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Offensive gegen Terror und Opposition

Irakische Regierung geht gegen militante Gruppen und Protestcamps vor

Von Karin Leukefeld, Basra *

Ahmed Al-Awlani gilt als scharfer Kritiker der irakischen Regierung. Seit Monaten unterstützte der Oppositionspolitiker Protestcamps gegen Ministerpräsident Nuri Al-Maliki, am Samstag schließlich wurde er in seinem Haus in der westirakischen Stadt Ramadi festgenommen. Mindestens sechs Menschen wurden bei dem blutigen Zugriff der Streitkräfte getötet. Nach offiziellen Angaben hätten Leibwächter von Al-Awlani das Feuer eröffnet, als Armeeangehörige in dessen Anwesen eingedrungen seien. Bei den anschließenden Kämpfen mit automatischen Waffen und Mörsergranaten wurden fünf Wächter und der Bruder des Politikers getötet. Ein örtlicher Polizeimajor sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP zudem von 18 Verletzten, darunter zehn Soldaten.

Irakische Medien berichteten, Al-Awlani sei von der Regierung mehrfach aufgefordert worden, gesuchte Straftäter auszuliefern, die unter seinem Schutz gestanden hätten. Er habe das verweigert. Ein von ihm unterstütztes Protestcamp, das Regierungsgegner auf der Autobahn zwischen der Hauptstadt Bagdad und der Kapitale des benachbarten Jordanien, Amman, errichtet hatten, soll nach Ansicht der Regierung zum »Hauptquartier der Al-Qaida« geworden sein. Die Demonstranten wollten mit der Aktion gegen die Ausgrenzungspolitik der Maliki-Regierung gegenüber irakischen Sunniten protestieren. Parlamentssprecher Osama Al-Nudschaifi kritisierte das Vorgehen der Streitkräfte gegen Al-Awlani als klaren »Verstoß gegen die Verfassung«. Parlamentarier hätten Immunität, erklärte Al-Nudschaifi. Er werde eine Untersuchungskommission nach Ramadi schicken.

Während die Operation gegen Lager der bewaffneten Gruppen im Grenzgebiet zu Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien bei vielen Irakern auf Zustimmung stößt, wird das Vorgehen gegen den Politiker kritisiert. Der Transportunternehmer Abu Akeel aus Basra fürchtet, daß nach der gewaltsamen Festnahme »neues Blut« fließen werde. Die oppositionelle Volksbewegung zur Rettung des Iraks (PMSI) verurteilte das »provokative Vorgehen« der Armee. Maliki wolle den Irak in einen Bürgerkrieg stürzen, davon profitiere »nur der Iran«. Die Protestcamps müßten friedlich bleiben, damit der Plan des Premiers nicht aufgehe, hieß es in der im Internet verbreiteten Erklärung.

Die gewaltsame Festnahme Al-Awlanis zeigt die Härte, mit der die irakischen Streitkräfte seit einer Woche gegen ihre bewaffneten und politischen Gegner vorgehen. Begleitet wird die Operation von einer massiven Werbekampagne für die Armee im staatlichen Fernsehen. Offiziell richtet sich die Offensive gegen Gruppen und Anhänger des »Islamischen Staates im Irak und in der Levante« (ISIL) sowie die Al-Nusra-Front. Beide Islamistenorganisationen kämpfen im angrenzenden Syrien für die Errichtung eines islamischen Khalifats und gegen die dortige Regierung. Während die Nusra-Front den Irak als Rückzugsgebiet nutzt, verübt der ISIL auch Attacken im Land. Erst kürzlich erklärte er sich für zwei Anschläge auf einen Fernsehsender und ein Regierungsgebäude kurz vor Weihnachten verantwortlich.

Mohammed Al-Askari, Sprecher des irakischen Verteidigungsministeriums erklärte, daß die Lage in Syrien die Gewalt in seinem Land anfache. Luftbilder belegten die Existenz von elf Lagern militanter Gruppen im irakisch-syrischen Grenzgebiet. Waffen und Militärausrüstung würden durch die westirakische Wüste geschmuggelt. In der Provinz Abu Ghraib, ebenfalls westlich von Bagdad, waren Ende vergangener Woche sechs Armeeangehörige bei einem Mörsergranaten-Angriff auf ihre Basis getötet worden. Weitere fünf hochrangige Offiziere und mindestens zehn Soldaten starben während einer Militäroperation in der westirakischen Provinz Anbar. Die Regierung in Bagdad erhält bei ihren Angriffen Unterstützung aus Washington. Man rufe »die regionalen Führer auf, aktive Maßnahmen gegen die Finanzierung und Rekrutierung für diese Gruppen zu ergreifen«, sagte Jennifer Psaki, Sprecherin des US-Außenministeriums. Das Einsickern ausländischer Kämpfer nach Syrien müsse unterbunden werden, denn sie würden auch Angriffe im Irak organisieren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 31. Januar 2013


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