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Iranisches Atompoker und die Kehrtwendung der Bush-Regierung

Werden die USA auf den Krieg verzichten, wenn es auch diplomatisch geht?

Die Friedensschalmeien, welche die US-Außenministeriun vergangene Woche gen Teheran geschickt hat, sind hier zu Lande auf ein geteiltes Echo gestoßen. Wie ernsthaft ist die "Kehrtwende" der Bush-Administration? Haben sich die europäischen Verhandlungspartner Deutschland, Frankreich und Großbritannien gegen den großen Bruder durchgesetzt? Oder behalten sich die USA doch noch den Militärschlag vor? Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus verschiedenen Pressekommentaren, die weiter nicht auseinander liegen könnten.



Doch zunächst die Meldungen:

Der Iran bleibt im Streit um sein Atomprogramm vorerst hart. Sein Land werde sich weder von den USA noch der EU durch Druck dazu zwingen lassen, sein Programm zur Anreicherung von Uran dauerhaft aufzugeben, sagte Präsident Mohammed Khatami am Samstag zum Abschluss seines Besuchs in Venezuela. Von dem am Freitag von der US-Regierung angekündigten Kurswechsel in der Iran-Politik des Landes zeigte sich Khatami unbeeindruckt.

Khatami sagte jedoch eine weitere Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien zu, damit die Welt Gewissheit erhalte, dass das Programm lediglich friedlichen Zwecken diene. Vor allem die USA, die in der Vergangenheit auch einen militärischen Einsatz gegen den Iran nicht ausgeschlossen hatten, verdächtigen Teheran, nach Atomwaffen zu streben.

In einer politischen Kehrtwende stellte Washington dem Iran jedoch am Freitag im Gegenzug für eine Beendigung der Urananreicherung wirtschaftliche Anreize in Aussicht. Damit vollzogen die USA einen Schulterschluss mit der EU, die eine diplomatische Lösung des Konfliktes anstrebt. US-Präsident George W. Bush betonte jedoch, der iranischen Führung müsse klipp und klar deutlich gemacht werden, dass die freie Welt keine Atomwaffen in ihrem Besitz dulden werde.

Khatami drang auf eine rasche Einigung bei den Verhandlungen mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Er unterstrich, die derzeitige Aussetzung seines Programms zur Urananreicherung sei, wie im vergangenen Jahr vereinbart, auf die Dauer der Gespräche mit den drei EU-Ländern begrenzt.

Außenamtssprecher Hamid Reza Assefi sagte am Samstag in Teheran, weder Druck noch Drohungen würden Teheran davon abbringen, Atomtechnologie für friedliche Zwecke zu verfolgen. US-Außenministerin Condoleezza Rice hatte am Vortag angekündigt, die USA würden die Aufnahme Irans in die Welthandelsorganisation WTO sowie Lieferungen von Ersatzteilen für iranische Zivilflugzeuge nicht länger blockieren. Dazu erklärte Assefi, eine Mitgliedschaft in der WTO sei kein Anreiz, sondern das gute Recht eines jeden Landes.

Russland, das im Iran das Atomkraftwerk Bushehr baut, reagierte am Samstag dagegen mit Lob auf die Offerte der USA. Das seien "neue Elemente in der amerikanischen Politik gegenüber dem Iran".

Quelle: dpa/DER STANDARD, Printausgabe, 14.03.2005

US-Außenministerin Condoleezza Rice hat einen britischen Zeitungsbericht vom 13. März zurückgewiesen, wonach Israel mit Rückendeckung aus Washington Angriffe auf iranische Atomanlagen plant, sollten die derzeitigen Verhandlungen im Atomstreit scheitern. Im US-Fernsehsender ABC antwortete Rice auf die Frage, ob US-Präsident George W. Bush grünes Licht für derartige Pläne gegeben habe: "Nein, ganz sicher nicht". Die USA seien davon überzeugt, den Streit auf diplomatischem Weg lösen zu können.
AFP, 14. März 2005


Saure Trauben für Teheran

VON KARL GROBE

Es sieht aus wie ein Zeichen der Vernunft, und es ist vernünftigen Überlegungen entsprungen - das Washingtoner Zeichen, sich künftig in der Iran-Politik der europäischen Strategie anzunähern. Sofern Teheran auf die Entwicklung von Nuklearwaffen nachprüfbar verzichtet, wird ihm wirtschaftliche Belohnung zuteil; an den Verhandlungen jedoch will Washington sich nicht beteiligen.

Das ist eine recht heftige Wende. Der US-Präsident hat bisher darauf beharrt, für einen iranischen Bombenverzicht gebe es "keine Belohnung". Die Bemühungen der drei EU-Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland, denen Washington nun seine eigenen höheren Weihen zuerkennt, wurden höhnisch und hochmütig abqualifiziert. Dass sie nun doch als gar nicht so schlecht gelten dürfen, hat Gründe.

Wie immer bei komplizierten Abmachungen ist es unerlässlich, das Kleingedruckte nachzulesen und das Nichtgedruckte und Nichtgesagte zu bedenken. Das Kleingedruckte enthält eine die Europäische Union verpflichtende Klausel, im Fall des Scheiterns die Sache dem UN-Sicherheitsrat vorzulegen. Ja doch, die Weltorganisation gilt wieder etwas, wenngleich die Ernennung des UN-Verächters und Oberfalken John Bolton zum US-Vertreter dortselbst ein ganz anderes Signal zu sein scheint. Schließlich müsste ein Votum des Rats gegen etwaige Kriegswünsche Washingtons nicht unbedingt zur vollen Rechtskraft gedeihen. Das Spielchen ist aus der Vorgeschichte des Irak-Kriegs noch gut bekannt.

Die Unfähigkeit der USA, die in Saddam Husseins Diktaturstaat hinein gelogenen Massenmord-Werkzeuge dann auch wirklich zu finden, soll sich nicht ein Land weiter östlich wiederholen. Es gibt ja Hinweise genug, dass Iran, anders als Irak, wirklich etwas hat, auf das es vertraglich verzichten kann.

Irak steht darüber hinaus für das Nichtgedruckte und Nichtgesagte im iranischen Kontext. Der Krieg gegen Irak und seine Folgen dort haben die Generalplanung des Pentagon durch den Altpapierschredder gejagt. Das ist den Beobachtern in Washington nicht entgangen. Zur Erinnerung: Es gab vor dem Krieg eine Doktrin, die sich in den Zahlen 10 - 30 - 30 zusammenfassen lässt: Zehn Tage zur Feinplanung des Angriffs, 30 Tage bis zum militärischen Sieg, 30 Tage zur Umgruppierung der Streitkräfte zwecks Behandlung des nächsten Kunden. Das hat nicht funktioniert. Das andere vorgegebene Kriegsziel, Demokratie zu schaffen, ist an der fortgesetzten Gegengewalt gescheitert; die Militärmaschinerie der Supermacht hat sich festgefahren und kann bis auf weiteres nicht raus.

Damit fällt der zweite Bestandteil der Rumsfeld-Wolfowitzschen Lehre, die USA müssten zu zwei Kriegen in weit voneinander entfernten Weltgegenden zur gleichen Zeit fähig sein. Dies im Zuge der allgemeinen Doktrin vom Vorbeugekrieg gegen jeden, der sich irgendwie anschicke, irgendwann einmal die USA bedrohen zu können. Und hier setzen die Überlegungen ein, vernünftigerweise auf einen Iran-Krieg zu verzichten, wenn es auch mit Diplomatie geht. Die altgriechische Fabel von den sauren Trauben ist modern genug, um das zu erklären.

Dies wird natürlich nicht so gesagt. Es scheint dennoch Kern der Sache. Kern auch der Planungen, die das Pentagon pflichtgemäß alle vier Jahre unter dem Stichwort Quadrennial Defense Review gerade begonnen hat. Es dürfte noch ein Weilchen - an die zehn Monate - dauern, bis das abgeschlossen ist. Klar scheint aber die Hinwendung zur Verteilung der Lasten zu sein, und zwar auf möglichst viele Freunde und Verbündete. Die so ärgerlich verzögernden Aufräumarbeiten nach dem Blitzsieg können und sollen andere erledigen; woraus ersichtlich ist, wie nützlich Verbündete und Weltorganisationen der Supermacht sein können.

Die euro-amerikanische Einigung auf den Einsatz diplomatischer Mittel, um die Lunte am wohl noch nicht ganz fertigen iranischen Atom-Sprengsatz abzuschneiden, bevor sie glimmt, hat diesen Hintergrund. Gewiss spielen die doch recht überzeugenden Gründe, die die drei europäischen Staaten vortragen, eine Rolle; aber nicht die Hauptrolle. Dass die Hintertür zum Umweg über den Sicherheitsrat, zu Resolutionen und - letztes Mittel - Attacken weit offen bleibt, sollte man nicht übersehen.

Die Ernsthaftigkeit der neuen Linie lässt sich an anderem Ort ganz gut überprüfen. In Korea nämlich. Kim Jong Il, vielleicht ein Monomane, aber gewiss kein Dummkopf, wird die Entwicklung genau analysieren lassen. Auch dort ist Diplomatie noch möglich. Und auch hier bedarf es der Vernunft auf beiden Seiten.

Aus: Frankfurter Rundschau, 14. März 2005

Offenes Atomspiel

Die iranischen Statements zur eigenen Atompolitik entpuppen sich bei näherer Betrachtung als eine Menge Rauch - Von Gudrun Harrer

Wer erwartete, dass ein geläuterter Iran erleichtert in die offenen Arme der USA sinken würde, die nun eine Verhandlungslösung im Atomstreit unterstützen, wurde am Wochenende enttäuscht. Allerdings entpuppen sich die iranischen Statements bei näherer Betrachtung als eine Menge Rauch, unter dem nur wenig Braten sichtbar wird. In einer Verlautbarung des Außenministeriums heißt es etwa, dass der Iran nicht auf Atomtechnologie verzichten wird - aber nicht, ob das auch unbedingt die Urananreicherung beinhaltet. Und Präsident Mohammed Khatamis Aussage, dass man das Recht auf Urananreicherung nicht aufgeben werde, sagt auch nahezu nichts aus: Es reicht ja, wenn Teheran auf die Urananreicherung selbst verzichtet.

Der Ausgang bleibt also offen. Vor den Präsidentschaftswahlen im Mai wird man wohl kaum einen Kniefall der Mullahs sehen - Abstriche bei der nationalen Sicherheit und Souveränität kommen im Wahlkampf, der im Iran ja keine Augenauswischerei ist wie in anderen Ländern der Region, nicht gut. (...)

Das Spiel läuft aber keineswegs nur zwischen dem Iran und dem Westen, sondern auch zwischen den USA und Europa. Vor allem Frankreich nützt den Fall Iran - wie auch den Fall Syrien -, um sein Verhältnis zu den USA wieder zu verbessern. Dafür, dass sie wieder ein wenig mitspielen dürfen, tragen die Franzosen die Option mit, die Sache eventuell an den UNO-Sicherheitsrat zu überweisen. Aber auch das US-Einlenken ist interessant: Es könnte eine gewisse Sorge reflektieren, dass die Europäer bei einer friedlichen Einigung mit dem Iran alles kassieren und nichts für die USA übrig bleibt. Denn wie immer geht es eben auch ein bisschen ums Geschäft.

Aus: DER STANDARD, Printausgabe, 14.03.2005

Iran-Entscheidung bis Juni?

Streit um Atomprogramm: »Europa und die USA sprechen wieder mit einer Stimme« – mit der Stimme der Bush-Regierung

Von Knut Mellenthin

Das Angebot der USA sei »zu unbedeutend, um es überhaupt zu kommentieren«. Mit diesen Worten hat Sirus Naseri, ein hochrangiges Mitglied der iranischen Verhandlungsdelegation, am Freitag die in deutschen und anderen westlichen Medien gefeierte angebliche Änderung der amerikanischen Position zurückgewiesen. Iran halte an seinem Recht zur Urananreicherung als Teil seines zivilen Energieprogramms fest, bekräftigte Naseri. »Das Problem ist, daß die Europäer ihren unlogischen Standpunkt aufgeben sollten.«

Zuvor hatte die US-Außenministerin Condoleezza Rice den seit Wochen angekündigten Beitrag ihrer Regierung zu den Verhandlungen des EU-Trios Großbritannien, Frankreich und Deutschland mit dem Iran erläutert. Er besteht aus genau zwei Punkten: Erstens würden die USA ihren Widerstand gegen Irans Aufnahme in die Welthandelsorganisation WTO fallenlassen, wenn Teheran auf die Uran-Anreicherung verzichtet. Zweitens würde Washington unter dieser Voraussetzung »erwägen, von Fall zu Fall der Erteilung von Lizenzen für die Lieferung von Flugzeugersatzteilen an Iran zuzustimmen«. Um an der Absicht dieses schmalen »Angebots« keinen Zweifel zu lassen, sagte Rice, es gehe nicht darum, den Iranern irgend etwas zu geben, sondern nur darum, den Druck auf Teheran zu verstärken und eine gemeinsame Position zu demonstrieren.

Als Gegenleistung haben die EU-Regierungen sich offenbar bereiterklärt, gemeinsam mit den USA die Iraner im UNO-Sicherheitsrat anzuklagen, sobald Teheran die Arbeiten an der Urananreicherung wieder aufnimmt, die es als Zeichen guten Willens für die Dauer der Verhandlungen unterbrochen hat. Eine entsprechende Zusicherung steht angeblich in einem Brief des EU-Trios, der nicht veröffentlicht wurde.

Das US-amerikanische »Angebot« kommt nach mehr als viermonatigen europäisch-iranischen Gesprächen zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verhandlungen ganz offensichtlich in einer Sackgasse gelandet sind. Iran hält an seiner von Anfang an klar formulierten Haltung fest, daß es zu jeder Form von kontrollierter Garantie für seinen Verzicht auf Atomwaffen bereit ist. Nicht aber zur Einstellung der Arbeiten an der Urananreicherung, zu der es aufgrund des Atomwaffensperrvertrags zweifelsfrei berechtigt ist. Die EU-Regierungen, die unter starkem Druck der USA und Israels stehen, sind jedoch zu keinerlei Kompromiß bereit.

Auf dieser Grundlage könnte man endlos verhandeln, ohne voranzukommen. Da Iran für die Zeit der Gespräche die Urananreicherung »eingefroren« hat, ist es vor allem Teheran, das allmählich so oder so zu einem Abschluß kommen will. Ein Schlüsseltreffen mit dem EU-Trio werde am 23. März in Paris stattfinden, sagte Irans Chefunterhändler Hassan Rowhani. Von dessen Verlauf werde die Fortsetzung der Gespräche abhängen.

Spätestens im Juni, auf der nächsten Sitzung der internationalen Atomenergieagentur IAEA, will auch die US-Regierung eine Entscheidung erreichen. Das Gremium faßt Beschlüsse einstimmig. Sollten die USA dort nicht durchkommen, ist ein gemeinsamer Vorstoß von Amerikanern und Europäern im UNO-Sicherheitsrat zu erwarten, um Sanktionen zu beschließen. Er freue sich, daß die USA und ihre Verbündeten wieder mit einer Stimme sprechen, sagte Bush. Es ist seine eigene.

Aus: junge Welt, 14. März 2005

United against Tehran

If there is one lesson to be unearthed from the rubble of the Iraq war it is that it is easier to set the world to rights if America and Europe are on the same side.

So it is good news that the US and its biggest EU partners, Britain, France and Germany, have now agreed on a common approach to the vexed issue of Iran's nuclear ambitions. By accepting that Tehran can be offered economic incentives to come clean about its alleged clandestine weapons programmes, Washington has secured tacit European support for referring the issue to the UN security council, which could impose sanctions, if that does not happen.

This is a significant and welcome convergence of views, and far better than US threats, veiled and not so veiled, that unilateral military action and regime change might be considered if Iran remained defiant. It is bad news that no sooner was this joint initiative announced on Friday than Iranian ministers scornfully rejected it.

Europe's big three were galvanised into action in late 2003 to avoid a divisive replay of the Iraq crisis, eventually winning a suspension of uranium enrichment, which can be used to make atomic weapons.

Tehran's insistence that it wants nuclear technology solely for civilian power generation - available under the terms of the nuclear non-proliferation treaty - is not widely believed, not least because of 18 years of evasion and lies about its activities.

Israel, itself an undeclared nuclear power, has been banging the drum ominously, warning that unless something is done, the mullahs could have a bomb within five years, and that it will act if the US does not. Others, including the CIA, are not so sure, but are still deeply worried.

Under the terms of the new agreement, the US will back Iran's accelerated entry into the World Trade Organisation and permit spare parts to be sold for the country's airliners. The idea is to engage with Iran by appealing to its self-interest to force a strategic choice on a country with a young population and a desperate need for investment, jobs and growth. The alternative will be isolation.

George Bush began to shift towards a compromise on his recent visit to Europe despite having long insisted he would never "reward" Tehran, in his eyes a sponsor of terrorism, for doing the right thing.

Part of his carrots and sticks bargain with the EU three is that the US will play down its "outpost of tyranny" rhetoric, which tends to boost Iran's hardliners. Transatlantic unity cannot solve all problems - and there is clearly no guarantee that it will work in this very difficult case. But it is a sensible basis on which to start.

March 14, 2005, The Guardian


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