Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Strategischer Schaden

In Iran sichergestellte US-Drohne hat neueste Technologie an Bord

Von Rainer Rupp *

Anfang der Woche hat US-Präsident Barak Obama im Fernsehen den Iran aufgefordert, die Spionagedrohne des Typs RQ-170 Sentinel (Wachposten), die Teheran unversehrt in die Hände gefallen war, umgehend zurückzugeben. Dies bestärkte die von vielen Beobachtern bereits zuvor geäußerte Vermutung, daß durch die Preisgabe der in der Drohne enthaltenen neuen US-Technologien ein Schaden von strategischer Tragweite entstanden ist.

Die RQ-170 ist in den USA weiterhin »Top Secret« eingestuft, und selbst die sonst gut informierte Föderation Amerikanischer Wissenschaftler (FAS) hat diesmal wenig zu berichten, außer daß die Sentinel eine Reihe neuester und teurer Überwachungs-, Aufklärungs- und Erkennungstechnologien an Bord hat. Bekannt ist auch, daß die Drohne über eine aufwendige Stealthtechnologie verfügt, die sie für das feindliche Radar unsichtbar machen soll. Das wird durch die in Teheran veröffentlichten Fotos der Sentinel bestätigt.

Mit so genannten »Voice Prints« soll die Drohne sogar imstande sein, einzelne Personen am Telefon zu identifizieren, diese anschließend zu orten und aus großer Höhe zu verfolgen. Auf diese Weise könnten die Koordinaten noch nicht identifizierter iranischer Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren der militärischen, politischen und ökonomischen Führung zur Vorbereitung eines Enthauptungsschlages in die Zielerfassung der US-Raketensysteme eingefüttert werden. Technisch ist all dies möglich. Ob aber die Sentinel auch über diese Fähigkeiten verfügt, ist nicht verbürgt. Wer jedoch diese Spur weiter folgt, stößt unweigerlich auf die 2010 im Pentagon entwickelte neue Militärdoktrin des »AirSea Battle«-Konzepts und dort wieder auf die RQ-170 Sentinel.

Vor dem Hintergrund der akuten Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA und den knapper werden Geldmitteln für das US-Militär ist es unter Präsident Obama im Pentagon zu einer Abwendung vom sehr teuren Ressourcen im »globalen Krieg gegen den Terror« und zu einer Rückkehr zur traditionellen Militärdoktrin mit technologisch weit überlegenen Kräften gekommen. Weil China und Iran bedeutende Fortschritte gemacht haben, einem in ihre Küstengewässer vordringenden Feind zurückzuschlagen oder ihm zumindest empfindliche Verluste zuzufügen, richtet sich das neue ASB-Konzept hauptsächlich gegen sie. Um dies ohne große eigene Verluste an Soldaten zu korrigieren, weist das Pentagon in zukünftigen Kriegen zum ersten Mal in der Militärgeschichte ferngesteuerten Kriegsmaschinen zu Wasser und insbesondere in der Luft eine Hauptrolle zu.

Laut hochrangiger US-Offiziere in einer Veröffentlichung des US-Marineinstituts liegt der Schlüssel zum Erfolg des ASB-Konzepts in »allgegenwärtigen, unbemannten Luftkampfsystemen, die pausenlos die Aufklärung, Überwachung und Zielerkennung garantieren«. Diese Aufgabe wiederum soll laut US-Regierungsdokumenten insbesondere der RQ-170 Sentinel zufallen. Die aber befindet sich nun vollkommen intakt in iranischen Händen. Zu deren Studium haben bereits China und Rußland in Teheran Interesse angemeldet. Dadurch wird nach Meinung nicht weniger Experten das gesamte ASB-Konzept des Pentagon in Frage gestellt. Das gilt erst Recht, falls die Nachricht bestätigt wird, daß es den Iranern gelungen ist, sich in das elektronische Leitsystem der RQ-170 Drohne einzuhacken und deren Kontrolle zu übernehmen.

* Aus: junge Welt, 16. Dezember 2011


Zurück zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage