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"Wir wollen dieses Dokument genau studieren, um alle Feinheiten zu erkennen"

Iran antwortet der "Sechsergruppe" im Atomstreit - Die Konsultationen dürften weitergehen - Als nächstes ist der UN-Sicherheitsrat am Zug

Am 22. August 2006 beantwortete die Regierung in Teheran das Angebot der "Sechsergruppe" zur Beendigung der Urananreicherung. Der genaue Inhalt des Schreibens ist nicht bekannt gegeben worden. Über eines herrscht aber weitgehend Klarheit: Der Iran ist nicht bereit, auf eine eigene Urananreicherung zu verzichten. Nun wird geprüft - und bald wird auch der UN-Sicherheitsrat wieder zusammen treten. Denn er hatte mit seiner Resolution 1696 (2006) vom 31. Juli dem Iran eine Frist von einem Monat eingeräumt, das Urananreicherungsprogramm zumindest vorübergehend auszusetzen.
Im Folgenden dokumentieren wir einen aktuellen Artikel zum Atomstreit sowie ein paar Meldungen der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, u.a. einen Hinweis auf die von anderen Westmächten abweichende Meinung der spanischen Regierung.



Iran will weiter verhandeln

Atomstreit erfordert komplexe Lösung

Von Olaf Standke *


Die Teheraner Führung will über den Kompromissvorschlag der EU zur Beendigung des Atomstreits verhandeln. Das Recht auf eine vollständige Brennstoffkette bleibt Streitpunkt.

Iran hat die Tür zum Dialog nicht geschlossen. Teheran will schon ab heute über das so genannte Anreizpaket, das etwa Hilfe beim Bau von Kernkraftwerken und die Aufhebung bisher geltender Handelsbeschränkungen vorsieht, verhandeln. Doch ist die ultimative Forderung des UN-Sicherheitsrats nach einer Aussetzung der Urananreicherung, die auch Voraussetzung zum Bau von Atomwaffen ist, nicht vom Tisch. Laut UN-Resolution drohen politische und wirtschaftliche Sanktionen, sollte Iran dem nicht bis zum 31. August nachkommen – vorausgesetzt, Russland und China blockieren aus ökonomischen Interessen solche Strafmaßnahmen nicht mit ihrem Veto im Weltsicherheitsrat.

Der Atomwaffensperrvertrag, den Iran 1968 unterzeichnete, gesteht allen Vertragsstaaten die zivile Nutzung der Kernenergie zu und stellt ihnen auch den ungehinderten Zugang zu den dafür nötigen Informationen und Materialien in Aussicht. Die USA hatten schon im April 1957 mit dem Schah-Regime im Programm »Atome für den Frieden« Wissenschaftskooperation und technische Hilfe vereinbart. Zehn Jahre später lieferten sie 5,5 kg angereichertes Uran und 112 g Plutonium für einen Forschungsreaktor. 1974 begann Siemens/KWU mit dem Reaktorbau für ein AKW bei Buschehr. Nach der islamischen Revolution 1979 unterbrochen, wird das Projekt seit 1995 von Russland weitergeführt.

Für Reaktorbrennstoff reicht ein Anreicherungsgrad von vier bis fünf Prozent aus. Nach Angaben des Teheraner Atombeauftragten Gholamresa Aghasadeh ist Iran inzwischen die Anreicherung von 4,8-prozentigem Uran gelungen. Der Westen beklagt, dass es keine gesicherten Erkenntnisse darüber gebe, welche Anreicherungsstufe Teheran letztlich anstrebt. Für den Bau einer Atombombe wären über 90 Prozent erforderlich. Das erfordert eine Anreicherung im industriellen Maßstab mit Hilfe mehrerer tausend Gaszentrifugen. Im Frühjahr hatte Iran nach eigenen Angaben 164 in der unterirdischen Anlage in Natans im Einsatz. Bis zum Jahresende will man 3000 zusammenschalten. Nach US-Einschätzung reicht eine Kaskade von 1500 Zentrifugen aus, um binnen eines Jahres mehr angereichertes Uran herzustellen, als für eine Atombombe nötig wäre. Teheran kündigte zudem an, es wolle in Kürze einen Schwerwasserreaktor in Arak in Betrieb nehmen.

Eine Beilegung des Atomstreits erfordert nach Ansicht von Friedensforschern letztlich komplexe Lösungen. Washington etwa hat zwar das Ziel eines gewaltsamen Regimewechsels im »Schurkenstaat« zeitweise zurückgestellt, aber wie die jüngste Erklärung von Präsident George W. Bush zeigt, längst nicht zu den Akten gelegt. Die Bedrohungs- und Einkreisungsfurcht in Teheran ist nicht die Folge von Hirngespinsten, sondern speist sich aus der feindseligen Rhetorik der Supermacht und ihrer erheblichen Militärpräsenz in fast allen Nachbarländern Irans. Und die Sanktionen der USA werden nicht mit der nukleare Gefahr durch Iran begründet, sondern mit seinem terroristischen Potenzial. Obwohl der Kernwaffensperrvertrag die nukleare Nichtverbreitung an die Auflage für die Atommächte knüpft, die eigenen Arsenale abzubauen, blieb die Selbstverpflichtung zur atomaren Abrüstung Makulatur. So wie der vom Weltsicherheitsrat proklamierte Vorsatz, in Nahost eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone zu errichten. Allein Israel verfügt dort über Atomwaffen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2006


Weitere Meldungen vom 23. August

Moskau für neue Konsultationen zur iranischen Antwort

MOSKAU, 23. August (RIA Novosti). Nach eingehender Untersuchung der Antwort Irans auf die Sechser-Vorschläge zur Beilegung des Atomstreits seien sehr wahrscheinlich neue Konsultationen notwendig, sagte der Sprecher des russischen Außenministeriums, Michail Kamynin, am Mittwoch (23. August). Hierbei erinnerte er daran, dass der Iran am gestrigen Dienstag seine Antwort den Botschaftern der Sechser-Gruppe in Teheran übermittelt hatte. "Ebenso wie unsere Kollegen wollen wir dieses Dokument genau studieren, um alle Feinheiten zu erkennen und zu entscheiden, ob die weitere Zusammenarbeit mit Teheran auf der Grundlage des Sechser-Angebots möglich ist", sagte der Sprecher. Er betonte die Notwendigkeit, den Atomstreit mit dem Iran auf diplomatischem Wege beizulegen. "Russland geht davon aus, dass die Weltgemeinschaft alles in ihrer Kraft Stehende tun muss, um die Probleme des iranischen Atomprogramms auf dem Verhandlungswege zu lösen", unterstrich Kamynin. "Hierfür werden wir sowohl unsere bilateralen Kontakte mit dem Iran als auch die Potenzen der Sechser-Gruppe und des UN-Sicherheitsrats in Angriff nehmen."

Solana: Irans Antwort muss "detailliert studiert werden" - Laridschani für Verhandlungen

BRÜSSEL, 23. August (RIA Novosti). Nach Ansicht von Javier Solana muss Irans Antwort auf die Angebote der "Sechs" zum iranischen Atomprogramm "detailliert und aufmerksam studiert werden". Das erfuhr RIA Novosti im Pressedienst des EU-Rates. Am Dienstag (22. August) hatte Ali Laridschani, Sekretär des Obersten Rates für nationale Sicherheit, erklärt, sein Land sei vom heutigen Mittwoch an bereit, Verhandlungen mit den Ländern der "Sechs" aufzunehmen. Er übergab am Dienstag die Antwort Teherans auf die Angebote der fünf ständigen Mitgliedsländer des UN-Sicherheitsrates und Deutschlands.

"Es gibt zwar keine Rechtfertigung für die gesetzwidrige Übergabe des iranischen Dossiers durch einige Länder an den Sicherheitsrat, wir haben dennoch eine Antwort vorbereitet, um einen Weg zu fairen Verhandlungen zu konzipieren", zitiert die iranische Nachrichtenagentur ISNA den Politiker. "Die Vertreter der sechs Staaten müssen zu den Verhandlungen zurückkehren, um eine Einigung zu allen im Angebot erwähnten Fragen zu erzielen, einschließlich der nuklearen Probleme, der langfristigen technischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der regionalen Sicherheit", betonte Laridschani.

Spanien plädiert für das Recht Irans auf eigenes Nuklearprogramm

MADRID, 23. August (RIA Novosti). Spanien hat seine Politik gegenüber Iran geändert und plädiert dafür, diesem Land das Recht auf die Entwicklung eines eigenen Nuklearprogramms zu gewähren. Das sagte der Botschafter und Sprecher des spanischen Premiers, Maximo Cajal, in Bezug auf das Programm "Allianz der Zivilisationen". "Wie es scheint, sollte Iran die Möglichkeit geboten werden, am eigenen Nuklearprogramm zu arbeiten", sagte Cajal in einem Interview für den Nationalen Rundfunk von Spanien.

Der einflussreiche Beamte begründete diese Auffassung damit, dass "andere Länder der Region - Pakistan und Indien - schon seit langem eigene Nuklearprogramme haben". "Iran hat durchaus das Recht, an einem Nuklearprogramm zu arbeiten, wie das seine Nachbarn tun", so der spanische Diplomat.

In einem Kommentar zu dieser Äußerung des spanischen Diplomaten sagte ein Mitarbeiter des spanischen Außenministeriums im Gespräch mit RIA Novosti: "Es geht nicht um eine persönliche Meinung des Diplomaten, sondern um eine merkliche Wendung in der Außenpolitik Spaniens, das sich noch vor nicht allzu langer Zeit an die gemeinsame Position der Europäischen Union gegenüber Iran gehalten hatte". "Spanien hatte bisher ebenso wie die anderen EU-Länder versucht, Teheran zum Verzicht auf das eigene Nuklearprogramm zu bringen - aus Verdacht, dass dieses Programm für militärische Zwecke erarbeitet wird", sagte der Mitarbeiter des Außenministeriums.

Auch in Bezug auf den libanesisch-isralieschen Konflikt hat Spanien eine von der EU unabhängige Stellung bezogen, Israel scharf kritisiert und die Regierung des Libanon voll und ganz unterstützt.

Das Programm "Allianz der Zivilisationen" ist eine gemeinsame Initiative Spaniens und der Türkei. Es sieht die Entwicklung allseitiger Beziehungen zwischen der EU und den moslemischen Ländern vor. Dieses Programm hat keine Unterstützung bei der Europäischen Union gefunden.

Weitere Meldungen und Nachrichten finden Sie in unserer aktuellen "Iran-Chronik"




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