Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Der Westen kann Iran nicht an der Atomforschung hindern"

Zum neuesten Stand im Atomstreit mit dem Iran - Die russische Sicht

Ende Dezember 2005 übergab die russische Botschaft in Teheran der iranischen Seite eine offizielle Note, in der der frühere Vorschlag für Iran bekräftigt wird, in Russland ein russisch-iranisches Joint Venture für Urananreicherung zu gründen. Entsprechende bilateralen Verhandlungen Anfang Januar 2006 kamen zu keinem Ergebnis. Am 10. Januar 2006 hat der Iran gegenüber der Wiener Atombehörde IAEO erklärt, die Forschungen im Nuklearbereich wieder aufzunehmen.
Im Folgenden dokumentieren wir den aktuellen Stand im Atomstreit mit Iran sowie anschließend einen Hintergrundbericht aus der Feder der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, der sich mit dem Kompromiss-Angebot Russlands befasst.



Der Westen kann Iran nicht an der Atomforschung hindern

MOSKAU, 11. Januar (RIA Nowosti). Iran werde Technologien für den vollen Nuklearzyklus besitzen. Diese solche Prognose hat Radschab Safarow, Generaldirektor des russischen Zentrums für Studien des heutigen Irans, am Dienstag in einem RIA-Nowosti-Interview gestellt.

"Die Führung Irans und die iranische Gesellschaft befinden sich heute in einem solchen Zustand, dass es weder mit Drohungen noch mit Druck oder Erpressung möglich ist, Iran in seiner Absicht zu stoppen, Nukleartechnologien zu besitzen. Selbst wenn es eine direkte Gefahr der Invasion des Territoriums Irans geben sollte, wird Iran meines Erachtens die Arbeiten in dieser Richtung fortsetzen und zu einem Land mit dem vollen Nuklearzyklus werden", sagte er.

Der Experte schloss nicht aus, dass westliche Länder erwirken können, das iranische Nukleardossier dem UNO-Sicherheitsrat zu übergeben. "Iran ist auf jegliche Handlungen der Weltgemeinschaft, einschließlich Wirtschaftssanktionen oder Anwendung von militärischer Gewalt, gefasst", betonte er in diesem Zusammenhang.

Safarow erinnerte daran, dass die iranische Seite ganz am Anfang der Verhandlungen ihre Absicht recht kategorisch bekannt gegeben hatte, Technologien für den vollen Nuklearzyklus zu besitzen. Aber weder die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) noch die Europäische Union schenkten der Meinung der iranischen Seite Gehör. "Diese Verhandlungen erinnerten an ein Gespräch von zwei Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen und nicht verstehen, worum es geht", sagte der Gesprächspartner der RIA Nowosti.

Der Experte erinnerte auch an verschiedene Aspekte des Problems, das mit der Umsetzung des iranischen Nuklearprogramms zusammenhängt.

"Man darf auch nicht den ökonomischen Hintergrund dieser Frage vergessen. Wenn Iran jenen fortgeschrittenen technologischen Stand erreicht, welchen ein Land hat, das in vollem Umfang die Nukleartechnologien besitzt, so wird das einen starken Auftrieb für die Entwicklung der nationalen Industrie geben", sagte er.

"Im politischen Bereich wird der Besitz der Nukleartechnologien andere Staaten zwingen, Iran wie einem Land Rechnung zu tragen, mit dem Länder des Westens die Verhandlungen zu verschiedenen regionalen und globalen Problemen zu gleichen Bedingungen führen müssen. Obendrein ist die technologische Ressource, die Iran nach der Umsetzung des Programms für den vollen Nuklearzyklus haben wird, eine Frage der Sicherheit, eine Frage der Existenz Irans als eines selbständigen Staates", unterstrich Safarow.

Der Experte erinnerte daran, dass die Urananreicherung in Iran noch nicht begonnen hat. "Viele verwechseln die jüngste Erklärung Irans zur Nuklearproblematik mit der Aufnahme der Arbeiten an der Urananreicherung. In Wirklichkeit geht es um die Abnahme von Plomben von einigen Forschungsnuklearobjekten", sagte er.

Safarow hob hervor, dass die iranische Seite vom Standpunkt des Völkerrechts Gründe für Arbeiten an der Erforschung des friedlichen Atoms hat.

Ihm zufolge verwandelte sich das iranische Nuklearprogramm in eine gesamtnationale Idee. Heute gibt es kein Zurück.

Am Dienstag hatte Iran offiziell die Wiederaufnahme der Forschungen im Nuklearbereich erklärt.

"Nach einem Abkommen mit IAEO-Inspektoren haben wir heute offiziell die Forschungen im Nuklearbereich wieder aufgenommen", teilte Mohammad Saidi, stellvertretender Leiter der iranischen Atomenergieorganisation, am Dienstag mit. Dabei hob er hervor, dass Iran zwischen Forschungen und dem eigentlichen Prozess der Produktion von Kernbrennstoffen unterscheide.

"Für die Produktion von Kernbrennstoffen in Iran besteht bislang ein Moratorium", fügte Saidi hinzu.

Vorige Woche benachrichtigte Teheran die IAEO über die Aufnahme der praktischen Forschungen auf dem Gebiet von Technologien für die Produktion von Kernbrennstoff am 9. Januar 2006. Dabei hob es hervor, dass "alle Forschungen im Nuklearbereich entsprechend dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen und unter IAEO-Kontrolle vorgenommen werden".

Vor etwa zwei Jahren hatte Iran freiwillig alle Arbeiten an der Urananreicherung nach den Verhandlungen mit der "europäischen Drei" ausgesetzt. Es unternahm diesen Schritt, um eine Atmosphäre des Vertrauens in den Verhandlungen über sein Nuklearprogramm zu schaffen.

Die Europäische Union und die USA erklärten ihrerseits eine ernsthafte Besorgnis im Zusammenhang mit der Absicht Irans, die Arbeiten an der Urananreicherung wieder aufzunehmen, und riefen Teheran auf, auf diesen Schritt zu verzichten.

In einer Erklärung von EU-Vertretern, die zuvor verbreitet wurde, heißt es: Die Wiederaufnahme der Tätigkeit von Iran bei der Urananreicherung gefährdet die Möglichkeit der Rückkehr zu Verhandlungen mit der "europäischen Drei", die für Mitte Januar dieses Jahres vorgesehen sind.

Aus: RIA Nowosti, 11. Januar 2006; Internet: http://de.rian.ru


Moskaus Vorschlag für Teheran bleibt in Kraft

Von Pjotr Gontscharow, RIA Nowosti*

Dieser Tage übergab die russische Botschaft in Teheran der iranischen Seite eine offizielle Note, in der der frühere Vorschlag für Iran bekräftigt wird, in Russland ein russisch-iranisches Joint Venture für Urananreicherung zu gründen.

MOSKAU, 30. Dezember (Pjotr Gontscharow, RIA Nowosti). Iran hat immerhin beschlossen, den Fakt des Bestehens eines russischen Vorschlages zur gemeinsamen Urananreicherung anzuerkennen, ist aber bislang nicht gewillt, ihn anzunehmen.

Die Erklärungen vom Anfang dieser Woche des offiziellen Teheran, Russland habe keinen konkreten Vorschlag bezüglich der Urananreicherung gemacht, erwiesen sich nur als eine plumpe Ausrede. Deshalb existierte sie nicht lange.

Dieser Tage übergab die Botschaft der Russischen Föderation in Teheran der iranischen Seite eine offizielle Note, in der bestätigt wird, dass der frühere russische Vorschlag für Iran in Kraft bleibt, auf dem Territorium Russlands ein russisch-iranisches Joint Venture für Urananreicherung zu gründen. Man sollte meinen, dass es keine konkreteren Formulierungen geben kann.

Das Wesen des russischen Vorschlages läuft eben darauf hinaus, dass die Urananreicherung nicht auf dem iranischen Territorium, worauf Teheran besteht und wogegen die USA und die EU kategorisch auftreten, sondern auf dem Territorium Russlands erfolgen soll. Heute ist das wohl der einzig mögliche Kompromiss, der den Teufelskreis in den Iran-EU-Verhandlungen zum iranischen Nuklearprogramm sprengen könnte. Aber Iran verteidigt seine Rechte auf den vollen Nuklearzyklus auf seinem Territorium. Moskau bietet einen Kompromiss und Hilfe bei seiner Durchsetzung an.

Teheran ging jedoch, von den Erklärungen, die iranische Seite habe von Russland keinen konkreten und detaillierten Vorschlag bekommen, zu einer neuen Formulierung über, und zwar mit den Worten des offiziellen iranischen Außenamtssprechers, Hamid Reza Asefi: "Wir werden jeglichen Plan oder Vorschlag aufmerksam prüfen, die unser Recht auf Urananreicherung auf dem iranischen Territorium offiziell anerkennen werden."

Für Iran ist offenbar nur ein solcher Vorschlag "konkret", der sein Recht auf Urananreicherung auf seinem Territorium anerkennt.

Nachstehend folgen neue Erklärungen und Erläuterungen. Aber die Position bleibt dieselbe. Nach Worten des stellvertretenden Leiters des Obersten Rates für nationale Sicherheit Irans, Javad Vaidi, habe Iran die Absicht, sich den Vorschlag Russlands zur gemeinsamen Urananreicherung ernsthaft und mit Enthusiasmus zu überlegen. Aber der Vorsitzende der Kommission für nationale Sicherheit und Außenpolitik des iranischen Parlaments, Alaeddin Borudjerdi, präzisiert, dass der Vorschlag Moskaus zur gemeinsamen Urananreicherung auf dem russischen Territorium für Iran zum Teil annehmbar sei. Der zweite Teil dieses Vorschlages - zum russischen Territorium - sei für Teheran unannehmbar. Denn Iran bestehe im Rahmen eines Projekts zur Mobilisierung ausländischer Investitionen in das Nuklearobjekt für Urananreicherung Natans auf dem Recht, sich mit der Urananreicherung auf seinem Territorium zu beschäftigen.

Anders gesagt, bringt Teheran den Verhandlungsprozess auf das Szenarium zurück, das von vornherein für die EU unannehmbar ist, die mit ihm einen Dialog führt.

Es gibt einen hinreichend wichtigen Aspekt jeglicher "Besorgnisse" über Nuklearprogramme, die nicht nur von Iran, sondern auch von jeglichem anderen Land vom Nullpunkt an geschaffen werden. Die vollen Kernbrennstoffzyklen wurden ursprünglich in vielen Staaten ausschließlich für die Beschaffung von Kernwaffen entwickelt. Erst später wurden sie in friedliche Programme umprofiliert. Dabei schließt das die Möglichkeit eines rückläufigen Prozesses nicht aus, welche friedlichen Zwecke dieser oder jener Staat auch verfolgen mag: Umprofilierung jedes friedlichen Nuklearprogramms in ein Militärprogramm beim Vorhandensein des vollen Kernbrennstoffzyklus.

Diese Besorgnisse werden auch dadurch größer, dass die Entwicklung des vollen Kernbrennstoffzyklus sogar von einem Staat, der moderne Technologien besitzt, nach Worten von Experten enorme Ausgaben verlangt, während der Erwerb des fertigen Kernbrennstoffes ökonomisch vorteilhafter ist. Nebenbei gesagt, nehmen Japan und Großbritannien keinen Anstoß daran, gerade von der zweiten Variante Gebrauch zu machen, indem sie darin keinen Schaden für ihre Nuklearselbstsuffizienz und Souveränität erblicken.

Teheran hebt ständig hervor, dass die Umstellung Irans auf den fertigen Kernbrennstoff angeblich den natürlichen Prozess seiner eigenen Nukleartechnologien bremsen werde. Indessen ist die "russische Variante" deshalb gut, weil sie die Teilnahme von iranischen Spezialisten am technologischen Prozess zur Urananreicherung voraussetzt. Umso mehr, als Russland etwas hat, wovon man lernen kann.

Die "russische Variante" der Lösung des iranischen Nuklearproblems entstand nicht über Nacht. Die Idee zur Gründung eines russisch-iranischen Joint Ventures für Urananreicherung auf dem Territorium Russlands kristallisierte sich während der Verhandlungen Iran - EU (vertreten durch die "europäische Drei": Frankreich, Deutschland und Großbritannien) heraus. Diese Idee fügt sich bestens in die Konzeption des Vorsitzenden der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), ElBaradei, ein, der ein "multilaterales Herangehen" bei der Lösung des iranischen Nuklearproblems vorschlägt, um politische Besorgnisse um das iranische Nuklearprogramm aus der Welt zu schaffen.

Auf die Möglichkeit der "russischen Variante" bei der Lösung der Iran-Frage kam man recht aktiv im vorigen Jahr zu sprechen. Insbesondere nach den Verhandlungen Iran-EU im November in Paris. Damals unterzeichnete Teheran ein Abkommen über zeitweilige Aussetzung der Urananreicherung, und die Nuklearobjekte in Isfahan und Natans waren von IAEO-Inspektoren versiegelt. Als Gegenleistung verpflichtete sich die "europäische Drei", ein Paket von ökonomischen und politischen Vorschlägen vorzubereiten, die der iranischen Seite die Verluste durch die Aussetzung der Arbeit der Unternehmen der Atomenergetik kompensieren und die Verhandlungen auf eine Kompromissvariante bringen könnten, die den Interessen Irans Rechnung tragen. Zu einer solchen Variante könnte die "russische Variante" werden, für die es noch keine Alternative gibt.

Teheran selbst schlägt keine Alternative vor. Nach allen Äußerungen und Erklärungen der iranischen Seite ist ihr Streben besonders wahrscheinlich, über die Grenzen des Regimes der Verbreitung von Kernwaffen hinaus zu gehen. Nicht nach dem formalen Aspekt der Frage, nicht nach dem Buchstaben des eigentlichen Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT-Vertrag), sondern nach dem Wesen des Problems. Präsident Irans Mahmud Ahmadinedschad zum Beispiel unterzeichnete ein Gesetz, das die automatische Aussetzung der Erfüllung der Forderungen des Zusatzprotokolls zum NPT-Vertrag durch Iran vorsieht, wenn die IAEO den Konflikt um das iranische Nuklearprogramm durch den UNO-Sicherheitsrat prüfen lässt. Das ist ein sehr klares Signal. In Teheran kann man nicht umhin, zu verstehen, dass eben das Zusatzprotokoll zum NPT-Vertrag der Garant für die Transparenz der Nukleartechnologien der Unterzeichnerländer ist.

Was wird weiter? Iran steht im Januar des neuen Jahres ein sehr kompliziertes Gespräch mit der EU über sein Nuklearprogramm bevor. Es wird sich viel Mühe geben müssen, um das Vertrauen der Weltgemeinschaft zurück zu gewinnen. Die "russische Variante" käme genau richtig, um diesen Dialog in eine konstruktive Bahn zu lenken.

Aber vorläufig bedeutet die Position Irans, dass die bevorstehenden Verhandlungen wiederum ergebnislos enden werden.

* Quelle: RIA Nowosti, 30. Dezember 2005; Internet: http://de.rian.ru


Zurück zur Iran-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage