbietet sich für die iranische Führung angesichts der Widersprüche in den Machtstrukturen ihres Landes eine sachliche Diskussion über die positiven und negativen Folgen der Kompromisse, zu denen sie sich gezwungen sieht.

Auf der Gegenseite setzen die israelische Rechtsregierung und ihre Verbündeten im US-Kongress ihr hochdramatisches Lamento über die sich abzeichnende Einigung fort. Präsident Barack Obama wird diese Kulisse in den kommenden Monaten nutzen können, um der iranischen Seite noch mehr Zugeständnisse, auch hinsichtlich ihrer außenpolitischen Orientierung, abzufordern. Schon in den nächsten Wochen wollen die Republikaner im Abgeordnetenhaus und im Senat neue Gesetze auf den Weg bringen, die es der Administration sehr erschweren oder sogar unmöglich machen würden, die schwerwiegendsten Sanktionen gegen Iran wenigstens zeitweise außer Kraft zu setzen. Damit käme der iranischen Seite allerdings das entscheidende Argument zur Rechtfertigung ihrer Verhandlungspolitik abhanden, zumindest würden sich deren Vorteile erheblich verringern. Eine Neuberechnung stünde dann wohl an.

** Aus: junge Welt, Samstag, 4. April 2015 (Kommentar)


Sieg der Vernunft

LINKEN-Außenexperte Jan van Aken über das Eckpunktepapier mit dem Iran ***

Von mir aus braucht Iran keine Atomenergie. Sonne und Wind zur Energieerzeugung sind im Überfluss vorhanden. Aber natürlich hat Iran wie alle anderen Nationen – leider – das Recht auf eine zivile Nutzung der Atomkraft, und dieses Recht wurde mit dem vorläufigen Verhandlungsergebnis von Lausanne bestätigt.

Genauso hatte der Rest der Welt gute Gründe, Iran zu misstrauen und eine mögliche militärische Nutzung zu befürchten. Denn es ist ziemlich sicher nachgewiesen, dass es bis zum Jahre 2003 tatsächlich ein geheimes Atomwaffen-Programm in Iran gab. Alle Erkenntnisse der internationalen Atombehörde IAEA deuten darauf hin, dass dieses Programm 2003 eingestellt wurde, aber natürlich bleibt ein berechtigtes Misstrauen. Auch dem ist jetzt Rechnung getragen worden; durch umfassende Kontrollen und eine massive Begrenzung des Atomprogramms.

Die jetzige vorläufige Einigung ist ein echter Sieg der Vernunft, denn erinnern wir uns: Zwischenzeitlich standen die Zeichen immer wieder auf Krieg. Die Zeitungen waren voll mit Berichten über Angriffsziele und Angriffsrouten, Politiker in den USA, Israel und auch Deutschland übten sich in Kriegsrhetorik. Jetzt ist die Gefahr eines weiteren Krieges im Mittleren Osten geringer geworden. Auch die Gefahr eines nuklear bewaffneten Iran hat damit deutlich abgenommen. Das ist gut, und es ist ein Erfolg der Diplomatie!

Der Erfolg von Lausanne zeigt eines noch mal ganz deutlich: Sanktionen sind kein Instrument der Außenpolitik, das wirklich Ergebnisse bringt. Iran wurde schon in den Jahren Ahmadinejads mit härtesten Strafmaßnahmen belegt. Eingeknickt ist dieser Hardliner dadurch nicht. Möglich geworden ist die Lösung erst dadurch, dass unter den Präsidenten Obama und Rouhani eine Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft vorherrschte, die in der Zeit von Bush und Ahmadinejad undenkbar war. Wenn alle weiter auf eine harte Haltung gesetzt hätten – so wie es damals selbst Teile des Bundestages taten – dann hätten wir jetzt keine Einigung und stünden vor dem Abgrund.

Auf der sicheren Seite sind wir aber noch nicht: Viele Details des Abkommens müssen noch festgeschrieben und dann auch wirklich umgesetzt werden. Wir können davon ausgehen, dass die Hardliner in Teheran und Washington auch weiterhin alles daran setzen werden, den Vertrag platzen zu lassen. Es gilt jetzt, Ruhe zu bewahren und im Zweifelsfall auch mal einseitig einen Schritt nach vorn zu machen, um das Abkommen nicht noch in letzter Minute zu gefährden.

Ab sofort sollte der Blick nach vorn gerichtet werden. Das heißt vor allem: Auf die Menschenrechtslage im Iran und auf das Gleichgewicht zwischen Saudi-Arabien und Iran. Es darf jetzt nicht nur darum gehen, die verlorenen Geschäfte der vergangenen Jahre schnellstmöglich wieder reinzuholen und einen Sturm deutscher Firmen auf das iranische Ölgeld zu organisieren.

Sobald wie möglich - was für mich heißt: am besten schon morgen – muss der Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Teheran wieder aufgenommen werden. In den letzten Jahren hat der Westen das Nukleardossier wichtiger genommen als die Menschenrechtslage in Iran. Angesichts der drohenden Kriegsgefahr vielleicht sogar verständlich, aber das muss sich jetzt ändern.

Daneben gilt es aber nun auch, dem Regionalkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran größte Aufmerksamkeit zu schenken. Der destabilisiert die Region immer weiter und wird schon heute blutig ausgetragen, in Syrien, Irak oder jetzt in Jemen. Dieser Konflikt ist nicht die Wurzel aller Übel in der Region. Aber er ist der entscheidende Brandbeschleuniger im heutigen Mittleren Osten. Stabilität und Frieden dort wird es nur geben, wenn ein belastbarer Ausgleich zwischen beiden Staaten gelingt. Und diesen Ausgleich herbeizuführen, ist nun die Aufgabe der Diplomatie, auch der deutschen. Als fairer Makler, nicht an der Seite des Hauses Saud.

*** Aus: neues deutschland (online), 3. April 2014>


Neue Chancen, neue Probleme, neue Gegner

Die Vereinbarung von Lausanne verändert auch Stellung und Rolle Irans als regionale Macht

Von Jan Keetman ****


Der Jubel auf den Straßen Teherans zeigt, wie viel das in Aussicht gestellte Ende der Sanktionen in Iran zählt. Hingegen sorgt sich offenbar nur ein kleiner Teil der Hardliner wegen Verlustes an Prestige.

Zunächst sehen die Eckpunkte des Vertrages von Lausanne vielversprechend aus. Doch es ist ein Abkommen, dessen Wert sehr von technischen Details und der Implementierung z. B. von Kontrollen abhängt. Dinge, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. In den Jahren seit der Aufdeckung des iranischen Atomprogramms durch eine Oppositionsgruppe hat man einiges erlebt, wie das Regime in Teheran Kontrollen blockiert und heimlich an anderer Stelle nachgerüstet hat.

Doch gehen wir davon aus, dass es die iranische Führung nicht auf ein Katz-und-Maus-Spiel abgesehen hat und dass der dann wirklich historisch zu nennende Vertrag endgültig zustande kommt und dass er umgesetzt wird. Dann stellt sich die Frage, warum Teheran eingelenkt hat und was dies für die Region bedeutet.

Der Druck der Sanktionen hat sicher eine Rolle gespielt, doch nicht nur. Während der unterstellte Wunsch nach einem Aufstieg in die Reihe der Atommächte vorerst aufgegeben ist, hat sich Iran unversehens zu einer veritablen Regionalmacht in der wichtigen Golfregion entwickelt. Die irakischen Schiiten, das syrische Assad-Regime, die libanesische Hisbollah und die Huthi-Rebellen in Jemen mögen sehr verschiedene politische Konzepte und religiöse Inhalte verkörpern, doch sie alle stehen Teheran sehr nahe, bzw. sie sind auf Teheran als Protektor angewiesen. Das gibt Teheran in der Region einen Einfluss, den es vorher noch nie besessen hat.

Zugleich schafft dieser Einfluss aber auch Probleme, denn die sunnitisch geprägten Staaten der Region begehren dagegen auf. Das bisher erfolglose Eingreifen einer arabischen Allianz unter der Führung von Saudi-Arabien in Jemen ist hierfür das deutlichste Zeichen. In Syrien haben Rebellen unter Führung der fundamentalistischen Al-Nusra Front die Stadt Idlib und einen wichtigen Grenzübergang zur Türkei erobert. Es spricht vieles dafür, dass dies mit logistischer Unterstützung aus der Türkei geschehen ist.

Um es mit einem Satz zu sagen: Die Entwicklung in der Region bedeutet für Teheran neue Chancen, seinen Einfluss auszuweiten, bringt aber auch neue Probleme und neue Gegnerschaft. Für den Augenblick ist demgegenüber die Rolle des »einzigen wahren Kämpfers« gegen Israel etwas in den Hintergrund getreten.

In dieser neuen außenpolitischen Konstellation stärkt ein Ende des Atomstreits mit dem Westen Teheran ökonomisch und politisch. Es mag sogar so aussehen, als sei Iran nun für den Westen ein akzeptabler und nützlicher Partner. Nützlich, weil er die Mittel hat, den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen, und akzeptabel verglichen mit Letzterem. Zwar werden die Bahai in Iran unterdrückt und Konvertiten mit der Todesstrafe bedroht, doch niemals wurden religiöse Minderheiten wie vom IS massakriert und Frauen als Kriegsbeute verkauft. Was die Menschenrechte angeht, so steht das bisher prowestliche Königreich Saudi-Arabien nicht eben besser da als Iran.

Doch Euphorie ist kaum angebracht. Iran ist auf einen Diskurs gebaut, der sich gegen einen als westlich verstandenen Begriff von Freiheit und Gleichheit wendet. Auch die Feindschaft gegen Israel gehört zu den ideologischen Wurzeln dieses Regimes. Der gegenwärtige Präsident Hassan Ruhani war nie ein Reformer, er tritt nur moderater auf als sein Vorgänger Ahmadinedschad. Das letzte Wort hat ohnehin nicht Ruhani, sondern der religiöse Führer Ayatollah Ali Khamenei. Was wir im Moment sehen, ist wohl eine neue Justierung der iranischen Außenpolitik, nicht ein tief greifender Wandel des Regimes. Doch wenn das Abkommen von Lausanne wirklich Gestalt annimmt, so ist dies eine wirklich gute Nachricht für die Welt.

**** Aus: neues deutschland, Samstag, 4. April 2015


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