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Sorge vor Militärschlag

Zurück vor den Sündenfall: Putin versucht, aus der von Rußland mitverschuldeten Iran-Sackgasse herauszukommen. Kritik an westlicher Sanktions- und Interventionspolitik

Von Knut Mellenthin *

Rußlands Regierungschef Wladimir Putin hat erneut vor den »katastrophalen Folgen« eines Krieges gegen Iran gewarnt. Er verband das mit dem Vorschlag, das Recht Irans auf die Anreicherung von Uran zu zivilen Zwecken anzuerkennen. Nun ist diese Idee zwar, formal betrachtet, nicht wirklich neu. Sie ist bereits in allen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die den Iran betreffen, implizit enthalten. Allerdings ist das keine ernsthafte Aussage, da sie unmittelbar mit der strafbewehrten Forderung verbunden ist, daß Teheran zeitlich unbegrenzt auf dieses Recht verzichten soll. Wenn Putin diesen Punkt jetzt ausdrücklich neu ins Spiel bringt, darf man unterstellen, daß er nicht beabsichtigt, den Iran zu verhöhnen und ein Spiel mit Worten zu treiben, sondern daß er etwas grundsätzlich anderes meint als die bisherige unehrliche Praxis der vom Westen definierten und dominierten »internationalen Staatengemeinschaft«.

In einem langen außenpolitischen Aufsatz für Moskowskije Nowosti schrieb der russische Premierminister – und demnächst vermutlich wieder Präsident seines Landes – vor wenigen Tagen: »Der Iran zieht zur Zeit die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich. Rußland ist selbstverständlich um die immer größer werdende Gefahr eines militärischen Schlags gegen dieses Land besorgt. Sollte es dazu kommen, dann würde das katastrophale Folgen haben, deren wahrer Umfang kaum vorstellbar wäre.« Putin weiter: »Ich bin überzeugt, daß das Problem ausschließlich auf friedlichem Wege gelöst werden sollte. Wir schlagen vor, das Recht des Iran auf die Entwicklung eines zivilen Atomprogramms, darunter auf die Urananreicherung, anzuerkennen. Dafür sollten seine Aktivitäten im Atombereich jedoch unter strenger und umfassender Kontrolle seitens der IAEA erfolgen. Wenn das funktioniert, dann sollten jegliche anti-iranischen Sanktionen, darunter einseitige, aufgehoben werden. Der Westen neigt zuletzt allzu stark zur ›Bestrafung‹ einzelner Länder. Beim geringsten Anlaß greift er zu seiner Sanktions- oder auch Militärkeule. Man sollte aber nicht vergessen, daß das 19. und sogar das 20. Jahrhundert schon lange vorbei sind.«

Putins Vorschlag führt uns zurück in die Jahre 2003 bis 2005, als das aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien bestehende EU-Trio, das im Namen der »internationalen Gemeinschaft« auftrat, den immer noch nachwirkenden Zusammenbruch der Verhandlungen mit dem Iran herbeiführte. Im Oktober 2003 ließ Teheran sich darauf ein, als freiwillige vertrauensbildende Maßnahme alle mit der Urananreicherung verbundenen Arbeiten für die Dauer der Verhandlungen zu unterbrechen. Zum selben Zeitpunkt erklärte sich Iran bereit, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) einzuhalten, das erweiterte Kontrollrechte der IAEA vorsieht. Es handelt sich dabei nicht um einen verbindlichen Teil des NPT. Nur 139 der 189 Vertragsstaaten haben das Zusatzprotokoll unterzeichnet; lediglich 104 haben es auch schon ratifiziert.

Als Ziel wurde in der gemeinsamen Teheraner Erklärung vom 21. Oktober 2003 definiert, »zufriedenstellende Versicherungen in bezug auf Irans Programm zur Gewinnung von Atomenergie« auszuarbeiten. Zu einem späteren Zeitpunkt der Gespräche vereinbarten Iran und das EU-Trio im Pariser Abkommen vom 14. November 2004, daß am Ende ein umfassendes langfristiges Übereinkommen stehen sollte, das unter anderem »objektive Garantien dafür (enthalten sollte), daß Irans Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient«.

Die iranische Seite war davon ausgegangen, daß mit »objektiven Garantien« eine Ausweitung und Perfektionierung der Kontrollmaßnahmen und Inspektionen durch die IAEA gemeint waren. Auf diesem Gebiet war ­Teheran zu weitreichendem Entgegenkommen bereit. Statt dessen sahen sich die Iraner unerwartet mit der ultimativen Forderung des Trios konfrontiert, aus der freiwilligen Unterbrechung bestimmter Arbeiten einen unbegrenzten Dauerzustand zu machen. Das war eine arglistige Täuschung, die die damals maßgeblichen – innenpolitisch reformwilligen und außenpolitisch kooperationsbereiten – iranischen Politiker als naive Dummköpfe dastehen ließ und ihnen jede Grundlage für weitere Zugeständnisse entzog.

Wenn Putin nun vorschlägt, zum Zustand vor diesem folgenschweren Vertrauensbruch zurückzukehren, stehen dieser Idee kaum zu überwindende Hindernisse entgegen. An erster Stelle: Die Forderung, daß Iran auf alle mit der Urananreicherung verbundenen Arbeiten, also auf einen zentralen Bestandteil seines zivilen Atomprogramms, zeitlich unbegrenzt verzichten müsse, ist inzwischen unter Mitwirkung Rußlands und Chinas in vier sanktionsbewehrten Sicherheitsratsresolutionen festgeschrieben. Diese könnten nur mit Zustimmung der Vetomächte USA, Großbritannien und Frankreich wieder aufgehoben oder zumindest entschärft werden. Aber als Zeichen, daß Putin es ernst meint, könnte er immerhin einen entsprechenden Antrag im Sicherheitsrat stellen lassen.

* Aus: junge Welt, 29. Februar 2012


Unbequeme Tatsachen

Kriegstreiber wollen »Korrektur« der geheimdienstlichen Erkenntnisse über Irans Atomprogramm erzwingen

Von Knut Mellenthin **


Iran wäre technisch in der Lage, Atombomben zu bauen, will es aber nicht. Das sagen nicht nur Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Revolutionsführer Ajatollah Khamenei, sondern auch die maßgeblichen Geheimdienstler und Militärs der USA. James Clapper, der Chefkoordinator aller 16 US-amerikanischen Geheimdienste, formulierte es am 31. Januar in einer Senatsanhörung so: »Wir schätzen nach wie vor ein, daß Iran sich die Option offenhält, Atomwaffen zu entwickeln, indem es verschiedene nukleare Fähigkeiten entwickelt, die ihm bessere Voraussetzungen verschaffen, solche Waffen zu produzieren, falls es sich dafür entscheiden sollte. Wir wissen jedoch nicht, ob Iran möglicherweise eine solche Entscheidung treffen wird. Iran hat die wissenschaftlichen, technischen und industriellen Kapazitäten, um gegebenenfalls Atomwaffen herzustellen. Damit wird sein politischer Wille, dies zu tun, zur zentralen Frage.«

Clapper bestätigte auf Nachfragen, daß der aktuelle Erkenntnisstand der Dienste im wesentlichen immer noch dem entspricht, der in dem – unveröffentlichten – Geheimdienstbericht von Anfang vorigen Jahres dargelegt wurde. Dieser wiederum ist weitgehend identisch mit dem vorausgegangenen Report, dessen Kurzfassung im Dezember 2007 veröffentlicht wurde. Das Fazit lautet unverändert, daß Iran seine Forschungsarbeiten im Atomwaffensektor im Jahre 2003 eingestellt und seither nicht wieder aufgenommen hat.

Clappers Einschätzung entspricht den Ansichten anderer führender US-Geheimdienstler und -Militärs aus jüngster Zeit. Darunter ist zum Beispiel CIA-Chef David H. Petraeus, der bei demselben Senatshearing auftrat. Auch Verteidigungsminister Leon Panetta und Generalstabschef Martin Dempsey haben sich mehrfach in ähnlicher Weise geäußert.

Bei denjenigen Journalisten der Mainstreammedien, die unbedingt schnell ihren Krieg gegen Iran haben wollen, haben diese Äußerungen Ärger ausgelöst. Spiegel online schrieb am 25. Februar: »Angesichts der geballten Skepsis suchen Beobachter nach einer Erklärung für die Zurückhaltung der CIA-Agenten. Kritiker werfen den Schlapphüten sogar vor, in Erinnerung an die blamable Fehleinschätzung über die Bewaffnung des Irak übertrieben vorsichtig zu sein.« Sehr originell war das nicht: Die New York Times, aus der der Spiegel gern abschreibt, hatte es einen Tag zuvor so formuliert: »Sie – die Skeptiker – kritisieren die CIA, daß sie in ihren Einschätzungen zum Iran übervorsichtig sei, und legen den Verdacht nahe, daß sie damit vielleicht ihre fehlerhaften Einschätzungen überkompensiert, die sie 2002 über Iraks angebliches Atomprogramm abgaben, das sich als nicht existierend herausstellte.«

Indessen, die Dinge lagen damals etwas anders: Die CIA stand den Gerüchten über irakische Massenvernichtungswaffen skeptisch gegenüber und riet zur Vorsicht. Von den Neokonservativen im Regierungsapparat unter Führung des Vizepräsidenten Dick Cheney wurde die Agentur daraufhin erfolgreich unter Druck gesetzt, ihre Einschätzung zu »korrigieren«. Was wir jetzt erleben, ist also das alte Spiel.

** Aus: junge Welt, 29. Februar 2012


Hintergrund: Erpressung funktioniert ***

Israel droht mit Militärschlägen gegen den Iran. Neu ist das nicht. Anhand älterer Depeschen aus dem Fundus des Internetenthüllungsportals Wikileaks kann man sich Déjà-vu-Erlebnisse verschaffen.

Da ist zum Beispiel ein Bericht von Daniel Kurtzer, dem damaligen US-Botschafter in Tel Aviv, mit dem Datum 14. März 2005. Wenige Wochen vorher hatte die israelische Presse gemeldet, daß Regierungschef Ariel Scharon die »Initialautorisierung« zur Einleitung der Vorbereitungen für einen Angriff auf den Iran gegeben habe. Kurtzer referiert in seinem Bericht anhand zahlreicher Zitate, daß Israels führende Politiker und Militärs damals die Aufnahme der Urananreicherung im Iran als »point of no return« behandelten. Also als allerspätesten Zeitpunkt für Militäraktionen.

Richtig, Iran reicherte damals noch kein Uran an. Damit begann es erst im Februar 2007, nachdem der UN-Sicherheitsrat das Land im Dezember 2006 erstmals mit einer Sanktionsresolution bestraft hatte. Als der US-Botschafter seinen Bericht abfaßte, verhandelte das EU-Trio noch im Namen der »internationalen Gemeinschaft« mit Teheran. Kurtzer beschreibt detailliert – und anscheinend nicht ganz unbesorgt –, wie Israel alles nur Mögliche unternahm, um diese Verhandlungen zum Scheitern zu verurteilen. Zu diesem Zweck berannte Israel unaufhörlich die Staaten der EU und die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) – Kurtzer nennt es »lobbying« –, um seine Forderungen durchzusetzen. Dazu gehörte, daß Iran zum unbefristeten und totalen Verzicht auf alle mit der Anreicherung verbundenen Arbeiten gezwungen werden sollte. Vom EU-Trio verlangte Israel, sich im voraus auf genaue Kriterien für ein Scheitern der Verhandlungen und auf die dann folgenden Schritte festzulegen.

Dazu gehörte das israelische Drängen auf die Verhängung von europäischen Sanktionen und auf eine Verurteilung Irans durch den UN-Sicherheitsrat. Gleichzeitig, so Kurtzer, setzten die Israelis auch die US-Regierung unter Druck, um diese zur Einflußnahme auf die Europäer zu veranlassen.

Urteilt man nach den Ergebnissen, erreichte Israel damals, scheinbar immer den Finger am Abzug, alle seine politischen Ziele.

*** Aus: junge Welt, 29. Februar 2012


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