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Innenpolitische Entwicklungen und ihr Einfluss auf das iranisch-europäische Verhältnis

Von Nabi Sonboli, Teheran/Berlin *


Die Beziehungen zwischen Iran und Europa sind bisweilen von der jeweiligen Innenpolitik beeinflusst, so der iranische Politikwissenschaftler Nabi Sonboli. Er plädiert für eine starke politische Rolle Irans in der Region und deren Anerkennung durch die westlichen Führungsmächte. Wir dokumentieren im Folgenden seine Analyse. Die Zwischenüberschriften haben wir selbst eingefügt.

Der Ausbau der Beziehungen zu Europa hatte in Iran immer wieder Fürsprecher, und es wurden entsprechend viele Anstrengungen in diese Richtung unternommen. Vermutlich liegt man mit der Aussage richtig, dass der Aufwand, den Iran für die Entwicklung der Beziehungen zu Europa betrieben hat, mit keiner anderen Anstrengung in Bezug auf andere Regionen vergleichbar ist. Alle Anstrengungen haben für Iran jedoch nicht zu den erwünschten Ergebnissen geführt. Die europäische Haltung zu verschiedenen Angelegenheiten, die Iran betreffen, sind mitunter sogar schärfer, als die der USA. Was ist der Grund dafür? Die Hauptursache liegt in der engen Verbindung zwischen den innen- und außenpolitischen Entwicklungen eines jeden Landes. Wie weiter unten ausgeführt wird, ist die Außenpolitik eines Landes eng an interne Entwicklungen gekoppelt. Entsprechend wird jede Anstrengung, die bilateralen Beziehungen zu normalisieren, zum scheitern verurteilt sein, wenn das Zwischenspiel dieser beiden Bereiche ignoriert wird.

Die Bedeutung der Innenpolitik für die gestaltung der Außenpolitik

In der Analyse der Beziehungen zwischen Iran und Europa bleiben Rolle und Bedeutung ihrer innenpolitischen Entwicklungen meistens unbeachtet. Das Verhältnis beider Seiten hatte sich nach Ende des Iran-Irak-Kriegs stetig verbessert, das gilt besonders für die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts und die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts. Es wurden die Handelsbeziehungen und - trotz einiger Schwankungen - auch die politischen Beziehungen ausgebaut. Der kritische Dialog wurde durch umfassende Verhandlungen ersetzt. Diese Entwicklungen waren das Ergebnis dessen, was sich innerhalb Irans und Europas abspielte und dem Interesse beider Seiten entsprach. Trotz all dieser Veränderungen war das letztendliche Ergebnis eines ganzen Jahrzehnts des kritischen Dialogs, der umfassenden Verhandlungen und der weiteren Gespräche zwischen der EU-Troika (Anm. d. Red.: Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich) und Iran - sowie der zusätzlichen umfassenden Kooperation Irans mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) - die vollständige Aussetzung der atomaren Aktivitäten Irans, lediglich ein Vorschlagpaket von den Europäern, das bei weitem nicht die Forderungen der verschiedenen iranischen politischen Akteure erfüllte. Als Folge überprüfte Iran seine Beziehungen zu Europa und nahm nach und nach seine atomaren Aktivitäten wieder auf und erweiterte diese sogar. Dieser Wandel sorgte jedoch für einen langen Stillstand in den bilateralen Beziehungen.

Trotz gemeinsamer Interessen, die Iran und Europa verbinden, standen die Beziehungen beider Seiten in den letzten acht Jahren still. Inmitten der düsteren Zustände in den bilateralen Beziehungen hat auch keine Seite den Willen oder die ernsthafte Entschlossenheit gezeigt, die Erfüllung der gegenseitigen Interessen voranzubringen. Das zeigt, dass der wechselseitige Wille wichtiger ist, als gemeinsames Interesse, wenn es um die Verbesserung bilateraler oder multilateraler Beziehungen geht. Wenn zwei oder mehr Länder genügend Entschlossenheit zur Verbesserung und für den Ausbau der Beziehungen zeigen, dann folgt das gemeinsame Interesse von allein. Wenn es aber keine Entschlossenheit dafür gibt, dann werden alle gemeinsamen Interessen ohne weiteres übersehen und alle Anstrengungen laufen ins Leere.

Fest gefahrene Bilder Irans von Europa

Es scheint, als habe Iran dabei versagt, eine Verbindung zwischen dem Image und der Haltung verschiedener Länder einerseits und ihrer innenpolitischen Entwicklungen andererseits zu erkennen. Entsprechend trifft Iran seine außenpolitischen Entscheidungen auf der Grundlage fester und unveränderlicher Bilder der Außenwelt. So gibt es beispielsweise einen großen Unterschied zwischen dem Europa von 2006 und dem von 1990 - oder sogar nur von dem von 2003. Das Scheitern der Verhandlungen mit der EU-Troika und die Ablehnung des europäischen Pakets 2006 waren die Folge innenpolitischer Entwicklungen in Europa.

Von 1990 an, unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer, begannen sich in Europa unabhängige Interessen zu zeigen, Frankreich und Deutschland übten sich in größerer Eigenständigkeit. Im Ergebnis nahmen sie unabhängige Standpunkte gegenüber Iran ein, widersetzten sich US-Sanktionen gegen Teheran und taten ihr Bestes, um die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Iran zu verbessern. Der Gipfel der unabhängigen europäischen Politik war die oppositionelle Haltung Deutschlands und Frankreichs bei der US-Invasion im Irak 2003.

Nach dem Einmarsch in Irak und dem schnellen Sieg der Vereinigten Staaten, erstarkten in Europa neokonservative Tendenzen. Die Wahlen von Merkel in Deutschland und Sarkozy in Frankreich waren direkte Folgen dieser Tendenzen. Das Scheitern der USA im Irak wurde 2007 offensichtlich. In Europa waren vor dieser Zeit konservative und neokonservative Tendenzen im Wachstum begriffen.

Das Vereinigte Königreich war (ohnehin) ein US-Verbündeter. Merkels Deutschland und Sarkozys Frankreich nahmen von der unabhängigen Politik ihrer Länder Abstand und traten der transatlantischen US-Allianz bei. Als Folge hörte das Europa, wie es in den 1990ern und den frühen 2000ern bestanden hatte, ab Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts zu existieren auf, und die europäischen Länder waren nicht mehr gewillt, ihre Beziehungen zu Iran auszubauen. Folglich – und im Gegensatz zur Ära des ehemaligen französischen Präsidenten Chiracs und des früheren Bundeskanzlers Schröder – unterschieden sich Sarkozy und Merkel nicht wesentlich von den Positionen, die der ehemalige US-Präsident George Bush eingenommen hatte. Gewiss, Deutschlands Stellung war dabei in gewisser Art und Weise sanfter, als die von Frankreich, was nicht zuletzt auf Berlins wirtschaftliche und politische Interessen in Iran zurückzuführen ist. Manchmal nutzt das Land jene moderate Stellung auch als Argument in Verhandlungen.

Die Atomfrage: Druckmittel des Westens gegenüber Teheran

Obwohl das totale Scheitern der Vereinigten Staaten im Irak und in Afghanistan nach 2008 offensichtlich wurde und Bush 2009 von Obama abgelöst wurde, wurde dieser Wandel von keinen ähnlichen Veränderungen in Europa begleitet. In vielen europäischen Ländern halten neokonservative und konservative Politiker noch immer die Zügel der Macht in ihren Händen. Folglich waren und sind die Haltungen europäischer Länder - wie die Politik Frankreichs zeigt - gegenüber Iran sogar noch schärfer als jene der USA. Ganz im Gegensatz zu den Entwicklungen der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts beteiligten sich die europäischen Länder sehr konkret an den US-amerikanischen unilateralen Sanktionen gegen Iran oder gingen sogar noch darüber hinaus. Einige Verzögerungen bei der Beteiligung an den US-Sanktionen gehen in Wirklichkeit lediglich auf Probleme des Entscheidungsprozesses innerhalb der Union zurück.

Während dieser Etappe pochte Iran für die Lösung des Streits um das Atomprogramm des Landes noch immer auf die Notwendigkeit, den Dialog auf der Grundlage der in der Vergangenheit vorgeschlagenen Pakete fortzuführen. Die USA und die wichtigsten europäischen Länder ziehen dagegen gemeinsame Interessen mit Iran oder das Finden einer friedlichen Lösung des Atomstreits gar nicht mehr in Betracht. Die Tatsache, dass die europäischen Länder nicht mehr den Versuch einer neuen Initiative unternommen haben, zeugen ebenso von dieser Realität wie ihre Gegnerschaft zu den Initiativen anderer Länder, wie derjenigen Brasiliens, der Türkei oder Russlands (der Schritt-für-Schritt Plan). Die Vereinigten Staaten und Europa wissen, dass Irans Atomprogramm friedlich ist und keinerlei Bedrohung für sie ist. Dennoch wäre ihnen mit einer Lösung des Atomproblems das wichtigste Werkzeug genommen, um regionalen und internationalen Druck auf Iran auszuüben. Sie brauchen einen internationalen Druckhebel, um Irans regionale Macht einzudämmen und bedienen sich dafür des iranischen Atomprogramms. Das ist der Grund, weshalb sie sich seit Jahren bemühen, Verhandlungen zum Scheitern zu bringen und die Schuld dafür Iran zuzuschieben. Die Schwächung Irans ist die eigentliche Politik, die die US-amerikanischen und europäischen Neocons verfolgen und es spielt dabei keine Rolle, wer nun wirklich in Teheran an der Macht ist. Es ist ein ideologischer Ansatz, den der Westen eingeschlagen hat, bei dem es ihnen nicht um ein Kosten-Nutzen-Kalkül geht. Das größte Hindernis für die Implementierung ihrer Neigung stellen strategisch und wirtschaftlich realistische Menschen dar, die darlegen, dass die politischen und wirtschaftlichen Kosten der neuen westlichen Politik zu schwer wiegen. Vergleicht man die Haltungen westlicher Offizieller aus Politik, Wirtschaft und des Militärs miteinander, so wird offensichtlich, dass die Drohungen gegen Iran in der Regel von den politischen Offiziellen dieser Länder vorangetrieben werden.

Israel blockiert Wege der Annäherung EU-Iran

Europäische Gruppen und Politiker, die den Dialog und den Austausch zwischen Iran und Europa gefördert haben, wurden in den letzten Jahren geschwächt und marginalisiert. In Europa wächst der Einfluss rechter Gruppierungen und diese Tendenz wird durch den Einfluss der Israellobby auf die europäische Politik verstärkt. Die israelische Lobby war und ist immer noch dabei, alle Wege, die Europa zu Iran geführt haben, zu blockieren. Dieser Trend ist Nährboden für ideologische Faktoren, engstirnige Sichtweisen und Vorurteile, derer man sich nun in der Entscheidungsfindung in Iran-Fragen bedient. Einige Entscheidungen europäischer Offizieller fordern selbst den gesunden Menschenverstand heraus. So etwa die Auferlegung von Sanktionen gegen iranische Personen oder Institutionen, die keine Beziehung zum Atomprogramm des Landes haben, oder die Gegnerschaft zu Irans kulturellen Aktivitäten und zum wissenschaftlichen Austausch. Das gilt aber auch für die Ansicht gewisser extremistischer europäischer Kreise, die meinen, dass alle positiven Maßnahmen, die Iran im Sinne der Vertrauensbildung einschlägt, Zeichen einer Schwäche des Landes seien, die aus den Sanktionen herrührt. All das sind gute Beispiele für solche Entscheidungen und Sichtweisen.

In der momentanen Situation und in naher Zukunft ist die oberste Priorität der europäischen Länder die Überwindung der Euro-Krise. International ist das wichtigste Anliegen, die Außenpolitiken der europäischen Länder in Bezug an die andauernden Entwicklungen im Nahen Osten und Nordafrika anzupassen. Beide Entwicklungen haben aber verschiedene Wirkungen auf die politische Landschaft Europas. Während wirtschaftliche Probleme den Blick der europäischen Länder mehr nach innen lenken und sie realistischer werden lassen könnte, ist es möglich, dass die Entwicklungen im Nahen Osten und Nordafrika zu einer Identitätskrise in den europäischen Ländern führen und dass sich die dort vorhandenen anti-islamische Tendenzen möglicherweise sogar noch verstärken.

Europas Sorge: Die Islamisierung des "arabischen Frühlings"

Im Nahen Osten und Nordafrika gilt die Besorgnis Europas zuallererst der Angst vor einer regionalen Wiederholung der Islamischen Revolution in Iran. Man hat sogar die Sorge, dass die Türkei von den nordafrikanischen und den Ländern des Nahen Ostens zum Vorbild genommen wird, wenngleich auch versucht wird, diese Sorge zu verdecken. Ein stärkerer Einfluss der Türkei im Nahen Osten und in Nordafrika weckt in Europa Erinnerungen an die Hochblüte des Osmanischen Reichs. Unter solch volatilen regionalen Zuständen werden die Europäer sich gegen alle Maßnahmen stellen, die Irans Einfluss in der Region weiter ausbauen könnten. Und sie werden jede Art Hindernis für Iran unterstützen - sowohl im Innern, als auch regional. Es gibt gewisse Kreise, die einen Streit zwischen Iran und der Türkei in Bezug auf Syrien sehen möchten oder die Iran gegen einen anderen seiner Nachbarn aufstacheln wollen. Daraus verspricht man sich eine bessere Handhabung der laufenden Entwicklungen im Nahen Osten und Nordafrika, welche ja auch die unmittelbare Nachbarschaft Europas darstellen.

Die Anpassung der EU-Außenpolitik an die des Vereinigten Königreichs war ein weiterer Einflussfaktor, der seine Spuren in den Beziehungen zwischen Iran und den europäischen Ländern hinterlassen hat. Londons Bemühungen, den außenpolitischen Apparat der EU zu lenken, hat in den vergangenen Jahren die Beziehungen zwischen Teheran und den europäischen Hauptstädten untergraben. Die EU-Außenpolitik gegenüber Iran wurde in den letzten zwei Jahren überwiegend von der Politik des Vereinigten Königreichs beeinflusst, welche selbst wiederum ein Derivat der US-Politik darstellt. Obwohl Catherine Ashton keine starke Unterstützung von allen europäischen Ländern genießt, hat sie eine wichtige Rolle bei der Abstimmung der EU-Außenpolitik mit derjenigen Londons gespielt. Dieser Einfluss beschränkt sich nicht nur auf Iran. Das Vereinigte Königreich schaffte es in vielen Bereichen, Frankreichs außenpolitische Ansätze an die Seinigen heranzuführen. Ein bekanntes Beispiel ist die Militäroperation in Libyen, die ausgeführt wurde, ohne nach dem Standpunkt Berlins zu fragen. Deutschland selbst fehlt eine starke Außenpolitik, und es ist alleine nicht in der Lage, eine unabhängige europäische Politik zu führen.

Die Erfahrung mit dem „Dialog der Zivilisationen“ und der Entspannungspolitik haben gezeigt, dass Irans innen- und außenpolitische Entwicklungen an und für sich nicht für eine Verbesserung der Beziehungen zur EU ausreichen. Wenn aber ein Wandel in Iran mit (entsprechenden) Entwicklungen in Europa zusammenfällt, könnten diese neue Freiräume Veränderungen liefern. In den nächsten paar Jahren werden wir eine Reihe von Veränderungen in der Innenpolitik der USA und den wichtigsten europäischen Ländern erleben, Deutschland und Frankreich eingeschlossen. Die genaue Richtung dieser Änderungen ist noch nicht klar, aber es scheint, dass Europa und die USA getrennte Wege gehen werden. Das bedeutet, dass - während konservative und neokonservative Politiker in den USA die Macht zurückgewinnen -, die wirtschaftlichen Probleme in Europa die dortigen (neo-)konservativen Kräfte schwächen und zur Wahl von Mitte-Rechts- oder Mitte-Links-Regierungen führen könnten. Hier sollte natürlich angemerkt werden, dass diese möglichen Entwicklungen sich auf politischer Ebene abspielen. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene aber könnte ein weiteres Anwachsen rechter politischer Tendenzen in Europa und den USA stattfinden, was der Außenpolitik Irans mehr Probleme bereiten wird.

US-Militärpräsenz im Golf ist nachteilig für Europa

Angesichts einer starken militärischen US-Präsenz in Irans Nachbarschaft, ist die Fortführung der politischen Blockade zwischen Teheran und Washington eher ein Nachteil für Europa als für Washington. Die Situation in Europa ist nämlich nicht unabhängig von den Sicherheitsinteressen Irans. Entsprechend – und das hat die Erfahrung im Irak bereits gezeigt – kann das Gebaren der USA gegenüber Iran bewältigt werden, selbst dann, wenn ein republikanischer Präsident 2012 ins Amt gewählt werden sollte. Gelangen in Deutschland und Frankreich in den nächsten zwei Jahren moderate politische Strömung an die Macht, könnte das die Grundlage für einen Wandel im europäischen Umgang mit Iran bieten. Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille, und die Zukunftsprognosen über die Beziehungen zwischen Iran und Europa hängen auch von den inneren Entwicklungen in Iran und von der Frage ab, ob Iran ein wichtiger Akteur in der Region und international sein möchte oder lediglich ein instrumentalisierbarer Spielball. Eine Voraussetzung, die ein regional und international wichtiger Akteur mitbringen muss, ist, dass ausländischen Mächten nicht die Möglichkeit gegeben wird, die internen Zustände in einem Land auszunutzen. Die ausländischen Interventionen in Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien haben gezeigt, dass regionale und internationale Rivalitäten auf das Innere eines Landes übergehen, wenn Freunde und Feinde innerhalb der Grenzen ein- und desselben Landes vorhanden sind. Unter solchen Umständen verlieren Politik und außenpolitische Beziehungen zwischen Ländern, die ja eigentlich in sich integrierte Akteure sein müssten, ihre Relevanz. Die Folge ist, dass das Opferland zu einem Spielball in den Händen anderer Staaten wird und selbst das Spiel verliert. So lange mehrere politische Strömungen innerhalb eines Landes nicht zu Dialog und konstruktivem Austausch untereinander bereit sind und sie die Rechte anderer Gruppen nicht respektieren, so lange kann niemand eben diese in der Außenpolitik dieses Landes erwarten.

Leider helfen die Inhalte in den von einigen politischen Gruppen in Iran genutzten Medien dem Land nicht besonders darin, das Bild eines in sich integrierten, konsolidierten und international politisch einflussreichen Akteurs zu präsentieren. In einer solchen Lage bevorzugen es schwache ausländische Mächte, abzuwarten und zu sehen, was passiert, während die Weltmächte sich zur Einmischung motiviert sehen. Das Ergebnis ist, dass Rivalitäten aus dem Ausland in Iran sickern, was dem Land teuer zu stehen kommen kann.

Die aktuelle Funkstille zwischen Teheran und Washington wird mit großer Sicherheit für einige weitere Jahre andauern. Die internen Entwicklungen Irans, Europas und der Vereinigten Staaten gibt allen Seiten eine günstige Gelegenheit über ihre Politiken, aber auch über ihre Stärken und Schwächen, nachzudenken. Ein angemessener Ansatz verlangt eine Überwindung vergangener Erfahrungen und die Übernahme einer Herangehensweise, die die laufenden politischen Trends im Land, in der Region und international im Auge behält. Angesichts der laufenden Entwicklungen wird Iran in Zukunft seine wirtschaftliche Sicherheit, seine nationale Einheit und seine Verteidigungskraft stärken müssen. Und eine solche Heldentat kann nicht von einer einzigen politischen Gruppe alleine durchgeführt werden. Die Hauptgrundlage für die Einheit ist in jeder Staatsform - und insbesondere in der Islamischen Republik Iran - das Volk. Zur Förderung von Irans Stellung ist die Erlangung nationaler Einheit, durch verstärkte und ermutigte politische Partizipation aller politischer Gruppen und die Teilhabe der jungen Generation, eine Pflicht. Das wird auch die verwaltungstechnische, politische und wirtschaftliche Effizienz des Landes steigern.

Das Entstehen vieler Machtzentren in der Welt verhindert Erfolg der Droh- und Sanktionspoliti

So lange Iran keiner ernsthaften inneren Herausforderung gegenübersteht, werden ausländische Herausforderungen durch die Vereinigten Staaten und Europa handhabbar sein. Regional gesehen schadet der aktuelle Stand der Dinge in Irans Umgebung dem Land nicht. Von sieben Ländern, die von der aktuellen Welle der Ereignisse und den Veränderungen erfasst worden sind, hat nur Syrien eine enge Beziehung zu Iran. Die restlichen von ihnen waren Verbündete Europas oder der USA. Iran sollte, genau wie andere Länder auch, seine Rolle und seinen Einfluss unter allen Umständen stärken. Um das nationale Interesse des Landes in der aktuellen volatilen Situation zu bewahren, braucht Iran Ausdauer und zügiges Handeln. International gesehen versprechen das Entstehen vieler Machtzentren in der Welt und die inneren Herausforderungen, mit denen sich Europa und die USA konfrontiert sehen, keinen Erfolg für die Politik des Drucks und der Sanktionen gegen Iran.

Irans Außenpolitik muss sich auf die Stärkung in seiner Region konzentrieren und die Verschwendung seiner Ressourcen in weit entfernten Regionen vermeiden. Die Herausforderung durch die Vereinigten Staaten und Europa wird - ebenso wie in der Vergangenheit - weiter bestehen. Jene sind nicht bereit, die Präsenz einer Regionalmacht im Nahen Osten zu akzeptieren. Es sind aber neue Mächte im Entstehen und die Großmächte sollten auf das siegreiche Pferd setzen, um eine Stütze in der Region zu behalten. Es liegt an uns, entweder die inneren Streitigkeiten beizulegen und Iran zu einem stabilen regional und international wichtigen Akteur zu machen oder die Flammen dieser Streitigkeiten anzufachen und das Land zu einem Spielball in den Händen der Weltmächte zu machen.

* Nabi Sonboli, Politologe an der Teheraner Denkfabrik „Institute for Political and International Studies (IPIS)“. Zurzeit vertritt er das Institut in Berlin.

Die vorliegende Analyse erschien auf Englisch („Iran-Europe Relations: Role of Domestic Developments") in Iran Review am 11. Januar 2012. Übersetzt von Leo Schmitt.

Quelle: Website "Iran anders", 2. Mai 2012; http://irananders.de



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