Rechnung ohne den Wirt
Iran: Amerikas Kriegsdrohung stärkt die innere Restauration
Den folgenden Kommentar zum aktuellen Geschehen in und um Iran haben wir der - immer lesenswerten - Wochenzeitung "Freitag" entnommen.
Von Torsten Wöhlert
Dass Donald Rumsfeld von der Vorbereitung eines Krieges gegen Iran nichts weiß, können wir gleich wieder vergessen. Die Texas-Gang im Weißen Haus hat Betrug jetzt auch offiziell zur Staatsräson erklärt. Zwar spricht alle politische Logik dagegen, dass sich Bush vor der Präsidentschaftswahl im Herbst 2004 in ein neuerliches Militärabenteuer stürzen könnte. Doch der Druck bleibt, zu viele drängen darauf, eine weitere Schmach amerikanischer Nahostpolitik - den Sturz des Schah und den Verlust eines US-Vasallen durch die Islamische Revolution von 1979 - zu tilgen.
Das Kriegsziel ist ohnehin längst formuliert. Washington will nach Bagdad auch in Teheran einen Regimewechsel herbeiführen. Vorwände für einen Waffengang wären schnell gefunden. Verbündete hingegen kaum; vielleicht Bulgarien oder Polen. Damit aber wächst die Gefahr einer imperialen Überdehnung. Und diese Sorge ist dann auch der wichtigste Grund, warum sich prominente Hardliner wie Rumsfeld, Perle oder Wolfowitz eher zurückhaltend äußern. Noch. Denn der Machtkampf um den Kurs gegenüber Iran ist in vollem Gange. Ausgang ungewiss.
Gleiches gilt für Teheran, wo die Auseinandersetzungen zwischen konservativen Hardlinern und moderaten Reformern längst zum bestimmenden Merkmal der Innen- und Außenpolitik geworden sind. Das macht es der US-Kriegspropaganda einfach. Während offiziell jede Verbindung zu Terrornetzwerken dementiert wird, bestätigt das iranische Außenministerium die Festnahme Hunderter mutmaßlicher Al Qaida-Anhänger, auch des Sprechers der Organisation. Die Islamische Republik hat aus ihrer Unterstützung für gewalttätige, auch terroristische islamische Gruppierungen nie ein Hehl gemacht. Sie galt (und gilt) als probates Mittel, den eigenen Einfluss in der Region zu untermauern. Gleichzeitig ist genau diese Politik seit Jahren Gegenstand der internern Machtkämpfe - ebenso wie das Verhältnis zu den USA.
Ungeachtet aller anti-amerikanischen Rhetorik haben die informellen Kontakte zwischen Teheran und Washington während der Feldzüge in Afghanistan und Irak eher zu- als abgenommen. Was manche Beobachter als beginnendes Tauwetter deuteten, erwies sich als pragmatische Realpolitik mit einem für Teheran ungünstigen Ausgang. Während man in Washington vor allem daran interessiert war, iranisches Störpotenzial während der Kampfhandlungen auszuschließen, setzten die geheimverhandelnden Reformer auf dauerhafte Entspannung. Eine Rechnung, die ohne den Wirt gemacht wurde.
Die neue Landkarte der Region muss nun für jeden iranischen Strategieplaner ein Alptraum sein. Das Land ist von amerikanischen Truppen und deren Alliierten umzingelt. Genau in dieser Lage zieht Präsident Bush den nuklearen Joker und fordert einen Regimewechsel in Teheran. Noch besitzt Iran keine Atomwaffen und bestreitet alle diesbezüglichen Ambitionen. Aber es wäre naiv zu glauben, die nukleare Aufrüstung zielte ausschließlich auf zivile Nutzung. Zumal sich Teheran die militärische Option ausdrücklich offen hält, solange andere Staaten der Region wie Israel oder Pakistan über entsprechende Potenziale verfügen. Diese Auffassung kann sich durch die Arroganz amerikanischer Hegemonialpolitik bestärkt fühlen. Atomwaffen verheißen in diesem Kontext tatsächlich mehr Sicherheit vor einem Angriff. Jedenfalls für den Augenblick. Insofern ist Washingtons Strategie eines präventiven Regimewechsels durchaus konsequent. Sie folgt der Machtlogik und unterstellt: Wer die Mittel und den politischen Willen dazu hat, besitzt irgendwann auch Massenvernichtungswaffen. Da verbietet sich jeder Beweis, weil der die gesamte Strategie ad absurdum führen würde. Siehe Irak.
Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Bushs Forderung nach einem Regimewechsel auch in Iran durchaus eine breite Mehrheit findet. Das Reformpotenzial ist ausgereizt und die Enttäuschung so groß, dass die Konservativen jüngst bei Kommunalwahlen in Teheran dank einer Wahlbeteiligung von knapp zehn Prozent einen grandiosen Sieg einfuhren.
Man hat Präsident Khatami oft mit Gorbatschow verglichen. Jetzt scheint es, als sollte er dessen Schicksal teilen. Khatami steht für einen gesellschaftlichen Wandel, der nicht aufzuhalten ist und dessen Dynamik die Reformer überrollen wird. Jede Kriegsdrohung aber stärkt die Restauration und verkommt damit zur "self fulfilling prophecy". Gerade so, als ob Bush senior weiland versucht hätte, einen Boris Jelzin herbeizubomben.
Aus: Freitag 24, 06. Juni 2003
Zurück zur Iran-Seite
Zurück zur Homepage