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Atomkonflikt mit dem Iran - Internationalisierung der Urananreicherung als Kompromiss?

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag, der in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" am 10. Januar 2009 erstmals gesendet wurde. Moderator der Sendung: Joachim Hagen.

Hagen:
Für den bisherigen US-Präsidenten Georg W. Bush liegt der Iran auf der sogenannten Achse des Bösen. Ein Grund dafür ist das offenkundige Streben der iranischen Regierung nach der Atombombe. Doch mit dem Amtswechsel in Washington könnte sich auch etwas an dieser starren Haltung ändern. Jerry Sommer über den möglichen Wandel in der amerikanischen Nuklearpolitik:

Manuskript Jerry Sommer

Barack Obama hat im Wahlkampf erklärt, er werde ohne Vorbedingungen mit dem Iran reden. Ein Dialog sei sicherlich notwendig, aber allein noch keine Lösung, meint der amerikanische Nuklear- und Iranexperte Jim Walsh vom renommierten "Massachusetts Institute of Technology":

O-Ton Jim Walsh (overvoice)
"Wir werden mit dem Iran reden. Aber was werden wir denn eigentlich sagen? Wenn wir nur dasselbe sagen wie in den vergangenen acht Jahren, werden wir keine Fortschritte erreichen und eine Gelegenheit zur Lösung des Problems verpassen."

Bisher verlangen die USA wie auch die Staatengemeinschaft, dass Teheran die Urananreicherung grundsätzlich einstellt -- Null-Urananreicherung im Iran, zumindest für eine sehr lange Zeit - das ist das Ziel. Stattdessen wird dem Iran zugesichert, Brennstäbe aus dem Ausland zu importieren. Für das gegenwärtig im Iran in Bau befindliche Kernkraftwerk Bushehr ist mit Russland die Lieferung der Brennstäbe schon vereinbart. Eine sogenannte "russische Lösung" auch für alle anderen geplanten zwanzig iranischen Kernreaktoren war 2006 im Gespräch. Teheran hatte dieser Lösung zugestimmt, allerdings auf einer Pilotanlage für Urananreicherung im Iran beharrt. Das wiederum lehnte die Regierung Bush damals entschieden ab. Heute ist der Iran nicht mehr bereit, sich mit einer Pilotanlage zufriedenzugeben.

Auch andere Vorschläge zur Internationalisierung der Urananreicherung sind in der Diskussion -- zum Teil durchaus unabhängig vom "Fall" Iran. Die Bush-Regierung hat sich seit 2004 darum bemüht, jegliche Urananreicherung auf die Länder zu beschränken, die schon jetzt über diese Technologie verfügen. Diesen Ansatz wird Präsident Obama voraussichtlich nicht weiterverfolgen. Denn er stößt nicht nur bei zahlreichen Entwicklungsländern auf Widerstand, sondern auch bei US-Verbündeten wie Kanada und Japan.

Die Bundesregierung hat ebenfalls eine Initiative gestartet. Der von Außenmi-nister Steinmeier vorgelegte Plan sieht vor, dass alle interessierten Staaten an einem neuen Standort eine multilaterale Urananreicherungsanlage errichten. Sie soll von der Internationalen Atomenergiebehörde überwacht und kontrol-liert werden sowie alle Vertragsteilnehmer mit Kernbrennstäben versorgen.

Ein weiterer Vorschlag ist, ein Reservelager von schwach angereichertem Uran unter Aufsicht und Management der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO einzurichten. Die Brennstäbe aus dieser sogenannten "Brennstoff-Bank" sollen Empfängerländern zur Verfügung stehen, wenn ihnen von Dritten vertraglich vereinbarte Lieferungen verweigert werden.

Diese Idee orientiert sich zwar an den ökonomischen Interessen neuer Kern-kraft-Mächte. Denn es ist nicht wirtschaftlich, eigene Anreicherungsanlagen zu bauen, wenn nur einige wenige Kernkraftwerke geplant sind. Doch auch mit der IAEO-Brennstoffbank sind komplizierte Machtfragen verbunden, erklärt der ehemalige Vorsitzende der Atomenergiebehörde, Hans Blix:

O-Ton Hans Blix (overvoice)
"Wer soll entscheiden, wenn jemand Brennstäbe aus der Bank haben möchte: der Direktor der IAEO? Der Vorstand oder ein Komitee? Und werden die USA ein Vetorecht haben? Es ist keine problemfreie Lösung!"

Die Initiativen, die von einer Urananreicherung außerhalb des Irans ausgehen, haben zwei zentrale Schwächen: Sie sind, wenn überhaupt, nur langfristig umsetzbar. Und: Die iranische Führung - ob Ultrakonservative, Moderate oder Reformer -- ist sich darin einig, dass man einem Verzicht auf eine Urananreicherung im eigenen Land niemals zustimmen wird. Diese Haltung wird laut Meinungsumfragen von 84 Prozent der Bevölkerung geteilt. Die Urananreicherung ist längst zu einem Symbol für nationales Prestige, nationale Unabhängigkeit und ökonomischen Fortschritt geworden. Ein wichtiger Grund ist, dass der Iran seit rund 30 Jahren unter einem vollständigen Wirtschaftsembargo der USA steht. Lange Zeit versuchte Washington vehement, jegliche zivile Nutzung der Atomenergie und den Bau eines Kernkraftwerkes im Iran grundsätzlich zu verhindern. Dabei gelang es den USA, auch Deutschland und Frankreich auf seine Seite zu ziehen.

Es gibt bis heute keinen eindeutigen Beweis dafür, dass Teheran den Bau der Atombombe längst beschlossen hat. Experten wie Jim Walsh vom Massachusetts Institute of Technology warnen daher vor voreiligen Schlüssen - gerade auch nach den Erfahrungen mit dem Irak:

O-Ton Jim Walsh (overvoice)
"Die iranische Führung hat die Entscheidung getroffen, eine Urananreiche-rungsanlage aufzubauen und das bringt sie natürlich näher heran an die Fähigkeit, eine Atombombe herzustellen. Aber ich glaube, sie haben sich nicht entschieden, die Bombe zu bauen. Und diese Auffassung wird von der US-Geheimdiensteinschätzung des Jahres 2007 bestätigt."

Da das Ziel, eine Urananreicherung im Iran zu verhindern, unrealistisch ist, treten einige Experten für eine neue "rote Linie" ein: Statt ein Verbot der Anreicherung im Iran zu fordern, müsse das Ziel jetzt lauten: maximale internationale Kontrolle der iranischen Atomanlagen. Einen entsprechenden Vorschlag hat der ehemalige stellvertretende Außenminister der USA unter Bill Clinton, Thomas Pickering, zusammen mit dem früheren US-Botschafter William Luers und dem Wissenschaftler Jim Walsh vorgelegt. Jim Walsh:

O-Ton Jim Walsh (overvoice)
"Wir schlagen vor, das iranische Anreicherungsprogramm von einem nationa-len in ein multinationales Programm umzuwandeln. Iran wäre einer von mehreren Partnern. Damit würde die internationale Gemeinschaft am Besitz, dem Management und dem Arbeitsablauf der Anlage teilhaben."

Teheran hat einen solchen Plan wiederholt selbst vorgeschlagen. Zum Beispiel heißt es in einer Stellungnahme des Irans 2006: "Iran ist bereit, sein Nuklearprogramm im Rahmen eines Konsortiums zusammen mit anderen Ländern zu verwirklichen."

Gelänge es, die Urananreicherung im Iran zu internationalisieren, würde es dem Iran wegen der internationalen Aufsicht deutlich schwerer fallen, heimlich Atomwaffen zu bauen. Es könnte Zeit gewonnen werden, um die Entwicklung einer iranischen Atombombe zumindest zu verzögern - sollte Teheran sie denn überhaupt anstreben. Gleichzeitig könnte die Zeit auch genutzt werden, um die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen vor allem zwischen den USA und dem Iran zu normalisieren. Durch eine Nichtangriffserklärung der USA und die Einbindung des Irans in ein regionales Sicherheitssystem könnten Vertrauen geschaffen und die Sicherheitsinteressen Teherans berücksichtigt werden. Damit würde den Kräften im Iran der Wind aus den Segeln genommen werden, die nicht nur eine Urananreicherung, sondern eine Atombombe anstreben.

Allerdings: Bei einer internationalen Anreicherungsanlage im Iran könnte natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass Teheran die internationalen Partner und Kontrolleure eines Tages dann doch vor die Tür setzt. Doch ein solcher Rauswurf wäre ein eindeutiger Beweis für die Absicht des Irans, die Bombe zu bauen. Und die internationale Gemeinschaft hätte immer noch Zeit zu reagieren.

Die Forderung nach Verzicht auf eine Anreicherung im Iran ist nicht durchsetzbar. Nach Ansicht von Jim Walsh ist daher ein internationales Kon-sortium für die iranische Anreicherungsanlage immer noch die zweitbeste Lösung:

O-Ton Jim Walsh (overvoice)
"Der Iran kann natürlich wie bisher so viele Zentrifugen bauen und mit ihnen machen, was er will. Besser wäre jedoch, Besitz, Management und Betrieb der Anreicherung im Iran international zu organisieren."

Die Bush-Regierung hat jegliche Urananreicherung im Iran kategorisch ausgeschlossen. Barack Obama hat sich bisher nicht eindeutig geäußert. Aber der Vorschlag von Pickering, Luers und Walsh ist von Obama's Beratern bisher auch nicht direkt abgelehnt worden. In Washington hat er inzwischen Eingang gefunden in die Diskussion der Think-Tanks:

O-Ton Jim Walsh (overvoice)
"Vor zwei Jahren wurde unser Vorschlag in Washington überhaupt nicht diskutiert. Jetzt wird er als eine legitime Möglichkeit angesehen. Hinter verschlossenen Türen geben auch die Anhänger der Null-Lösung häufig zu: ja wahrscheinlich werden wir letztlich dieses Ziel anstreben müssen."

Auch in Deutschland werden erste Stimmen laut, die das Beharren auf den totalen Verzicht auf Urananreicherung im Iran für unrealistisch, wenn nicht gar kontraproduktiv halten. Dazu gehören zum Beispiel Christoph Bertram, der ehemalige Direktor der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik", die die Bundesregierung berät, weitere Konfliktforscher, aber auch einzelne CDU-Außenpolitiker.

Noch gibt es allerdings keinen Kurswechsel in der Iran-Politik. Doch es spricht einiges dafür, dass der Vorschlag, die Urananreicherung im Iran zu internatio-nalisieren schon bald an Unterstützung gewinnen könnte. Denn mit jeden Tag baut der Iran neue Zentrifugen für seine Anreicherungsanlage. Weitere Sanktionen werden daran nichts ändern, glaubt Jim Walsh:

O-Ton Jim Walsh (overvoice)
"Den Wettlauf zwischen Zentrifugen und Sanktionen können wir nicht gewin-nen. Sie können schneller Zentrifugen bauen, als wir Sanktionen verhängen können."

Quelle: NDR Info Das Forum, STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 10.01.2009/19.20-19.50 Uhr; www.ndrinfo.de


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