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Sanktionen statt Gespräche

Rußland und China unterstützen US-Resolution gegen Iran

Von Knut Mellenthin *

Auf die Friedensgeste aus Teheran hat die US-Regierung nur einen Tag später mit einer Verschärfung der Konfrontation geantwortet. Die Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, legte dem UN-Sicherheitsrat am Dienstag einen Resolutionsentwurf vor, der erweiterte Sanktionen gegen Iran enthält.

Kurz zuvor hatte Hillary Clinton diesen Schritt während einer Anhörung im Außenpolitischen Ausschuss des Senats angekündigt. Triumphierend teilte die Außenministerin mit, dass die US-Regierung die Zustimmung Russlands und Chinas für ihren Entwurf habe. Das sei, setzte Clinton zynisch hinzu, „eine so überzeugende Antwort auf die in Teheran in den letzten Tagen unternommenen Bemühungen, wie wir sie überhaupt nur geben können“.

Brasilien, die Türkei und Iran hatten sich in der Nacht von Sonntag zu Montag auf einen Vorschlag geeinigt, der ein weitgehendes iranisches Angebot enthielt und Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen bringen sollte. Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatten danach ihre Überzeugung bekundet, dass damit der Weg für eine diplomatische Lösung offen sei und dass neue Sanktionen nicht nur überflüssig, sondern schädlich wären. Auch Regierungsvertreter Russlands und Chinas hatten in ersten Stellungnahmen das Teheraner Abkommen begrüßt, ohne erkennen zu lassen, dass sie sich in Wirklichkeit schon mit den USA auf neue Sanktionen geeinigt hatten. Beide Staaten hatten in der Vergangenheit immer wieder betont, dass weitere Strafmaßnahmen eine politische Lösung eher erschweren als erleichtern würden.

Der russische UNO-Botschafter Witali Tschurkin rechtfertigte am Mittwoch die 180-Grad-Wendung seiner Regierung, indem er sagte: „Wir können mit dem Wortlaut des Resolutionsentwurfs leben, weil er sich angemessen auf Weiterverbreitungs-Themen konzentriert.“ Der chinesische Vertreter, Li Baodong, erklärte, der Zweck der Resolution sei es, „die iranische Seite an den Verhandlungstisch zu bringen“. Li behauptete sogar, die Einbringung des Entwurfs in den Sicherheitsrat stelle eine „Chance“ dar, „die iranische Angelegenheit durch Diplomatie zu lösen“.

Auf der anderen Seite kündigte die UN-Botschafterin Brasiliens, Maria Luiza Ribeiro Viotti, an, dass ihr Land sich an der Diskussion über neue Sanktionen nicht beteiligen werde. Stattdessen forderte sie, die durch das Teheraner Abkommen gegebene Möglichkeit zu Verhandlungen wahrzunehmen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hatte noch vor Bekanntwerden des amerikanischen Schritts erklärt: „Sanktionen, Diskussionen über Sanktionen würden das Klima vergiften.“ Erdogan warf den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats Unglaubwürdigkeit vor: „Es ist die Zeit gekommen, darüber zu diskutieren, ob wir an die Herrschaft des Rechts oder an der Recht der Herrschenden und Überlegenen glauben. Sie haben selbst Atomwaffen, also woher wollen sie die Glaubwürdigkeit nehmen, sie anderen Ländern zu verbieten?“

Nach Berichten verschiedener Medien, denen der amerikanische Entwurf zugespielt wurde, sieht dieser unter anderem ein fast vollständiges Waffenembargo gegen Iran vor. Dieses würde hauptsächlich russische und chinesische Unternehmen treffen. Außerdem sollen die jetzt schon geltenden Strafmaßnahmen – Vermögensbeschlagnahmungen und Reiseverbote – gegen namentlich genannte iranische Firmen und Personen ausgeweitet werden. Besonders brisant ist das im Entwurf vorgesehene Recht, „verdächtige“ iranische Frachtschiffe zu durchsuchen. Die Kriegsflotten der NATO könnten das zum Vorwand einer de-facto-Seeblockade nehmen und militärische Zwischenfälle provozieren. Fest verabredet ist jetzt schon, dass die USA und ihre Verbündeten eine eventuelle UN-Resolution durch zusätzliche eigene Sanktionen verschärfen wollen.

Angesichts der im Sicherheitsrat noch zu überwindenden Widerstände wird mit einer Zeit von zwei bis drei Wochen bis zur Verabschiedung einer Resolution gerechnet.

* Aus: junge Welt, 20. Mai 2010


Warnung vor neuen Sanktionen

Von Knut Mellenthin **

Brasilien und die Türkei haben den UN-Sicherheitsrat vor der Verabschiedung neuer Sanktionen gegen den Iran gewarnt. Die USA hatten am Dienstag einen Resolutionsentwurf vorgelegt, dessen Text mit den anderen ständigen Ratsmitgliedern China, Frankreich, Großbritannien und Russland abgestimmt ist. In einer am Mittwoch verbreiteten gemeinsamen Erklärung der Außenminister Celso Amorim und Ahmet Davutoglu heißt es dazu: „Brasilien und die Türkei sind überzeugt, dass es an der Zeit ist, Verhandlungen eine Chance zu geben und Maßnahmen zu vermeiden, die für eine friedliche Lösung der Angelegenheit schädlich wären.“

Die beiden Länder hatten zusammen mit dem Iran am Montag einen Vorschlag veröffentlicht, der klare iranische Zugeständnisse und ein ausdrückliches Verhandlungsangebot enthält. Diese Vereinbarung sei „genau das, was die USA vor fünf Monaten wollten“, sagte der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva am Mittwoch. Er hatte beim Zustandekommen des Teheraner Kompromissvorschlags eine entscheidende Rolle gespielt. „Es liegt jetzt beim Sicherheitsrat, sich hinzusetzen mit dem Willen zum Verhandeln, denn wenn er dazu nicht bereit ist, wird alles wieder zurückgeworfen“, warnte Lula während eines Besuchs in Spanien.

Indessen stellte Iran in ersten Reaktionen Optimismus und Gelassenheit zur Schau. Der Leiter der iranischen Atomenergie-Behörde, Ali Akbar Salehi, erklärte: „Sie werden sich nicht durchsetzen. Indem sie versuchen, diese neue Resolution durchzubringen, werden sie sich in der öffentlichen Meinung selbst diskreditieren.“ - Außenminister Manuchehr Mottaki sagte: „Wir nehmen die Entwicklung in New York“, das heißt am Sitz der UNO, „nicht ernst, weil die Länder, die die Resolution unterstützen, in der Minderheit sind“. Mottaki äußerte sich am Rande einer Außenministertagung der Organisation Islamischer Staaten in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe.

Sachliche Gründe für den iranischen Optimismus sind jedoch nicht zu erkennen. Laut Satzung müssen mindestens neun der fünfzehn Länder, die im Sicherheitsrat vertreten sind, der Resolution zustimmen. Da die fünf ständigen Mitglieder sich bereits grundsätzlich geeinigt haben, fehlen lediglich vier weitere Stimmen. Definitiv gegen den Resolutionsentwurf haben sich bisher nur Brasilien, die Türkei und der Libanon ausgesprochen.

In der von den USA vorgelegten Fassung soll die Resolution die Durchsuchung „verdächtiger“ iranischer Schiffe auf hoher See erlauben. Allerdings dürfen solche Inspektionen nur mit Zustimmung des Staates durchgeführt werden, unter dessen Flagge das Schiff fährt. Alle Staaten der Welt sind zur Mitwirkung bei den Durchsuchungen aufgerufen.

Insgesamt ist der Entwurf so unpräzis formuliert, dass er der unterschiedlichen Interpretation durch einzelne Staaten maximalen Spielraum bietet. Er schafft daher ideale Voraussetzungen für die zwischen USA und EU bereits verabredeten weitergehenden Sanktionen, die sie in Kraft setzen wollen, sobald die UN-Resolution verabschiedet ist. Russlands Außenminister Sergei Lawrow soll in einem Telefongespräch mit seiner amerikanischen Kollegin Hillary Clinton bereits seine „Besorgnis“ wegen der zu erwartenden einseitigen westlichen Strafmaßnahmen angemeldet haben. Sowohl Russland als auch China fürchten, dass diese sich unter anderem gegen Unternehmen ihrer Länder richten werden.

** Dieser Artikel erscheint in der "jungen Welt" vom 21. Mai 2010


Schlappe - für wen?

Von Roland Etzel ***

Einen »starken Entwurf« nennt Hillary Clinton das Papier, welches die USA nun dem UNO-Sicherheitsrat für neue, gegen Iran gerichtete Sanktionen vorgelegt haben. Ist er das wirklich? Für Washington zählt, dass man Teheran eine weitere Schlappe zufügen kann und dafür die anderen Vetomächte hinter sich brachte. Clinton interpretiert das als wiedergewonnene Führungsstärke. Aber wer nimmt ihr das ab?

Selbst intern dürfte sie mit dieser Bewertung auf Skepsis stoßen. Die Strafmaßnahmen sind gewiss eine Demütigung Teherans, richtig schmerzhaft allerdings wohl mehr medial als in der Praxis. Im übrigen sind sie noch gar nicht angenommen. Auch Brasilien und die Türkei gehören als Nichtständige dem Sicherheitsrat an und missbilligen die Sanktionen. Und selbst wenn die USA eine Mehrheit für ihren Entwurf zusammenkriegen - was ist sie eigentlich wert, wenn zwei der wichtigsten Regionalmächte sich offen dagegen stellen?

Clinton hat damit nolens volens auch eine neue Runde in der Debatte um die fragwürdigen Privilegien der Ständigen Ratsmitglieder eingeleitet. Deren Gehabe eines Welt-Küchenkabinetts, das sich anmaßt, dem Rest der Erde den politischen Speiseplan zu diktieren, wird damit nicht beliebter. Und die Brasilianer fragen, mit welcher Begründung die Deutschen im Fall Iran unversehens von Kellnern zu Köchen aufstiegen. Sie werden sich nicht so einfach zurückpfeifen lassen.

*** Aus: Neues Deutschland, 20. Mai 2010


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