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Erster Fortschritt im Atomstreit mit Iran

Unterhändler einigten sich in Genf auf ein sechs Monate gültiges Übergangsabkommen

Von Marc Engelhardt, Genf *

Iran friert Teile seines Atomprogramms ein, im Gegenzug werden einige wenige Sanktionen gelockert. Das in Genf vereinbarte Übergangsabkommen gilt ein halbes Jahr.

»EU-Außenbeauftragte Ashton: Wir haben ein Ergebnis mit Iran erzielt«, twitterte Catherine Ashtons Sprecher Michael Mann um 2.55 Uhr am frühen Sonntagmorgen. Während ein eisiger Wind durch Genfs verlassene Straßen fegte, versammelten sich Ashton, Irans Außenminister Dschawad Sarif sowie die Außenminister der fünf UN-Vetomächte und Deutschlands im Saal des Hotels »Intercontinental«. »Nach intensiven Verhandlungen haben wir uns heute auf einen gemeinsamen Aktionsplan verständigt, der ein Vorgehen für eine langfristige Lösung festlegt«, erklärte Ashton. »Uns verbindet die starke Verpflichtung, eine endgültige, umfassende Lösung auszuhandeln.« Noch während sich die Unterhändler die Hände schüttelten, begann die Interpretation des Genfer Aktionsplans.

Er ist zunächst auf ein halbes Jahr begrenzt. In dieser Zeit will Irans Regierung darauf verzichten, Uran so hoch anzureichern, dass es für eine Atombombe benutzt werden könnte. Vorräte hoch angereicherten Urans sollen verdünnt oder vernichtet werden. Die Urananreicherung insgesamt wird beschränkt, ebenso Nutzung und Bau von Zentrifugen. Inspektoren der Atomenergieagentur IAEA sollen das überwachen können. Iran stoppt zudem sämtliche Bauvorhaben am Schwerwasserreaktor Arak, in dem waffenfähiges Plutonium produziert werden könnte. Im Gegenzug werden Sanktionen gelockert, wodurch Iran Mehreinnahmen von mehr als fünf Milliarden Euro etwa aus dem Ölverkauf zufließen sollen. Auf neue Sanktionen verzichten die Abkommenspartner vorerst.

Als »Wendepunkt« nach zehn Jahren Isolation lobte Bundesaußenminister Guido Westerwelle das Abkommen. »Unsere diplomatischen Anstrengungen haben heute einen neuen Weg eröffnet, hin zu einer sichereren Welt«, verkündete US-Präsident Barack Obama aus Übersee. Doch wie weit die Unterhändler in der Auslegung des Vereinbarten voneinander entfernt sind, zeigt sich schon bei der Frage, ob Iran ein »Recht auf Urananreicherung« zugesprochen wurde. So sei es, erklärte Sarif in Genf – weit gefehlt, antwortete US-Außenminister John Kerry, »egal, was da für Kommentare abgegeben werden«.

Die USA wollen den Eindruck zu großer Zugeständnisse an Iran vermeiden. Der Kongress muss dem Abkommen noch zustimmen, und Israel verurteilte die Einigung bereits als »historischen Fehler«. So betonte Kerrys Ministerium, dass die fünf Milliarden Euro, die in Irans Staatskasse fließen, nur ein Bruchteil des Betrages sind, der weiterhin auf Sperrkonten landen wird oder Teheran ganz verloren geht. Allein durch die Ölsanktionen werde Iran auch künftig in einem guten Monat den gleichen Betrag verlieren, der ihm in Genf zugesprochen wurde. Der Anreiz, weiterhin mit dem Westen zu verhandeln, sei also nach wie vor groß. Mit den Verhandlungen für ein umfassendes Abkommen soll möglichst schnell begonnen werden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. November 2013


Schulterklopfen in Genf **

Einigung über Atomprogramm: Weitgehende Zugeständnisse des Iran. Versprochene Sanktionserleichterungen dagegen mager

Von Knut Mellenthin **


Im Streit um das iranische Atomprogramm, der von US-amerikanischer und israelischer Seite seit über zehn Jahren mit Kriegsdrohungen geführt wird, scheint eine Atempause einzutreten. Iran und die Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – einigten sich in der Nacht zum Sonntag nach einem viertägigen Verhandlungsmarathon auf ein befristetes Zwischenabkommen.

Während die Gespräche bisher streng vertraulich geführt worden waren und kaum Informationen an die Öffentlichkeit gelangten, haben gestern sowohl die USA als auch der Iran den Inhalt der Vereinbarung publiziert. Im wesentlichen stimmen die Darstellungen überein, können also als zuverlässig angenommen werden.

Das in der Schweizer Stadt Genf ausgehandelte Abkommen mit dem Titel »Gemeinsamer Aktionsplan« besteht aus drei Teilen: einer Präambel, einem aktuellen Maßnahmenkatalog (»Elemente für einen ersten Schritt«) und einer Absichtserklärung für eine noch zu erörternde endgültige Gesamtlösung. Die aktuellen Maßnahmen beider Seiten haben vorläufigen Charakter. Sie gelten zunächst für ein halbes Jahr und könnten anschließend bei gegenseitigem Einvernehmen verlängert werden. Die Gesamtlösung soll in spätestens einem Jahr ausgehandelt sein.

Nach einer Einigung mit dem EU-Trio – Frankreich, Großbritannien und Deutschland – im Oktober 2003 hat Teheran zum zweiten Mal einem Moratorium zugestimmt. Für die Zeit seiner Geltungsdauer wird der Iran die Anreicherung von Uran mit dem spaltbaren Isotop 235 auf 20 Prozent einstellen und die Anreicherung auf 3,5 Prozent auf ihrem gegenwärtigen Stand einfrieren. Das bedeutet: Keine Installation zusätzlicher Gaszentrifugen, die für die Anreicherung benötigt werden. Keine Inbetriebnahme von zwar installierten, aber derzeit nicht genutzten Zentrifugen-Reihen. Beschränkung von deren Produktion auf die Ersetzung von schadhaften Geräten.

Der Iran hat außerdem zugesagt, die Bauarbeiten am Schwerwasserreaktor Arak, dessen Fertigstellung für Sommer 2014 geplant war, zu unterbrechen. Die Überwachung des Moratoriums erfolgt durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), die nun auch regelmäßige Inspektionen in Anlagen außerhalb ihres Kompetenzbereichs vornehmen darf. Dazu gehören die Produktionsstätten für Zentrifugen und Irans Uranminen.

Im Gegenzug verspricht die Sechsergruppe, während des Moratoriums keine neuen Sanktionen zu beschließen. Die US-Regierung hat für diese Zeit eine Lockerung einiger von ihr verhängter Strafmaßnahmen zugesagt, deren Gesamtwert sie in ihrer Pressemitteilung vom Wochenende weit übertrieben auf sieben Milliarden Dollar im Halbjahr berechnet. Gleichzeitig macht das Weiße Haus darauf aufmerksam, daß Iran durch die fortbestehenden Sanktionen pro Monat sechs Milliarden allein an Einnahmen aus dem Ölexport verliert.

Die israelische Regierung setzte ihre scharfe Polemik gegen jede Einigung mit dem Iran fort und erklärte sofort, daß sie sich an das in Genf ausgehandelte Abkommen nicht gebunden fühle. Zahlreiche prominente US-Kongreßmitglieder, die traditionell der Pro-Israel-Lobby verbunden sind, haben in ersten Stellungnahmen gleichfalls die Vereinbarung angegriffen und neue Sanktionen angekündigt. Es wird sich dabei aber vermutlich nur um Vorratsgesetze für den Fall eines Scheiterns des Moratoriums handeln.

** Aus: junge welt, Montag, 25. November 2013


Der erste Schritt in Genf

Von Detlef D. Pries **

Vor zwei Wochen waren die Außenminister Irans, der »Großen Fünf« und Deutschlands noch mit leeren Händen aus Genf abgeflogen. Nach einem zweiten erfolglosen Anflug hätte man ihnen Mangel an politischem Willen oder an Befähigung zur Diplomatie vorgeworfen. Kein Wunder, dass sie das Ergebnis ihrer Verhandlungen jetzt als »historischen Durchbruch« und als »Lösung einer der größten Aufgaben der Weltpolitik« preisen. Fast möchte man fragen: Geht's auch eine Nummer kleiner? Es handelt sich schließlich nur um einen ersten Schritt zur Lösung des Streits ums iranische Atomprogramm. Und die unterschiedlichen Interpretationen des Abkommens lassen ahnen, dass weitere Schritte nicht leichter werden.

Grundfalsch ist es aber, die Einigung – wie Israels Premier – als »historischen Fehler« zu verurteilen. Nicht nur, weil jeder Durchbruch einen ersten Schritt voraussetzt. Vor allem zeigt die Genfer Übereinkunft, dass auf dem Verhandlungsweg Fortschritte möglich sind. Die Verschärfung der Sanktionen dagegen – und erst recht die Drohung mit der »militärischen Option« – haben Teheran bisher nur zum Ausbau seines Atomprogramms provoziert. Und die »Kollateralschäden« hatte die iranische Bevölkerung zu tragen. Deshalb ist der erste Schritt von Genf sehr wohl zu würdigen – und zu verteidigen gegen die Falken aus allen Richtungen.

** Aus: neues deutschland, Montag, 25. November 2013 (Kommentar)


Wenn der Westen will

Abkommen im Atomstreit

Von Knut Mellenthin ***


Die Kriegsgefahr ist nicht gebannt. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß das Interimsabkommen, dem der Iran gestern in Genf zugestimmt hat, eine kalkulierte Falle ist, die zu noch schärferen Sanktionen und letztlich doch zu einer militärischen Konfrontation führen wird. Aber für den Moment ist mit Freude und Erleichterung festzustellen, daß die Kriegstreiber nicht nur sechs weitere Monate Zeit, sondern auch eine wichtige politische Schlacht verloren haben. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate, nachdem sie im Sommer schon mit ihren Bemühungen gescheitert waren, die USA zu einer sofortigen Militärintervention gegen Syrien zu drängen.

In den iranischen Medien herrscht euphorische Siegesstimmung. Was in Wirklichkeit ein gewagter Kompromiß ist, wird als Kapitulation der Gegenseite gefeiert. Die Sechsergruppe habe Irans Recht auf die Anreicherung von Uran anerkannt, lautet der Tenor. US-Außenminister John Kerry widerspricht: Die Anerkennung dieses Rechts sei nicht Teil der vereinbarten Maßnahmen.

Irgendwie stimmt beides und ist doch nicht ganz genau. Neben dem für zunächst sechs Monate geltenden Moratorium enthält die Genfer Vereinbarung auf Drängen der Iraner auch schon »Elemente« einer im Detail noch auszuhandelnden »endgültigen Gesamtlösung«. Dieser Teil sieht in der Tat – nicht sofort, aber als Endziel – die Anerkennung des iranischen Rechts auf friedliche Nutzung der Atomenergie, einschließlich der Anreicherung, vor. Allerdings mit dem wesentlichen Vorbehalt, daß die »Parameter« eines künftigen iranischen Anreicherungsprogramms im Konsens mit der Sechsergruppe festgelegt werden sollen. Über den Grad der Anreicherung, die Mengen des angereicherten Urans, sogar die Orte, wo die Anreicherung stattfinden darf, und seine Produktionskapazitäten soll der Iran nicht selbständig bestimmen können.

Es ist also nur ein willkürlich beschnittenes Recht, über das hier gesprochen wird. Aber immerhin ist damit, jedenfalls perspektivisch, die alte Forderung vom Tisch, daß der Iran gänzlich auf die Anreicherung von Uran und damit auf die Herstellung von eigenem Reaktorbrennstoff verzichten müsse.

Auch die versprochenen Sanktionserleichterungen geben, sachlich betrachtet, keinen Grund zum Jubeln. Fast alle von den USA und ihren Verbündeten praktizierten Strafmaßnahmen bleiben in Kraft. Die Zugeständnisse, die die US-Regierung auf diesem Gebiet gemacht hat, addiert sie selbst auf einen Gesamtwert von sieben Milliarden Dollar im ersten Halbjahr. Der größte Posten davon, 4,2 Milliarden, sind jedoch Einnahmen Irans aus dem laufenden Ölexport. Irans Kunden müssen diese derzeit, wenn sie nicht riesige Nachteile auf dem US-Markt in Kauf nehmen wollen, auf Sperrkonten zahlen. Iran soll nun erleichterten Zugriff darauf erhalten.

Trotzdem, und darauf weist auch die wütende Dauerpolemik der israelischen Regierung hin: Es könnte ein erster Schritt zur Entschärfung des Konflikts sein. Wenn der Westen will.

**** Aus: junge welt, Montag, 25. November 2013 (Kommentar)


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