Alle Jahre wieder
Kriegslügen vorm Weihnachtsfest: Ein Exministerialdirektor des Verteidigungsministeriums verbreitet blühenden Unsinn zum Iran
Von Knut Mellenthin *
Wenn Hans Rühle in die Tasten haut, bleibt die Wahrheit auf der Strecke.
Vor einem Jahr erschreckte der ehemalige Ministerialdirektor im
Bundesverteidigungsministerium die Leserinnen und Leser der Süddeutschen
Zeitung mit der frei erfundenen Behauptung, Iran könne noch vor
Weihnachten eine Atombombe besitzen. (SZ, 23. Oktober 2008) Um dieser
Exklusivente, die allen Einschätzungen der US-amerikanischen und
israelischen Geheimdienste weit vorauseilte, Glaubwürdigkeit zu
verleihen, berief Rühle sich auf den Generaldirektor der Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed ElBaradei. Der hatte eine so
unsinnige These allerdings niemals aufgestellt.
Und wieder steht Weihnachten vor der Tür. Höchste Zeit für Rühle, die
nächste Ente auf Feindflug zu schicken. Diesmal sind es die Leserinnen
und Leser der Frankfurter Allgemeinen, denen der phantasievolle Autor
enthüllt, daß es »nur noch eine Frage von Tagen« ist, bis Iran nicht nur
über Atombomben, sondern auch über nukleare Gefechtsköpfe für die
Mittelstreckenrakete Shahab-3 verfügen könnte. (FAZ, 20. November 2009)
IAEA-Aufsicht
Eine kleine Einschränkung macht Rühle, nimmt diese aber gleich wieder
zurück: »...vorausgesetzt, das dafür nötige spaltbare Material, also
hochangereichertes Uran oder waffenfähiges Plutonium, ist in
ausreichender Menge vorhanden. Das dürfte in Iran der Fall sein.« Schon
wieder eine Unwahrheit: Iran besitzt nach den Erkenntnissen der IAEA und
selbst der US-Geheimdienste weder hochangereichertes Uran noch
waffenfähiges Plutonium, nicht einmal in kleinen Mengen. »Wir gehen
jetzt davon aus, daß der Iran nicht über hochangereichertes Uran
verfügt«, sagte der Chef aller US-Geheimdienste, Dennis Blair, im März
vor dem Streitkräfteausschuß des Senats aus. (Reuters, 10. März 2009)
Rühle weiß auch das natürlich besser: »Fachleute sind sich weitgehend
einig, daß im Iran tatsächlich hochangereichertes Uran in geheimen
Anlagen hergestellt wurde und wird.« - Als Autor jenseits
journalistischer Standards unterläßt er es, auch nur einen einzigen
Experten als Zeugen für diese kühne Behauptung zu nennen.
Iran produziert lediglich schwachangereichertes Uran (3,5 Prozent). Um
waffenfähiges Uran zu erhalten, müßte es auf über 90Prozent angereichert
werden. Ob das Land dazu überhaupt technisch in der Lage wäre, ist eine
hypothetische Frage: Die gesamten iranischen Vorräte an
schwachangereichertem Uran befinden sich unter Aufsicht der IAEA.
Überdies haben alle maßgeblichen iranischen Politiker wiederholt
versichert, daß ihr Land an der Herstellung von Atomwaffen völlig
uninteressiert ist, da sie im Widerspruch zum Islam stünden und
verteidigungspolitisch kontraproduktiv seien.
Worauf stützt sich Rühles Behauptung, Iran brauche nur noch wenige Tage,
um eine einsatzfähige Atombombe zu besitzen? »Nach Erkenntnissen der
Geheimdienste ist sogar ein atomarer Gefechtskopf getestet worden«,
schreibt er gleich zu Beginn seines FAZ-Artikels. Das werden
höchstwahrscheinlich die meisten mißverstehen, und das ist wohl auch
bezweckt. Erst später rückt der Verfasser damit heraus, es habe sich um
einen »kalten Test« gehandelt, also um eine Erprobung des Zündvorgangs
ohne spaltbares Material. Auch das relativiert Rühle jedoch wieder,
indem er plötzlich behauptet: »Es kann nicht einmal ausgeschlossen
werden, daß schon einige Nuklearwaffen produziert worden sind.« - Eine
Quelle für diese Vermutung gibt er nicht an. Das dürfte ihm auch schwer
fallen, da so einen blühenden Unsinn nicht einmal israelische Stellen
von sich geben.
Gerüchtequelle
Und der »kalte Test«, woher weiß Rühle davon? Die Leserinnen und Leser
des FAZ erfahren es nicht. Es sei denn, sie haben es im Spiegel gelesen,
wo die Geschichte nämlich schon am 7.November stand: »Iran soll
fortschrittliche Sprengkopf-Technik erforscht haben.« Das
Nachrichtenmagazin nannte damals auch korrekt die Quelle des Gerüchts,
die britische Tageszeitung Guardian. Die hatte es schon am 5.November im
Blatt gehabt und auch seine Herkunft erläutert: Die Behauptung, Iran
habe Versuche zur Herstellung eines nuklearen Gefechtskopfs angestellt,
stamme aus einem internen Dossier der IAEA, dessen Grundlage »zum Teil«
Berichte westlicher Nachrichtenagenturen seien. Die Behörde hat diese
Informationen bisher nicht veröffentlicht, weil sie sie nicht für seriös
genug hält.
Der Guardian unterließ es zwar, aus diesem angeblichen Geheimdossier
auch nur einen einzigen Satz zu zitieren. Aber die Zusammenfassung der
britischen Zeitung las sich sehr viel vorsichtiger als die Gewißheit
vorgaukelnde Darstellung Rühles: Es könne sein, daß der Iran
»vielleicht« mit »Bestandteilen« einer Sprengkopf-Zündung experimentiert
habe, steht laut Guardian im Dossier. An anderer Stelle zitierte die
britische Zeitung einen anonymen Diplomaten, der mit dem IAEA-Papier
vertraut sei, mit der Aussage, es gebe »Hinweise«, daß solche
Experimente stattgefunden hätten.- Die FAZ-Redaktion sollte ihren Autor
mit der Frage konfrontieren, woher seine definitive Behauptung stammt,
im Iran sei »ein atomarer Gefechtskopf getestet worden«.
* Aus: junge Welt, 25. November 2009
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