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Iran, Israel und die USA: Die Rutsche in den Krieg

Von Conn M. Hallinan *

Kriege werden geführt, weil einige Personen entscheiden, dass es in ihrem Interesse liege sie zu führen. Der Erste Weltkrieg wurde nicht begonnen wegen der Ermordung von Erzherzog Ferdinand, noch wurde er ausgelöst durch das internationale Bündnissystem. Ein „Vorfall“ kann die Vorbereitungen für einen Krieg auslösen, aber niemand führt diesen dann, es sei denn er hält dies für eine gute Idee. Der Erste Weltkrieg begann, weil die darin involvierten Länder entschieden, sie würden davon profitieren, wie verfehlt diese Annahme auch immer war. Es ist hilfreich, dies im Kopf zu behalten, wenn man versucht herauszufinden, ob es einen Krieg mit dem Iran geben wird. Kurz gesagt, was sind die Interessen der Hauptakteure, und sind diese wichtig genug für diese Nationen, um diesen schicksalsschweren Schritt in das Chaos der Schlachten zu unternehmen?

Zuerst einmal, weil Öl und Erdgas involviert sind würde ein Krieg globale Auswirkungen haben. Der Iran versorgt China mit 15% seines Öls und Indien mit 10%. Er ist ein Hauptversorger für Europa, die Türkei, Japan und Süd-Korea, und das Land verfügt über die drittgrößten Ölreserven und die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt. Ca. 17 Millionen Barrel pro Tag werden durch die Meerenge von Hormuz transportiert, ein signifikanter Teil der globalen Energieversorgung. Kurz gesagt, die Akteure in diesem Stück sind weitverstreut und deren Interessen sind so verschieden wie ihre Nationalitäten.

Gemäß Benjamin Netanyahu, dem israelischen Premierminister, ist der Iran dabei Nuklearwaffen zu bauen, die eine “existentielle“ Bedrohung Israels darstellen. Allerdings glaubt dies kaum jemand, einschließlich des größten Teils der israelischen Militär- und Geheimdienstführung. Wie der frühere israelische Stabschef Dan Halutz kürzlich sagte, der Iran „ist keine existentielle“ Bedrohung für Israel. Es gibt keinen Beweis, dass der Iran an der Bombe baut, und alle seine Einrichtungen unterliegen gegenwärtig einen 24-stündigen Überwachungsregime der UNO. Allerdings hat Israel ein Interesse daran, den Mittleren Osten als zersplitterte Region zu bewahren, zerrissen durch religiöse Spaltungen und beherrscht von autoritären Regierungen und feudalen Monarchien. Wenn es eine Lektion gibt, die Israel von seinen früheren britischen Herrren gelernt hat, so ist es das Prinzip „Teile und herrsche“. Unter seinen engsten Verbündeten waren die früheren Diktaturen in Ägypten und Tunesien, und heute findet es sich im Einvernehmen mit den reaktionären Monarchien des Golf- Kooperationsrats (GCC) : Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinten Arabischen Emirate, Bahrain, Quatar und Oman.

Der Iran ist keine militärische Bedrohung für Israel, aber es ist ein politisches Problem, weil Israel den wilden Nationalismus Teherans und seine Unabhängigkeit von den USA und Europa als eine Art wildcard ansieht. Der Iran ist ferner liiert mit Israels regionalem Hauptfeind, Syrien – mit dem es sich offiziell noch immer im Kriegszustand befindet – und der Schiitischen Hisbollah im Libanon, der Hamas in Gaza, und der schiitisch dominierten Regierung im Irak.

In der Analyse der Netanyahu-Regierung würde ein „vertrimmen“ des Iran die lokalen israelischen Feinde ohne große Kosten schwächen. In diesem israelischen Szenario läuft eine Blitzattacke gefolgt von einer UN-mandatierten Feuerpause ab, mit maximal 500 israelischen Verlusten. Die Iraner haben kaum Möglichkeiten zurückzuschlagen, und, fall sie israelische zivile Zentren angriffen oder die Straße von Hormuz sperrten, würden die USA eingreifen.

Natürlich ist dies rosarote Szenario wenig mehr als Wunschdenken. Der Iran würde kaum einer Feuerpause zustimmen – er hat acht lange Jahre Krieg gegen den Irak geführt – und überhaupt ist es ein Merkmal von Kriegen, dass die bestausgearbeiteten Pläne immer wieder scheitern. In Wirklichkeit wird das ein langer blutiger Krieg, der sich leicht auf die gesamte Region ausdehnen könnte.

Die Führer des Iran äußern sich bombastisch über Bestrafungen Israels, falls es angreift, aber auf kurze Sicht gibt es wenig was sie tun könnten, ins besondere angesichts der „roten Linien“, die die USA gezogen hat. Die iranische Luftwaffe ist völlig veraltet, und die Israelis verfügen über die Technologie, die gesamte iranische Radarüberwachung und Luftabwehr auszuschalten. Der Iran könnte wenig tun um die israelische Mischung aus Luftangriffen, U-Boot gestützten Cruise-Missiles und den ballistischen Jericho-Raketen zu stoppen.

Bei all ihrem Gerede darüber, dass „keine Option ausgeschlossen ist“: Die Obama-Regierung scheint bestrebt zu sein einen Krieg zu vermeiden; aber mit den bevorstehenden Wahlen 2012 würden die USA da passiv bleiben? Dafür sprechen Umfragen, nach denen die Amerikaner einen neuen Nahost-Krieg nicht befürworten würden. Dagegen spricht eine vereinte Front von Republikanern, Neo-Konservativen und das American Israeli Political Action Committee, die auf eine Konfrontation mit dem Iran drängen.

Nach israelischen Quellen könnte Netanyahu darauf spekulieren, dass im Vorlauf auf die Wahlen ein israelischer Angriff die Obama-Regierung zwingen könnte, den Krieg zu unterstützen und/oder Obamas Wiederwahl Chancen beschädigen. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass das persönliche Verhältnis der beiden sehr gespannt ist.

Aber die USA haben selbst noch eine Rechnung ausstehen mit dem Iran, die sich nicht sehr von der israelischen unterscheidet. Die amerikanische Feindseligkeit gegenüber dem Iran datiert aus dem Jahr 1951, als Teheran die britischen Ölbesitzungen im Land verstaatlichte. Die CIA half 1953 beim Sturz der demokratisch gewählten iranischen Regierung und installierte den diktatorischen Schah. Die USA unterstützte auch Saddam Husseins Krieg gegen den Iran, hat eine seit langem bestehende feindselige Beziehung zu Syrien und verweigert Gespräche mit Hisbollah und Hamas. Israels regionale Feinde sind auch die der USA.

Als die Golf-Monarchien den GCC 1981 gründeten, war sein primärer Zeck, sich dem iranischen Einfluss in der Region entgegenzustellen. Unter Verwendung religiöser Verschiedenartigkeiten als eine Art Keil hat der GCC Sunni-Fundamentalisten ermuntert, die Schiiten im Libanon, Irak und in Syrien zu bekämpfen und blockte die Ausdehnung des „Arabischen Frühlings“ in seine Region ab. Als in Bahrein die Schiiten begannen, gegen den Mangel an Demokratie im Land und niedrige Löhne zu protestieren, intervenierte der GCC und zerschlug die Demonstrationen. Hinsichtlich der Palästinenser bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem GCC einerseits und den USA und Israel. Gleichwohl ist der GCC bemüht, die USA und Israel nicht zu verärgern, und er befindet sich im Einvernehmen mit beiden hinsichtlich Syriens, Libanons und des Iran. Die EU hat sich den Sanktionen angeschlossen, auch wenn Frankreich und Deutschland explizit die Anwendung von militärischer Gewalt ausgeschlossen haben. Die Motivationen innerhalb der EU reichen von dem Wunsch Frankreichs, seinen früheren Einfluss im Libanon zurückzugewinnen bis zur Notwendigkeit der EU, die Finger an der Ölversorgung zu behalten. Kurz gesagt : es geht nicht nur um Öl und Erdgas, aber eben doch zu einem nicht unbeträchtlichen Teil; und, wie Alexander Cockburn in CounterPunch es ausdrückte, die Ölgesellschaften würden gerne die Förderung gedrosselt und die Preise steigen sehen. Beides würde durch einen Krieg erreicht.

Der Iran wird dabei das Opfer sein, aber es wird auch dort einige geben, die daraus einen Vorteil ziehen würden. Ein Angriff würde das Land hinter einer zur Zeit ziemlich unpopulären Regierung vereinen, den Revolutionären Garden erlauben, die Opposition zu zerschlagen und einen Deckmantel abgeben für das derzeitige Bestreben der Regierung Ahmadineschad, die Subventionen für das Verkehrs-, Wohnungs- und Nahrungsmittelwesen zu kürzen. Ein Krieg würde zu einer Zementierung der Macht der reaktionärsten Elemente des derzeitigen Regimes führen.

Es gibt noch andere Akteure in diesem Drama – China, Russland, Indien, die Türkei und Pakistan, um nur einige zu nennen, von denen aber keines einen Krieg unterstützt – ob sie jedoch den Verlauf der Ereignisse beein- flussen können ist eine offene Frage. Letztendlich könnte Israel einfach entscheiden, dass seinen Interessen am besten gedient ist mit dem Auslösen eines Krieges, und dass die USA mitziehen würden, da sie ähnlich empfinden.

Oder vielleicht ist all dies nur “Klang und Wut, ohne Bedeutung“? (ein geflügeltes Wort aus Shakespeares Tragödie Macbeth, d. Übers.) Der ernüchternde Gedanke hierbei ist, dass die drei mächtigsten Akteure in diesem Drama – Israel, die USA mit ihren europäischen Verbündeten, und die GCC – viele gleich gelagerte Interessen haben und die Überzeugung teilen, dass Gewalt ein effektives Mittel ist seine Ziele zu erreichen.

Aus solchen Illusionen erwachsen Tragödien.

* Der Journalist Conn M. Hallinan, PhD, promovierte im Fach Anthropologie an der Universität Berkeley und leitete viele Jahre die Journalistenausbildung an der University of California in Santa Cruz; heute ist er regelmäßiger Kolumnist der Zeitschrift "Foreign Policy In Focus" und Mitherausgeber der Internetzeitung "Dispatches From The Edge".

Der Originalartikel erschien am 22. Februar 2012 auf "Dispatches From The Edge" unter dem Titel: "Iran, Israel and the U.S.: The Slide To War". Übersetzung ins Deutsche: Eckart Fooken.


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