"... gute strategische Gründe, sich unsicher zu fühlen"
In Iran-Debatte der USA mischen sich Töne der Vernunft
Von Max Böhnel, New York *
Nach der weltweiten Veröffentlichung von Bildern »erfolgreicher« iranischer Raketentests am
Mittwoch und Donnerstag ist Iran in den USA erneut Wahlkampfthema.
Der designierte Präsidentschaftskandidat der Republikaner, John McCain, forderte ausschließlich
schärfere Sanktionen gegen Teheran, während sein Kontrahent von den Demokraten, Barack
Obama, für eine Kombination von Zuckerbrot und Peitsche plädierte. McCain erneuerte seinen
Vorwurf, Obama sei dabei »zu kompromissbereit«. Obama wiederum meinte, McCain würde nur die
»wirkungslose« Politik der Bush-Regierung fortsetzen wollen.
Teheran habe »sich offensichtlich nicht geändert«, sagte McCain. »Die Zeit für wirksame Sanktionen
ist gekommen.« Obama habe im vergangenen Jahr im Senat gegen die Einstufung der iranischen
Revolutionsgarde als »Terrororganisation« gestimmt. Obama sei nicht gegen diese Bezeichnung
gewesen, konterten Sprecher des demokratischen Kandidaten, sondern gegen die allgemein
»aggressive« Sprache in der Senatsresolution. Darin seien Schläge des USA-Militärs auf Iran von
Irak aus nicht ausgeschlossen worden. Der Obama-Sprecher Hari Sevugan fügte hinzu: »Iran
betreibt 3800 Zentrifugen, bedroht Israel, mischt sich in Irak ein und finanziert Terroristen. Die
gegenwärtige Iranpolitik, die Senator McCain befürwortet hat, ist klar gescheitert.«
Auch Obamas mehrfach wiederholte Bereitschaft, mit der Teheraner Führung direkt zu verhandeln,
stieß im Lager McCains auf Kritik. »Nicht einseitige Zugeständnisse, die die multilaterale Diplomatie
unterminieren, sind die beste Antwort auf die iranische Bedrohung, sondern die Zusammenarbeit mit
unseren europäischen Alliierten und regionalen Verbündeten«, hieß es in einer Erklärung. Darüber
hinaus seien die iranischen Raketentests eine erneute Rechtfertigung für von den USA betriebene
Raketenabwehrsysteme in der Tschechischen Republik und in Polen. Worauf die Obama-Strategen
verlautbaren ließen, die Spannungen mit Iran seien nicht zuletzt das Ergebnis einer unzureichenden
USA-Diplomatie.
Stillschweigen herrschte dagegen in beiden Lagern, als sich Bilder von Raketentests als
Fälschungen herausstellten. Teheran hatte mindestens ein Foto, auf dem die Weiterentwicklung der
Langstreckenrakete Shahab-3 zu einer Reichweite von 2000 Kilometern und damit auf israelisches
Staatsgebiet suggeriert worden war, manipuliert. Am Wochenende bezweifelten Experten auch, ob
Teheran überhaupt ein neues Langstreckenmodell mit einer größeren Reichweite getestet hat. Am
Mittwoch waren statt der vermeintlichen vier nur drei Raketen abgeschossen worden, am
Donnerstag nur eine. Der Außenpolitikexperte Graham Allison von der Kennedy School of
Government an der Harvard University sagte gegenüber der »New York Times«, die
Militärkapazitäten Irans hätten sich »keineswegs verbessert«. Charles Vick, ein Iranexperte der
Forschungsgruppe Globalsecurity.org, sagte, eine Shahab-Rakete auf einem Video sei in
Wirklichkeit eine Kurzstreckenrakete Typ Scud-C gewesen. Mit den Bildern von den Tests habe
Teheran »seit Langem Bekanntes« digital manipuliert. Er sei »nicht beeindruckt«.
Unterdessen gab der Leiter des National Intelligence Council, Thomas Fingar, bei einem Vortrag im
Washingtoner »Center for National Policy« einen Einblick in das strategische Denken eines
Großteils der USA-Aufklärer, die sich mit Iran befassen. Iran habe »echte Sicherheitsbedürfnisse
und gute strategische Gründe, sich unsicher zu fühlen«, sagte Fingar, der gegen einen Krieg und für
Diplomatie auftrat. Die USA seien »Teil des Grundes« mit ihren Truppen in Irak und Afghanistan. Die
Raketentests Teherans seien Versuche, zumindest den Anschein zu erwecken, es verfüge über
militärische Abschreckungskapazitäten.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2008
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