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Wer bedroht das iranische Volk?

Fereidoun Gilani* über Irans Atomprogramm und die Friedensbewegung

Neues Deutschland: Wie neu ist das derzeit allenthalben diskutierte Atomprogramm Irans?

Gilani: Im Grunde genommen legt die Regierung in Teheran nur die Pläne wieder auf, die Ende der 50er Jahre entstanden und mit den USA abgesprochen waren. 1967 wurde aus den USA der erste Forschungsreaktor nach Teheran geliefert. 1974 stieg die BRD in den Atomtransfer nach Persien ein. Die deutsche Kraftwerk Union (KWU), ein Joint-Venture von Siemens und AEG-Telefunken, wollte ein Atomkraftwerk in Buschehr am Persischen Golf bauen. Mit den Konstruktionsarbeiten wurde die Firma Thyssen-Krupp betraut.
1979 aber kam die so genannte Islamische Revolution und 1980 begann der erste Golfkrieg zwischen Iran und Irak und der Rohbau des AKW Buschehr wurde bei Luftangriffen völlig zerstört. Die KWU zog sich 1991 aus dem Projekt zurück – nicht ohne 2,5 Milliarden Dollar zu kassieren. 1995 sprang stattdessen Russland ein. Der Bau verzögerte sich ständig, so dass Buschehr bis heute nicht ans Netz gegangen ist.
1975 schloss der damalige USA-Außenminister Henry Kissinger mit dem Schah-Regime Verträge über ein umfassendes Atomprogramm. Schon damals war geplant, 23 Atomkraftwerke bis zum Jahr 2000 zu bauen.

Die Befürchtung des Westens ist, dass Iran Atomwaffen bauen würde, wenn die technischen Voraussetzungen vorhanden wären. Wobei es nicht ganz ausgeschlossen scheint, dass schon jetzt an der Entwicklung von Atombomben gearbeitet wird.

Die IAEA hat dafür bis jetzt keinen Beleg gefunden, das betont der Generaldirektor Mohammed El-Baradei immer wieder. Damit will ich allerdings nicht sagen, dass ich glaube, der iranische Staatspräsident Mahmoud Ahmadinedschad würde die Möglichkeit der militärischen Nutzung nicht ausschöpfen. Meiner Ansicht nach würde er die Bombe bauen, wenn er es könnte.

Und sie auch einsetzen?

Auch damit müssen wir rechnen. Trotzdem ist das kein Grund, Iran zu bombardieren, denn davon wäre in erster Linie die Zivilbevölkerung betroffen. Das haben wir in Jugoslawien, in Afghanistan und in Irak erlebt. Unsere Forderung kann nur sein, dass Atomwaffen weltweit abgeschafft werden, auch – und gerade – im Westen.

Abgesehen von der örtlichen Umweltverschmutzung ist Iran eine ausgewiesene Erdbebenregion. Wäre es nicht völliger Wahnsinn, dort 20 Atomkraftwerke zu bauen?

Soweit ich das einschätzen kann, ist das Argument der Friedensbewegung gegen einen Iran-Krieg da Recht Irans auf die zivile Nutzung der Atomkraft nach den Maßgaben des Atomwaffensperrvertrags. Es es sei nicht einzusehen, weshalb Iran Rechte verweigert würden, die andere Länder selbstverständlich in Anspruch nähmen. Durch Ungleichbehandlung solle ein Krieg legitimiert werden. Das ist sicher richtig, nur es greift meines Erachtens viel zu kurz, schließlich geht es um ein gigantisches Atomprojekt. Ich verstehe nicht, wieso die Ächtung der zivilen und militärischen Nutzung der Atomenergie in dieser Diskussion keine Rolle spielt.

Welche Schritte sind Ihrer Ansicht nach jetzt notwendig?

Wir müssen sowohl die Kriegspläne von Bush kritisieren als auch das Atomprogramm Irans und die Politik der Mullah-Regierung. Ahmadinedschad ist nicht das unschuldige Opfer der internationalen Atommafia, sondern Oberhaupt eines despotischen Regimes. Die Bedrohung der iranischen Bevölkerung geht von zwei Seiten aus: von den USA und den Mullahs. Wir als SPI sagen deshalb: »Imperialisten und Islamisten – Hände weg von Iran!«

* Fereidoun Gilani, Soziologe, Präsident des iranischen Schriftstellerverbands im Exil und Vorsitzender der Sozialistischen Partei SPI, lebt in Hamburg.
Die Fragen stellte Birgit Gärtner.

Aus: Neues Deutschland, 2. März 2006


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