Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aufgeheizter Disput um Atompläne Irans

Erneut Forderungen nach Sanktionen *

US-Außenministerin Clinton hat die Ankündigung Irans begrüßt, seine zweite Anlage zur Urananreicherung von der Internationalen Atomenergiebehörde inspizieren zu lassen. Es sei »immer willkommen», wenn sich der Iran internationalen Regeln unterwerfe, sagte Clinton in New York.

Das iranische Atomprogramm sorgt wenige Tage vor einem Treffen mit Vertretern des Weltsicherheitsrates erneut für heftige Konfrontationen. Nach der jüngsten Ankündigung, sein Atomprogramm noch auszuweiten, heizte die Teheraner Regierung die Stimmung am Sonntag mit neuen Raketentests weiter an.

Trotz aller von der westlichen Welt versicherten Dialogbereitschaft werden Stimmen nach schärferen Sanktionen und einem Militärschlag lauter. Auch das traditionell befreundete Russland rückte von Teheran ab. Die Entwicklung der vergangenen Tage macht die ohnehin schwierige Ausgangsposition für das Treffen der fünf ständigen Vertreter des Weltsicherheitsrats und Deutschlands mit Iran am Donnerstag in Genf noch komplizierter.

Ungeachtet aller Kritik erprobte Iran laut dem iranischem Sender Press TV am Sonntag eine neue Kurzstreckenrakete sowie Abschussanlagen. Die Tests waren am Tag zuvor angekündigt worden. Teheran wolle mit dem jährlichen Manöver die Fähigkeit der Streitkräfte zur Abschreckung erhalten und verbessern, berichtete die Nachrichtenagentur ISNA.

Israel forderte nach der Verschärfung des Atomstreits »lähmende Sanktionen«. »Wenn nicht jetzt, wann dann?« sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu laut israelischen Medienberichten in Telefongesprächen mit US-Politikern. Der ultrarechte Außenminister Avigdor Lieberman behauptete im israelischen Rundfunk, die neue Anlage zur Urananreicherung sei »ohne jeden Zweifel« für militärische und nicht für friedliche Mittel vorgesehen.

Der Atomstreit hat sich in den vergangenen Tagen wegen des Baus der zweiten, zuvor öffentlich unbekannten iranischen Anlage zur Urananreicherung zugespitzt. Bisher war nur die Anlage in Natans bekannt. Iran erklärt, das atomare Material für zivile Zwecke nutzen zu wollen. Westlichen Geheimdiensten sollen die Pläne schon länger bekannt sein. Die Regierung um US-Präsident Barack Obama will für Inspektoren Zugang »innerhalb von Wochen«, berichtete die »New York Times«.

Teheran kündigte an, internationale Inspekteure in seine neue Anlage zu lassen. Es werde eine »Inspektion der neuen Fabrik in angemessener Zeit geben«, sagte der Leiter der iranischen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi, am Samstag im Fernsehen. Obama hatte Teheran bereits am Samstag in seiner wöchentlichen Radio- und Internetbotschaft vor gravierenden Konsequenzen gewarnt, sollte die iranische Führung bei ihrem Atomprogramm nicht einlenken.

* Aus: Neues Deutschland, 28. September 2009


Vorbereitung eines Flops

Von Knut Mellenthin **

Das amerikanisch-europäische Alarmgeschrei über eine »geheime« iranische Atomanlage zeigt Wirkung. Das Treffen, das am Donnerstag zwischen Vertretern des Iran und der Sechsergruppe - China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA - stattfinden soll, steht damit von vornherein im Schatten einer aggressiven Medienkampagne und ultimativer Forderungen nach erweiterten Kontrollmaßnahmen.

Zwei Nachrichtenagenturen, Reuters und AP, hatten am Freitag morgen gemeldet, Iran habe in einem Brief an die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) »zugegeben«, über eine zweite Anlage zur Anreicherung von Uran zu verfügen, deren »Existenz« die Regierung in Teheran bis dahin »verschwiegen« habe.

Tatsächlich hatte der iranische Vertreter bei der IAEA in Wien am Montag voriger Woche einen Brief übergeben, in dem der Behörde die geplante Errichtung einer kleinen »Pilotanlage« zur Urananreicherung mitgeteilt wurde. Sie soll einmal mit 3000 Zentrifugen betrieben werden und schwach angereichertes, für Atomwaffen völlig ungeeignetes Uran für AKW-Brennstäbe produzieren. Zum Vergleich: In der iranischen Anlage in Natanz laufen derzeit ungefähr 6000 bis 8000 Zentrifugen. Später einmal sollen es 50000 sein. Möglicherweise ist der eigentliche Zweck der neuen Anlage, effektivere Zentrifugen zu erproben als die jetzt verwendeten störanfälligen Uraltmodelle pakistanischer Bauart.

Von einer »Verheimlichung« kann in Wirklichkeit keine Rede sein. Die Aufgabe der IAEA besteht lediglich darin, den Umgang mit radioaktiven Stoffen zu überwachen. Projekte oder auch Bauten sind nicht meldepflichtig. Erst sechs Monate vor der beabsichtigten Einführung von Nuklearmaterial in eine Anlage müssen die Unterzeichner der Atomwaffensperrvertrags (NPT) die Wiener Kontrollbehörde darüber informieren. Nach Teheraner Angaben ist mit der Fertigstellung der neuen Anlage erst in 18 bis 24 Monaten zu rechnen. Iran hat sich also mehr als korrekt verhalten.

Nach den ausführlichen Berichten der mit exklusiven Insiderinformationen gefütterten New York Times wußten die Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Israels schon seit mehreren Jahren, daß in der Nähe der Stadt Qom eine neue Nuklearanlage gebaut wird. Obama sei darüber schon vor seinem Amtsantritt informiert worden. Seit dem Frühjahr 2009 seien sich die Geheimdienste sicher gewesen, daß dort Uran angereichert werden soll. Von da an habe der US-Präsident regelmäßig mit seinen engsten Beratern diskutiert, wann und wie man diese Meldung am wirkungsvollsten an die Öffentlichkeit bringen könnte. Inzwischen sei jedoch die iranische Regierung darauf aufmerksam geworden, daß man ihr »auf der Spur« war und habe sich deshalb entschlossen, den Bau der Anlage der IAEA zu melden. Das kann aber selbstverständlich auch eine von der US-Regierung lancierte Legende sein.

Mit der iranischen Mitteilung an die IAEA ist selbstverständlich auch verbunden, daß die künftige Anlage den Kontrollen der Behörde unterstellt wird. Es ist daher nur Theaterdonner, wenn USA, Großbritannien und Frankreich jetzt vom Iran fordern, Inspektionen des Baus durch die IAEA zuzulassen. Wie die New York Times am Sonntag meldete, will die US-Regierung in das Gespräch am 1. Oktober aber darüber hinaus mit der Forderung gehen, Iran müsse innerhalb von drei Monaten eine unüberschaubar lange Liste von Industrieanlagen durch die IAEA kontrollieren lassen. Das gibt der Atomwaffensperrvertrag nicht her, und das wird Iran nicht erlauben. Das Scheitern des Treffens ist gesichert.

** Aus: junge Welt, 28. September 2009

Iran bleibt souverän

Brief an IAEA: Zweite Atomanlage in Bau. Falschmeldungen westlicher Medien

Der Iran baut nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) eine zweite Atomanlage. Teheran habe die IAEA in einem Brief darüber informiert, daß ein neues Zentrum zur Urananreicherung errichtet werde, erklärte ein Sprecher am Freitag in Wien. In dem am Montag der Behörde übermittelten Schreiben erkläre der Iran, daß »zu gegebener Zeit weitere Informationen folgen« würden. Dem Brief zufolge solle in der Anlage ein Anreicherungsgrad von fünf Prozent erreicht werden. Dies reicht Experten zufolge nicht aus, um Atomwaffen herzustellen.

Nach Erkenntnissen der IAEA sei bislang noch kein nukleares Material in die neue Anlage gebracht worden, erklärte der Sprecher. Die IAEA forderte Teheran auf, der Behörde weitere Informationen zu liefern und den Zugang zu der neuen Atomanlage zu ermöglichen. Deren Standort war zunächst unbekannt. Westliche Medien, darunter Spiegel online und die britische Times online verbreiteten am Dienstag die durch den bekanntgewordenen Brief in keiner Weise bestätigte Meldung, Teheran besitze bzw. betreibe bereits eine zweite Atomanlage.

Offenbar soll nach dem Brief an die IAEA der Druck auf den Iran vor den für den 1. Oktober geplanten neuen Verhandlungen zwischen Teheran und der Sechsergruppe der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrats und Deutschlands erhöht werden. Die USA, Großbritannien und Frankreich wollen ihr »neu genährtes Mißtrauen« auf dem G-20-Gipfel in Pittsburgh zum Ausdruck bringen. In einer Erklärung von US-Präsident Barack Obama, dem britischen Premier Gordon Brown und dem französischen Staatschef Nicolas Sarkozy zum Auftakt am Freitag abend werde Teheran aufgefordert, die neue Anlage für IAEA-Inspektoren zu öffnen, verlautete aus dem Weißen Haus. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete den Bau einer zweiten Urananreicherungsanlage am Rande des G-20-Gipfels in Pittsburgh am Freitag als »Verstoß gegen die Auflagen der Internationalen Atomenergiebehörde und auch der Vereinten Nationen«. (AFP/AP/jW)

Quelle: junge Welt, 26. September 2009




Die iranische "Neuigkeit"

Von Roland Etzel ***

Die Aufregung ist groß. Iran baut bereits seit Monaten an einer zweiten Atomfabrik und hätte dies der internationalen Nuklearbehörde schon viel eher gemeldet haben müssen. Die Forderung Obamas und anderer nach schnellstmöglichem Zugang für Inspekteure ist deshalb vollauf gerechtfertigt. Soweit der sachliche Teil der Verlautbarungen zum Fall Iran. Der - größere - Rest hat sehr viel mit Heuchelei zu tun.

Sie beginnt damit, dass die von Ahmadinedschad selbst verkündete »Neuigkeit« für östliche wie westliche Geheimdienste, einschließlich der israelischen, keine gewesen sein dürfte. Warum sie, die ja nicht für proiranische Freundschaftsdienste bekannt sind, schweigsam blieben, können nur sie selbst erklären. Erklären müssten auch Obama, Merkel und andere, warum sie eine derartige Empörung über »Irans Bombenfabrik« zu vermitteln gedachten und gleich wieder mit Sanktionen sowie, von Israel assistiert, »der militärischen Option« drohten.

Das ist nach dem erst zwei Tage alten Abrüstungssignal ein Rückfall in Bush-Muster. Wer drei Tage vor einer neuen Gesprächsrunde sein Gegenüber mit ultimativen Drohungen belegt, muss an der Ernsthaftigkeit seiner Verhandlungsbereitschaft zweifeln lassen. Und ebenso, wer eine - tatsächlich bestehende - Gefahr für den gesamten Mittleren Osten beklagt, aber die israelische Kernwaffenrüstung, die es ja schon 20 Jahre länger gibt, nicht mit einem einzigen Wort erwähnt.

*** Aus: Neues Deutschland, 28. September 2009 (Kommentar)


Zurück zur Iran-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage