Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Riskantes Moratorium

Iran hat in Genf umfassenden, befristeten Auflagen für ziviles Atomprogramm zugestimmt. Daraus könnten dauerhafte Verpflichtungen erwachsen

Von Knut Mellenthin *

Iran hat sich zum zweiten Mal auf ein Moratorium, auf mehr oder weniger freiwillige Beschränkungen seines zivilen Atomprogramms eingelassen. Im Oktober 2003 sagten die Iraner dem EU-Trio – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – für die Dauer der Verhandlungen über eine Gesamtlösung des Atomstreits die Einstellung aller mit der Anreicherung von Uran verbundenen Arbeiten zu. Real ging es dabei überhaupt nur um Vorstufen, hauptsächlich die Umwandlung von Uranerz in Gasform, und Forschungsarbeiten. Uran-Anreicherung konnte Iran damals noch gar nicht betreiben. Nicht einmal die dafür vorgesehene Anlage war fertiggestellt. Teheran beendete dieses Moratorium im Sommer 2005, als deutlich wurde, daß das EU-Trio einerseits den iranischen Anreicherungsverzicht verewigen wollte und andererseits die Verhandlungen über Gegenleistungen endlos lange verschleppte.

Das Abkommen, das am Wochenende in Genf vereinbart wurde, unterscheidet sich wesentlich vom damaligen Moratorium. Erstens ist es zeitlich befristet auf ein halbes Jahr und könnte bei gegenseitigem Einvernehmen auf maximal ein Jahr verlängert werden. Zweitens sollen bis dahin die konkreten Einzelheiten einer umfassenden, endgültigen Regelung ausgehandelt werden, deren Grundzüge schon jetzt im Abkommen festgelegt wurden. Dort wird deutlich gesagt, daß Iran das grundsätzliche Recht auf alle Elemente eines zivilen Atomprogramms hat, aber für eine noch zu vereinbarende Zeit eine Reihe von Beschränkungen und außerordentlichen Kontrollmechanismen hinnehmen muß. Letztlich soll das iranische Atomprogramm jedoch irgendwann »auf dieselbe Weise behandelt werden wie das jedes anderen Staates, der dem Sperrvertrag beigetreten ist, ohne Atomwaffen zu besitzen«.

Iran reichert gegenwärtig Uran auf 3,5 Prozent und knapp 20 Prozent an. Ersteres dient zur Produktion von Brennstoff für Atomkraftwerke. Das höher angereicherte Material wird benötigt, um Brennplatten für einen medizinisch genutzten Reaktor in Teheran herzustellen. Mit dem Genfer Abkommen hat Iran sich verpflichtet, die 20prozentige Anreicherung für die Dauer des Moratoriums einzustellen. Das gesamte bereits angereicherte Uran soll in eine Form umgewandelt werden, die zwar für die Brennplatten-Produktion, aber nicht für eine höhere Anreicherung zur Herstellung von Atomwaffen geeignet ist. Aus dem Abkommen wird nicht deutlich, ob Iran im Gegenzug Brennplatten für den Teheraner Reaktor erhalten wird oder ob man davon ausgeht, daß das Land inzwischen Material genug angereichert hat, um diese selbst zu produzieren.

Die Anreicherung auf 3,5 Prozent soll für die Zeit des Moratoriums auf ihrem gegenwärtigen Stand eingefroren werden. Das schließt ein, daß Iran keine zusätzlichen Gaszentrifugen installieren und in Betrieb nehmen darf. Auch die Zentrifugenproduktion wird eingestellt, soweit sie nicht dem bloßen Austausch von unbrauchbar gewordenen Geräten dient. Außerdem verpflichtet sich Iran, seinen etwas moderneren, effektiveren und weniger störanfälligen Zentrifugentyp IR-2m nicht in Betrieb zu nehmen. Von diesem hat Iran zwar schon einige hundert Stück installiert, aber – offenbar aus politischen Gründen – bisher darauf verzichtet, mit ihnen anzureichern. Alles neu angereicherte Uran muß umgehend in eine Form umgewandelt werden, die sich nicht mehr zur höheren Anreicherung eignet. Irans Vorrat an schwach angereichertem Uran darf während des Moratoriums nicht zunehmen.

Darüber hinaus gehört zum Moratorium ein Baustopp am Schwerwasserreaktor bei Arak. Das ist anscheinend ein Ergebnis der französischen Intervention während der vorigen Verhandlungsrunde, die Anfang November ebenfalls in Genf stattgefunden hatte. Die Anlage soll nach iranischen Angaben den alten Teheraner Reaktor ersetzen, den die USA noch zur Zeit des Schah-Regimes geliefert hatten. Wie dieser soll auch die Anlage bei Arak zur Produktion von Isotopen für die Behandlung von Krebskranken dienen. Die Fertigstellung war bisher für Sommer 2014 geplant.

Das Moratorium schließt eine erhebliche Erweiterung der Kontrollrechte der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ein. Die Inspektoren der Behörde dürfen von jetzt an täglich auch ohne Anmeldung alle Atomanlagen betreten und untersuchen. Zu ihrer Unterstützung können rund um die Uhr laufende Überwachungskameras angebracht werden. Die IAEA erhält auch Zugang zu Orten, die nach dem Atomwaffensperrvertrag nicht zu ihrem Kompetenzbereich gehören. So kann die Behörde ihre Inspektoren jetzt auch zum Beispiel in iranische Uranminen und in die Produktionsstätten der Gaszentrifugen schicken. Iran hat sich darüber hinaus verpflichtet, die IAEA detailliert über alle Bauvorhaben in Kenntnis zu setzen, sobald die Planung beginnt. Regulär mußte die Behörde erst sechs Monate vor der Aufnahme irgendeiner Arbeit mit radioaktivem Material informiert und eingeschaltet werden.

Auf dem Papier sind alle diese konkreten Vereinbarungen auf ein halbes oder maximal ein ganzes Jahr befristet. Iranische Politiker wie der frühere Außenminister Ali Akbar Salehi, der jetzt die Atomenergie-Organisation seines Landes leitet, weisen auf den freiwilligen Charakter der zeitweisen Beschränkungen ein. Die Erfahrungen mit dem zwischen 2003 und 2005 eingehaltenen Moratorium zeigen aber die Gefahr, daß daraus schnell verbindliche und dauerhafte Forderungen werden können. Außerdem wäre ein Ausstieg aus dem Moratorium, aus welchen Gründen auch immer, wahrscheinlich mit schweren Nachteilen für Irans Bild in der internationalen Meinung verbunden.

* Aus: junge welt, Dienstag, 26. November 2013


Zweifelhafte Wirksamkeit der Erleichterungen bei Sanktionen

Von Knut Mellenthin **

Als Gegenleistung für die Beschränkungen des iranischen Atomprogramms während des in Genf vereinbarten Moratoriums haben die USA und teilweise auch die EU eine Reihe von Sanktionserleichterungen versprochen. Sie haben vorläufigen Charakter und könnten wieder aufgehoben werden, falls nach einem Jahr keine Gesamtlösung zustande kommt oder Iran sich nicht an seinen Teil der Abmachungen hält.

Zu diesen Erleichterungen gehören die indirekten Sanktionen gegen den Export petrochemischer Erzeugnisse, gegen Zulieferungen für die iranische Autoproduktion, sowie gegen den Handel mit Gold und Edelmetallen. »Indirekt« bedeutet, daß die angedrohten Strafmaßnahmen nicht den Iran selbst treffen, sondern seine Geschäftspartner. Die USA haben außerdem ihre Bereitschaft bekundet, Ersatzteile für die veralteten, sicherheitsgefährdeten Flugzeuge der iranischen Zivilluftfahrt zu liefern.

Alle Staaten der Sechsergruppe versprechen, während der Laufzeit des Moratoriums keine neuen Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat oder auf nationaler Ebene zu beschließen. Für die USA gilt dabei die wesentliche Einschränkung, daß die Regierung nicht für Handlungen des Kongresses garantieren kann.

Die US-Regierung beziffert in einer ausführlichen Pressemitteilung den Gesamtwert der von ihr versprochenen Sanktionserleichterungen auf rund sieben Milliarden Dollar im ersten Halbjahr. Der größte Posten in dieser Summe sind jedoch 4,2 Milliarden aus den laufenden iranischen Erdölverkäufen. Irans Kunden – hauptsächlich China, Indien, Südkorea, Türkei und Japan – müssen derzeit ihre Zahlungen, wenn sie nicht riesige Nachteile auf dem US-Markt in Kauf nehmen wollen, über Sperrkonten abwickeln. Iran soll nun erleichterten Zugriff auf einen Teil dieses Geldes erhalten.

Mit 1,5 Milliarden Dollar veranschlagt die US-Regierung den Wert der oben erwähnten Aussetzung verschiedener indirekter Sanktionen. Mit 400 Millionen Dollar schlägt zu Buche, daß es Familien iranischer Studenten im Ausland erleichtert werden soll, Geld für Lebenshaltungskosten und Studiengebühren zu überweisen. Die USA haben durch ein Netz indirekter Sanktionen Geldgeschäfte zwischen Iran und dem Ausland nahezu unmöglich gemacht.

Auf diesem Gebiet liegt auch eine weitere vorgebliche Sanktionserleichterung. Sie betrifft »humanitäre Transaktionen«. Gemeint ist der iranische Import von Lebensmitteln und anderen landwirtschaftlichen Produkten, Medikamenten und medizinischen Geräten. Alles das ist nach der derzeitigen US-amerikanischen Sanktionsgesetzgebung völlig legal. Die von Washington erzwungenen Beschränkungen des Zahlungsverkehrs machen es trotzdem sehr schwer, solche Geschäfte zu realisieren. Um sie zu erleichtern, soll während des Moratoriums ein spezieller »Kanal« für finanzielle Abwicklungen eingerichtet werden.

Grundsätzlich steht die Frage, wie weit die versprochenen Erleichterungen in den kommenden Monaten überhaupt praktisch wirksam werden können. Die indirekten Sanktionen der USA zielen auf die Einschüchterung potentieller Geschäftspartner des Iran und eine große Rechtsunsicherheit auf diesem Gebiet. Diese Faktoren werden ganz sicher nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden.

** Aus: junge welt, Dienstag, 26. November 2013


Atomabkommen belebt die Wirtschaft

Sinkender Ölpreis läßt Spekulanten jubeln: DAX mit Rekordhoch, auch Freude in Istanbul ***

Frieden in Nahost scheint gut fürs Geschäft: Am Montag feierten die »Märkte« den politischen Durchbruch im jahrelangen Atomstreit mit dem Iran. Allem voran verbilligte das in Genf erzielte Abkommen Erdöl. Die Preise für die Nordsee-Sorte Brent und das US-Öl WTI (West Texas Intermediate) fielen am Montag deutlich. Das wiederum sorgte bei den Ak­tienanlegern für Freude, die angesichts sinkender Ölpreise auf ein Anziehen der Weltwirtschaft hofften.

Der Deutsche Leitindex DAX stieg um bis zu 0,9 Prozent auf ein neues Rekordhoch von 9305,84 Punkten. der EuroStoxx50 legte um 0,6 Prozent zu. Auch die Börsianer in Istanbul feierten mit. Vom sinkenden Ölpreis profitierten vor allem Luftfahrtwerte. Zulegen konnten auch die Titel von Peugeot und Renault, die vor den Sanktionen stark im iranischen Automarkt engagiert waren. Die Aktien der französischen Autobauer kletterten in der Spitze um fünf beziehungsweise 2,2 Prozent.

Die fünf UN-Vetomächte und Deutschland hatten in der Nacht zum Sonntag ein Übergangsabkommen mit dem Iran erzielt. Ein Effekt: Bestehende Sanktionen werden gelockert, die dem Iran wirtschaftlich in die Knie zwingen sollten. Anleger spekulierten nun darauf, daß iranisches Öl langfristig auf den Weltmarkt dränge, sagte Analyst Chee Tat Tan von Phillip Futures. Unter anderem soll der Handel mit Erdölprodukten und Edelmetallen teilweise wieder ermöglicht werden. Dies nährte im Iran die Hoffnung auf eine Erholung der geplagten Wirtschaft. Die Währung des Landes legte am Sonntag am freien Markt um mehr als drei Prozent zu.

Der Preis für die richtungsweisende Brent-Sorte fiel zu Wochenbeginn um 2,7 Prozent auf 108,06 Dollar. Ein Faß (Barrel; 159 Liter) WTI kostete mit 93,29 Dollar 1,6 Prozent weniger als am Freitag. Gold verbilligte sich im Schlepptau um mehr als ein Prozent auf 1228 Dollar je Feinunze.

Wie sehr die Euphorie von Spekulation getrieben wird, zeigt sich daran, daß die »Strafmaßnahmen« im Ölsektor nicht aufgehoben wurden. Allerdings führte die Hoffnung, daß iranisches Öl langfristig auf den Weltmarkt drängen könnte, zu sinkenden Preisen.

Zugesagt wurde dem Iran die schrittweise Freigabe von gesperrten Geldern aus Ölverkäufen. Indische Raffinerien erklärten, sie seien ab der kommenden Woche bereit, Gelder für iranisches Öl zu überweisen. Indien gehört zusammen mit China, Japan und Südkorea zu den größten Importeuren von Petroleum aus dem bislang boykottiertem Land. Indien schuldet dem Iran Regierungskreisen zufolge insgesamt 5,3 Milliarden Dollar für Öllieferungen. Und die Türkei teilte mit, sie könnte ihre Ölimporte aus dem Iran um bis zu 35000 Barrel pro Tag (bpd) auf bis zu 140000 bpd erhöhen, sollten die Sanktionen gelockert werden.

*** Aus: junge welt, Dienstag, 26. November 2013


Auch nach Atom-Deal Skepsis in den USA

Präsident Obama trifft im Kongress auf massiven Widerstand

Von Olaf Standke ****


Nach dem Genfer Durchbruch im Dauerstreit um das iranische Atomprogramm muss USA-Präsident Obama nun die Skeptiker im eigenen Land überzeugen.

Ausgerechnet Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, zuvor vor allem als Bremser bei den Genfer Atomgesprächen aufgefallen, zeigte sich am Montag optimistisch: Die Europäische Union könnte bereits im Dezember die ersten Sanktionen gegen Teheran lockern. Zu den seit 2007 verhängten Einschränkungen gehören Ein- und Ausfuhrverbote für Waffen, Technologie für den Bau von Atomwaffen oder Telekommunikationssysteme. Verboten sind auch Finanzhilfen und Investitionen in die Ölindustrie. Die Erdölhändler haben bereits auf ihre Art auf die Vereinbarungen reagiert: In Singapur fiel der Preis für die Nordseesorte Brent gestern schon bei Handelsauftakt um über zwei Prozent auf 108,57 Dollar je Barrel für eine Lieferung im Januar. Die Genfer Einigung, so das Argument der Analysten, könne langfristig eine Aufhebung des Embargos gegen iranische Ölexporte zur Folge haben, womit das Angebot auf den Weltmärkten steigen würde.

Diesen Sicht teilen allerdings nicht alle. USA-Präsident Barack Obama muss nicht nur den enttäuschten Verbündeten Israel beruhigen. Die kommenden sechs Monate sollten dazu genutzt werden, eine dauerhafte Lösung zu finden, die den internationalen Besorgnissen über Teherans Nuklearprogramm Rechnung trage. Sein Außenminister John Kerry erwartet da weitere zähe Verhandlungen und spricht von notwendigen großen Schritten in Sachen Verifizierung, Transparenz und Verlässlichkeit.

Viel Überzeugungsarbeit ist jedoch auch in Washington selbst erforderlich. Deshalb blieb die Obama-Regierung vage und gestand lediglich zu, »in Einklang mit den jeweiligen Rollen des Präsidenten und des Kongresses von neuen Sanktionen abzusehen«. Zugleich warnte das Weiße Haus alle vor »ernsthaften Schwierigkeiten«, die glaubten, man könne mit Iran jetzt wieder unbefangen handeln. Israel hatte verbreitet, das »Entgegenkommen« der sogenannten Sechsergruppe in Genf würde Iran bis zu 40 Milliarden Dollar einbringen; ein Vorwurf, den die Republikaner gern aufgenommen haben. Aber selbst sieben Milliarden Dollar durch die angekündigten Sanktionslockerungen hält die Obama-Regierung für einen kaum realistischen Maximalwert.

Der Präsident hatte das Parlament in den vergangenen Wochen um Zurückhaltung gebeten, um die Verhandlungen nicht zu torpedieren. Doch trotz der Einigung mit Teheran wollen Kongressabgeordnete jetzt weitere Auflagen verabschieden, auch wenn diese erst später in Kraft treten sollten, wie der republikanische Senator Mark Kirk erklärte: Das neue Strafpaket könne dann sofort greifen, wenn Teheran gegen die vereinbarte Übergangslösung verstoße. Die Genfer Übereinkunft mache »einen nuklearen Iran wahrscheinlicher«, wetterte der einflussreiche Senator Marco Rubio aus Florida. Andere werfen Obama vor, er wolle so nur vom Desaster seiner Gesundheitsreform ablenken.

Anfang Dezember soll nun im Senat ein Gesetz zur Sanktionsverschärfung zur Abstimmung gestellt werden. Wobei sich auch in den Reihen der Demokraten außenpolitische »Falken« finden lassen. Das Abgeordnetenhaus hat bereits für weitere Strafmaßnahmen votiert, mit 400 zu 20 Stimmen. Der Kongress erteilte dem Präsidenten zwar eine Vollmacht, bestimmte Sanktionen für einige Monate auszusetzen, aufheben kann er sie langfristig allerdings nur selbst.

**** Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. November 2013


Israel verärgert

Regierung lehnt Iran-Abkommen weiter ab

Von Roland Etzel *****


Die israelische Regierung äußerst sich über das Atomabkommen mit kaum verhohlenem Ärger. Sie will sich auf keinen Fall mit einer Aufweichung des bisher harten Kurses gegenüber Teheran abfinden.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnet das zwischen den 5+1-Staaten und Iran vereinbarte Übergangsabkommen zum iranischen Atomprogramm als »historischen Fehler«. Für ihn – er sagt das unverblümt – hat sich der Westen von den Iranern übertölpeln und über den Tisch ziehen lassen. Das hat Netanjahu schon nach der vorletzten Verhandlungsrunde am 10. November behauptet, als eine Einigung kurz bevorstand und allein an der Ablehnung des französischen Außenministers Laurent Fabius scheiterte.

Netanjahu und sein Außenminister Avigdor Lieberman zogen danach alle Register. Sie haben gedroht – mit einem militärischen Alleingang zur Zerstörung der iranischen Atomanlagen; sie haben geschmeichelt – indem sie Frankreich beim Besuch von dessen Präsident François Hollande als besten Freund Israels bezeichneten; und sie haben intrigiert – indem sie US-Außenminister John Kerry ein heimliches Arrangement mit Teheran unterstellten, wofür sie angebliche Beweise ihres Geheimdienstes ins Netz stellten.

Am Ende war alles vergebliche Mühe. Die Realitätsverweigerung der israelischen Regierung hinderte Netanjahu und Co., zur Kenntnis zu nehmen, dass das angebliche Streben Irans nach Kernwaffen im Westen zwar fast so gebetsmühlenhaft zu hören ist wie in Israel, aber dass man dennoch sehr wenig Interesse hat, sich in einen Krieg mit unabsehbaren Folgen hineinziehen zu lassen. Alle 5+1-Staaten befürworteten im Gegensatz zu Israel eine diplomatische Lösung. Das ständige Beschwören der Gefahr eines neuen Holocaust vonseiten Israels angesichts einer vermeintlich drohenden iranischen Verfügungsgewalt über Kernwaffen ist wohl überstrapaziert worden.

Nicht außer Acht lassen sollte man die wirtschaftlichen Interessen. Niemand im Westen möchte als Letzter auf dem gewaltigen iranischen Markt ankommen. Gerade die krisengebeutelte französische Industrie nicht. Es muss Netanjahu besonders geschmerzt haben, dass ausgerechnet Fabius die israelischen Einwände am Montag recht kühl abschmetterte. Israel solle ruhig bleiben. Das Abkommen stelle sicher, dass Teheran keinen »Unsinn« machen könne, es gebe »sehr exakte Begrenzungen«.

Die Regierung Netanjahu wird ihre konfrontative Haltung zu Abkommen mit Teheran aber wohl weiterverfolgen. Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, der sonst nicht zu den Falken zählt, sagte am Montag im Deutschlandfunk auf die Frage, ob Israel nun etwas Ruhe geben werde: »Nein. Israel wird eine ganz heftige ... Lobby-Kampagne führen, zunächst in Amerika, wo Israel viele Freunde in Senat und Kongress hat, die ihre These unterstützen, aber auch in Europa.«

Auch jetzt sieht übrigens kein israelischer Politiker eine Notwendigkeit, die eigenen Atomwaffen auch nur als existent einzuräumen.

***** Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. November 2013


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