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"Character assassination"

US-Propagandamethode soll Glaubwürdigkeit zerstören: Befürworter eines Krieges gegen Iran schießen sich auf dessen neuen Präsidenten Hassan Rohani ein

Von Knut Mellenthin *

Israels Rechtsregierung und ihre Lobbyisten in aller Welt sind zutiefst besorgt: Am 14. Juni wählten die Iraner Hassan Rohani im ersten Wahlgang zum Präsidenten. Am 3. August soll er sein neues Amt antreten. Israelische Medien und prozionistische Journalisten in aller Welt haben begonnen, sich auf Rohani einzuschießen, wobei sie sich der Methode bedienen, die in den USA zutreffend und präzis als »Character assassination« bezeichnet wird. Gemeint ist eine Polemik, die sich nicht direkt mit den Vorstellungen und Handlungen eines Menschen auseinandersetzt, sondern sein Ansehen und seine Glaubwürdigkeit zerstören soll.

Ein besonders schwerer, aber nicht durch nachgewiesene Tatsachen gestützter Vorwurf hat seit dem 14. Juni Konjunktur. Rohani wird für den Bombenanschlag auf das Bürohaus der AMIA, einer jüdischen Versicherungsgesellschaft, in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires verantwortlich gemacht, der am 18. Juli 1994 verübt wurde. Dabei wurden 85 Menschen getötet und mehrere hundert verletzt. Das Attentat ist bis heute unaufgeklärt, wurde aber von interessierter Seite sofort der iranischen Führung zugeschrieben.

Anschuldigungen

Ein anderer Strang der Agitation gegen Rohani bezieht sich darauf, daß er in den Jahren 2003 bis 2005 »Chefunterhändler« des Iran im internationalen Streit um das Atomprogramm Teherans war. In dieser Funktion habe er seine damaligen europäischen Verhandlungspartner – Deutschland, Frankreich und Großbritannien, das sogenannte EU-Trio – systematisch mit Versprechungen irregeführt, um Zeit für die Weiterentwicklung der Arbeiten an der Urananreicherung, einer Grundvoraussetzung für den Bau vom Nuklearwaffen, zu gewinnen, wird behauptet. Immer wieder liest man, daß er sich der ihm unterstellten Betrugsmanöver sogar öffentlich gerühmt habe – in einer Rede, die oft falsch auf das Jahr 2005 datiert wird, tatsächlich aber während des Ramadan 2004, also im Oktober oder November jenes Jahres, gehalten wurde.

Auch kleinformatigere Anschuldigungen fehlen nicht. So behaupteten prozionistische Medien zunächst, die Angabe in Rohanis Lebenslauf, daß er 1999 an der Caledonian University im schottischen Glasgow mit einer Arbeit zum islamischen Recht promoviert habe, sei falsch. Er tauche in den Verzeichnissen der Universität gar nicht auf. Tatsächlich erschien die Arbeit unter seinem Geburtsnamen Hassan Feridon, wie inzwischen aus Glasgow offiziell bestätigt wurde. Nunmehr verbreiten die »Charaktermörder« unter Berufung auf anonyme Exiliraner, Rohani habe bei einem anderen iranischen Autoren abgeschrieben. Rohani hat aber diesen Verfasser korrekt zitiert und dessen Buch auch in seiner Bibliographie genannt. Weitere Anhaltspunkte für das Plagiatsgerücht sind nicht geliefert worden.

Öffentlicher Text

Was macht Israels Regierung, die rechten Medien jenes Landes und darüber hinaus prozionistische Agitatoren in aller Welt so nervös, daß sie seit dem 14. Juni mit allen Anzeichen hysterischer Aufgeregtheit warnen? Es heißt, Rohanis Wahl wecke im Westen »erneut Illusionen über die Kooperationsfähigkeit« des Iran, Rohani werde seine Verhandlungspartner »über den Tisch ziehen«, und »es droht ein böses Erwachen«, wie es Richard Herzinger am 21. Juni in Springers Welt beschwor. Der neue Präsident verdankt seinen Wahlsieg einer Mehrheit der iranischen Bevölkerung, die Liberalisierung im Inneren und Zurückdrängung selbsternannter außerstaatlicher »Sittenwächter« will. Diese Mehrheit wünscht friedliche und freundschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarländern, eine rationale, Iran nicht demütigende Beilegung des seit zehn Jahren geführten Atomstreits und damit auch ein Ende des von den USA und ihren Partnern dirigierten Wirtschaftsboykotts will. Damit erschwert das Wahlergebnis auch die Dämonisierung Irans, die für Militärschläge gegen das Land zwar nicht absolut unerläßlich ist, aber aus Sicht der Kriegshetzer doch wünschenswert wäre. Sie würde ihnen die Rechtfertigung ihrer Aggression erleichtern.

Zurück zur Rede aus dem Jahr 2004. Sie wird in den kommenden Wochen und Monaten gewiß noch oft erwähnt werden, um Mißtrauen gegen alle iranischen Verhandlungsangebote zu predigen. Diese Ansprache wurde im Herbst 2005 in einer Zeitschrift des von Rohani geleiteten iranischen Thinktanks »Zentrum für Strategische Forschungen« abgedruckt und liegt auch auf englisch vor. Schon der öffentliche Charakter dieses Textes macht sehr unwahrscheinlich, daß sich Rohani dort selbst als Betrüger geoutet haben sollte. Und tatsächlich ergibt eine Lektüre des 39 Seiten langen Transkripts keine Argumente für diese Behauptung.

Rohani hat während seines Wahlkampfs die iranische Verhandlungsführung im Atomstreit unter Mahmud Ahmadinedschad immer wieder heftig als »extrem« und »unflexibel« angegriffen und seinen Vorgänger unverhohlen dafür verantwortlich gemacht, die Welt gegen Iran aufgebracht zu haben. Was er selbst vorhat, um die reale Gefahr eines Angriffskrieges abzuwenden, der sein Land auf Jahre hinaus schwer treffen würde, ließ der neue Präsident jedoch bisher offen. Klare Worte und Offenlegung der Verhandlungen wären die besten Mittel gegen Irans Gegner.

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. Juni 2013


Der neue Präsident: Hassan Rohani

Von Knut Mellenthin **

Der 64jährige Hassan Rohani ist nicht gerade das, was man sich unter einem Oppositionspolitiker vorstellt. Er gehört seit Jahren mehreren Gremien an, die für die reale Ausübung der Macht im Iran von zentraler Bedeutung sind: dem Schlichtungsrat (seit 1991), der bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Parlament und dem Wächterrat vermitteln soll, der Expertenversammlung (seit 1999), und dem Obersten Nationalen Sicherheitsrat seit dessen Schaffung im Jahre 1989. 16 Jahre lang war er dessen Erster Sekretär, bis er im August 2005 nach der Wahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten diese Funktion niederlegte. Er blieb jedoch Mitglied des Sicherheitsrats – als persönlicher Repräsentant des Obersten Revolutionsführers Ali Khamenei. Rohani leitet außerdem seit 1992 das Zentrum für Strategische Forschungen, das dem Schlichtungsrat untersteht.

Als sich 2003 der internationale Streit um das iranische Atomprogramm zuspitzte, wurde die Position eines Koordinators und Hauptverantwortlichen für die Verhandlungen geschaffen. Dessen Aufgaben und Kompetenzen sind mit dem üblichen Begriff »Chefunterhändler« nur unzureichend beschrieben. Diese Funktion wird stets vom Sekretär des Sicherheitsrats ausgeübt. Rohani hatte sie von Oktober 2003 bis August 2005.

Der islamischen Opposition gegen das Schahregime hatte sich Rohani schon als Sechzehn- oder Siebzehnjähriger angeschlossen. Nach dem Sieg der »Islamischen Revolution« von 1979 wurde er, damals 30 Jahre alt, vom Revolutionsführer Ajatollah Khomeini mit der Reorganisierung, man muß fast sagen: dem Neuaufbau, der Streitkräfte betraut. Im aufgezwungenen Krieg gegen den Irak (September 1980 bis August 1988) nahm er hohe militärische Führungsaufgaben wahr. Was ihn, der zuvor islamische Theologie und Rechtswissenschaften studiert hatte, für diese Positionen qualifizierte, außer seinen politisch-religiösen Überzeugungen und seinem Intellekt, ist nicht nachvollziehbar. Zweifellos ist er heute aber einer der erfahrensten Sicherheits- und Außenpolitiker Irans.

** Aus: junge Welt, Samstag, 29. Juni 2013


Sensationelle Geschichte

Das Attentat in Buenos Aires 1994 und ein Kronzeuge vom BND

Von Knut Mellenthin ***


Irans neuer Präsident Hassan Rohani soll für den folgenschwersten Anschlag mitverantwortlich sein, der seit 1945 auf eine jüdische Einrichtung verübt wurde, behaupten israelische und prozionistische Medien. Diese Vorwürfe stützen sich jedoch ausschließlich auf die Entlassungen eines Informanten des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND).

Am 18. Juli 1994 wurde das siebenstöckige Gebäude der AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina – eine Art Sozialversicherung) in Buenos Aires durch eine Bombe zum Einsturz gebracht. Unter den Trümmern starben 85 Menschen, 300 wurden verletzt. In dem Haus befanden sich auch die Büros mehrerer anderer jüdischer Organisationen und ein Gemeindezentrum. Das Gebäude hatte eine große Bedeutung für die argentinischen Juden – mit zwischen 200000 und 300000 Menschen die größte jüdische Gemeinschaft Lateinamerikas.

Israel und die USA machten für den Anschlag sofort den Iran verantwortlich, hatten dafür aber zunächst keine realen Anhaltspunkte. Das änderte sich, als 1996 ein iranischer Geheimdienstmann in Deutschland auftauchte, Asyl beantragte und ein außerordentliches Erzähltalent an den Tag legte. Abdolghassem Mesbahi war nicht nur Kronzeuge im Berliner »Mykonos«-Prozeß 1997, in dem es um die Ermordung von drei aus dem Iran stammenden kurdischen Exilpolitikern und eines Dolmetschers in einem griechischen Restaurant in Wilmersdorf ging. Mesbahi behauptete, auch ganz genau zu wissen, daß der Anschlag auf das AMIA-Gebäude am 14. August 1993 in einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats beschlossen worden sei. Er nannte sogar einen Zeitraum (»zwischen 14.30 Uhr und 18.30 Uhr«) und den Ort des Treffens: nicht etwa Teheran, sondern die Provinzstadt Maschad. Selbst dabeigewesen sein will Mesbahi aber nicht. Er habe das alles von einem Geheimdienstkollegen gehört, der jedoch schon gestorben war, als der BND-Informant seine sensationelle Geschichte zu erzählen begann.

Die jetzt gegen Rohani erhobenen Anschuldigungen beziehen sich auf die Tatsache, daß er damals Sekretär, das heißt faktisch Chef des Nationalen Sicherheitsrats war. Die neokonservative Propagandawebsite The Washington Free Beacon, wo dieser Vorwurf zuerst auftauchte, berief sich dabei auf die aus dem Jahr 2006 stammende Anklageschrift des argentinischen Staatsanwalts Alberto Nisman. Das ist offensichtlich falsch: Genannt werden dort unter anderem Haschemi Rafsandschani, der von 1989 bis 1997 Präsident Irans war, der frühere iranische Außenminister Ali Akbar Welajati, der amtierende Verteidigungsminister Ahmad Wahidi, der frühere iranische Geheimdienstchef Ali Fallahian und der ehemalige Kommandeur der Revolutionsgarde, Mohsen Rezai – nicht aber Rohani. Das erläuterte Nisman jetzt am 24. Juni gegenüber der rechtsgerichteten Zeitung Times of Israel: Der angebliche Attentatsbeschluß sei nicht im Sicherheitsrat, sondern in einem Parallelgremium mit weitgehend gleicher Besetzung gefallen. Rohani habe an dem Treffen – für dessen Stattfinden es jedoch außer Mesbahis Behauptung keine Indizien gibt – nach den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörde nicht teilgenommen.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 29. Juni 2013


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