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Ahmadinedschads Achillesferse

Irans wirtschaftliche Bilanz ist katastrophal

Von Jan Keetman, Istanbul *

Begleitet von neuen Protesten der Opposition hat der iranische Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad am Mittwoch den Eid für eine zweite Amtszeit abgelegt.

Vor dem nicht ganz vollbesetzten Parlament bezichtigte Ahmadinedschad ausländische Regierungen, die das Ergebnis seiner Wiederwahl mit offiziell 63 Prozent der Stimmen bezweifelt hatten, der Unehrlichkeit. Diese wollten Demokratie nur »zum Dienste ihrer eigenen Interessen«.

Einige Staaten, darunter die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, hatten beschlossen, Ahmadinedschads Präsidentschaft zwar anzuerkennen, ihm aber nicht wie üblich zur Amtsübernahme zu gratulieren. Das gab ihm die Möglichkeit zu sagen, dass niemand in Iran auf ihre Gratulation gewartet habe.

Ahmadinedschad ist nun Präsident über ein Land, das zutiefst gespalten ist – über seine Person und die Rechtmäßigkeit seiner Präsidentschaft. Nach unbestätigten Berichten trieben Polizei und Milizen während der Vereidigung Demonstranten in der Nähe des Parlaments mit Tränengas auseinander und nahmen mindestens eine Frau fest. Die Repression wird anhalten.

Nach einer Meldung der iranischen Nachrichtenagentur IRNA wird aber auch ein Untersuchungsverfahren gegen Beamte der Untersuchungshaftanstalt Kahrizak eingeleitet werden. Zwei verhaftete Demonstranten, darunter der 25-jährige Sohn eines Vertrauten des Präsidentschaftskandidaten Mohsen Rezaie, waren einige Tage nach ihrer Einlieferung in Kahrizak angeblich an Meningitis gestorben. Der religiöse Führer Irans, Ali Khamenei, ordnete vergangene Woche die Schließung Kahrizaks an.

Die Tendenz ist unverkennbar: Durch Untersuchungen in beide Richtungen versucht man die Glaubwürdigkeit der Staatsorgane wieder herzustellen. Ähnliche Versuche unter der Präsidentschaft Mohammed Khatamis, Morde an Dissidenten aufzuklären, verliefen jedoch rasch im Sande.

Trotz aller Gefahren sind Ahmadinedschads Gegner im Lager der Reformer indessen entschlossen, weiterzumachen. Die Ehefrau des Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi, Zahra Rahnaward, sagte am Dienstag, sie und ihr Mann würden trotz aller Härten weiter gegen das Wahlergebnis kämpfen.

Während die Reformer nach der Unterdrückung aller Proteste ins Hintertreffen geraten sind, haben Ahmadinedschads konservative Gegner im Parlament die Chance, ihm die Bestätigung seines Kabinetts zu verweigern. Vermutlich wird Ahmadinedschad versuchen, diesen Widerstand durch Kompromisse auf seiner Kabinettsliste zu entschärfen.

Ahmadinedschad hat gezeigt, dass er ein Meister in der Kunst ist, sich selbst Probleme zu schaffen. Auf kaum einem Feld ist das so sichtbar wie in der Wirtschaftspolitik, die eine Achillesferse seiner Präsidentschaft darstellt. In seiner ersten Amtszeit verfügte er über die höchsten Öleinahmen in der Geschichte Irans, doch die meisten Iraner hat er nicht viel reicher machen können. Er erhöhte die Renten, investierte in große Infrastrukturprojekte und ließ die Zinsen unter die Inflationsrate senken. In anderen Fällen empfahl er auch als Lösung für wirtschaftliche Probleme »die Kultur des Märtyrertums«. Die Inflation schnellte hoch, Hauspreise und Mieten stiegen ebenso wie die Arbeitslosigkeit.

Angesichts dessen mag Ahmadinedschad nicht unglücklich darüber sein, dass ihm auch einige Turbulenzen in der Außenpolitik bevorstehen, die die Iraner ablenken könnten. Im September erwarten die USA eine Antwort auf ihr Verhandlungsangebot. Und da der Präsident nicht die mindeste Kompromissbereitschaft in der Atomfrage erkennen lässt, sind danach ernste Spannungen zu erwarten.

* Aus: Neues Deutschland, 6. August 2009


Amtseinführung eines abgewählten Präsidenten

Ein Gespann der nackten Gewalt / Deutsch-finnische Schützenhilfe

Von Behrouz Khosrozadeh **


Die Mehrheit des hohen schiitischen Klerus in Iran wollte anscheinend um jeden Preis eine zweite Amtszeit des Präsidenten Ahmadinedschad. Dieses Ziel durchzusetzen, sind den Männern um Khamenei offenbar immer mehr Mittel recht.

Die Amtseinführung von Mahmud Ahmadinedschad steht im Schatten der beispiellosen Folgen der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni. Es besteht kaum ein Zweifel an der eklatanten Unrechtmäßigkeit des Wahlergebnisses. Die bis heute anhaltenden Unruhen sollen mehr als 360 Menschen das Leben gekostet haben. Immer öfter werden Familienangehörige der Inhaftierten bzw. Vermissten benachrichtigt, damit sie den Leichnam ihrer Angehörigen abholen. Etliche Getötete sind Opfer brutaler Folter.

Das Regime bestand mit aller Gewalt auf einer zweiten Amtszeit Ahmadinedschads. Um die Moral der Gegnerschaft zu schwächen und ihr die Aussichtslosigkeit ihres Widerstandes vor Augen zu führen, hat das Regime am Samstag mit einem Schauprozess gegen prominente Oppositionelle begonnen. Die Angeklagten, darunter, ehemalige Präsidentenberater und Minister, wurden in grauen Anstaltskitteln in den Gerichtssaal geführt, einige von ihnen in Handschellen. Sie haben unter massivem physischen und psychischen Druck bzw. Folter »Geständnisse« abgelegt, wonach sie sich der Verschwörung gegen das Regime schuldig gemacht hätten.

Diese Schauprozesse sind zwar keine Erfindung der Islamischen Republik. Doch in Bezug auf Iran sind sie so alt wie die Islamische Republik selbst. Die Erfahrung mit dem »Geständnis« im Gefängnis und einer Selbstdenunzierung vor laufenden Kameras macht nun auch die altgediente erste Garde der Revolution. Diese Methode bewirkte in den 80er Jahren die Diffamierung und Niederschlagung etlicher Oppositionsgruppen.

Ex-Präsident Mohammed Khatami sowie die unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi haben die Prozesse aufs Schärfste verurteilt. Es gehe nun nicht mehr um den Wahlbetrug, sondern auch um die Bestrafung der Folterer und Mörder, erklärte Mussawi. Da der religiöse Führer des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, hinter allen bisherigen Aktionen des Regimes steht und von ihm kein Einlenken zu erwarten ist, wird der Kampf weitergehen.

Trotzdem tickt die Uhr für Khameneis Regime. Das Gespann Khamenei/Ahmadinedschad kann sich nur noch mit nackter Gewalt halten. Ahmadinedschads zweite Amtsperiode bedeutet die Oberhand jener Kräfte in Iran, die sich in Ermangelung innerer und äußerer Legitimität gefährlichem Abenteurertum, auch mit der Nukleartechnologie, hingeben werden.

Die internationale Gemeinschaft darf Irans Nuklearakte nicht von den schweren Menschenrechtsverletzungen des Regimes trennen. Ein Wirtschaftsembargo würde die iranische Bevölkerung hart treffen und ein Militärangriff – etwa nach Provokationen der Hardliner in Israel – Iran und die gesamte Region. Verschärfter politischer Druck, internationale Ächtung, Isolation und Einschränkung des Reiseverkehrs von Diplomaten und Würdenträgern des Regimes, Blockierung der Konten der Regimeangehörigen und vor allem ein Ausfuhrverbot für bestimmte technologische Geräte und Maschinen können dagegen hilfreich sein.

Angela Merkels laute Verurteilungen des Teheraner Regimes sind wohlklingende Töne. Doch spüren die Iraner noch mehr die effektive Wirkung der Dienste des finnisch-deutschen Netzwerkanbieters Nokia Siemens Network, die dem Mullah-Regime ermöglichen, das Internet und den Mobilfunk zu kontrollieren. Eine Schmach für den finnisch-deutschen Weltkonzern und ein harter Schlag für die iranische Opposition, die wegen erdrückender Zensur und in Ermangelung öffentlicher Foren dringend auf solche Telekommunikation angewiesen ist. Die deutsch-finnische Industrie hat in der Tat dem iranischen Aufstand sehr geschadet.

** Dr. Behrouz Khosrozadeh, 1959 in Buschehr (Iran) geboren, ist Politologe und Publizist. 2003 promovierte er an der Georg-August-Universität Göttingen, wo er von 2004 bis 2006 als Lehrbeauftragter tätig war.

Aus: Neues Deutschland, 6. August 2009



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