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Atomstreit mit Iran beigelegt

Sieben beteiligte Staaten erzielten am Dienstag in Wien eine Einigung / Ölpreise fallen / Harte Kritik aus Israel / Deutsche Wirtschaft hofft auf Milliardengeschäfte / Obama droht Kongress bei Ablehnung mit Veto *


Update 15.15 Uhr: Ruhani spricht von »neuen Horizonten«
Irans Präsident Hassan Ruhani erklärte, das Abkommen öffne »neue Horizonte«. Die Einigung zeige, dass »Gott die Gebete der Nation erhört hat«, sagte er in einer Fernsehansprache.

Aus Sicht Ruhanis wurde »eine Sieger-Verlierer-Lösung« vermieden, stattdessen gebe es nur Gewinner. »Wir haben es geschafft, unsere nationalen Interessen zu wahren und einen Wendepunkt zu erzielen«, sagte der als gemäßigt geltende Reformer. Selbst konservative Parteipolitiker in Teheran attestierten der iranischen Delegation, die Interessen des Landes »erfolgreich verteidigt« zu haben.

Update 15.05 Uhr: Weltweite Erleichterung
Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte, die Welt könne nun einen »riesigen Seufzer der Erleichterung« ausstoßen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon lobte den »Mut« der Verhandlungsführer. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte, mit dem Abkommen sei »ein iranischer Griff nach der Atombombe auf absehbare Zeit verlässlich und nachprüfbar ausgeschlossen«. Die im April in Lausanne vereinbarten Eckpunkte seien nun auf mehr als hundert Seiten »ausbuchstabiert« worden - »ohne Abstriche und ohne Schlupflöcher«.

Auch die Präsidenten des EU-Rats und Europäischen Parlaments, Donald Tusk und Martin Schulz, feierten den Durchbruch am Verhandlungsort in Wien als Sieg der Diplomatie. Positive Reaktionen kamen überdies von den iranischen Nachbarstaaten Türkei, Pakistan und Afghanistan sowie von der britischen und französischen Regierung.

Update 15 Uhr: Obama droht Kongress bei Ablehnung des Atomabkommens mit Veto
US-Präsident Barack Obama hat dem amerikanischen Kongress mit einem Veto gedroht, falls dieser das Atomabkommen mit dem Iran zu kippen versuchen sollte. »Ich werde gegen jegliche Gesetzgebung ein Veto einlegen, die die Umsetzung dieses Deals verhindert«, sagte Obama am Dienstag im Weißen Haus. Der Kongress, der das Abkommen nun innerhalb einer Frist von 60 Tagen überprüfen muss und mit einer Resolution noch stoppen könnte, bräuchte gegen das Veto eine nur schwer zu erreichende Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern.

Obama bezeichnete die Einigung im Atomstreit als diplomatischen Durchbruch, der echten Wandel herbeiführe. »Lasst uns niemals aus Furcht verhandeln, aber lasst uns niemals davor fürchten, zu verhandeln«, zitierte Obama den ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. Auch dieser habe angesichts des gefährlichen nuklearen Wettrüstens mit der Sowjetunion im Kalten Krieg an den Erfolg von Diplomatie geglaubt.

»Der Deal beruht nicht auf Vertrauen, sondern auf Überprüfung«, sagte Obama. Sofern Teheran gegen bestehende Auflagen verstoße, würden die nun zu lockernden Sanktionen sofort wieder eingesetzt.

Aus Anlass des historischen Abkommens über das Teheraner Atomprogramm übertrug das iranische Staatsfernsehen die Erklärung Obamas am Dienstag live. Es war erst das zweite Mal seit der Islamischen Revolution von 1979, dass die Rede eines US-Präsidenten direkt übertragen wurde.

Update 12.55 Uhr: Weißes Haus kündigt Erklärung von Obama an
Nach der historischen Einigung im Streit um das iranische Atomprogramm hat das Weiße Haus eine Erklärung des US-Präsidenten angekündigt. Barack Obama werde sich am Dienstag um 13.00 Uhr (MESZ) zu dem Abkommen zwischen dem Iran und den fünf UN-Vetomächten und Deutschland äußern.

Frankreichs Außenminister Laurent Fabius erklärte in Wien, er erwarte bereits in »wenigen Tagen« eine Resolution des UN-Sicherheitsrat zu dem Atomabkommen. Die Annahme einer solchen Resolution ist Bedingung dafür, dass die Einigung in Kraft treten kann.

Update 12.15 Uhr: Deutsche Wirtschaft peilt 10-Milliarden-Marke im Exportgeschäft mit Iran an
Nach der Einigung im Atomstreit mit dem Iran hofft die deutsche Wirtschaft auf Milliardengeschäfte in dem ölreichen Staat. Der Außenwirtschaftschef des Spitzenverbandes DIHK, Volker Treier, der am Dienstag in Teheran weilte, sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Wenn alles gut läuft, könnten wir in drei, vier Jahren die 10-Milliarden-Marke beim Export knacken.« Im vergangenen Jahr hatten deutsche Firmen Waren und Dienstleistungen für 2,39 Milliarden Euro in den Iran geliefert - viele Geschäfte kamen wegen der westlichen Sanktionen aber nicht zustande.

Update 11.25 Uhr: EU-Außenbeauftragte bestätigt Einigung
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat die Einigung mit dem Iran über ein Ende des jahrelangen Atomstreits bestätigt. Dies sei ein Zeichen der Hoffnung für die ganze Welt, sagte Mogherini am Dienstag unmittelbar vor der förmlichen Verabschiedung des Abkommens durch die beteiligten Staaten.

Update 11.20 Uhr: Netanjahu: Atom-Einigung mit Iran ist »historischer Fehler«
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die Atom-Einigung mit dem Iran als »historischen Fehler« gegeißelt. Ersten Berichten zufolge seien dem Iran große Zugeständnisse gemacht worden, sagte Netanjahu einer Mitteilung seines Büros vom Dienstag zufolge. Die Aufhebung der Sanktionen werde es dem Iran erlauben, seinen Einfluss im Nahen Osten noch auszubauen. Teheran werde Zugriff auf Hunderte Milliarden Dollar erlangen. Damit werde der Iran seine Unterstützung für radikal-islamische Gruppen und seine »aggressive« Politik im Nahen Osten und der Welt intensivieren. Netanjahu ist seit Jahren strikter Gegner einer Kompromisslösung im Atomstreit mit dem Iran, den er als die größte Bedrohung seines Landes bezeichnet.

Update 11.15 Uhr: Iranische Hardliner loben Einigung
Die Einigung im jahrelangen Atomstreit und die iranischen Unterhändler haben sogar bei konservativen Reformgegnern in Teheran wohlwollende Anerkennung gefunden. »Das Atomteam hat in einer einzigartigen Art und Weise und mit viel diplomatischem Geschick die Interessen des Landes erfolgreich verteidigt«, meldete sich die konservative Partei Isargaran (Selbstlose) am Dienstag in einer Mitteilung zu Wort. Dafür verdienten Außenminister Mohammed Dschawad Sarif und sein Team den Dank des ganzen Volkes, zitierte die Nachrichtenagentur Isna weiter aus der Erklärung.

Noch vor wenigen Wochen hatten Isargaran-Mitglieder Sarif im Parlament als »Verräter« beschimpft, weil er gegenüber »den Feinden des Landes« zu kompromissbereit sei. Nun aber scheinen auch sie Teil der Einigung sein zu wollen, die der als gemäßigt geltende Präsident Hassan Ruhani als »größten außenpolitischen Triumph« des Landes bezeichnete.

Update 10.50 Uhr: Reporter ohne Grenzen fordern Freilassung von Journalisten
Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die internationale Gemeinschaft nach dem Abschluss der Atomverhandlungen dazu auf, die iranische Regierung zur Freilassung aller inhaftierten Journalisten aufzufordern. Dass sich der Iran bei internationalen Verhandlungen kompromissbereiter zeigt, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verfolgung unabhängiger Journalisten und Bloggger seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Hassan Rohani im Jahr 2013 sogar zugenommen habe. Rund 100 Blogger und Onlineaktivisten seien während der vergangenen zwei Jahre verhaftet und zu teils sehr langen Haftstrafen verurteilt worden.

»Westliche Politiker sollten sich von den neuen Tönen, die die iranische Regierung in internationalen Verhandlungen anschlägt, nicht blenden lassen«, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. »Der Iran bleibt ein repressives Regime, das Meinungs- und Pressefreiheit verachtet und kritische Stimmen im Land gnadenlos verfolgt.«

Im Iran sind derzeit 15 Journalisten sowie 26 Onlineaktivisten und Bürgerjournalisten inhaftiert.

Update 10.20 Uhr: US-Kongress muss über Abkommen entscheiden
Nach Beilegung des Atomstreits mit dem Iran wird muss das Abkommen noch durch den US-Kongress. Dieser hat dann 60 Tage Zeit, um ihn zu überprüfen. Bei einer Einigung vor dem vergangenen Donnerstag hätte der Kongress nur 30 Tage Zeit gehabt, doch diese Frist hat sich wegen der vielen Pausen und sitzungsfreien Wochen in den Sommermonaten nun verdoppelt - was den Gegnern theoretisch mehr Zeit und Gelegenheit gibt, den Deal doch noch irgendwie zu torpedieren.

Während der Überprüfungsfrist darf Obama keine Sanktionen gegen den Iran aussetzen, aufheben oder verringern. Deren Aufhebung war ein zentrales Versprechen, um Teheran am Verhandlungstisch für ein Abkommen zu gewinnen. Spricht sich der Kongress mit einer entsprechenden Resolution gegen die mit dem Iran erzielte Einigung aus, wird diese internationale Vereinbarung mit Teheran zwar nicht ungültig. Faktisch wäre dies aber dennoch ein herber Rückschlag für das Abkommen, da Obama die Strafmaßnahmen auch weiterhin nicht lockern und damit eine Kernzusage gegenüber den Iranern nicht einhalten könnte.

Obama könnte einen solchen Schritt des Kongresses innerhalb von zehn Tagen mit einem Veto zurückweisen. In diesem Fall wäre innerhalb weiterer zehn Tage eine Zweidrittelmehrheit in Abgeordnetenhaus und Senat nötig, um das Veto zu übergehen - was allerdings als kaum erreichbar gilt.

Wird das Atomabkommen - auf welchem Weg auch immer - angenommen, muss Obama dem Kongress alle 90 Tage bescheinigen, dass der Iran keine Terrororganisationen unterstützt. Hierbei geht es um Beweise konkreter Anschläge und Attentatspläne, die sich gegen die USA oder deren Verbündete richten. Der Iran gilt dem US-Außenministerium als Sponsor der radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas und der libanesischen Hisbollah-Miliz.

Update 10.15 Uhr: Irans Präsident Ruhani kündigt Rede an
Nach der Beilegung des jahrelangen Atomstreits will sich der iranische Präsident Hassan Ruhani in einer Rede an die Iraner auf der ganzen Welt wenden. Die Ansprache werde über Satellit übertragen, hieß es am Dienstag in Teheran. Damit sollen nicht nur die Iraner im Land selbst, sondern auch die im Ausland die Rede verfolgen können. In Teheran wird die Rede als ein »wichtiges außenpolitisches Manifest« ausgelegt. Die Ansprache ist nach der offiziellen Verkündung der Atom-Einigung vorgesehen, die für die Mittagszeit in Wien geplant ist.

Update 9.55 Uhr: Israels Vize-Außenministerin nennt Abkommen »historische Kapitulation«
Israels Vize-Außenministerin Zipi Chotoveli hat die Atomeinigung als Kapitulation gegenüber dem Iran kritisiert. Die israelische Nachrichtenseite »ynet« zitierte Chotoveli am Dienstag mit den Worten: »Dies ist ein historischer Kapitulationsvertrag des Westens gegenüber der Achse des Bösen unter der Führung des Irans.« Der Vertrag werde schlimme Auswirkungen für den gesamten Nahen Osten haben und bringe den Iran auf dem Weg zum atomaren Schwellenland einen großen Schritt weiter. »Wir werden mit allen diplomatischen Mitteln gegen den Vertrag vorgehen«, sagte Chotoveli weiter.

Auch andere israelische Politiker kritisierten die Übereinkunft mit dem Iran. Kulturministerin Miri Regev sagte, die Einigung sei »ein schlechtes Abkommen für die freie Welt«.

Oppositionspolitikerin Shelly Jachimovich sieht in dem Abkommen »ynet« zufolge vor allem eine Niederlage von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Dieser hatte wiederholt vor eine Einigung mit dem Iran gewarnt.

Update 9.50 Uhr: Israelischer Iran-Experte erwartet nach Einigung »Mutter aller Lobbyschlachten«
Nach der Atomeinigung mit Teheran erwartet ein israelischer Iran-Experte die »Mutter aller Lobbyschlachten« vonseiten der Gegner des Deals. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werde mit Sicherheit alles versuchen, um die Vereinbarung noch mit Hilfe des US-Kongresses zum Scheitern zu bringen, sagte Meir Javedanfar der Deutschen Presse-Agentur. »Ich denke, in den kommenden zwei Monaten werden wir Zeugen einer historischen «Mutter aller Lobbyschlachten» werden«, sagte der Politikwissenschaftler, der an Hochschulen in Herzlija und Haifa unterrichtet. »Geführt von Netanjahu und einigen Verbündeten Israels in den USA.«

Netanjahu gilt als schärfster Kritiker am Verlauf der Atomverhandlungen. Auch in den Reihen des US-Kongresses gibt es viele Gegner der Übereinkunft. Der Kongress, der ein gesetzliches Mitspracherecht hat, könnte innerhalb von 60 Tagen das Abkommen zumindest theoretisch noch kippen, obwohl dies als unwahrscheinlich gilt.

Einen militärischen Alleingang Israels gegen den Iran hält Javedanfar auch nach Unterzeichnung eines Abkommens, das Netanjahu als gefährlich und schlecht einstuft, für äußerst unwahrscheinlich.

Bisher sei Netanjahu mit seiner diplomatischen Kampagne gegen das Abkommen gescheitert, »weil seine Positionen als zu unrealistisch gesehen wurden«. Der israelische Regierungschef habe als Teil der Vereinbarung einen kompletten Stopp der Urananreicherung gefordert, ein Ende der Unterstützung für Terrororganisationen sowie eine iranische Anerkennung des israelische Existenzrechts. »Dies wurde als Übererwartung eingestuft.«

Update 9.45 Uhr: Ölpreise fallen
Die Ölpreise sind am Dienstag nach der Einigung im Atomstreit mit dem Iran deutlich unter Druck geraten. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im August kostete am Morgen 56,70 US-Dollar. Das waren 1,15 Dollar weniger als am Vortag. Der Preis für ein Fass der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) fiel um 1,22 Dollar auf 50,99 Dollar.

Die Vereinbarung mit dem Iran sieht auch vor, dass die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen das Mitglied der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) schrittweise aufgehoben werden. Damit ist der Weg frei für höhere Ölexporte des wichtigen Förderlandes Iran. In den vergangenen Handelstagen hatte bereits die Aussicht auf eine Einigung im Atomstreit die Ölpreise belastet. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) ist der Ölmarkt bereits jetzt »massiv überversorgt« und es sei mit weiteren Preisrückgängen zu rechnen.

Atomstreit mit Iran beigelegt

Der Atomstreit mit dem Iran ist nach 13-jährigem diplomatischen Ringen beigelegt. Die UN-Vetomächte, Deutschland und der Iran erzielten in zuletzt mehr als zweiwöchigen Marathonverhandlungen in Wien eine historische Einigung zur deutlichen Verringerung der Atomkapazitäten der Islamischen Republik. Das verlautete am Dienstagmorgen aus westlichen Diplomatenkreisen. Damit soll der Bau einer iranischen Atombombe unmöglich werden. Im Gegenzug werden die Wirtschaftssanktionen des Westens schrittweise aufgehoben.

Die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini kündigte für 10.30 Uhr ein letztes Treffen aller beteiligten Nationen an, auf dem Gelände der UN. Anschließend ist eine Pressekonferenz geplant.

Der skeptische US-Kongress - viele Abgeordnete lehnen jegliche politische Kooperation mit dem Iran ab - muss der Vereinbarung aber noch zustimmen. Israel läuft dagegen Sturm.

Die Übereinkunft ist in Zeiten vieler ungelöster Konflikte einer der ganz wenigen überragenden diplomatische Erfolge. Sie markiert einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen den USA und dem Iran nach 36 Jahren politischer Eiszeit. Das Abkommen bedeutet auch ein Ende der außenpolitischen Isolation Teherans und stärkt die Islamische Republik als Regionalmacht.

Nun steigen nach Überzeugung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Chancen, Krisen wie etwa in Syrien zu lösen. Während der Westen und Russland wegen des Ukraine-Konflikts politisch völlig zerstritten sind, haben sie im Fall des Iran-Abkommens eng koopertiert.

Zu den Kritikern der Annäherung zählen auch die Golfstaaten, die eine Verschiebung des regionalen Machtgefüges im Nahen Osten zugunsten des Irans befürchten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht den Iran, dessen Staatsdoktrin die Erzfeindschaft mit dem »Judenstaat« unantastbar festschreibt, nun auf dem Weg zur Atommacht. Außerdem werde der Deal Teherans »Terror- und Eroberungsmaschinerie Hunderte Milliarden Dollar liefern«. »Dieser Deal gefährdet den gesamten Weltfrieden«, so Netanjahu jüngst.

Der israelische Iran-Experte Meir Javedanfar erwartet nun die »Mutter aller Lobbyschlachten« von Seiten der Gegner des Deals. Netanjahu werde mit Sicherheit alles versuchen, um die Vereinbarung noch mit Hilfe des US-Kongresses zum Scheitern zu bringen, sagte der Politikwissenschaftler, der an Hochschulen in Herzlija und Haifa unterrichtet, der Deutschen Presse-Agentur.

Das Rahmenabkommen von Lausanne im April zeichnete den Weg für die jetzige umfassende Lösung vor. Laut Rahmenabkommen muss der Iran die Zahl der Zentrifugen zur Urananreicherung von 19 000 auf 6100 verringern, seine Bestände an niedrig angereichertem Uran von 10 000 auf 300 Kilogramm senken und darüber hinaus äußerst strenge und intensive Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zulassen.

Im Gegenzug werden in einem ersten Schritt die Einschränkungen für die Banken und das Öl-Embargo der EU aufgehoben. Damit kann Teheran wieder deutlich mehr Öl exportieren. Obendrein erhält das Land Zugang zu mindestens 100 Milliarden Dollar (90 Milliarden Euro), eingefroren auf ausländischen Konten.

Der Iran leidet seit Jahren unter einer Wirtschaftskrise. Von dem erhofften Boom könnte auch die deutsche Wirtschaft profitieren, die einen guten Ruf im Iran genießt. Schon die Einigung auf das Rahmenabkommen von Lausanne hatte für begeisterte Reaktionen bei der iranischen Bevölkerung gesorgt, die auf ein Ende der Wirtschaftsflaute hofft.

Zwischen den USA und dem Iran herrschte seit dem Sturz des Schahs 1979 und der Geiselhaft von 52 US-Diplomaten in der US-Botschaft in Teheran Eiszeit. US-Präsident Barack Obama hatte sich persönlich vehement für eine Einigung im Atomstreit eingesetzt. Die diplomatische Offensive war durch den reformorientierten iranischen Präsidenten Hassan Ruhani möglich geworden. Der hatte den rund 80 Millionen Iranern einen wirtschaftlichen Aufschwung versprochen.

* Aus: neues deutschland (online), Dienstag, 14. Juli 2015


Nicht zu früh freuen!

Abkommen über iranisches Atomprogramm

Von Knut Mellenthin **


Die Diplomaten haben in Wien ihre Schuldigkeit getan. Nach anderthalb Jahren intensiver Verhandlungen und einem 17tägigen Gesprächsmarathon der Außenminister gibt es ein Abkommen über das iranische Atomprogramm und die Aufhebung der internationalen Sanktionen. Jetzt beginnt in Israel und im US-Kongress die heiße Phase der Kampagne gegen die unter großen Schwierigkeiten erreichte Einigung.

Senat und Abgeordnetenhaus der USA haben im Mai ein Gesetz verabschiedet, das die Unterzeichnung der Vereinbarungen von ihrem Votum abhängig macht. Der Kongress hat nun 60 Tage Zeit, um über das Abkommen abzustimmen. Es gilt als sicher, dass er die Vereinbarungen ablehnt. Barack Obama würde dann sein Veto gegen diese Entscheidung einlegen. Danach wäre sowohl im Senat als auch im Abgeordnetenhaus eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, um das Veto unwirksam zu machen. Dazu müssten die Republikaner etliche demokratische Senatoren und Abgeordnete auf ihre Seite ziehen. Ob das gelingen wird, ist ungewiss.

Seit gestern tobt darum die politische Schlacht. Israels Präsident Benjamin Netanjahu hat am Dienstag den amerikanischen Kongress zur »letzten Verteidigungslinie gegen ein schlechtes Abkommen« erklärt. Schon am Montag hatte er in einer Fraktionssitzung seiner Likud-Partei den internationalen Verhandlungspartnern des Irans »Kapitulation« vorgeworfen und von einer »Parade der Zugeständnisse« gesprochen. Israelische Medien berichten, dass die Regierung eine »Task Force« zur Steuerung des Propagandakriegs gegen die Wiener Vereinbarungen gebildet habe.

Der Ton ist rauh und wendet sich von vornherein nicht an den Intellekt. Netanjahu twitterte auf seinem Internet-Account vor einer Woche: »Die ständig gesteigerte Aggression Irans ist schlimmer als die von ISIS. Das wahre Ziel dieser Aggression besteht letztlich darin, die Weltherrschaft zu übernehmen.« Seit Juni verbreitet die israelische Regierung einen Propaganda-Trickfilm, in dem es heißt: »Stellen Sie sich vor, der Islamische Staat baut Atombomben. Nun, das ist gar nicht so schwer: Der Islamische Staat Iran – genauso wie ISIS, bloß sehr viel größer.«

Selbstverständlich darf in diesen Tagen auch die Drohung nicht fehlen, Israel werde sich gegen den Iran »aus eigener Kraft verteidigen«. Obama hat der israelischen Regierung gleich zu Beginn seiner Amtszeit 2009 öffentlich grünes Licht für Militärschläge gegen den Iran gegeben. Diese Lizenz wurde bis heute niemals widerrufen. Auch nicht in Wien.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. Juli 2015

"Ein großer Schritt"

Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, erklärte am Dienstag (14.07.2015) zum Nuklearabkommen mit dem Iran:

Das Abkommen ist ein großer Schritt hin zu mehr Stabilität im Mittleren Osten. Dass es möglich wurde, haben wir US-Präsident Barack Obama und seinem iranischen Amtskollegen Hassan Rouhani zu verdanken, die mit der sinnlosen Konfrontationspolitik ihrer Vorgänger gebrochen haben.

Bei aller Freude über die heutige Übereinkunft darf eines nicht in den Hintergrund treten: die Menschenrechtslage im Iran. Es ist nun an der Bundesregierung, sich auch hier mit aller Kraft zu engagieren. Iran-Politik darf jetzt nicht nur Export-Politik sein, sie muss auch und zuerst Menschenrechtspolitik sein.

Ebenso wichtig wie das Abkommen selbst ist nun die wortgetreue Umsetzung durch alle Beteiligten. Die Verhandlungen in Genf haben Vertrauen geschaffen. Aber das ist schnell wieder zunichte gemacht, wenn bei der Umsetzung gezögert und getrickst wird.

Zuvor hatte die proisraeliche Lobbygruppe »Stop the Bomb« einen Beitrag von Saba Farzan (US-Thinktank Foreign Policy Circle) und Benjamin Weinthal (Mitarbeiter der Foundation for Defense of Democracies und Europa-Korrespondent der Jerusalem Post), zuerst veröffentlicht in der Wiener Zeitung (10. Juli 2015), verbreitet:

Als die Atomverhandlungen verlängert wurden, sprachen iranische Vertreter davon, dass es für sie keine Deadline gibt. Sie meinten damit nicht nur die Frist der Diplomatie. Für das Regime existiert auch in anderer Hinsicht keine Deadline: bei den gravierenden Menschenrechtsverletzungen. (…)

Die iranische Diktatur hat sich ihre Macht stets durch Aufgabenteilung gesichert. Die eine Seite – Expräsident Mohammed Khatami, Rohani, Zarif – ist mit geschmeidigem Lächeln und philosophischen Zitaten für die Verblendung zuständig. Und blenden ließen sich zuerst Europa und danach die USA nur zu gerne. Die andere Seite – Khamenei und die Militärs Qassem Suleimani und Mohammad Dschafari – ist für nackte Gewalt und Brutalität zuständig, nach innen und nach außen.

Im Wissen um all dies haben sich der größte Demokratieverbund der Welt und die stärkste demokratische Macht der Welt auf dieses Spiel eingelassen. Der Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums vom Juni zeigt, dass der Iran unter Rohani die Lage der unterdrückten Minderheiten (wie Kurden, sunnitische Muslime, Bahai) nicht verbessert hat.

Ein Atomdeal würde den Iran in die Salonfähigkeit bringen, und das würde eine dramatische Verschlechterung für die Menschenrechte dort bedeuten. Die westliche Welt müsste sich warm anziehen.




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