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Machtprobe vor Irans Küste

Nach der Beschlagnahmung eines dänischen Frachters will die US-Kriegsmarine "Flagge zeigen"

Von Knut Mellenthin *

Der Iran hat bisher nicht auf die verstärkten Aktivitäten der US-Marine in der schmalen Wasserstraße von Hormus reagiert, die den Persischen Golf mit dem Arabischen Meer verbindet. Am Donnerstag hatten das Pentagon und das für die Region zuständige Militärkommando Mitte bekanntgegeben, dass Frachter, die unter US-amerikanischer Flagge fahren, beim Passieren der Meerenge Begleitschutz durch Kriegsschiffe anfordern können. Grundsätzlich gelte dieses Angebot auch für Schiffe anderer Staaten, doch sei das derzeit noch Gegenstand von Verhandlungen. Die Maßnahme sei zeitlich unbefristet, werde aber voraussichtlich nicht lange praktiziert werden, erläuterten US-Sprecher. Sie hoben den Unterschied zwischen dem aktuellen »Begleiten« von Frachtern – bei dem US-Kriegsschiffe lediglich in der Nähe für Notfälle abrufbereit sind – und dem militärischen »Eskortieren« von einzelnen Schiffen oder Konvois hervor.

Die US-Kriegsmarine hat zur Zeit mindestens elf Kriegsschiffe in der Region beiderseits der Straße von Hormus zusammengezogen. Darunter sind vier Zerstörer, ein Kreuzer und fünf Patrouillenboote. Am Donnerstag wurden erstmals vier Schiffe durch die Meerenge »begleitet«. Es handelte sich um Frachter, die zum Military Sealift Commando der USA gehören oder kontraktmäßig für dieses arbeiten. Ihre Aufgabe ist die Versorgung US-amerikanischer Kriegsschiffe mit Lebensmitteln und anderen Nachschubgütern. Sie haben in der Regel zivile Besatzungen.

Die US-Administration reagierte mit ihren Maßnahmen auf die Beschlagnahme eines Frachters durch den Iran am vorigen Dienstag. Patrouillenboote der Revolutionsgarden hatten die unter der Flagge der Marshallinseln fahrende Maersk Tigris durch Warnschüsse vor den Bug gezwungen, einen iranischen Hafen anzulaufen. Begründet wird das mit einem bis zum Jahr 2003 zurückreichenden Rechtsstreit zwischen einer iranischen Firma für Ölprodukte und Fördergeräte und dem dänischen Seetransportunternehmen Maersk. Die Iraner fordern für den Verlust von zehn Containern eine Entschädigung in Höhe von 3,2 Millionen Euro. Sobald das Geld bezahlt sei, werde das gekaperte Schiff freigegeben. Anderenfalls werde es irgendwann mitsamt der an Bord befindlichen Fracht zur Versteigerung kommen. Vorläufig liegt die Maersk Tigris mit 24 oder 34 – es gibt unterschiedliche Berichte – Mann Besatzung, überwiegend Osteuropäer, in einem iranischen Hafen fest.

Die USA sind mit den Marshallinseln, unter deren Flagge das Schiff fährt, seit 1986 durch den »Compact of Free Association« verbunden. Dieses Abkommen legt fest, dass die USA für »Sicherheits- und Verteidigungsangelegenheiten« der Inselgruppe im Pazifik verantwortlich sind. Gleichzeitig gestattet die Vereinbarung, mit der die Inseln damals in eine stark eingeschränkte Unabhängigkeit entlassen wurden, den USA die Weiterbenutzung einer Anlage für Raketentests auf einem der zahlreichen Atolle.

Die Marshallinseln gehörten seit dem späten 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg zum deutschen Kolonialreich. 1920 übertrug der Völkerbund sie als Mandatsgebiet an Japan. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie von den US-Streitkräften besetzt. 1947 bestätigte die UNO die Herrschaft der USA über ein riesiges Seegebiet im Pazifik mit Tausenden von meist unbewohnten Inseln und Atollen, darunter auch die Marshallinseln.

In kaum einem der Medienberichte zum gegenwärtigen Konflikt wird erwähnt, dass die Inselgruppe vor über 50 Jahren das weltweit größte Versuchsgebiet der USA für Nuklearexplosionen war. Zwischen 1946 und 1958 fanden dort 67 Atomwaffentests statt. 23 davon wurden auf dem Bikini-Atoll durchgeführt, das Teil der Marshallinseln ist. Eine Untersuchung der US-amerikanischen Atomenergiekommission kam 1956 zum Ergebnis, dass die Inselgruppe »der bei weitem am meisten kontaminierte Ort der Welt« sei. Viele Bewohner des nur dünn besiedelten Gebiets erlitten bleibende gesundheitliche Schäden. Um Ausgleichszahlungen wird immer noch prozessiert.

* Aus: junge Welt, Montag, 4. Mai 2016


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