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Hat er oder hat er nicht?

Irans Präsident will nicht Autor eines Aufsatzes sein, der unter seinem Namen in der SZ gedruckt wurde

Von Knut Mellenthin *

Rätselhafte Dinge geschahen kurz vor Weihnachten zwischen München und Teheran. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) veröffentlichte am Montag einen mit dem Namen des iranischen Präsidenten Hassan Rohani gezeichneten Aufsatz, der international breit beachtet wurde. Besonders oft wurde ein Satz daraus zitiert: »Wir wollen unsere Beziehungen zu den europäischen und nordamerikanischen Ländern auf der Grundlage gegenseitigen Respekts wieder aufbauen und verbessern.«

Auch viele iranische Medien verwiesen auf den Aufsatz, zumeist aufgrund einer Meldung der Agentur Reuters. Wenige Stunden später kam aus Teheran ein Dementi. Abgegeben hatte das Statement nicht Rohani selbst oder sein Büro, sondern Mohammad Resa Sadeq. In iranischen Medien wird er meist als »hochrangiger Berater« des Präsidenten, gelegentlich auch als sein »Presseberater« bezeichnet. Kern von Sadeqs Aussage: »Unabhängig vom Inhalt hat Dr. Rohani keinerlei Anmerkungen oder irgendetwas Geschriebenes an dieses deutsche Publikationsorgan geschickt. Diesen Beitrag dem Präsidenten der Islamischen Republik Iran zuzuschreiben, ist eine Lüge.« – Den Medien seines Landes empfahl Sadeq, in solchen Fällen nicht gleich aus westlichen Agenturmeldungen abzuschreiben, sondern zunächst im Präsidentenamt nachzufragen. Eine Aufforderung übrigens, die nicht zum ersten Mal erging.

Agentur für Gastbeiträge

Die SZ hatte zu dem rätselhaft erscheinenden Vorgang bis zum Freitag keine offizielle Erklärung abgegeben und hat das nach Aussagen aus dem Haus auch nicht vor. Der Leiter des Ressorts Außenpolitik der Zeitung, Stefan Kornelius, teilte dem Autor dieses Artikels am Donnerstag auf Anfrage mit: »Der Beitrag basiert auf einer Rede Rohanis, er wurde von der Gastbeitragsagentur Project Syndicate weltweit an Partnerzeitungen verbreitet. Project Syndicate hat von iranischer Seite am 13. Dezember das Einverständnis erhalten, auf Basis der Rede einen abgestimmten Text zu verbreiten. Er wurde also nicht eigens für die SZ verfaßt und trägt das Einverständnis der iranischen Seite. Das Dementi trifft die SZ also nicht, aber meinen Informanten zufolge ist es auch nicht eindeutig dem Präsidenten zuzuordnen.«

Das scheint den Ablauf im großen und ganzen richtig wiederzugeben. Project Syndicate, das unter anderem durch Spenden des US-amerikanischen Milliardenspekulanten George Soros und der Hamburger Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius gefördert wird, bietet einem breiten Spektrum von Medien regelmäßig Gastbeiträge von Prominenten aus Politik und Wirtschaft an. Projekt Syndicate behauptet auf seinen Twitter-Seiten, Rohani habe den Text für sie geschrieben. Die verbreitete, von der Agentur redigierte Version sei zuvor von iranischer Seite gebilligt worden. Das könne durch »Dokumente« bewiesen werden. Ergänzend geht aus einer nicht dementierten Reuters-Meldung hervor, daß es sich bei der iranischen Stelle, von der sich Project Syndicate angeblich das grüne Licht für seine Endfassung des Aufsatzes geholt habe, um die UN-Mission in New York gehandelt haben soll. Das mutet einigermaßen ungewöhnlich an.

Inneriranischer Aspekt

Die von der SZ unter Rohanis Namen veröffentlichte deutsche Version ist lediglich eine Kurzfassung des von Project Syndicate verbreiteten vollständigen englischen Textes. Von diesem machten mehrere arabische Zeitungen Gebrauch, darunter unter anderem die in Dubai ansässige Gulf News. Deren Fassung ist rund 9000 Zeichen lang; der Rohani zugeschriebene Aufsatz in der SZ hat dagegen nur knapp 6500 Zeichen. Die umfangreichen Streichungen hat die Redaktion der Süddeutschen selbst vorgenommen, wie Kornelius am Freitag bestätigte. »Im Einvernehmen mit der Agentur«, aber offenbar ohne Rücksprache mit Rohani oder einer anderen iranischen Stelle.

Neben dem Einblick in fragwürdige westliche Pressepraktiken hat die Geschichte aber auch einen inneriranischen Aspekt. Ende September hatte Sadeq den Präsidenten schon einmal dementiert. Rohani hatte damals ein Interview mit Christiane Amanpour vom US-amerikanischen Sender CNN – ihr Vater ist Iraner, sie hat ihre Kindheit in Teheran verbracht – geführt. Es ging dabei, neben vielem anderen, auch um den Holocaust und natürlich um das bekannte, immer wieder falsch übersetzte Zitat von Rohanis Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad. Vor allem der Chef der iranischen Nachrichtenagentur Fars erhob ein tagelanges Geschrei, Amanpour habe das Interview böswillig gefälscht, und forderte ihre Bestrafung. Rohani selbst äußerte sich in der ganzen Zeit öffentlich mit keinem einzigen Wort zu dem Streit. Am Ende reduzierte sich der angebliche Fälschungsskandal im wesentlichen darauf, daß der Präsident das ihm in den Mund gelegte Wort »Holocaust« nicht gesagt habe. Das wird freilich außerhalb Irans kaum jemand als Beschädigung des Ansehens des Präsidenten interpretiert haben. CNN argumentierte, daß die Dolmetscher für das Interview vom Präsidentenbüro empfohlen worden seien.

Man kann sich in diesem Zusammenhang auch an die Grüße zum jüdischen Neujahrsfest – in diesem Jahr Anfang September – erinnern, die von einem angeblich auf Rohani eingetragenen Twitter-Account an die Juden der Welt verschickt worden waren. Auch da gab es ein Dementi von Sadeq. Zum Glück unaufgeregt und sachlich. Aber warum der iranische Präsident, der dieser Tage ebenso wie früher sein Vorgänger Ahmadinedschad Weihnachtsgrüße an alle Christen richtete, nicht auch den Juden zu einem völlig unpolitischen Fest wie Rosch Ha-Schana Glück wünschen sollte, bleibt unverständlich.

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. Dezember 2013


Wie man ein Zitat verfälscht ...

... trotzdem der Wirklichkeit nahekommt

Von Knut Mellenthin **


Unter reißerischen Überschriften wie »Irans Militärchef sagt, daß Rohanis Regierung ›von der westlichen Doktrin infiziert‹ sei« (Agentur Reuters), »Iranischer Kommandeur kritisiert Regierung wegen Einfluß aus dem Westen« (New York Times) und »Irans Chef der Revolutionsgarde greift Hassan Rohanis Regierung an« (Telegraph, London) berichteten westliche Medien am 10. Dezember über eine »Spaltung zwischen den Hauptpfeilern des Regimes« (Telegraph), die in dieser Form nicht stattgefunden hatte.

Die iranische Nachrichtenagentur Fars dokumentierte am 24. Dezember, was wirklich passiert war. Die Agentur hatte am 10. Dezember in ihrem landessprachigen Dienst Auszüge einer Rede verbreitet, die der Chef der Revolutionsgarde, Generalmajor Mohammed Ali Dschafari, in einer Teheraner Universität gehalten hatte. Insbesondere ein Satz war von westlichen Medien aufgrund einer Reuters-Meldung aufgegriffen worden. Er lautete: »Die Systeme und Prozeduren, die das administrative System unseres Landes beherrschen, sind dasselbe System, das nur geringfügig verändert wurde und das unglücklicherweise von westlichen Lehren infiziert ist. Es muß einem grundlegenden Wandel unterzogen werden.«

Daraus hatte Reuters durch eine schwerwiegende Falschübersetzung eine Polemik gegen den seit Anfang August amtierenden Präsidenten Rohani gemacht. Der Satz sah nun plötzlich so aus: »Das Militär, die Systeme und Prozeduren, die das administrative System des Landes beherrschen, sind dieselben wie vorher, aber es wurde etwas modifiziert und unglücklicherweise von westlichen Doktrinen infiziert. Es muß einen grundlegenden Wandel geben.« – So klang es nun, oder wurde wenigstens so interpretiert, als habe Dschafari nicht eine Bilanz der 34 Jahre seit dem Sturz des Schahregimes gezogen, sondern von den zurückliegenden Monaten seit dem Regierungswechsel gesprochen. Ob es sich nur um einen dummen Übersetzungsirrtum oder um politische Absicht handelte, läßt sich selbstverständlich nicht beweiskräftig klären.

Zum Gesamtbild gehört aber auch, worauf Fars in ihrem Dementi nicht zu sprechen kam, daß Dschafari in seiner Rede ganz allgemein von inneren Gefahren und von der Notwendigkeit einer, so wörtlich, »Kulturrevolution« gesprochen hatte. Wahr scheinen außerdem die Meldungen – jedenfalls gab es dazu kein Dementi –, daß Dschafari über Außenminister Mohammed Dschawad Sarif öffentlich gesagt haben soll: »Wir halten ihn für einen erfahrenen Diplomaten, aber er hat keine Erfahrung auf militärischem Gebiet.« – Das bezog sich darauf, daß Sarif zuvor von iranischen Medien mit der Aussage zitiert worden war, der Westen habe vor Irans Verteidigung wenig Angst und könnte Iran zerstören, falls er das wollte.

Der Außenminister hatte dazu noch vor Dschafaris Kritik erklärt, seine Sätze seien verdreht und aus dem Kontext gerissen worden. Nach Landessitte ließ Sarif jedoch offen, was er wirklich gesagt und gemeint haben will. Iranische Dementis sind nur in Ausnahmefällen wirklich aufklärend. Und daß zwischen der Revolutionsgarde – einer Parallelarmee mit sämtlichen Waffengattungen, die vermutlich besser ausgerüstet ist als die regulären Streitkräfte – und den Kreisen, die Rohani repräsentiert, nicht gerade volle Harmonie herrscht, bedarf keiner Übersetzungstricks.

** Aus: junge Welt, Samstag, 28. Dezember 2013




Kommentar: Broders Senf

Von Knut Mellenthin ***

Mit 67 müßte der Exjournalist Henryk Broder eigentlich nicht mehr arbeiten. Tut er bei näherem Hinsehen auch gar nicht: Er motzt nur noch lustvoll vor sich hin. Gerade eben hat ihn der Abdruck eines Aufsatzes von Irans Präsident Hassan Rohani in der Süddeutschen Zeitung (SZ) zum Schreiben oder nennen wir es richtigerweise: zum freien Assoziieren animiert.

Das Blatt hat er ohnehin auf dem Kieker, weil es »immer wieder versucht, das Teheraner Terrorregime zu verharmlosen und im Gegenzug Israel zu dämonisieren«. Ähnliches würde Broder wahrscheinlich auch über jede andere deutschsprachige Zeitung behaupten. Vielleicht mit Ausnahme der Welt, wo er nach dem Abstieg aus der journalistischen Oberliga (Spiegel) sein Gnadenbrot verzehrt. Mit dem Abdruck des Rohani-Textes habe »sich der Bayrische Beobachter selbst übertroffen«, schreibt er in dem von ihm mitverantworteten Blog »Achse des Guten«. Das ist eine nicht wirklich witzige Anspielung auf den Völkischen Beobachter, das Parteiorgan von Hitlers NSDAP. Broder mag solche grenzenlos kreativen Nazivergleiche. Natürlich nur, solange ausschließlich er selbst sie anstellt.

Was er der SZ alles schon vorgeworfen hat, mögen Broder-Experten vielleicht ungefähr wissen, zu denen der Kommentator nicht gehört. Jetzt ist ihm als Schwerwiegendstes eingefallen, daß Katajun Amirpur dort im Mai 2010 schreiben durfte, das berüchtigte Ahmadinedschad-Zitat (»Israel von der Landkarte fegen«) sei nur das Produkt einer falschen Übersetzung.

Der Sachverhalt ist absolut eindeutig: Der damalige iranische Präsident hat das nicht gesagt. Das könnte Broder beispielsweise beim Übersetzungsdienst MEMRI nachlesen, der ein qualifizierterer und zuverlässigerer Dienstleister des zionistischen Staates ist, als es Broder aufgrund seiner Defizite jemals sein könnte.

Aber Broder haßt Tatsachen. Selbst wenn sie ihm gelegen kommen, spannt er sie zunächst auf seine Folterbank und streckt sie, bis die Knochen krachen. Anschließend setzt er auch noch die Daumenschrauben an. Und wenn Tatsachen seinem Weltbild erheblich widersprechen, springt und tobt er wütend auf ihnen herum wie Rumpelstilzchen. Wie das endete, steht in Grimms Märchen.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 28. Dezember 2013 (Kommentar)


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