Alles in Butter? Kriegsgefahr gebannt?
Hat der Westen seine Strategie gegenüber dem Iran grundsätzlich geändert? Liegt der Schwarze Peter jetzt in Teheran? Oder rückt der Krieg immer näher?
Nach dem neuesten Angebot des Westens an den Iran und den zunächst positiven Reaktionen aus Teheran greift ein allgemeines Aufatmen um sich. Liegt tatsächlich eine fundamentale Kurskorrektur der USA im Konflikt mit dem Iran vor, oder spielt Washington nur auf Zeit? Setzt sich der Friedenswille bei den Hardlinern USA, EU und Bundesregierung durch, oder sind sie zu kosmetischen Änderungen gezwungen, um die Vetomächte Russland und China zu neutralisieren? Welche Rolle spielt die IAEO? Wird sie wieder die Initiative ergreifen oder die Verantwortung auf den UN-Sicherheitsrat abwälzen?
Fragen über Fragen. Wir wollen mit den nachfolgend dokumentierten Artikeln Anstöße zur weiteren intensiven Beschäftigung mit dem Problem geben. Die Kriegsgefahr ist mitnichten gebannt. Washington hat seinen Anspruch auf die Kontrolle der Ressourcen im Nahen und Mittleren Osten nicht aufgegeben. Auch die Rhetorik gegenüber dem "Schurkenstaat" Iran hat sich nicht geändert. Wer dem Iran vorwirft, der größte Helfer des internationalen Terrorismus zu sein, hat seinen Anspruch nicht aufgegeben, mit diesem Regime aufzuräumen - notfalls mit militärischen Mitteln.
Pst
Der Westen korrigiert seine Iran-Politik
Der Verzicht auf die endgültige und vollständige Urananreicherung im
Iran wird nicht mehr gefordert. Bundeskanzlerin Merkel erklärt
Angebotspaket für "flexibel" und "verhandelbar". US-Präsident Bush
bewertet erste Reaktionen Teherans als "positiv"
Von ANDREAS ZUMACH
Die fünf Vetomächte des UNO-Sicherheitsrats und Deutschland haben ihre
bisherige Forderung aufgegeben, Iran solle vollständig und dauerhaft auf
die Anreicherung von Uran verzichten. Diese und weitere Kurskorrekturen
insbesonders der US-amerikanischen Haltung im Konflikt um das iranische
Atomprogramm sind in dem Angebotspaket enthalten, dass EU-Außenkommissar
Javier Solana Teheran am Dienstag im Namen der sechs Staaten offiziell
unterbreitet hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte darüber
hinaus, es handele sich um "ein Angebot, um Verhandlungen aufzunehmen",
das zwischenzeitlich noch verändert werden könne.
Bis Ende Juni, und damit rechtzeitig vor dem nächsten G-8-Gipfel Mitte
Juli in Petersburg, soll Iran offiziell auf die jüngste Offerte
antworten. Diese Erwartung äußerten die Außenminister Russlands und
Deutschlands, Sergei Lawrow und Frank Walter Steinmeier am Mittwoch. Bis
zur offiziellen Antwort Irans werde der UNO-Sicherheitsrat sich nicht
mit dem Thema befassen, betonte Lawrow. Offiziell wird Teheran in dem
Angebotspaket keine Frist für eine Antwort gesetzt. Solana erklärte
seine Bereitschaft, bei Bedarf in den nächsten Wochen sich erneut in
Teheran oder in Brüssel mit Vertretern der iranischen Führung zu
treffen. Irans Außenminister Manutschehr Mottaki und der
Chefunterhändler für Nuklearfragen, Ali Laridschani, hatten sich nach
ihrem Treffen mit Solana am Dienstag vorsichtig positiv geäußert.
Allerdings gebe es noch einige "unklare Punkte". US-Präsident George
Bush bewertete die ersten iranischen Reaktionen als "positiv".
In Abkehr von ihrer bisherigen Haltung fordern die sechs Staaten Iran in
ihrem Angebotspaket lediglich auf, als Vorbedingung für Verhandlungen
"alle Aktivitäten im Zusammenhang mit der Urananreicherung und der
Wiederaufarbeitung nachprüfbar auszusetzen". Diese Suspendierung soll
auch für die Dauer von Verhandlungen gelten. Dabei soll dann vereinbart
werden, unter welchen Bedingungen Iran die Urananreicherung zum Zwecke
der Energiegewinnung eines Tages wieder aufnehmen kann.
Nach Vorstellung der USA wären die Voraussetzung hierfür, dass sowohl
die für die Überwachung des iranischen Atomprogramms zuständige
Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) als auch der
UNO-Sicherheitsrat feststellen, dass Iran keine verbotenen, auf die
Entwicklung von Atomwaffen zielenden Programme betreibt.
Nach Einschätzung von US-Diplomaten könnten bis dahin "Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte vergehen". Die verlangte Feststellung durch den
Sicherheitsrat könnte natürlich durch die Vetomacht USA jederzeit
verhindert werden.
Ebenfalls in Abkehr von ihrer bisherigen Haltung haben die fünf
Vetomächte und Deutschland auch keine Einwände mehr dagegen, dass Iran
weiterhin und ohne Einschränkung die Umwandlung von Natur-Uran in
Urangas - eine Vorstufe der Anreicherung - betreibt. Die Offerten der
sechs Staaten zur Lieferung von Nuklearbrennstäben an Iran sowie von
Leichtwasserreaktoren, die zur Atomwaffenentwicklung untauglich sind,
waren sämtlich bereits in dem "weitreichenden Angebot" enthalten, das
das EU-Trio (Frankreich, Großbritannien und Deutschland) Teheran im Juli
2005 unterbreitet hatte. Der entscheidende Unterschied: Die damaligen
Angebote des EU-Trios waren nicht verbindlich. Die Regierungen in
Berlin, Paris und London hatten seinerzeit befürchtet, die USA könnten
europäische Firmen, die Nukleartechnologie an Iran liefern, mit
Sanktionen belegen. Doch diesmal steht Washington voll hinter dem
Angebot an Teheran.
Auch die Bereitschaft der USA, die nach der islamischen Revolution von
1979 verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Iran zumindest teilweise
aufzuheben, ist nicht völlig neu. Bereits im März 2005 hatte die
Bush-Administration sich bereit erklärt, die Lieferung von Ersatzteilen
für die iranischen Boeing-Flugzeuge zuzulassen sowie das
Beitrittsbegehren Irans zur Welthandelsorganisation (WTO) zu
unterstützen. Damals galt als Vorbedingung allerdings noch die
Forderung, dass Teheran endgültig und vollständig auf die
Urananreicherung verzichtet. Das Angebotspaket an Teheran enthält -
entgegen anders lautenden Meldungen - keine militärischen
Sicherheitsgarantien. Hierzu ist die Bush-Administration weiterhin nicht
bereit. Für den Fall einer Ablehnung durch Teheran sieht das
Angebotspaket unter anderem ein Waffenembargo gegen Iran sowie Reise-
und Visabeschränkungen vor.
* Aus: taz, 8. Juni 2006
Kommentar:
ZWEI DER DREI HINDERNISSE IM ATOMSTREIT SCHEINEN AUSGERÄUMT
Bush ändert seine Iran-Politik**
Mit ihrem Angebot an den Iran haben die fünf Vetomächte des
UNO-Sicherheitsrats und Deutschland zwei der drei Hürden genommen, an
denen die Verhandlungen des EU-Trios vor einem Jahr gescheitert waren.
Die seinerzeitige Forderung von Frankreich, Großbritannien und
Deutschland, Teheran solle vollständig und für immer auf die
Urananreicherung verzichten, ist nun deutlich aufgeweicht. Jetzt ist nur
noch von zeitweiser Aussetzung der Urananreicherung die Rede. Die
damaligen Offerten zur Lieferung von Atomtechnologie durch europäische
Firmen waren nur unverbindlich, weil die Regierungen in Berlin, London
und Paris Sorge hatten, diese Firmen könnten von den USA mit Sanktionen
belegt werden. Die stellte im letzten Jahr die erste Hürde dar. Jetzt
steht Washington hinter dem Angebot.
Schließlich kommt erleichternd hinzu, dass die USA nach 29 Jahren
Kontaktsperre gegenüber Iran letzte Woche erstmals ihre Bereitschaft zu
direkten Nukleargesprächen mit Teheran erklärt haben. Somit
repräsentiert das neue Angebotspaket an Teheran in wesentlichen Punkten
eine Kurskorrektur der Bush-Administration. Dazu haben die gravierenden
außen- und innenpolitischen Probleme der Administration ebenso
beigetragen wie das beharrliche "Nein" Chinas und Russlands im
UNO-Sicherheitsrat zu der Resolution, die Washington ursprünglich
anstrebte und strikteste Sanktionen gegen den Iran vorsah.
Die dritte Verhandlungshürde des Jahres 2005 war Washingtons Weigerung,
dem Iran Sicherheitsgarantien zu geben. Dieses Hindernis besteht nun
zwar unvermindert fort. Doch in dem Maße, wie Mitglieder der
Bush-Administration sich künftig der Erörterung militärischer Maßnahmen
gegen Iran und eines "Regimewechsels" in Teheran enthalten, steigt die
Chance, dass diese Weigerung von den Hardlinern in Teheran nicht dazu
genutzt werden kann, um die Aufnahme von Verhandlungen noch zu
sabotieren. Haben die Verhandlungen erst einmal begonnen, dürfte - siehe
das Beispiel Nordkorea, bei denen die Gespräche jahrelang ohne
Durchbruch geführt wurden - irgendwann auch die Zeit reif sein, über
Sicherheitsgarantien zu reden.
ANDREAS ZUMACH
** Aus: taz, 8. Juni 2006
Die iranische Sackgasse
Niemand will einen Krieg in Irak - und dennoch rückt er immer näher
Von Pjotr Romanow, RIA Novosti
MOSKAU, 07. Juni (). Bis auf die paar Jahre vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges kommt mir keine andere Epoche mehr in den Sinn, in der die diplomatischen Ämter gleich mehrerer großer Staaten derart systemlos und völlig unproduktiv in ein und derselben Sackgasse gedrängelt und darüber gestritten hätten, wo denn der Ausweg aus dem Labyrinth liegt. Damals hat der Streit zu nichts geführt: Ein "bad guy" hat für eine ganze Gruppe von "good guys" unzählige Unannehmlichkeiten bereitet, während das Labyrinth selbst vom Krieg zerstört wurde.
Diesmal spielt Teheran, das einen der UNO-Mitgliedsstaaten dem Boden gleichmachen will, die Rolle des "bösen Burschen". Um ihn herum drängeln verschiedene Herren, darunter ein Amerikaner, ein Russe, ein Chinese, ein Engländer, ein Deutscher und ein Franzose. Alle schauen zwar auf Teheran mit gleichem Misstrauen, haben aber unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit dem "Bösen" zu tun ist. Die einen (Russland und China) wollen ihn auf eine sanfte Art zur Vernunft bringen, die anderen (die Europäer) auf eine raue Art, die Dritten - die Amerikaner - möchten ihn am besten möglichst schnell begraben.
Alle drei Optionen haben ihre Nachteile. Es gelingt leider nicht, das Ayatollah-Regime auf die milde Art zu besänftigen. Teheran besteht stur auf seinem Wunsch, Uran selbständig anzureichern, was ihm theoretisch den Weg zur Herstellung von Atomwaffen eröffnet. Moskau und Peking haben in Iran eigene Interessen. Gewohnheitshalber schauen diese Länder nicht nur in den morgigen Tag, sondern auch in die weitere Perspektive hinaus. Im Falle eines Krieges erscheint ihnen diese Perspektive überaus unerfreulich. Nicht mehr erfreulich ist für sie aber die Aussicht, dass Iran eine Atombombe bekommt, was leider nicht auszuschließen ist. Die Friedensbemühungen Moskaus und Pekings wirken insofern nur auf den ersten Blick völlig vernünftig. Der Pazifismus wird angesichts der unerschütterlichen Haltung Teherans wohl kaum helfen, einen Ausweg aus dem Labyrinth zu finden.
Nachteile hat auch die "raue" Option. Erstens: Damit wird gegen die Unschuldsvermutung verstoßen. Es mag durchaus Gründe geben, Iran böser Absichten hinsichtlich der Atomwaffenherstellung zu verdächtigen, reale Beweise dafür gibt es aber keine. Diese kann nicht einmal die IAEO, die Hauptexpertin für diese Fragen, vorweisen. Zweitens: Egal welche Sanktionen - bis auf die militärischen - gegen Teheran angewandt werden, sie werden kein Resultat bringen, wovon die gesamte historische UNO-Erfahrung zeugt. Angesichts einer ausreichenden Anzahl von Personen, die Geld machen möchten, auch aus Luft, wenn es sein muss, erweisen sich beliebige Sanktionen als löchrig und treffen nicht die Machthaber, sondern höchstens einfache Bürger. Außerdem berücksichtigt der Westen in diesem Fall eindeutig nicht den psychologischen Aspekt - das in Iran entstandene Regime hat ein starkes Nervensystem, feste, wenn auch fehlerhafte, Überzeugungen, und einen harten Willen. Insofern lässt es sich mit keinen Sanktionen unterkriegen.
Aber auch der amerikanische Traum - Iran zu "begraben" - ist in Wirklichkeit schwer realisierbar. Selbst die brutalsten Bombenangriffe (einschließlich eines Atombombeneinsatzes) würden der argwöhnischen Bush-Administration keine festen Garantien dafür geben, dass sie alle geheimen Nuklearlabors der Islamisten zerstört haben. Höhlen gibt es in Iran genug. Eine großangelegte Invasion birgt aber die Gefahr solcher Unannehmlichkeiten, im Vergleich zu denen der Krieg in Irak den Amerikanern wie eine Traumschiff-Kreuzfahrt vorkommen würde. Davon ganz zu schweigen, dass es ein überaus flagranter strategischer Fehler wäre, einen neuen Krieg zu starten, solange die Angelegenheiten in Afghanistan und Irak noch nicht erledigt sind, was selbst für die Amerikaner offensichtlich ist. Hinzu kommen alle zahlreichen negativen Folgen für die USA im Nahen Osten, unberechenbare Folgen für die Beziehungen mit vielen großen Staaten, einschließlich Chinas und Russlands, eine garantierte Niederlage der Republikaner bei den nächsten Präsidentenwahlen sowie viele andere mehr oder weniger katastrophale Unannehmlichkeiten im innenpolitischen wie im internationalen Bereich. Wie wir also sehen, wäre ein Krieg für die USA alles andere als bekömmlich.
Was würde aber Teheran ein Krieg bringen - davon abgesehen, dass Allah alle gefallenen Krieger ins Paradies holen wird? Im irdischen Leben haben die Iraner dafür eher äußerst unerfreuliche Aussichten: Zahlreiche Opfer und Zerstörungen und höchstwahrscheinlich einen Wechsel des Regimes. Und auch ein Ende des gesamten Atomprogramms, der Ursache für den ganzen Skandal. Die Perspektive, in den Besitz einer friedlichen Atomenergie zu kommen, von Kernwaffen ganz zu schweigen, sollten die Iraner wirklich von diesen träumen, würde in eine weite Perspektive rücken.
Mit anderen Worten: Niemand braucht diesen Krieg, wenn man es genau und vernünftig überlegt.
Wie aber die Geschichte beweist, führt es nicht unbedingt zu einem Frieden, wenn keiner der Teilnehmer des Konflikts einen Krieg will. Wenn jeder stur bleibt, und ein Ausweg aus der Sackgasse zu lange auf sich warten lässt, entsteht ein Durchgang unbedingt von selbst. Jemand wird unbedingt Initiative ergreifen und das Labyrinth sprengen. Dann kommt es eben zu dem Krieg, den heute alle so sehr vermeiden wollen.
Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 7. Juni 2006
Bush: Iranische Reaktion klingt positiv
Weiterhin keine Veröffentlichung des EU-Angebotspakets an Teheran. Spekulationen um Inhalte
Von Knut Mellenthin
Im Streit um Irans ziviles Atomprogramm scheinen zur Zeit alle Beteiligten bemüht, eine konstruktive Atmosphäre zu schaffen. Nachdem am Dienstag iranische Politiker das neue Angebotspaket der EU als »positiven Schritt« gewürdigt hatten, sagte am gestrigen Mittwoch US-Präsident George W. Bush, diese iranische Reaktion klinge positiv. Dabei hat noch keine Seite neue Positionen erkennen lassen. Das immer noch nicht veröffentlichte neue Angebot scheint lediglich aus Elementen zu bestehen, die schon früher zugestanden wurden. Auf der anderen Seite ist bisher nicht zu erkennen, daß Iran auf die Bedingung eingehen will, vor Verhandlungsbeginn alle Arbeiten an der Urananreicherung einzustellen.
Einige Medien verwirrten am Mittwoch mit der Behauptung, USA und EU wollten dem Iran nun doch die Urananreicherung gestatten. Gemeint ist damit die Konversionsanlage in Isfahan, in der als Vorstufe der Anreicherung Uran in Gasform umgewandelt wird. Daß die Iraner Isfahan weiterbetreiben dürfen, ist aber schon Teil des alten russischen »Kompromißvorschlags«, dem EU und USA ausdrücklich zugestimmt haben. Nicht neu ist auch das Versprechen, Rußland werde Iran mit Reaktorbrennstoff beliefern. Dazu hat Rußland sich ohnehin im 1995 abgeschlossenen Vertrag über den Bau des AKW Buschehr verpflichtet.
Ebensowenig neu ist die Klarstellung, daß als Vorbedingungen von Iran kein unbeschränkter Verzicht auf die Urananreicherung, sondern nur eine Unterbrechung für die Dauer der Verhandlungen gefordert wird. Nichts anderes steht auch in sämtlichen Resolutionen des Vorstands der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA).
Unterdessen hat der russische Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch erklärt, daß Rußland Sanktionen nur zustimmen würde, falls Iran den Atomwaffensperrvertrag bricht. Das jedoch ist bisher nach allen Erkenntnissen der IAEA nicht der Fall.
Aus: junge Welt, 8. Juni 2006
Zurück zur Iran-Seite
Zurück zur Homepage