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NATO überm Golf?

Die Erbeutung einer US-Drohne durch Iran wirft die Frage nach dem Anteil der Allianz an den Spionageflügen auf

Von Knut Mellenthin *

Am Dienstag präsentierte die Marine der iranischen Revolutionsgarde im Fernsehen eine US-amerikanische Drohne, die sie nahezu unbeschädigt erbeutet hatte. Zu Zeit und Ort des Vorfalls wurde nur mitgeteilt, daß der unbemannte Flugkörper vom Typ ScanEagle »unter Verletzung der im internationalen Luftraum geltenden Regeln« mehrere Tage lang Daten über dem Persischen Golf gesammelt habe, bevor er eingefangen wurde. Am Mittwoch hieß es, eine Auswertung der Drohne habe ergeben, daß sie iranische Militäranlagen und Öl-Terminals ausspioniert habe. Seither beschränken sich die aus Teheran kommenden Meldungen darauf, den Vorfall immer wieder als Ausdruck der »Brutalität«, aber auch »Schwäche« der USA und vor allem als Beweis der eigenen militärischen Überlegenheit zu preisen. Über sachliche Details wurde kaum informiert.

Anscheinend wissen die iranischen Militärs wirklich nicht viel mehr oder halten ihre Erkenntnisse zurück. Zur Herkunft des abgefangenen Flugkörpers erklärte General Ali Fadawi, der Marinechef der Revolutionsgarde, lediglich: »Solche Drohnen werden normalerweise von großen Kriegsschiffen aus gestartet.« Das ist angesichts der iranischen Standardbehauptung, den Persischen Golf vollständig unter Beobachtung zu haben, auffallend unpräzise. Sprecher der für die Region zuständigen 5. US-Flotte, die in Bahrain stationiert ist, behaupten, die Navy habe zwar im Laufe der Jahre einige Drohnen dieses Typs »im Wasser verloren«, aber eine Überprüfung habe ergeben, daß in letzter Zeit keine abhanden gekommen sei. Dagegen gibt die iranische Seite sich absolut sicher, daß die abgefangene ScanEagle den US-Streitkräften gehört habe und daß die Amerikaner früher oder später gezwungen sein würden, das auch zuzugeben. Presseberichten zufolge besitzen allerdings auch die Vereinigten Arabischen Emirate eine nicht bekannte Zahl solcher Drohnen. Unklar ist jedoch, ob sie technisch in der Lage wären, diese ohne enge Kooperation mit den USA selbstständig einzusetzen.

ScanEagle ist erheblich kleiner als die Drohnen, von denen man meist in den Medien liest und hört. Ihre Flügelspannweite beträgt nur 3,11 Meter, ihre Länge 1,37. Mit allem Zubehör wiegt sie gerade mal 20 Kilo. Die ScanEagle kann von fast jeder Stelle aus mit einer mobilen Katapultanlage gestartet werden. Sie hat eine maximale Flughöhe von rund 6000 Meter. Eine ihrer wichtigsten Stärken ist, daß sie über 24 Stunden, mit speziellem Treibstoff sogar über 28 Stunden lang in der Luft bleiben kann. Der Hersteller Insitu, ein Tochterunternehmen des Boeing-Konzerns, gibt den von einer ScanEagle erfaßten Beobachtungsradius mit 217 Kilometern an.

Die ScanEagle wurde zunächst als Gefechtsfeld-Aufklärer entwickelt. Ihre ersten Einsätze hatte sie bei der Aufstandbekämpfung in Afghanistan und im Irak. Für solche Situationen ist der Beobachtungsradius der Mini-Drohne nicht nur völlig ausreichend, sondern sehr komfortabel. Zur Steigerung und Ausweitung ihrer Einsatzmöglichkeiten experimentieren die US-Streitkräfte und die Herstellerfirma seit einigen Jahren mit der Steuerung und Kontrolle der ScanEagle aus der Luft, insbesondere durch die AWACS-Flugzeuge der NATO. 2010 war das Verfahren so weit ausgereift, daß es in einer Kriegsübung vorgestellt werden konnte. Angenommener Fall war die Identifizierung eines mutmaßlichen Piratenschiffs im Indischen Ozean. Im vorigen Jahr kam die Kombination AWACS-ScanEagle in Libyen erstmals zum Kriegseinsatz, wobei die Drohnen vom US-Zerstörer »Mahan« aus gestartet wurden. Das wirft die bisher noch nicht erörterte Frage auf, ob auch an den Drohnenflügen der USA über dem Persischen Golf und Iran AWACS-Maschinen der NATO beteiligt sind.

* Aus: junge Welt, Freitag, 07. Dezember 2012


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