Iran braucht eine Bürgerrechtsbewegung
Mohammad Javad Haghshenas sieht sein Volk von Angela Merkel beleidigt
Mohammad Javad Haghshenas (44) ist herausgeber der iranischen Tageszeitung "Etemad e-Melli" ("Nationales Vertrauen"). Die Zeitung ist Sprachrohr der gleichnamigen Partei, die von Mahdi Kharubi, dem ehemaligen Parlamentspräsidenten, im Oktober 2005 gegründet wurde. Viele der rund 100 Redaktionsmitarbeiter in Teheran kommen von Zeitungen, die in den letzten Jahren verboten wurden. Die Auflage von "Etemad e-Melli" liegt bei 65.000 Exemplaren, die landesweit vertrieben werden. Irans staatlich finanzierte und kontrollierte Zeitungen erreichen ereeichen eine sehr viel höhere Auflage und Verbreitung.
Das Interview führte Karin Leukefeld in Teheran für die Tageszeitung "Neues Deutschland".*
Irans Reformpolitiker machen sich rar, Journalistinnen befragen stattdessen Journalisten zur
politischen Lage, was ist das Problem?
Ich halte das nicht für ein politisches, sondern eher für ein persönliches Problem der Politiker, ob sie
ein Interview geben wollen oder nicht. Ich kann natürlich nicht für alle Reformer sprechen, aber für
mich und für die Mitglieder unserer Partei ist es wichtig, mit ausländischen Journalisten zu sprechen.
Es ist für uns eine Gelegenheit, außerhalb unseres Landes gehört zu werden. Natürlich sind unsere
Ansprechpartner hier in Iran, aber es ist auch wichtig, dass die Reformbewegung im Ausland gehört
wird.
Die Reformregierung von Mohammad Khatami hatte acht Jahre Zeit, in Iran etwas zu verändern. Der
Erfolg ist mäßig, heute ist die Situation noch schwieriger. Was haben die Reformer aus den Fehlern
der Vergangenheit gelernt?
Was meine Partei betrifft, kann ich sagen, dass wir für die notwendigen Reformen eine stärkere
Zivilgesellschaft brauchen. Eine Partei zu gründen ist gut und wichtig, aber wir brauchen eine
Bürgerrechtsbewegung. In unserer Partei sind amtierende und ehemalige Abgeordnete vertreten,
Vizeminister, Stadträte, viele Leute, die in der politischen Verwaltung arbeiten. Bald werden wir im
ganzen Land Büros eröffnen.
Von enttäuschten Anhängern der Reformregierung, Studierenden zum Beispiel, hört man den
Vorwurf, die Reformkräfte hätten viel geredet, aber nichts getan.
Es ist richtig: Die Hoffnungen wurden nicht erfüllt, darum sind die Leute heute enttäuscht. Sie
warteten auf Fortschritt, der nicht kam. Ich will die Reformer nicht rechtfertigen, sie haben ihre
Versprechen nicht erfüllt. Aber heute, ein Jahr später, kann die Öffentlichkeit doch vergleichen: Wie
war es vor einem Jahr, als die Reformer die Politik bestimmten, wie ist es heute? Auch in der
Außenpolitik sehen wir den Wandel. Wie war es früher, wie ist es heute?
Wichtig ist doch, dass wir alle realistischer werden, wir können nicht immer nur unsere Wünsche in
den Vordergrund stellen. Wenn man die Leute früher vor die Wahl gestellt hat, ob sie von einer
Sache 60 oder 100 Prozent haben wollten, dann wollten sie 100 Prozent. Die 60 Prozent, die wir
erreicht hatten, haben sie gar nicht interessiert. Heute haben sie anstelle der 60 nur noch 20
Prozent. Unsere Forderungen müssen realistischer werden.
Welche Aufgabe hat eine Bürgerrechtsbewegung in Iran?
Starke Nichtregierungsorganisationen sind sehr wichtig für die gesellschaftliche Reformdebatte. Sie
sind ein Bindeglied zwischen der Öffentlichkeit und der Regierung. Mit unserer Zeitung wollen wir
auch so ein Bindeglied sein.
Verstehen Sie Ihre Zeitung als Teil der Bürgerrechtsbewegung?
Politisch sind die Partei und die Zeitung Werkzeuge. Nichtregierungsorganisationen und
Bürgerrechtler sind ein weiteres wichtiges Werkzeug, wir wollen sie stärken, das gehört für unsere
Partei und die Zeitung zu den wichtigsten Aufgaben. Die Bürgerrechtsbewegung soll und kann die
Zeitung als Diskussionsforum nutzen.
Vor wenigen Tagen haben wir über den Kongress einer anderen Partei berichtet, die nicht nur
konservativ ist, sondern auch unser politischer Gegner. Jede Oppositionspartei, ob sie uns gefällt
oder nicht, hat das Recht auf freie, ungehinderte Arbeit und entsprechende Berichterstattung
darüber. Das entspricht unserer Herangehensweise.
Auch in Deutschland gab es einen Regierungswechsel. Seither hat sich die Politik gegenüber Iran
verändert, wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Meiner Ansicht nach war die vorherige Regierung unabhängiger, das hat man an ihrer Haltung zum
Irakkrieg gesehen. Die Zusammenarbeit mit Frankreich in dieser Frage hat Europa gegenüber den
USA gestärkt. Frau Merkel aber hat sich erstaunlich schnell an die Seite der USA gestellt, das hat
uns schon gewundert. Und was sie über Iran, seine Bürger und das iranische Atomprogramm gesagt
hat, war für uns eine Beleidigung.
Warum das?
Ich habe mich darüber so geärgert, dass ich es eigentlich nicht wiederholen will. Verstehen Sie mich
nicht falsch, ich schätze Frau Merkel als Person. Sie hat eine bemerkenswerte politische Karriere
hinter sich. Auch ihre Äußerungen zum Gefangenenlager Guantanamo sind hervorragend. Doch als
sie sagte, das iranische Volk habe nicht das Recht, zwecks ziviler Nutzung von Atomenergie Uran
anzureichern, haben wir das hier nicht verstanden. Die Leute fühlten sich beleidigt. Ich verstehe
schon, dass man in Europa in Sorge ist und vertrauensbildende Maßnahmen fordert. Aber man
sollte vermeiden, eine andere Nation zu beleidigen.
* Aus: Neues Deutschland, 20. Juni 2006
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