Damoklesschwert Iran-Krieg
Von Ali Fathollah-Nejad *
Nun steht es fest: Der afro-amerikanische
Senator Barack Obama
wird als demokratischer Kandidat dem
seit länger schon feststehenden republikanischen
Senator John McCain bei
den US-Präsidentschaftswahlen Anfang
November gegenüberstehen.
Während ein Großteil der Welt bei der
nun ausklingenden Bush-Präsidentschaft
aufatmet, bleibt die Antwort auf
die folgenschwerste Frage noch offen:
Wird nach Afghanistan und Irak nun
auch der Iran angegriffen?
Von Eskalation zu Eskalation
Und in der Tat: Die Eskalationsspirale,
die die westliche Iran-Politik
kennzeichnete, scheint bis zum bitteren
Ende weitergeführt zu werden.
Wieder einmal stellt die maximalistische
Forderung nach der kompletten
Einstellung des iranischen Anreicherungsprogramms
– welches, ob wir
es wollen oder nicht, durch internationales
Recht vollkommen gedeckt
ist – die conditio sine qua non
der diplomatischen Bemühungen der
sog. Iran-Sechs (die fünf Vetomächte
plus Deutschland) dar. Und dies obwohl
nun kaum einer in diesen Hauptstädten
ernsthaft von einer Erfolgsaussicht
dieser Vorbedingung reden
kann. Nichtsdestotrotz stellt diese die
Crux des wiederaufgewärmten Angebotspakets
der sechs Großmächte
vom 14. Juni 2008 dar, welches entgegen
offizieller Verlautbarungen weder
neu noch verbessert ist. Die Arroganz
dieser Länder spiegelt sich auch darin
wieder, dass ein am 13. Mai 2008 eingereichtes
umfassendes Gesprächsangebot
der Iraner bislang keine angemessene
Antwort erhielt und somit
wie auch bei früheren Teheraner Avancen
ignoriert zu werden droht. Denn
insbesondere die westlichen Hauptstädte
bestehen auf die „Lösung des
Iran-Problems“ nach ihrer Manier.
Neue, verschärfte Sanktionen seitens
des UN-Sicherheitsrats seien indes für
Ende Juli geplant.
Die vergangenen Wochen waren ebenfalls
gekennzeichnet von einem massiven
Kriegsgetrommel. Anfang Mai
sprach sich die erste nach neokonservativem
Vorbild abgehaltene Konferenz
des Mideast Freedom Forum
Berlin grosso modo für einen Militärschlag
– sogar nuklearer und präventiver
Natur – aus, um einen angeblich
am Horizont aufwartenden und vom
Iran ausgehenden „zweiten Holocaust“
abzuwenden. Dabei plädierte
der „Anti-Deutsche“ Thomas von der
Osten-Sacken in totaler Perversion
deutscher Geschichte und deren Opfer
von der Aussetzung von Menschenrechten
in Ausnahmezuständen
wie dieser und erhob dies zur Lehre
von Auschwitz. (Noam Chomskys
Kommentar zu meinem Konferenzbericht
ist indes nichts hinzuzufügen:
“They sound like a collection of raving
lunatics (völlige Irre) – not without
power and influence, unfortunately.”)
Ähnliche Konstruktionen eines Ausnahmezustandes
und Appeasements
gegenüber der iranischen Inkarnation
des „Bösen“ wurden vom US-Präsidenten
zum 60. Gründungsjahr Israels
vor dem Knesset gemacht. Während
progressive Juden in den USA Bush
vorwarfen, die Erinnerung an den Holocaust
für seine „desaströse Politik“
zu instrumentalisieren, sprechen seitdem
führende israelische Regierungsvertreter
von der Unausweichlichkeit
der Implementierung der Begin-Doktrin,
der israelischen Version eines
Präventivschlages. Und so fürchtet
man weltweit einen baldigen israelischen
Angriff, der jedoch nur mit Unterstützung
Washingtons vorstellbar
ist. Auch wenn man dies als bloße
Rhetorik abzutun vermag, mit dem
Hinweis, dass Israel nie vor eigenen
Militärschlägen öffentlich warnt, so ist
die Gefahr einer der aufgekochten
Stimmung entsprechenden Self-Fulfilling
Prophecy doch keineswegs zu unterschätzen.
Angriff vor oder nach den Wahlen?
In Washingtoner Think-Tank-Kreisen,
von rechtsaußen bis progressiv,
wird die Möglichkeit eines Waffengangs
sehr ernst genommen, so das
Fazit meiner Gespräche vor Ort. Zwar
ist seit geraumer Zeit klar, dass sowohl
Militär- als auch Sicherheitskreise absolute
Gegner eines neuen Krieges
sind, jedoch hängt die Unberechenbarkeit
der Bush/Cheney-Regierung
wie ein Damoklesschwert über die
letzten Monate der Administration.
Zwei Szenarien für den Zeitpunkt eines
Angriffs kursieren. Einerseits
könnte ein Angriff in der Zeit bis zu
den Novemberwahlen den gegenüber
Obama etwas zurückliegenden
John McCain als stählerneren Patrioten
und „Kriegspräsidenten“ zum
Wahlsieg verhelfen. Die miserablen
Umfragewerte für Bush und seine republikanischen
Regierungspartei aufgrund
der zwei Faktoren Wirtschaftskrise
und Irak-Besatzung könnten
einen Angriff gegen Iran als einzigen
Ausweg – einer Art Flucht nach vorn –
„notwendig“ machen. Die Möglichkeit
eines „October Surprise“ wird in
Washington nicht von der Hand gewiesen.
Andererseits, falls Obama die Wahlen
für sich entscheidet – wofür Einiges
spricht –, dann mutmaßen Beobachter
von Israel bis in die USA werde
Bush einen Angriff auf den Iran anordnen,
zumal man dies nicht seinem demokratischen
Nachfolger überlassen
könne.
Was für Schlüsse die politische Kaffeesatzleserei
auch zulässt, eines ist
sicher: Die Gefahr eines Krieges gegen
Iran ist real und keineswegs Ausdruck
von Alarmismus. Und mit ihr ein
heutige Tragödien in den Schatten
stellender Flächenbrand mit erheblichen
Auswirkungen auf Israel/Palästina,
Irak und Afghanistan, aber auch
die gesamte Weltwirtschaft. Während
allein die Iran-Krise nicht unerheblichen
Anteil an der Rekordmarke von
140 US-Dollar für ein Fass Rohöl hat,
würde ein Krieg gegen den zweitgrößten
Erdöl- und -gasproduzenten
der Welt galoppierende historische
Höchstwerte nach sich ziehen.
Die Haltung Berlins als Schlüsselfrage
Leider gibt es auch innerhalb der
Friedensbewegung Meinungen in der
Iran-Frage, die zur Passivität führen
können.
- Das US-Militär sei bereits zu sehr
„overstretched“: Zwar stimmt es, dass
das US-Militär insbesondere im Irak
an den Rand ihrer Kapazitäten gestoßen
ist, jedoch wird es die Air Force
sein, die die geplanten und bereits
vorprogrammierten Ziele von der Luft
in Beschuss nimmt.
- Entsprechend des Duktus eines
„chirurgischen“ Angriffs werden iranische
Nuklear- und Militäreinrichtungen
anvisiert: Wie in Militärkreisen in
Washington und Brüssel seit langem
bekannt, sind zwischen 4.000 und
10.000 Ziele ausgemacht, darunter
neben den bereits genannten, die Infrastruktur
des Landes (Elektrizitätswerke,
Kläranlagen, Brücken, etc.)
und Know-How-Einrichtungen (Universitätslabore
u.a.). Aufgrund der Lage
all dieser Ziele nahe oder in urbanen
Zentren wird innerhalb der ersten
Stunden eines „Blitzkrieges“ mit Hunderttausenden
von Toten gerechnet.
- Das Thema Menschenrechte müsse
auf die Agenda gesetzt werden und
nicht etwa die Gefahr eines Krieges,
was nur den Interessen des Regimes
dient: Ein Angriffskrieg würde der
Aspiration für mehr Menschen- und
Demokratierechte einen erheblichen
Schaden zufügen. Einen Krieg zu verhindern
helfen bedeutet gleichsam,
dass die fortlaufenden Demokratiebemühungen
im Iran nicht der Verteidigung
des Landes unter radikaler
Federführung geopfert werden.
Die Frage nach einem Krieg gegen
Iran war in den Jahren der Bush-
Administration wohl mehr Thema in
Geschäftskreisen als in der Friedensbewegung,
die je nach nationaler Involvierung
entweder Irak (wie in den
USA und Großbritannien) oder Afghanistan
(wie hierzulande und in Frankreich)
auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Es gilt nun das Thema Iran auf ihre
Fahnen zu schreiben, auf die humanitär
katastrophalen und politisch kontraproduktiven
Konsequenzen hinzuweisen
und stärker als bislang das
unmissverständliche Nein Berlins gegenüber
einen amerikanischen – und
israelischen – Angriff einfordern.
Um dies erreichen zu können, muss
die Friedensbewegung auch in Erwägung
ziehen, breitere Bündnisse einzugehen.
Die deutsche Wirtschaft ist
bekanntermaßen gegen den Bush-hörigen
Iran-Kurs des Kanzleramtes und
könnte zumindest als Gesprächspartner
hinsichtlich des gemeinsamen Zieles
einer Verhinderung eines Krieges
und der Kehrtwende in der Iran-Politik
in Frage kommen.
Das Thema Sanktionen muss indes
im Gleichschritt mit der Kriegsgefahr
thematisiert werden, denn diese bleiben
nicht folgenlos für die normale Bevölkerung
des Iran und taugen kaum
als Mittel, um „iranisches Einlenken“
zu erwirken, sondern dienen eher dazu,
die Kriegsoption als letztes Mittel
heraufzubeschwören. Nur vorbedingungslose
Verhandlungen können einen
Erfolg der friedlichen Beilegung
des Konflikts zeitigen. Dies wird ebenfalls
von führenden Politikberatern des
Landes, wie Christoph Bertram und
Volker Perthes, eingefordert. Diese
ebenfalls in ein gemeinsames Boot zu
holen kann sicherlich nicht schaden,
sondern kann potentiell viele Menschenleben
retten.
Bei all dem ist die Stärke der Friedensbewegung
nicht von der Hand zu wei-
sen und darf mit Recht stärker als bislang
betont werden. Neben ihres Potentials
beachtliche Demonstrationen
auf die Beine zu stellen (im Übrigen ist
es nun auch an der Zeit das Slogan
„Kein Krieg und keine Sanktionen gegen
Iran“ verstärkt auf der Straße zu
vertreten), verfügen die in der Friedensbewegung
Engagierten über ein
enormes Wissen über schwelende
Konfliktherde samt ihrer Ursachen,
Zusammenhänge und Möglichkeiten
der friedlichen Beilegung. Diese Expertise
öffentlichkeits- und politikwirksamer
anzubieten bleibt eine insbesondere
in der Iran-Frage dringend
einzulösende Herausforderung. Um
jedoch die gesellschaftspolitische Bedeutung
der Friedensbewegung zu
stärken, sollte die beim Afghanistan-
Kongress Anfang Juni in Hannover
begonnene Vernetzung mit den europäischen
Antikriegsbewegungen weiterhin
forciert werden. Auch die USFriedensbewegung
würde sicherlich
auch an einer Vernetzung und gemeinsamen
Aktionen zum Ausdruck des
Willens der breiten eigenen Bevölkerungen
mehr als interessiert sein.
Krieg vorprogrammiert?
Die neuesten Entwicklungen in
der Iran-Frage stimmen nicht positiv.
Der US-Kongress verabschiedete
kürzlich eine von der rechten Pro-Israel-
Lobby AIPAC (American Israel Public
Affairs Committee) maßgeblich
unterstützte Resolution, wonach der
Präsident aufgefordert wird, alle
Schiffsladungen mit raffinierten Ölprodukten
nach Iran zu stoppen sowie
„strenge Inspektionsauflagen gegenüber
allen Personen, Fahrzeugen,
Schiffen, Flugzeugen, Zügen und
Fracht, die den Iran erreichen oder von
dort ausgehen“ zu erteilen. Experten
sind sich einig, dass dies nur durch eine
Seeblockade an der Meerenge von
Hormus erreicht werden könne. Nach
völkerrechtlicher Norm wird solch eine
Blockade jedoch als Kriegshandlung
eingestuft und würde so Washingtons
Kriegsabsichten untermalen. Eines ist
sicher: Eine solche Provokation würde
eine Konfrontation mit iranischen Einheiten
im Persischen Golf vorprogrammieren.
Hinzu hielten in der ersten Juni-Woche
über 100 israelische Kampfjets ein
Manöver im östlichen Mittelmeer und
um Griechenland herum ab. Dies wurde
allgemein als Übung für einen unilateralen
Luftschlag gegen iranische
Anlagen gedeutet. Währenddessen
kündigte Premierminister Olmert drastische
Maßnahmen an, um das iranische
Atomprogramm zu stoppen. Um
jedoch einen Krieg gegen Iran anzuzetteln,
bedarf es dem seit Herbst wiedererstarkten
Cheney-Lager eines Ereignisses
à la dem den Vietnam-Krieg
auslösenden Golf-von-Tonkin-Vorfall,
welches den Iranern zur Last gelegt
werden würde. Vor allem gelte es dann
dieses mit Terrorismus in Verbindung
zu setzen, welches ein gewisses Mobilisierungspotential
in der US-Bevölkerung
nach sich zöge.
* Ali Fathollah-Nejad ist Politikwissenschaftler und aktiv in der Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran (CASMII)
Weitere Infos: www.campaigniran.org
Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 4, Juli 2008
Das FriedensJournal wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegeben und erscheint sechs Mal im Jahr. Redaktionsadresse (auch für Bestellungen und Abos):
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