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Atommacht Iran

Der Weg aus der Konfrontation führt nur über die Anerkennung der legitimen Sicherheits- und Souveränitätsbedürfnisse Teherans. Eine Betrachtung

Von Norman Paech *

Die Schlinge scheint sich fester zu schließen. Fragt sich nur, um wessen Hals. Um den der iranischen Regierung, die unter den angekündigten Sanktionen ersticken soll? Oder um den eigenen Hals derjenigen, die die Schlinge mit immer neuen Mutmaßungen und Drohungen knüpfen? Denn so erfolglos die Sanktionen bisher geblieben sind, so wenig versprechen weitere Sanktionen mehr Erfolg. Und schon sehr bald werden die USA und ihre Koalition vor dem Knoten angelangt sein, an dem es nur noch die Alternative gibt: entweder auf die Bedingungen Irans eingehen oder den Knoten militärisch durchschlagen, wie es mit bedrohlicher Regelmäßigkeit aus den Think-tanks der USA und aus Israel verlautet.

Die neuesten Warnungen der IAEA in Wien basieren ganz offensichtlich nicht auf neuen Erkenntnissen, sondern auf dem Wechsel an der Spitze der Behörde von ElBaradei zu Yukia Amano. Alte Erkenntnisse werden nun neu interpretiert. Man mag über die Wirksamkeit von Sanktionen zur Durchsetzung bestimmter Vertragspflichten gegenüber der IAEA streiten. Im Falle des Iran haben sie offensichtlich die Funktion zu beweisen, daß die eigenen Positionen und Forderungen unverhandelbar sind. Und die jetzt lancierten Informationen aus dem noch unveröffentlichten Bericht dienen allein dem Zweck, die Sanktionsdrohungen zu bestärken.

Vor einer Woche hat der Chef der iranischen Atombehörde, Ali Akbar Salehi, im Fernsehen angekündigt, daß sein Land die neuen Arbeiten an den Gaszentrifugen in Natanz abbrechen werde, wenn das Ausland den Teheraner Forschungsreaktor mit Brennstäben beliefere. Bedingung sei allerdings, daß der Austausch der Brennelemente Zug um Zug mit dem Transport von 1200 Kilogramm schwach angereichertes Uran nach Rußland erfolge. Die USA lehnen ab und verlangen die Vorleistung der Uranlieferung, um danach binnen Jahresfrist die Brennelemente an Iran auszuliefern. Ein politischer Narr, der in diesen Zeiten der Konfrontation auf einen derartigen Tausch eingeht, der zur Erpressung geradezu einlädt. Und was bewegt den Westen, eine Zug-um-Zug Leistung nicht zu akzeptieren? Warum lehnen die USA einen Nichtangriffspakt, wie ihn Iran wünscht, oder einen Gewaltverzicht kategorisch ab? Haben sie eventuell doch eine zweite Agenda, die hinter der Verhinderung der Atombombe die Beseitigung des Regimes verfolgt?

Noch ist das Fenster für Verhandlungen nicht geschlossen. Iran hat bei der Unterzeichnung des Nichtweiterverbreitungsvertrages 1968 offiziell auf Nuklearwaffen verzichtet und beruft sich nach wie vor auf diese Selbstverpflichtung. Gingen die USA auf die Sicherheits- und Souveränitätsbedürfnisse Irans ein, würde es einen Weg aus der Konfrontation geben. Die derzeit bevorzugte Methode mit dem Vorschlaghammer zwingt jedoch das Land geradezu, den Weg Israels, Pakistans und Indiens zu gehen. Was aber, wenn sich die Prophezeiung erfüllt und Iran eines nicht fernen Tages tatsächlich über Atomwaffen verfügt? Sei es als Resultat eines lange verfolgten Planes oder um schließlich doch vor den immer offeneren Drohungen gegen einen militärischen Angriff aus Israel oder den USA sicher zu sein. Das ist ein durchaus realistisches Szenario und weniger apokalyptisch als der militärische Überfall, um die Atombombe zu verhindern. Iran wäre das vierte Land mit Atomwaffen und zwar in einer Region, die wie keine zweite durch Atomwaffen machtgeographisch bestimmt ist. Israel, Indien und Pakistan dominieren den Mittleren Osten mit ihren Atomwaffen, ohne sich dem Nichtverbreitungsvertrag unterworfen zu haben.

Atomwaffen würden zweifellos die politische und militärische Vormachtstellung Irans in der Region stärken und seine politische Erpreßbarkeit vermindern. Sie könnten zugleich nukleare Ambitionen der arabischen Nachbarstaaten Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien wecken - ein Alptraum nicht nur für den Nahen Osten. Das ohnehin kriegsträchtige Gleichgewicht in der Region müßte vollkommen neu definiert werden und die USA von ihrer Brzezinski-Strategie des »Greater Middle East« abrücken. Israel wäre die Möglichkeit der militärischen Drohung genommen, was seine Existenz eher sicherer als unsicherer macht. Denn Kriegsdrohungen gehen derzeit allein von Israel aus. Dies zu betonen ist notwendig, weil die hiesigen Medien Ahmadinedschads irrsinnige Leugnung des Holocaust und seine immer wieder falsch übersetzte Prophezeiung von Israels Untergang als Kriegsansage interpretieren.

Vor allem aber würde der Konstruktionsfehler des Nichtverbreitungsvertrages deutlich, der die Nuklearmächte in den vergangenen vierzig Jahren zu keiner Abrüstung ihrer Atomwaffen verpflichten konnte. Irgendwann mußte die Asymmetrie der Verpflichtung zwischen Staaten mit und ohne Atomwaffen die Funktionsunfähigkeit des Vertrages enthüllen. Er wurde nicht nur durch die Weigerung der Atommächte abzurüsten unterhöhlt, sondern durch die ganz offensichtliche Hilfe, die Is­rael bei der Konstruktion einer eigenen Waffe erhielt, und die Förderung der indischen Nukleartechnologie durch den jüngsten Lieferungsvertrag zwischen den USA und Indien. Die Weigerung Israels, Pakistans und Indiens, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten, wurde niemals mit Sanktionen belegt, wohl aber die Weigerung Irans, auf eine zivile Nukleartechnologie zu verzichten, die ihm durch den Vertrag zugestanden wird.

Die Empörung, die sich jetzt gegen die Nuklearaktivitäten Irans aufschaukelt, sollte sich gegen die eigenen Versäumnisse, Vertragsbrüche und ungebrochenen Nuklearambitionen trotz einer gewaltigen »Zero-Atom«-Rhetorik richten. Man sollte jetzt nicht die offensichtlich beklagenswerte Situa­tion der Menschrechte in Iran zum Vorwand für neue Abenteuer nehmen, wie wir sie in Jugoslawien, Afghanistan und Irak erlebt haben. Nicht eine neue Atommacht ist für das Scheitern der Nichtweiterverbreitung verantwortlich, sondern die Atommächte selbst, die die Verpflichtungen für sich nicht akzeptiert haben, die sie für die Staaten ohne Atomwaffen einfordern. So fatal die Existenz eines weiteren Atomwaffenstaates ist, seine Entstehung haben die Atommächte ihrer eigenen Politik anzulasten. Und vielleicht gibt erst eine Atommacht Iran den Anstoß dafür, daß die neue Abrüstungsrhetorik sich wirklich in substantielle Aktivitäten umsetzt, die Menschheit von dieser Geißel zu befreien.

* Prof. Dr. Norman Paech ist Völkerrechtler und war in der vergangenen Legislaturperiode außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundes.

Aus: junge Welt, 1. März 2010



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