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Vor dem Iran-Krieg

Europa lässt sich von Washingtons PR-Profis manipulieren

Von Jürgen Hölzinger*

Beim Irak-Krieg war es der Friedensbewegung und dem Grossteil der Bevölkerung Europas klar, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Krieg ums Öl handelt. Die Bush-Regierung hatte behauptet, Saddam Hussein sei an den Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligt gewesen und habe außerdem Massenvernichtungswaffen versteckt. Das glaubte zwar die Mehrheit der US-Bevölkerung, nicht aber die übrige Welt. Die Kriegspropaganda hatte dennoch in den USA ihren Zweck erfüllt. Der Krieg konnte starten. Wir Deutsche waren stolz, das Spiel durchschaut und uns „rausgehalten“ zu haben.

Warum sind wir bei der Iran-Krise plötzlich auf beiden Augen blind? Warum fallen wir dieses Mal auf die Kriegspropaganda der amerikanischen Regierung herein? Warum lassen wir - einschließlich der Mainstream-Medien - Angela Merkel unwidersprochen von einer willkürlichen „roten Linie“ beim Konflikt mit dem Iran faseln, bei deren Übertretung dann konsequenterweise ein – angeblich vom Iran zu verantwortender – Krieg stehen würde?

Die spin doctors, Werbeagenturen und PR-Profis der Bush-Regierung sind seit längerer Zeit in die Offensive gegangen, um einen militärischen Angriff auf den Iran als unumgänglich zu „verkaufen“. Nach dem Irak-Desaster sind sie schlauer geworden und haben ihre Kriegspropaganda in Europa den europäischen Befindlichkeiten angepasst.

Das Muster ist immer das gleiche: eine internationale Krise wird allmählich zugespitzt und die Akzeptanz der Bevölkerung für eine militärische Lösung Schritt für Schritt hergestellt. So ist eine geschickte PR-Maschinerie dabei, in Europa für den früher oder später zu erwartenden Krieg die „Koalition der Unwilligen“ in eine „Koalition der Willigen“ zu verwandeln.

Welche Argumente beeindrucken dabei Bush-kritische Europäer?

1. Bedrohung durch Atomwaffen.
Es wird behauptet, Atomwaffen seien gefährlich, auch wenn es sie noch gar nicht gibt. Man solle ein Land fürchten, das noch keine Atomwaffen besitzt, nicht aber die USA, England, Frankreich, China, Pakistan, Indien und Israel, die tatsächlich über Atomwaffen verfügen und z.T. wieder ganz offen mit ihrem Einsatz drohen. Man solle sich vor dem Iran fürchten, der den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat, nicht aber vor dem neuerdings USfreundlichen Indien, das den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet hat, aber seine Atomwaffen einsatzbereit hält.

2. Das griffige Bild einer Technik, die keiner versteht.
Es wird behauptet, mit der Urananreicherung greife der Iran nach der Atombombe. Das ist möglich, jedoch nicht zwangsläufig, weil jeder, der "nur" ein Atomkraftwerk betreiben will, angereichertes Uran benötigt. Es ist nur eine Frage der Menge. Niemand fragt, welche Länder alle Uran anreichern. Auch Deutschland reichert an. Ein ehemaliger deutscher Verteidigungsminister hat erst vor kurzem öffentlich über die Notwendigkeit deutscher Atomwaffen nachgedacht. Warum sind wir noch nicht im Visier der IAEO oder der USA?

3. Irans Atomraketen bedrohen Europas Städte.
Es wird behauptet, Raketen mit Atomsprengköpfen aus dem Iran, die es noch gar nicht gibt, könnten, wenn es sie einmal geben sollte, Europa oder Israel angreifen. Also sind wir bedroht – jetzt oder spätestens in hundert Jahren. Was aber ist mit den amerikanischen, russischen, englischen und französischen Atomraketen, die unter anderem auch die Städte des Nahen und Mittleren Ostens bedrohen? Obwohl der Atomwaffensperrvertrag die Abrüstung der Atomwaffen vorschreibt, sind die Atomwaffen immer noch nicht abgebaut. Warum gibt es keine Resolutionen des Sicherheitsrats gegen USA, Russland, Frankreich, Großbritannien oder China, weil diese Länder damit ständig gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen? Warum gibt es keine Resolutionen gegen die USA, Russland und Frankreich, weil diese Staaten neuerdings wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen?

4. Die gute IAEO.
Es heißt, der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) müsse man vertrauen. Sie hat den Friedensnobelpreis bekommen. Der Iran wolle aber nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten. Die IAEO sei gut, der Iran sei böse. Zur Erinnerung: die Berichte der IAEO, im Irak gäbe es keine Massenvernichtungswaffen, wurde vor dem Irak-Krieg von den USA und Großbritannien beiseite geschoben, weil die Wahrheit dem geplanten Krieg im Wege stand.

5. Der UN-Sicherheitsrat als letzte Instanz.
Es wird suggeriert, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Krieg gegen den Iran beschließen sollte, dann wird daraus ein guter und „gerechter“ Krieg. Der Sicherheitsrat könne also mit einem Mehrheitsbeschluss auch aus einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg einen „gerechten“ Krieg machen.

6. Feindbilder hegen und pflegen.
Es heißt, Irans Präsident Ahmadinedjad sei ein Islamist und Antisemit. Das sind zwei Eigenschaften, die reflexartig und ohne weitere Diskussion das Schlimmste befürchten lassen: Terroranschläge in der westlichen Welt und die Vernichtung Israels. Die innenpolitischen Probleme und die Sicherheitsbedürfnisse des Iran zu analysieren sowie die Rhetorik zu hinterfragen, wäre die Voraussetzung für eine diplomatische Lösung. Feindbilder sind notwendig für eine militärische Lösung.

7. Selbstgerechtigkeit.
Der von europäischen Zeitungen ausgelöste Karikaturenstreit wird instrumentalisiert. Große Teile der europäischen Öffentlichkeit führen quasi einen Kreuzzug für die weltweite Presse - und Meinungsfreiheit ohne dabei die Defizite der Pressefreiheit in den eigenen Medien wahrzunehmen. Der Streit verstärkt die westliche Selbstgerechtigkeit und führt zur Geringschätzung der islamischen Welt und hierbei besonders des Irans. Die Feindbilder verfestigen sich und senken die Hemmschwelle für militärische Interventionen.

8. Mit Kleingedrucktem vom Wesentlichen ablenken.
Es wird gefordert, der Iran müsse alle Vorschriften der IAEO genau einhalten. Viele gutmeinenden Menschen in Europa beteiligen sich eifrig an der Diskussion über die Auslegung dieser Regeln. Die Tatsache, dass sich keiner der Atomwaffenstaaten an die Forderungen des Atomwaffensperrvertrages zur tatsächlichen Abrüstung hält, tritt gegenüber den nicht vorhandenen Atomsprengköpfen des Irans in den Hintergrund. Man könnte es als eine erfolgreiche Beschäftigungstherapie und Ablenkungstaktik von zynischen Pentagonbeamten für gesetzestreue europäische Friedensaktivisten auffassen. Die Europäer bekommen also täglich von ihren „freien“ Medien maßgeschneiderte Textbausteine für das Feindbild Iran ins Wohnzimmer geliefert. Egal, welche Erkenntnisse die IAEO noch liefert, es wird - dramaturgisch geschickt - zum Finale kommen, wenn die absolut willkürlich gezogene „rote Linie“ von Merkel, Bush, Blair und Chirac überschritten wird. Dann bleibt als ultima ratio nur noch die militärische Intervention. Es wird selbstverständlich eine „humanitäre Intervention“ sein, ein „gerechter“ Krieg also.

Worum geht es wirklich bei einem Krieg gegen den Iran?

Jenseits aller besonders für die Europäer maßgeschneiderten Kriegs-Propaganda geht es wie beim Irak-Krieg um Öl. Es geht um die Installierung einer USA-freundlichen Regierung im Iran. Auch auf Kosten von hunderttausenden Toten. Es geht um Ölpipelines, Häfen, Ölreserven, Erdgas und den direkten Zugriff auf die Energie-Ressourcen rund ums Kaspische Meer.

Es geht weiterhin um die weltweite geostrategische Präsens der USA. Ein Blick in den Schulatlas macht deutlich: Nur Iran und Syrien sind noch „fremdes Territorium“ in dem weiten Raum zwischen Europa und Indien sowie südlich von Russland. Der aktuelle Deal zwischen USA und Indien zeigt, dass es Präsident Bush überhaupt nicht auf die Inhalte des Atomwaffensperrvertrages, den Indien niemals unterzeichnet hat, oder auf real existierende Atomwaffen ankommt, sondern allein auf die Kontrolle der Energie-Ressourcen und die geostrategische Militärpräsenz zur vorsorglichen Eindämmung von Russland und China.

Dabei sein ist alles.

Warum machen aber Deutschland und Frankreich dieses Mal gemeinsame Sache mit den USA beim geplanten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Iran? Dabei sein ist alles. Die Beute soll dieses Mal nicht allein den USA überlassen werden. Da wäre dann zu viel Öl im Mittleren Osten allein unter amerikanischer Kontrolle.

Dass Chirac und Merkel keine moralischen Bedenken haben, sollte uns nicht verwundern. Dass aber die Bevölkerung und ein Großteil der Medien nach dem Desaster des Irakkrieges mit seinen Propagandalügen nicht hellhöriger geworden sind, erstaunt doch sehr. Sollten dieses Mal die PR-Strategen der Bush-Regierung so viel besser gearbeitet haben?

13.3.2006

* Dr. Jürgen Hölzinger, Berlin, IPPNW


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