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Iran: Chronik wichtiger Ereignisse

Juni 2004

1. bis 6. Juni
  • Die iranische Regierung hat Folterbilder aus Irak an einer stark befahrenen Straßen in Teheran plakatieren lassen, meldete AFP am 1. Juni. Auf dem inneren Autobahnring sind seit neuestem zwei gemalte Versionen von Fotos zu sehen, die um die Welt gingen: US-Soldatin Lynndie England, die einen nackten irakischen Häftling im Gefängnis von Abu Ghraib bei Bagdad an der Leine hält. Das zweite Bild zeigt einen an Stromkabel angeschlossenen Gefangenen mit Kapuze, der auf einer Kiste steht. Zehntausende Iraner kommen täglich an den Plakaten vorbei, die neben dem Foto eines palästinensischen Vaters und seines Kindes hängen, das von israelischen Soldaten erschossen wurde. "Gestern, Palästina, heute Irak" steht auf den Tafeln.
  • Inspekteure der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) haben in Iran neues waffenfähiges Uran entdeckt. In einer Einrichtung in Farajand sei 36-prozentiges Uran-235 gefunden worden, heißt es in einem neuen vertraulichen Bericht von IAEA-Chef Mohammed el Baradei. In drei iranischen Nuklear-Einrichtungen würden zudem weiter Komponenten für Atom-Zentrifugen hergestellt. Die IAEA rief Teheran auf, zu den neuen Erkenntnissen Stellung zu nehmen. Die IAEA könne bisherige Erklärungen der iranischen Regierung, wonach das Uran bereits an aus Pakistan gelieferten Bauteilen gehaftet habe und nicht in Iran hergestellt worden, nun nicht mehr einfach hinnehmen, sagte ein der UN-Behörde nahe stehender Diplomat am 1. Juni. Zuvor hatten IAEA-Experten bereits in einem Elektrikunternehmen in Teheran und in einer Anreicherungsanlage in Natans angereichertes Uran gefunden.
  • Der Konflikt um das iranische Atomprogramm kann nach Ansicht Teherans bald beigelegt werden. Der jüngste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) belege, dass das Programm stets friedlichen Zwecken gedient habe, sagte der zuständige Chefunterhändler Hassan Rowhani am 2. Juni. In dem IAEA-Bericht wird Iran eine größere Offenheit bescheinigt. Es seien aber noch Fragen zu verschiedenen Aktivitäten offen, die zu dem Verdacht geführt hätten, Iran betreibe ein militärisches Atomprogramm. Iran habe eingeräumt, Teile moderner Zentrifugen importiert zu haben, mit denen Uran angereichert werden könnte, heißt es in dem Bericht für die Sitzung des IAEA-Gouverneursrates am 14. Juni. Rowhani erklärte dazu, Iran habe lediglich einen Magneten erworben, der sowohl in der modernen P-2-Zentrifuge als auch in der weniger hoch entwickelten P-1-Zentrifuge zum Einsatz kommen könne.
    Trotz internationaler Kritik lässt Iran weiter Teile für Zentrifugen zur Uran-Anreicherung im Land bauen und verstößt damit gegen Forderungen der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA). Drei Privatbetriebe stellten weiter Zentrifugenteile her, sagte der iranische Atombeauftragte Hassan Rohani. Teheran sehe sich wegen Entschädigungsforderungen der Firmen derzeit aber außer Stande, dies zu stoppen. Die iranischen Behörden müssten noch einen Weg zur Entschädigung der privaten Zentrifugen-Hersteller finden, sagte Rohani am 2. Juni. Solange es keine Vereinbarung dazu gebe, werde die Produktion fortgesetzt. Dies geschehe aber gegen den Willen Teherans. Iran hatte Anfang April einen Herstellungsstopp für Zentrifugenteile bekannt gegeben und dies als vertrauensbildende Maßnahme deklariert. Der am Dienstag veröffentlichte IAEA-Bericht kritisierte hingegen, die Produktion werde in drei Einrichtungen fortgesetzt.
  • Rund 2.000 Iraner haben sich laut einem Zeitungsbericht als Freiwillige für Selbstmordanschläge in Irak und Israel gemeldet. 2000 Freiwillige im Alter zwischen sieben und 80 Jahren hätten sich bisher als potenzielle Selbstmordattentäter eingetragen, sagte Mohammed Samadi von der Gruppe "Komitee für das Gedenken an die Märtyrer der islamischen Weltbewegung" der iranischen Tageszeitung "Schargh" vom 5. Juni. Der jüngste Freiwillige sei ein siebenjähriges Kind, das sich gemeinsam mit seiner Familie gemeldet habe. 25 Prozent der Bewerber seien jünger als 18, 55 Prozent zwischen 18 und 40 Jahre alt und der Rest zwischen 40 und 80 Jahre, erklärte Samadi.
7. bis 20. Juni
  • Die sieben führenden Industriestaaten und Russland (G8) wollen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen unterbinden. Dies sieht ein Aktionsplan vor, der am 9. Juni beim G-8-Gipfel auf Sea Island im US-Bundesstaat Georgia verabschiedet wurde. Demnach soll nukleares Material nicht mehr in Staaten exportiert werden, die dies zum Bau von Atomwaffen nutzen könnten. Lieferungen sollen zudem untersagt werden, wenn die Gefahr besteht, dass sie im Zielland Terroristen in die Hände fallen könnten. Die G8 äußerten zugleich ihre "ernste Sorge" zu Versuchen Nordkoreas, eigene Atomwaffen zu entwickeln. Sie zeigten sich entschlossen, die Probleme zu lösen, die sich durch das iranische Atomprogramm ergäben.
  • Die Regierung in Teheran will keinen weiteren Auflagen für ihr Atomprogramm zustimmen. Zwei Tage vor der Direktoriumssitzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien erklärte der iranische Außenminister Kamal Charrasi am 12. Juni, die Welt müsse akzeptieren, dass sein Land über Atomanlagen und die damit verbundene Technologie verfügte. Davon könne es keinen Schritt zurück geben.
  • Angesichts des wachsenden Drucks von Seiten der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) und der europäischen Troika Frankreich, Großbritannien und Deutschland hat Iran damit gedroht, seine Zusammenarbeit mit den UN-Inspekteuren aufzukündigen. Nach Presseberichten vom 15. Juni bekräftigte Präsident Mohammed Chatami in einem Schreiben an Paris, London und Berlin, sein Land werde auf "sein Recht auf Nutzung der Atomkraft zu friedlichen Zwecken" nicht verzichten; sollte die Politik der Konfrontation fortgesetzt werden, werde "Iran über andere Optionen nachdenken". Gleichzeitig warf er den drei europäischen Staaten vor, sich dem Druck aus Washington zu beugen.
  • Deutschland, Großbritannien und Frankreich haben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) einen überarbeiteten Entwurf für eine Resolution vorgelegt, in der Iran zur engeren Zusammenarbeit aufgefordert wird. Die Kooperation Teherans sei nicht so "vollständig, rechtzeitig und aktiv gewesen, wie sie sein sollte", heißt es in dem Text, der der Nachrichtenagentur AFP am 15. Juni in Wien vorlag. Der Entwurf hebt ferner hervor, dass "es mit Fortlauf der Zeit immer wichtiger wird, dass Iran aktiv mit der IAEA zusammenarbeitet." Diplomaten zufolge sei die Resolution in einem scharfen Ton abgefasst.
    Iran will den von drei europäischen Staaten vorgeschlagenen Resolutionsentwurf zu seinem Atomprogramm nicht akzeptieren. "Wenn der Entwurf von der Internationalen Atomenergiebehörde angenommen wird, wird Iran ihn ablehnen", erklärte Präsident Mohammed Chatami am 16. Juni in Teheran. Es gebe keine "moralische Verpflichtung" Irans, die Anreicherung von Uran auszusetzen. Teheran wolle derzeit nicht den Atomwaffensperrvertrag aufkündigen, sondern seine Zusammenarbeit mit den Europäern, der internationalen Gemeinschaft und der IAEA fortsetzen, betonte Chatami. Wenn der Textentwurf Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs allerdings gebilligt werde, bedeute dies, dass die Europäer ihre "Verpflichtungen" gegenüber Iran nicht einhielten.
  • Zusammen mit Großbritannien und Frankreich hat Deutschland am 17. Juni bei der Internationalen Atomenergiebehördeeinen nochmals überarbeiteten Resolutionsentwurf zum iranischen Atomprogramm vorgelegt. Nach Angaben von Diplomaten werden darin von der IAEA eine zügigere Abwicklung ihrer Untersuchungen und von Teheran eine bessere Zusammenarbeit gefordert, so dass die Ermittlungen innerhalb der nächsten Monate abgeschlossen werden könnten.
  • Am 18. Juni verabschiedete die IAEO in Wien einstimmig eine Resolution, in der der Iran aufgefordert wird, "ohne Verzögerung" das Zusatztprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu ratifizieren. Gleichzeitig solle Teheran - als "vertrauensbildende Maßnahme" - Abstand von Überlegungen nehmen, Anlagen zur Anreicherung von Uran in Betrieb zu nehmen. In einer ersten Reaktion bezeichnete Iran die Resolution als "positiver als die vorherigen". Sie enthalte "keine Drohungen und keine Verurteilungen", sagte Hossein Mussavian im staatlichen iranischen Fernsehen. Der Gouverneursrat der IAEO wird sich auf seiner nächsten Sitzung im September wieder mit Iran beschäftigen.
  • Vier Monate nach der Parlamentswahl ist der Leiter der Wahlkommission zurückgetreten, verlautete am Wochenende 19./20. Juni aus Teheran. Mortesa Mobalagh sagte, er wolle nie wieder für die Organisation von Wahlen verantwortlich sein. Er bleibe aber weiter stellvertretender Innenminister.
21. bis 30. Juni
  • Nach der Beschlagnahmung von drei britischen Patrouillenbooten und der Festnahme von acht Besatzungsmitgliedern durch Iran hat Großbritannien Irak um Vermittlung gebeten. Die irakischen Behörden sollten nach dem Willen der britischen Marine eingreifen, verlautete aus dem Büro des Chefs der irakischen Küstenwache, General Ali Hammadi, am 21. Juni. Mit den Iranern sei bereits Kontakt aufgenommen worden, um eine möglichst schnelle Freilassung der britischen Soldaten zu erreichen.
  • Iran will die acht am Vortag festgenommenen britischen Soldaten einem Fernsehbericht zufolge vor Gericht bringen. Die an einem geheimen Ort Festgehaltenen müssten sich wegen des illegalen Eindringens in iranische Hoheitsgewässer verantworten, berichtete der arabischsprachige Nachrichtensender El Alam am 22. Juni.
  • Die britische Regierung hat am 22. Juni den iranischen Botschafter in London einbestellt. Gesprächsthema sei die Festnahme von acht britischen Soldaten am Vortag auf dem irakisch-iranischen Grenzfluss Schatt el Arab, teilte das britische Außenministerium mit. Nach Regierungsangaben handelte es bei den Soldaten um Marineinfanteristen und Angehörige der Royal Navy. Ein Sprecher von Premier Tony Blair sagte, er hoffe auf eine "schnelle Lösung" der Affäre.
  • Iran hat Großbritannien die Freilassung der acht britischen Soldaten zugesagt. Teheran wolle die Männer noch am 23. Juni freilassen, sagte ein Sprecher des britischen Premierministers Tony Blair in London. Die amtliche iranische Nachrichtenagentur Irna hatte zuvor Irans Außenminister Kamal Charrasi zitiert, der die Freilassung der Soldaten für den 23. Juni angekündigt hatte.
    Die Freilassung der in Iran festgenommenen acht britischen Soldaten ist später auf den 24. Juni verschoben worden. Es seien weitere Verhandlungen über die Modalitäten ihrer Übergabe notwendig, sagte der Sprecher der britischen Botschaft, Andrew Dunn.
    Iran hat die acht Anfang der Woche festgenommenen britischen Soldaten Großbritannien am 24. Juni übergeben. Britische Diplomaten kümmerten sich derzeit um die Männer, teilte das Außenministerium in London mit. Die Marinesoldaten waren am Montag mit ihren Patrouillenbooten auf dem irakisch-iranischen Grenzfluss Schatt el Arab festgenommen worden, nachdem sie offenbar versehentlich in iranisches Hoheitsgebiet eingedrungen waren.
  • Iran hat nach Angaben der US-Regierung die Wiederaufnahme der Produktion von Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran angekündigt. Dies habe die iranische Regierung gegenüber Deutschland, Frankreich und Großbritannien mitgeteilt, sagte der Staatssekretär im US-Außenministerium, John Bolton, am 24. Juni in Washington. Die Wiederaufnahme verstoße damit gegen die Zusage, die Iran vor drei Monaten den drei europäischen Staaten gegeben habe. Zudem beweise der Schritt, dass Teheran Uran für ein geheimes Atomwaffenprogramm aufbereiten wolle.
  • Die Bundesregierung hat sich enttäuscht über die Ankündigung Irans geäußert, seine Produktion von Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran wiederaufnehmen zu wollen. Die Regierung bedauere die Entscheidung Irans, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am 25. Juni in Berlin. Deutschland werde sich in dieser Angelegenheit mit seinen europäischen Partnern Großbritannien und Frankreich beraten. Auch das britische Außenministerium zeigte sich "enttäuscht". Diese Entscheidung Teherans sei nicht zu verstehen, sagte ein Sprecher in London.
  • Der EU-USA-Gipfel in Dublin richtete am 26. Juni an den Iran die Aufforderung, die Produktion von Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran nicht wiederaufzunehmen. Eine solche Ankündigung aus Teheran sei "beunruhigend". Washington hatte zuvor bekannt gemacht, dass Iran die Wiederaufnahme der Produktion von Gaszentrifugen angekündigt hatte.
  • Die in der vergangenen Woche in Iran festgehaltenen britischen Marinesoldaten sind nach Angaben von Verteidigungsminister Geoff Hoon zur Verletzung der iranischen Hoheitsgewässer gezwungen worden. Die drei Patrouillenboote seien von der iranischen Marine "unter Zwang eskortiert" worden, erklärte Hoon am 30. Juni in London. Die Besatzungsmitglieder hätten ausgesagt, dass sie "innerhalb der irakischen Grenzen operierten", bevor sie von den iranischen Revolutionsgraden gezwungen wurden, die Seegrenze zu überqueren. Hoon widersprach damit der Version aus Teheran. Iran hatte den drei Soldaten vor Fernsehkameras demütigende Entschuldigungen für ihren "Fehler" abgenötigt und sie mit verbundenen Augen im Gänsemarsch marschieren lassen.


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