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Am Rande des Abgrunds

Iran droht ein Militärschlag: Israels Regierungschef will sich in den USA versichern lassen, daß es keinen politischen Kompromiß mit Teheran geben wird

Von Norman Paech *

Seit Jahren haben wir uns an die Meldungen gewöhnen müssen, daß Israel früher oder später eine militärische Offensive gegen Iran starten wird, um die dort im Aufbau befindlichen atomaren Aufbereitungsanlagen zu zerstören. Das Internetportal Wikileaks hat Berichte aus dem Jahr 2005 veröffentlicht, in denen der US-amerikanische Botschafter in Israel das State Department über die Vorbereitungen Ariel Scharons für einen Angriff auf den Iran informierte. Seitdem sind sieben Jahre vergangen, und wir sind geneigt, uns zu beruhigen und den Adressaten dieser Drohungen weniger im Iran zu sehen als in den USA und den Staaten der EU, um den Druck für weitere und schärfere Sanktionen gegen Iran zu erhöhen. Dies ist zweifellos eine wesentliche Absicht der regelmäßigen Ankündigungen aus Jerusalem, die seit 2006 auch immer wieder zu Sanktionsresolutionen des UN-Sicherheitsrats geführt haben.

Jetzt allerdings scheint eine neue Stufe der Eskalation erreicht zu sein, wenn selbst der russische Regierungschef Wladimir Putin vor der größer werdenden Gefahr eines Militärschlages gegen Iran warnt. Er hat zwar bisher mäßigend auf die Sanktionspolitik der USA eingewirkt, sie jedoch im Kern immer mitgetragen. Die Situation erscheint ihm offensichtlich nun so brenzlig, daß er sogar die Kernforderung des Sicherheitsrats an Iran auf Einstellung des gesamten Atomprogramms aufgibt, und die völkerrechtlich jedem Staat zugestandene Aufbereitung für zivile Zwecke zur Grundlage diplomatischer Verhandlungen machen will. Zu spät? Die unterschiedlichen Signale aus Israel und den USA lassen das befürchten.

Politischer Selbstmord

Im Dezember vergangenen Jahres noch wollte die Regierung Benjamin Netanjahus zumindest die US-Administration von einem unmittelbar bevorstehenden Militärangriff unterrichten, ohne sich allerdings mit ihr zu beraten. Die Nachrichtenagentur Associated Press berichtet nun, daß die israelische Führung auch das nicht mehr will, sondern ohne Vorwarnung angreifen werde, damit Iran die USA nicht dafür verantwortlich machen kann, die Attacke nicht verhindert zu haben. Dies ist nur vor dem Hintergrund verständlich, daß sich die Regierung in Jerusalem absolut sicher ist, daß ihr Washington im Fall eines Krieges mit Iran zur Hilfe eilen wird. Dafür verfügt sie in den USA über die außerordentlich einflußreiche Lobby-Organisation »American Israel Public Affairs Committee« (AIPAC). Diese hat nicht nur einen interfraktionellen Gesetzesantrag im Kongreß mit eben diesem Ziel auf den Weg gebracht. Ihr gelang es auch, ein Gesetz verabschieden zu lassen, welches jedem Angestellten der US-Administration verbietet, offiziell oder inoffiziell mit irgend jemandem, der in den Diensten der iranischen Regierung steht, in Kontakt zu treten. Diesem Verbot hat sich Präsident Barack Obama, der das Gesetz gerade unterschrieben hat, ebenso unterworfen. Eine Ausnahme davon muß 15 Tage zuvor bei vier Komitees des Kongresses beantragt und von diesen genehmigt werden. Ein politischer Selbstmord, der nicht nur offen jede politische Lösung des Konfliktes mit Teheran torpediert, sondern den geraden Weg zu einer militärischen Aggression für Netanjahu öffnet.

Der israelische Ministerpräsident wird sich in diesen Tagen in den USA noch einmal versichern lassen, daß es keinen politischen Kompromiß mit Teheran geben wird. Und er wird vor allem AIPAC gegen jene Stimmen in den USA mobilisieren, die nicht davon überzeugt sind, daß Teheran sein Atomprogramm zu einer militärischen Kapazität ausbauen will, und eindringlich vor einem Angriff auf Iran warnen.

Dies erinnert an das Interview des ehemaligen IAEA-Generaldirektors Mohamed ElBaradei vom vergangenen April, in dem er leicht resigniert feststellte, daß Amerikaner und Europäer niemals an einem Kompromiß mit der Regierung in Teheran interessiert waren, nur an einem Regierungswechsel – »by any means necessary«. Im Herbst 2009 bot die sogenannte Wiener Gruppe (USA, Frankreich, Rußland und die IAEA) den Iranern ein Tauschgeschäft an: Sie sollten 1200 Kilogramm ihres leicht angereicherten Urans gegen auf 20 Prozent angereicherte Uranbrennstäbe für ihren Forschungsreaktor austauschen. Teheran war prinzipiell dazu bereit, da es aber nicht sicher war, wann es mit der Rücklieferung rechnen konnte, kam der Handel nicht zustande. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Brasiliens Präsident Luiz Inázio Lula da Silva wollten vermitteln und holten sich im April 2010 auf dem Nuclear-Security-Gipfel in New York die ausdrückliche Unterstützung Obamas. In der Tat gelang es beiden Staatsmännern, eine Übereinkunft zu erzielen, so daß sich Teheran am 17. Mai 2010 zu einem derartigen Tauschvertrag bereit erklärte. Doch Obama winkte ab und läutete die vierte Sanktionsrunde des UN-Sicherheitsrats ein.

Iran hatte schon frühzeitig in den Abkommen von Teheran (Oktober 2003) und Paris (November 2004) auf die Entwicklung eines zivilen Atomprogramms verzichtet und das Zusatzprotokoll zum Nichtweiterverbreitungsvertrag, welches unangekündigte Inspektionen seitens der IAEA vorsieht, unterzeichnet – als vertrauensbildende Maßnahme. Als die Westmächte jedoch die geforderten Sicherheitsgarantien zurückwiesen und auch die Angebote zu wirtschaftlicher Kooperation nicht überzeugen konnten, nahm das Land im August 2005 die Aktivitäten zur Urananreicherung wieder auf. Die USA reagierten und erreichten mit erheblichem politischen Druck, daß die IAEA im Februar 2006 die Akte Iran dem UN-Sicherheitsrat übersandte, um ihre Sanktionspolitik durchsetzen zu können. Präsident Mahmud Ahmadinedschad wiederum zog seine Zustimmung zu dem Zusatzprotokoll zurück, was die Kontrolltätigkeit der IAEA seitdem erschwerte. Vergessen wird bei der Kritik an Iran dabei, daß insgesamt 45 Mitgliedsstaaten des Nichtweiterverbreitungsvertrags, darunter 14 europäische Länder, ebenfalls das Zusatzprotokoll nicht unterschrieben haben. Iran hat angeboten, das Zusatzprotokoll wieder zu akzeptieren, wenn seine Akte zurück aus dem Sicherheitsrat der IAEA überstellt würde. Doch auch diese Offerte ist von den USA und EU-Staaten abgelehnt worden.

Deutlicheres Bild

Das Mosaik aus all dem ist nicht so kompliziert und widersprüchlich, als daß daraus nicht ein deutlicheres Bild gelesen werden könnte. Das zeigt, daß Obama trotz der Kriegstrommeln seiner republikanischen Konkurrenten im Kampf um die nächste Präsidentschaft jetzt keinen Angriff gegen Iran erwägt. Es zeigt aber auch, daß er keine politische Alternative vorweisen kann, um die Kriegstreiber aus Israel im Zaum zu halten. Die Schraube der Sanktionen führt nicht zur Unterwerfung der Regierung in Teheran, das wissen auch die, die an ihr wieder drehen, und Israels Führung wird man damit nicht befrieden. Ihr Kalkül kann nur sein, den Feind derart zu prügeln und zu provozieren, daß er die Kontrolle verliert und den Vorwand zum Militärschlag liefert. Und sollte sich anschließend unter den anschließenden Bomben- und Raketenkratern herausstellen, daß es keine Beweise für die Entwicklung einer iranischen Atombombe gibt, müßte wieder die »humanitäre Intervention« zur Legitimation herhalten. Wie 2003 in Bagdad – eine apokalyptische Vorstellung und nicht die Rettung, sondern das Ende aller Menschenrechte.

Wenn es überhaupt noch eine Alternative dazu gibt, könnte sie wohl nur von Rußland und der Volksrepublik China herbeigeführt werden. Wenn mit Nordkorea immer noch ohne Krieg gesprochen wird, sollte das auch mit Iran möglich sein.

* Norman Paech ist emeritierter Professor für Völkerrecht. Er war von 2005 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke.

Aus: junge Welt, 5. März 2012


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