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Viel Stimmung, wenig Inhalt

Nach dem Genfer Treffen über das iranische Atomprogramm geben sich alle Beteiligten optimistisch und wollen weiter verhandeln. Aber man weiß noch nicht, worüber

Von Knut Mellenthin *

In den seit zehn Jahren heftig geführten internationalen Streit um Irans ziviles Atomprogramm scheint Bewegung zu kommen. Nach zweitägigen Verhandlungen zwischen hochrangigen Vertretern Irans und der Sechsergruppe, die am 15. und 16. Oktober in Genf stattfanden, bekundeten alle Beteiligten Zuversicht in die Möglichkeit einer diplomatischen Verständigung und einer grundlegenden Verbesserung der Beziehungen zwischen Iran und dem Westen. Catherine Ashton, die Außenpolitikchefin der EU, die die Sechsergruppe als Sprecherin repräsentiert, erklärte, daß es sich um die »eingehendsten« (most detailed) Gespräche gehandelt habe, die jemals mit dem Iran zu diesem Thema geführt wurden. Ähnlich äußerte sich der Pressesprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif sagte, das Genfer Treffen sei »hoffentlich der Beginn einer neuen Phase in unseren Beziehungen«.

Die iranische Seite präsentierte ein neues Angebot, das Zug um Zug einerseits Schritte vorsieht, mit denen der ausschließlich zivile Charakter des iranischen Atomprogramms kontrollierbar garantiert werden soll, und das andererseits die Gegenseite, vor allem die USA und die EU-Staaten, zur planmäßigen Aufhebung aller Sanktionen verpflichten würde. In einer gemeinsamen Stellungnahme von Ashton und Sarif heißt es, daß die Gespräche »substantiell und vorwärtsweisend« gewesen seien. Der iranische Vorschlag wird als »wichtiger Beitrag« bezeichnet, den die Staaten der Sechsergruppe nun »sorgfältig prüfen« würden. Ein nächstes Treffen wurde für den 7. und 8. November, wiederum in Genf, vereinbart. Zuvor sollen Experten aller Beteiligten zusammenkommen, »um über Meinungsverschiedenheiten zu sprechen und praktische Schritte zu entwickeln«.

Über den Inhalt des zu Beginn des Genfer Treffens von Sarif präsentierten iranischen Vorschlags wurden bisher nur vage Andeutungen bekannt. Die vereinbarte Vertraulichkeit, behauptete der iranische Außenminister auf Facebook, sei günstig für die Verhandlungen, denn: »Normalerweise ist es so, daß sich die Ernsthaftigkeit der Verhandlungen und die Möglichkeit des Erreichens einer Verständigung um so mehr zeigt, je weniger die Verhandelnden nach außen dringen lassen«.

An der Weisheit dieses Spruchs kann man im vorliegenden Fall zweifeln. Die Erreichung einer umfassenden Kompromißlösung setzt vor allem in den USA, aber auch im Iran und einigen europäischen Ländern, einen Kampf um die »öffentliche Meinung« voraus. Auf beiden Seiten gibt es starke politische und gesellschaftliche Kräfte, die ihre Regierung verdächtigen würden, sie lasse sich »über den Tisch ziehen«, sobald es nicht nur zu verbalen Komplimenten und Gefälligkeiten, sondern zu realen, praktischen Schritten käme.

Die US-Regierung wird schon in allernächster Zeit maßgebliche Senatoren und Abgeordnete über alle Einzelheiten des iranischen Vorschlags und ihre eigenen Pläne informieren müssen. Das iranische Parlament erwartet eine entsprechende Unterrichtung am Sonntag. Außerdem sitzt Israel unsichtbar, aber unübersehbar mit am Verhandlungstisch und hat seitens des Westens de facto ein Veto-Recht gegen jede Verhandlungslösung. Vor diesem Hintergrund wird es bei der vereinbarten Vertraulichkeit nicht lange bleiben. Es drohen, weit schlimmer als jede Veröffentlichung des wirklichen Sachverhalts, Gerüchte und Spekulationen. Im Iran wurden schon vor dem Genfer Treffen mehrmals angebliche Falschmeldungen über den Inhalt des iranischen Angebots dementiert.

Die US-amerikanischen Sanktionen gegen den Iran, die weitaus schwerwiegender sind als die vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen, könnten nur durch Kongreßbeschlüsse wieder aufgehoben werden. Die Tendenz bei der Mehrheit des Abgeordnetenhauses und des Senats geht aber derzeit im Gegenteil dahin, das bestehende Sanktionsregime sogar noch zu verschärfen. Dessen Lockerung würde auch dadurch erschwert, daß viele Sanktionen nicht nur mit dem Atomprogramm begründet sind, sondern auch mit der iranischen Innenpolitik und mit der Unterstützung für Organisationen wie Hisbollah und Hamas.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Oktober 2013


»Teheran an seinen Taten messen«

Israel bleibt nach Genfer Gesprächen skeptisch **

Nach den jüngsten Genfer Beratungen über das iranische Atomprogramm bleibt Israel hart: Ohne praktische Schritte zur Stilllegung dürften Sanktionen nicht gelockert werden.

Die optimistischen Äußerungen nach den Atomverhandlungen der fünf UN-Vetomächte plus Deutschland mit Iran können Israel nicht überzeugen. Regierungschef Benjamin Netanjahu will sich in der kommenden Woche in Rom mit dem US-amerikanischen Außenminister John Kerry treffen, um über die Bedenken Israels zu reden.

»Iran wird an seinen Taten gemessen werden und nicht an seinen PowerPoint-Präsentationen«, sagte ein Regierungsvertreter am Donnerstag in Jerusalem. »Bevor wir keine praktischen Schritte sehen, die beweisen, dass Iran sein militärisches Atomprojekt stilllegt, muss die internationale Gemeinschaft die Sanktionen aufrechterhalten«, fügte der Sprecher hinzu.

Iran hatte bei den Atomgesprächen in Genf neue Vorschläge unterbreitet. Teheran beharrt zwar auf seinem Recht auf ein friedliches Atomprogramm einschließlich Urananreicherung, ist nach eigener Darstellung aber bereit, die Anreicherung zu begrenzen und die Atomanlagen einfacher kontrollieren zu lassen. Aus Diplomatenkreisen verlautete, dass das Land zudem die Zahl der Zentrifugen für die Anreicherung beschränken wolle.

Die Gespräche sollen am 7. und 8. November fortgesetzt werden, wie die EU-Außenbeauftragte und Verhandlungsführerin Catherine Ashton mitteilte. Sie würdigte die Vorschläge Irans als »wichtigen Beitrag«.

Auch Iran zeigte sich zufrieden. Außenminister Mohammed Dschawad Sarif bezeichnete die Gespräche als »umfangreich und fruchtbar«. Beide Seiten seien ernsthaft daran interessiert, eine Lösung zu finden. Die Delegation aus Teheran hatte einen Dreistufenplan zur Lösung des Konflikts vorgelegt, der von US- und EU-Diplomaten als viel versprechende Grundlage gewürdigt wurde. Über die genauen Inhalte wurde Stillschweigen vereinbart.

Teheran kündigte aber ein entscheidendes Zugeständnis an. Auf lange Sicht sollten unangekündigte internationale Prüfungen in den iranischen Atomanlagen erlaubt werden, sagte der iranische Vizeaußenminister Abbas Aragschi. Der von seiner Regierung in Genf vorgelegte Plan sehe die spontanen Prüfungen zwar »nicht in der ersten«, aber »in der letzten Stufe« vor, so Aragschi.

Als »offen wie nie zuvor« hat indes ein ranghoher US-Vertreter die in Genf zu Ende gegangenen Verhandlungen zwischen der Sechsergruppe und Iran bewertet. Die Sechsergruppe habe »von Iran mehr bekommen als je zuvor, sie braucht aber noch mehr«, fügte er hinzu. Zugleich räumte der Vertreter der US-Administration ein, dass es in Genf nicht gelungen sei, eine Einigung darüber zu erzielen, welche Sanktionen gegen Iran in der Perspektive aufgehoben werden könnten. Zu dieser Frage blieben weiterhin Meinungsdifferenzen bestehen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Oktober 2013


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