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In Kriegsstimmung

Tendenziöse Umfragen zu Überfall auf Iran. Britische Studie warnt vor Folgen militärischer Angriffe

Von Knut Mellenthin *

Israelische Militärschläge gegen Iran werden von einer Mehrheit der US-Amerikaner unterstützt. 56 Prozent würden Angriffe billigen, nur 30 Prozent wären dagegen. Das ist das Ergebnis einer Meinungsumfrage, über die die israelische Tageszeitung Haaretz am Donnerstag berichtete. Die Untersuchung wurde vom Marktforschungsunternehmen TechnoMetrica Market Intelligence (TIPP) durchgeführt. Die Zustimmung zu einem israelischen Überfall ist am eindeutigsten bei den Anhängern der Republikaner: 74 Prozent würden Angriffe begrüßen, nur 17 Prozent sprachen sich dagegen aus. Bei den Demokraten ist das Verhältnis mit 43 Prozent Befürwortern und 40 Prozent Gegnern ausgeglichener. Die Frage war allerdings eindeutig tendenziös formuliert: »Billigen Sie, wenn Israel gegen Iran militärisch aktiv wird, um es am Bau von Atomwaffen zu hindern?«

Eine andere Umfrage, die von der Firma Pew Research durchgeführt und am Donnerstag veröffentlicht wurde, ergab in den USA sogar eine 66prozentige Unterstützung für militärische Angriffe gegen Iran. Die Befragten waren mit der hypothetischen Alternative konfrontiert worden, ob man sich mit iranischen Atombomben abfinden solle. Laut Pew Research wurde die Umfrage Mitte Juni in 22 Ländern durchgeführt und ergab in 16 davon eine Mehrheit für Militärschläge. Beispielsweise sollen sich 55 Prozent der befragten Ägypter und 53 Prozent der Jordanier für die Anwendung militärischer Gewalt ausgesprochen haben.

Solche Veröffentlichungen sind unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht gerade aufklärend, können aber als Instrument der politischen Meinungsbildung nicht ignoriert werden. Sie bestärken die ohnehin naheliegende Vermutung, daß die US-Regierung sich nicht öffentlich von israelischen Angriffen gegen den Iran distanzieren würde. Mit den bevorstehenden Halbzeitwahlen am 2. November kommt ein gewichtiges populistisches Argument hinzu: Alle 435 Abgeordnetensitze und 36 der 100 Plätze im Senat stehen zur Wahl. Die Demokraten, die zur Zeit in beiden Häusern die Mehrheit haben, fürchten massive eigene Verluste und Gewinne der Republikaner, die Obama mangelnde Solidarität mit Israel unterstellen.

Indessen wird in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie der britischen Oxford Research Group vor den Folgen israelischer Angriffe gegen Iran gewarnt. Während der Verfasser der Studie, der Friedensforscher Professor Paul Rogers von der Universität Bradford, ein militärische Initiative der USA gegen Iran für derzeit unwahrscheinlich hält, weist er auf die massive Aufrüstung Israels in den letzten Jahren hin. Unter anderem habe die israelische Luftwaffe von den USA in den letzten Jahren neue Langstrecken-Kampfflugzeuge und spezielle Bomben zum »Knacken« stark verbunkerter unterirdischer Anlagen erhalten. Außerdem verfüge das Land mittlerweile über unbemannte Flugzeuge (Drohnen) aus eigener Produktion, die eine sehr große Reichweite - bis zu 7400 Kilometer - haben. Rogers geht außerdem von der Annahme aus, daß Israel für seine Luftangriffe Stützpunkte in den Kurdengebieten des nordöstlichen Iraks und in Aserbaidschan nutzen könnte.

Das Ergebnis israelischer Luftangriffe werde jedoch »fast sicher« nicht die vollständige Zerstörung der atomaren Anlagen und Fähigkeiten Irans sein, selbst wenn die Schäden beträchtlich und die zivilen Verluste sehr hoch sein würden, heißt es in der Studie. Iran habe viele militärische und politische Möglichkeiten, auf die Angriffe zu reagieren. Rogers nennt in diesem Zusammenhang Raketenangriffe gegen Israel, die Schließung der Meerenge von Hormus, die für einen Großteil des Weltverbrauchs an Erdöl lebenswichtig ist, Aktionen gegen die US-geführten internationalen Besatzungsstreitkräfte im Irak und in Afghanistan sowie die Mobilisierung der schiitischen Minderheiten auf der arabischen Halbinsel. Außerdem könnten militärische Angriffe die iranische Führung dazu treiben, sich wirklich für die Entwicklung eigener Atomwaffen zu entscheiden und diese mit großem Mitteleinsatz voranzutreiben.

* Aus: junge Welt, 19. Juli 2010


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