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Mafia-Diplomatie

Israelische Kriegsdrohungen gegen Iran werden international toleriert. IAEA-Bericht soll Teheran der Entwicklung von Nuklearwaffen bezichtigen

Von Knut Mellenthin *

Vor dem Hintergrund israelischer Kriegsdrohungen haben die USA und Frankreich am Donnerstag ihre Entschlossenheit bekräftigt, »den beispiellosen internationalen Druck auf den Iran weiter aufrechtzuerhalten«. Das versicherte Präsident Barack Obama nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Nicolas Sarkozy. Obamas stellvertretender Nationaler Sicherheitsratsberater Ben Rhodes erläuterte das US-amerikanische Verständnis von Diplomatie: »Das, worauf wir den Schwerpunkt legen, ist eine diplomatische Strategie, die den Druck auf die Iraner erhöht, durch finanzielle Maßnahmen, durch Wirtschaftssanktionen, durch diplomatische Isolierung.«

Ob das als eine Distanzierung von den in Israel seit einer Woche turbulent diskutierten Plänen für Militärschläge gegen Iran zu verstehen ist, bleibt offen. Tatsache ist, daß bisher weder die USA noch die Staaten der Europäischen Union, aber auch nicht Rußland oder China Anzeichen von Besorgnis oder gar Empörung angesichts der angeblichen Angriffspläne der israelischen Regierung geäußert haben. Als erster namhafter US-Politiker hat der Gouverneur von Texas, Rick Perry, am Donnerstag erklärt, daß die Vereinigten Staaten »selbstverständlich« und unter allen Umständen Israel unterstützen würden. Und zwar »auf jede uns nur mögliche Weise, sei es die Diplomatie, seien es Wirtschaftssanktionen, seien es offene oder verdeckte Operationen, bis hin zu militärischen Aktionen«. Der Republikaner Perry will im nächsten Jahr zur Präsidentenwahl antreten.

Eine von der Tageszeitung Haaretz veröffentlichte aktuelle Umfrage besagt, daß derzeit 41 Prozent der Israelis Militärschläge gegen Iran begrüßen würden, während 39 Prozent dagegen wären. Überdurchschnittlich hoch liegt die Zustimmung bei den Ultraorthodoxen mit 50 Prozent. Derselben Umfrage zufolge gehen 59 Prozent der Israelis davon aus, daß ein Angriff auf den Iran einen Krieg in der gesamten Region auslösen würde.

Viele Kommentatoren, darunter der Friedensaktivist Uri Avnery, bewerten den israelischen Medien- und Politikerrummel um angebliche Kriegspläne gegen Iran als propagandistischen »Bluff«. Der Kolumnist Amos Harel schrieb – anscheinend zufrieden mit dem Ergebnis – am Freitag in Haaretz: »Die Drohung mit israelischen Militäraktionen erhöht die Chancen, daß die Welt gegenüber dem Iran eine feste Haltung einnimmt. Beispielsweise ist es möglich, daß der Sicherheitsrat jetzt über die Verhängung von neuen, einschneidenderen Sanktionen gegen Iran diskutiert.«

Unmittelbar dient das Kriegsgeschrei offensichtlich dazu, die Formulierungen des jetzt fälligen Vierteljahresberichts der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) über das iranische Atomprogramm zu beeinflussen. Die USA und Israel wollen durchsetzen, daß Iran dort der Entwicklung von Nuklearwaffen bezichtigt wird. Das könnte die Weichen für die nächste Vorstandstagung der IAEA stellen, die am 17. und 18. November stattfinden soll. Mit der Vorlage des Vierteljahresberichts wird für kommenden Dienstag gerechnet.

* Aus: junge Welt, 5. November 2011

Weitere Meldungen:

Peres auf Zypern: "Die Führer der Welt müssen sicherstellen, dass der Iran keine Atomwaffen erhält"

Präsident Shimon Peres befindet sich seit Donnerstag (3. Nov.) zum Staatsbesuch auf Zypern. Gastgeber ist Präsident Demetris Christofias.

Die beiden besprachen bei ihrem Treffen unter anderem sicherheits- und wirtschaftspolitische Themen.

Bei einer anschließenden Pressekonferenz wurde Peres auch zum Thema Iran und der in der israelischen Presse seit einigen Tagen diskutierten Möglichkeit eines Angriffs auf das Land befragt.

"Alle Führer der Welt haben eindeutig und einstimmig erklärt, dass sie eine Situation nicht zulassen würden, in der der Iran über Atomwaffen verfügt", so der Präsident. Er fügte hinzu: "Man kann nicht die Welt führen, wenn Versprechungen keine Bedeutung mehr haben. […] Ein Iran mit Atomwaffen ist eine Gefahr für die ganze Welt, nicht nur für Israel."

(Präsidialamt, 03.11.11)
Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 04.11.2011



Peres: Angriff gegen den Iran wird "wahrscheinlicher"

Ein Angriff Israels und anderer Länder gegen den Iran wird nach Angaben des israelischen Präsidenten Schimon Peres "immer wahrscheinlicher". Die Geheimdienste verschiedener Länder seien beunruhigt und warnten ihre Regierungen davor, dass der Iran schon bald eine Atombombe haben werde, sagte der Staatschef laut AFP vom 6. Nov. im israelischen Fernsehen. Diese Länder müssten nun ihre "Verpflichtungen erfüllen", sagte Peres weiter. Es gebe "eine lange Liste von Möglichkeiten".

Israelische Medien hatten Anfang der Woche berichtet, Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak drängten zu einer Attacke auf iranische Atomanlagen. Barak hatte im Armeerundfunk derartige Pläne jedoch dementiert und gesagt, solche Entscheidungen könnten nicht im Alleingang getroffen werden. Allerdings seien Teherans "Fortschritte bei der Entwicklung von Atomwaffen die Hauptbedrohung für die Sicherheit der Region".

(AFP, 6. 11. 2011




Bahman Nirumand in einem taz-Kommentar (Auszug):

(...) Die psychologische Kriegsführung zwischen den beiden Staaten dauert schon seit Jahren. Und immer wieder konnte man feststellen, dass der Konflikt von der jeweiligen Seite vor allem dann wieder thematisiert wurde, wenn es um Ablenkung von eigenen, internen Problemen ging. Kann man sich also auch jetzt getrost darauf verlassen, dass die jüngsten Meldungen über eine anstehende israelische Militäraktion nur ein weiteres Ablenkungsmanöver darstellen?

Israel steht zurzeit vor gewaltigen Problemen. Das Land befindet sich in der Defensive wie noch nie. Selbst engste Verbündete scheinen die gefährlichen Alleingänge Tel Avivs nicht mehr dulden zu wollen.

Oder? Vor drei Wochen wurde in Washington eine neue Drohkulisse gegen den Iran aufgebaut. Obwohl die Beweise höchst lückenhaft waren, wurden Nachrichten über ein angeblich von der Teheraner Führung geplantes Attentat auf den saudischen Botschafter in den USA medial so aufgebauscht, dass man dahinter eine bewusste Eskalation der vorhandenen Konflikte vermuten konnte.

US-Militärs gaben bekannt, dass die Präsenz amerikanischer Streitkräfte im Persischen Golf erheblich verstärkt werde. (...) Und für nächste Woche hat die Internationale Atombehörde einen neuen Bericht über das iranische Atomprogramm angekündigt, der, wie man hört, weit drastischer als bisher die Gefahr der atomaren Aufrüstung Irans ausmalen wird.

All dies lässt die Sorge berechtigt erscheinen, dass die Drohungen dieses Mal doch ernst gemeint sein könnten.

Quelle: taz, 3. November 2011: "Macht Israel jetzt Ernst?" Von Bahman Nirumand


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