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Irans Geisterstützpunkt am Roten Meer

Von Knut Mellenthin *

Im Internet kursieren seit einigen Wochen Gerüchte, dass der Iran Langstreckenraketen, Luftabwehrraketen und Soldaten in der Umgebung der eritreischen Hafenstadt Assab stationiert habe. Das unmittelbare Ziel bestehe darin, die Raffinerie von Assab zu schützen, die angeblich im iranischen Auftrag produziert. Zugleich gehe es Iran aber auch darum, die zwischen Eritrea und dem Jemen gelegene, nur 27 Kilometer breite Meerenge des Bab al-Mandab unter Kontrolle zu bringen. Das „Tor der Tränen“ ist die Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden. Also ein Punkt von allergrößter strategischer Bedeutung.

Die Gerüchte, die unverständlicherweise auch auf einigen sich als links verstehenden deutschen Seiten als nicht hinterfragte Tatsachenbehauptungen zu finden sind, meist ohne Angabe irgendeiner Quelle, lassen sich eindeutig zu ihren Urhebern zurückverfolgen: Sie tauchten zuerst am 25. November auf der englischsprachigen Website der Eritreischen Demokratischen Partei (EDP) auf, die Büros in der äthiopischen Hauptstadt Adis Abeba und in Washington unterhält. Angesichts der fortdauernden Feindschaft zwischen Äthiopien und Eritrea, das 1993 nach dreißigjährigem Befreiungskrieg seine Unabhängigkeit erlangte, macht die Kollaboration der EDP mit dem Regime in Addis Abeba deutlich, um welche Art von „Oppositionspartei“ es sich handelt.

Allerdings besagte die ursprüngliche Meldung der EDP nur, dass Iran die von Russen gebaute Raffinerie von Assab wieder instand setzen wolle. Von Soldaten stand dort ebenso wenig wie von Raketen. Die wurden erst in den folgenden Tagen von den Kolporteuren der Meldung hinzugedichtet. Richtungsweisend war dabei ein Artikel, der am 29. November in der Sudan Tribune erschien. Dort wurde zusätzlich das reizvolle Detail beigesteuert, Iran habe Truppen und Raketen mit U-Booten nach Assab transportiert.

Die Sudan Tribune erscheint in Paris und steht offensichtlich den pro-westlichen Rebellengruppen im Südsudan nahe.

Im weiteren Verlauf nahmen sich unter anderem auch ein israelisches Fernsehprogramm, YNet (die Online-Ausgabe der größten israelischen Tageszeitung Jedioth Ahronoth) und der zionistische Nachrichten- und Übersetzungsdienst MEMRI der Sache an. Ihre endgültige Form erhielt die Geschichte schließlich durch einen Artikel von Joseph Grieboski, der am 8. Dezember auf der neokonservativen Website The Cutting Edge News erschien. Die meisten Meldungen auf deutschen Internetseiten lassen sich durch ihren Wortlaut auf Grieboskis Text zurückführen. Ihm war nämlich, anscheinend als erstem, aufgefallen, dass der Transport von Truppen und Langstreckenraketen mit U-Booten sehr unwahrscheinlich war und die Gerüchte unnötig diskreditierte. Er führte deshalb auch Schiffe als Transportmittel ein und schrieb: „Iran ships and submarines have deployed an undisclosed number of Iranian troops and weapons...“. Die Behauptung, Iran setze von Eritrea aus unbemannte Überwachungsflugzeuge über der Region ein, scheint ebenfalls Grieboskis eigene Erfindung zu sein. Einige Kolporteure haben zudem alles durcheinander gebracht und berichten über die Stationierung iranischer U-Boote in Assab. Andere verwechseln beharrlich das Bab al-Mandab mit der Straße von Hormuz, der Meerenge zwischen Persischem Golf und dem Golf von Oman.

Die Substanz der Gerüchte reduziert sich im Wesentlichen darauf, dass der eritreische Präsident Isajas Afewerki im Mai 2008 in Teheran zu Gast war und dass das Verhältnis zwischen beiden Ländern gut ist. Zwar ist der Iran trotz seines Ölreichtums auf den Import von Raffinerieprodukten angewiesen, und tatsächlich gibt es eine Raffinerie in Assab: Die ist jedoch schon mehrere Jahrzehnte alt, hat nur eine geringe Kapazität und wurde 1997 stillgelegt, weil sie nach der Trennung von Äthiopien nicht mehr rentabel arbeiten konnte. Über die ihm angedichteten Langstreckenraketen verfügt der Iran nicht, und eine Stationierung seiner Shahab-3-Mittelstreckenraketen in Assab ergäbe militärisch keinen Sinn: Potentielle Ziele in Israel sind von Eritrea weiter entfernt als vom Westiran. Mehr noch: Mit einer Reichweite von allenfalls 2100 Kilometer könnte selbst die verbesserte Version der Shahab 3 von Assab aus Israel nicht erreichen.

Interessant in diesem Zusammenhang: Durch die Trennung Eritreas von Äthiopien hat dieses keine Meeresküste mehr. Bevor Eritrea seine Unabhängigkeit erreichte, war Assab durch seine Verkehrslinien nach Addis Abeba der wichtigste Hafen Äthiopiens. Während sich das äthiopische Regime anscheinend mit dem Verlust abgefunden hat, gibt es im Land lautstarke revanchistische Kräfte, die eine Grenzrevision im Gebiet um Assab fordern und dem Regime „Verzichtpolitik“ vorwerfen. Ihr Interesse, eine „iranische Gefahr“ in Assab zu konstruieren und der US-Regierung damit Köder für eine Militärintervention hinzuwerfen, liegt auf der Hand.

* Erweiterte Fassung eines am 20. Dezember 2008 in der Jungen Welt erschienenen Artikels


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