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Irans Raketen als politischer Trumpf

Von Ilja Kramnik *

In der vergangenen Woche hat Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad den erfolgreichen Start einer neuen Mittelstrecken-Rakete gemeldet.

Es handelt sich um die zweistufige Boden-Boden-Rakete vom Typ Sedschil-2 mit einer Reichweite von 2000 Kilometer. Sie hat die Diskussion über Raketen- und Atomwaffengefahr durch den Iran und den damit zusammenhängenden Aufbau des US-Raketenabwehrsystems wiederbelebt.

Mit dieser Reichweite kann die Rakete auf Ziele in Israel, Kleinasien und auf dem Balkan abgefeuert werden. Ihre Neuheit wird jedoch angezweifelt: Experten zufolge hat das iranische Fernsehen den Start der Schahab-3-Rakete gezeigt, die Anfang der 2000er Jahre auf Grundlage der nordkoreanischen Nodong-Rakete entwickelt wurde.

Doch welche Rakete das iranische Fernsehen auch gezeigt haben mag, an dem Sinn der entbrannten Diskussion ändert das nichts. Am wichtigsten ist die Frage, ob Iran tatsächlich Raketen einsetzen würde, und der Zustand der Armeen sowie Verteidigungskräfte, um einen Angriff abwehren zu können.

Die Bedeutung des Raketenprogramms für Iran ist wichtiger als seine militärische Komponente. Die Entwicklung von neuen Raketen hilft Iran beim politischen Feilschen mit den westlichen Staaten

Denn je größere Möglichkeiten Iran beim Bau von Raketen demonstriert, desto mehr Zugeständnisse könnten dabei ausgehandelt werden.

Mit dieser Taktik ist die reale Gefahr eines Raketeneinsatzes kaum gegeben. Ein Angriff Irans würde (falls er stattfindet) garantiert die Vernichtung seines Raketenarsenals sowie schwere Verluste für das Land und seine Wirtschaft bedeuten.

Der geringe Schaden, den Irans Gegner erleiden würden, steht da in keinem Verhältnis. Deshalb sind die Meldungen über die Tests neuer Raketen und deren Möglichkeiten eher als PR-Aktionen zu betrachten, weil Iran seine Einsätze im globalen politischen Spiel erhöhen will.

Anders würde die von Iran ausgehende Raketengefahr aussehen, wenn es atomare Sprengköpfe für seine Raketen entwickelt. Dieser Schritt würde beinahe unvermeidlich zum drastischen Anstieg der militärischen Spannungen führen und die Möglichkeit normaler Verhandlungen nahezu ausschließen.

Eine solche Situation beobachten wir jetzt am Beispiel Nordkoreas, das sich nach seinem zweiten Atomwaffentest in völliger internationaler Isolation befindet.

Außerdem wird die Situation durch die extrem gespannten Beziehungen zwischen Iran und Israel beeinflusst. Tel Aviv ist militärisch in der Lage, die iranischen Atomobjekte dem Boden gleichzumachen. Wo die Grenze verläuft, an der sich Israel für eine eigene Militäraktion entschließt, ohne sich um die Meinung der Weltgemeinschaft zu kümmern, ist unbekannt.

Um Irans Raketendrohung zu parieren, bauen die USA ihr Raketenabwehrsystem (ABM) aus, was einen Streit zwischen den USA und Russland entfacht hat. Russische Experten nehmen nicht ohne Grund an, dass das geplante ABM-System in der jetzigen Form nicht dem Abfangen von iranischen, sondern von russischen Raketen dient.

Als Alternative zum US-Raketenabwehrsystem in Europa hat Russland mehrmals vorgeschlagen, die Aufstellung von Abfangraketen an Irans Grenze - in der Türkei, in Kuwait, möglicherweise im Irak - zu prüfen. Das würde das Abfangen von in Iran gestarteten Raketen erleichtern und zugleich keine Gefahr für das russische Raketen- und Atomwaffenarsenal darstellen.

Hinzu kommt noch Folgendes: Falls Stützpunkte des US-Raketenabwehrsystems in der Nähe der iranischen Grenze eingerichtet werden, ist es für das Abfangen iranischer Raketen am Startort nicht unbedingt notwendig, teure Raketen wie GBI mit ihren unterirdischen Startrampen einzusetzen. Diesen Job könnten genauso gut Raketenabwehr-Systeme wie THAAD, PAC-3, die israelische Hetz-Rakete, auch bekannt als "Arrow"-Rakete, andere mobile, darunter seegestützte Systeme erledigen.

Je nachdem, ob die USA eine solche Änderung ihrer ABM-Strategie akzeptieren, könnte der Schluss darüber gezogen werden, ob sie Irans Raketengefahr für realistisch halten oder als Vorwand für den Aufbau ihrer ABM-Systeme gegen Russland nutzen wollen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 27. Mai 2009



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