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Maliki macht den Weg frei

Irakischer Ministerpräsident beugt sich Druck und zieht Kandidatur für dritte Amtszeit zurück

Von Karin Leukefeld *

Der bisherige irakische Ministerpräsident Nuri Al-Maliki (64) beharrt nicht mehr auf einer dritten Amtszeit. Er wolle »der Bildung einer neuen Regierung nicht länger im Wege stehen« und ziehe seine Kandidatur »zugunsten von unserem Bruder, Dr. Haidar Al-Abadi« zurück, erklärte Maliki am Donnerstag abend im irakischen Fernsehen. Dabei war er umgeben von hochrangigen Mitgliedern der Dawa-Partei, der er angehört.

Der Druck auf Maliki, sich politisch zurückzuziehen, hatte sich noch einmal drastisch erhöht, als bekannt wurde, daß die oberste religiöse Autorität der Schiiten, Großajatollah Ali Al-Sistani, sich sogar schriftlich an die Dawa-Partei gewandt hatte, um die Regierungskrise zu lösen. Der handgeschriebene Brief, der der Dawa-Partei bereits seit Wochen vorlag, war am Mittwoch veröffentlicht worden. Sistani sprach sich darin für »die rasche Wahl eines neuen Ministerpräsidenten« aus. Das müsse jemand sein, der »breite nationale Akzeptanz genießt und der in der Lage ist, mit den politischen Führern der anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, um das Land vor den Gefahren von Terrorismus, konfessionellem Krieg und Teilung zu bewahren«, hieß es in dem Brief.

Ebenfalls am Mittwoch hatte der geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Khamenei, die Ernennung Abadis begrüßt und ihm viel Erfolg bei der Regierungsbildung gewünscht. Er hoffe, daß »die Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten im Irak den Knoten lösen wird und zur Bildung einer neuen Regierung führt«, so Khamenei. Das wäre eine »gute Lektion für all diejenigen, die versuchen, im Irak konfessionellen Streit zu säen«.

Aus den Hauptstädten der westlichen Welt kamen unmittelbar nach Bekanntwerden von Malikis Rückzug positive Reaktionen. Die Nationale Sicherheitsberaterin der USA, Susan Rice, sprach von einem »weiteren wichtigen Schritt hin zur Einheit« des Landes. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte, daß der Rückzug Malikis »den wichtigen Prozeß der Bildung einer neuen Regierung« im Rahmen der laut Verfassung vorgesehenen Frist beschleunige. Er hoffe auf die Bildung einer »Regierung, die alle einbezieht, und auf einer breiten Basis« stehe.

Maliki, der 2003 aus seinem Exil in Syrien in den Irak zurückgekehrt war, galt als Kompromißkandidat des Irans und der USA für das Amt des Regierungschefs. Im Laufe der Jahre entwickelte er sich allerdings gegenüber den Irakern zu einem machthungrigen Politiker, der immer öfter als »Diktator« bezeichnet wurde. Zuletzt wurde Maliki für den Vormarsch der Gruppe »Islamischer Staat« (IS) verantwortlich gemacht, weil er mit seiner Ausgrenzungspolitik gegenüber irakischen Sunniten den Boden für den Zulauf der Islamistenmiliz bereitet habe.

Vieles deutet darauf hin, daß die bisherigen Sponsoren Malikis in Washington und Teheran angesichts des massiven Vormarschs der Miliz ihre Interessen im Irak gefährdet sahen. Die USA unterhält in Bagdad eine gigantische Botschaft mit Tausenden von Mitarbeitern. Im Norden des Landes beraten US-Experten nicht nur die kurdische Regierung in Erbil, sondern auch ausländische Firmen auf den Ölfeldern von Kirkuk. Der Iran hatte schon lange vor dem Erstarken des »Islamischen Staat« gewarnt und sieht durch die Kampfverbände seine Grenzen bedroht.

Der neue Kandidat Abadi ist wie Maliki Mitglied der religiös-schiitischen Dawa-Partei, hat aber jahrzehntelang in London im Exil gelebt. Als zukünftiger Ministerpräsident des Iraks dürfte er sehr wohl wissen, daß und wie er die Interessen der beiden »Schutzmächte« wahren muß. Sollte sich auch Saudi Arabien hinter den Kulissen mit Abadi einverstanden erklärt haben, könnte es gar zu einer Neuauflage der sunnitischen Sahwa-Milizen kommen, die in den Jahren 2007 und 2008 gegen die Milizen der Al-Qaida im Irak aufgestellt worden waren. Nun könnten diese »Söhne des Iraks« an der Seite der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga gegen die Kampfverbände der IS vorgehen

* Aus: junge Welt, Samstag 16. August 2014


Malikis Misere

Karin Leukefeld über den Wechsel auf dem Sessel des Premiers in Irak **

Den Irakern bleibt eine weitere Amtszeit von Nuri al-Maliki erspart. Der einst respektierte Politiker, der 2003 aus dem syrischen Exil nach Irak zurückgekehrt war, zeigte schnell seinen Willen zur Macht und zwar als Alleinherrscher. Schon bei den Wahlen 2005 und 2009 war er nicht bereit zu politischen Koalitionen, und im Laufe der Jahre wurde er dem früheren starken Mann, Saddam Hussein, immer ähnlicher. Wie diesen haben die US-Amerikaner nun auch Maliki aus dem Amt gejagt und den Irakern erneut die Chance genommen, selber über ihre politische Zukunft zu entscheiden. Ob der neue starke Mann, Haidar al-Abadi, die Iraker miteinander versöhnen wird und den Menschen Arbeit und Wohnraum, Gesundheit und Wohlstand bringt, ist zweifelhaft.

Seit die USA-geführte Allianz das Land besetzte und zerteilte, ist das Leben dort immer schlechter geworden. Umweltverseuchung, sterbende Kinder, wachsende Armut, Analphabetentum kommen nicht vor in den Fensterreden und Berichten, die wir heute über Irak hören. Stattdessen geht es um Waffen und Ausrüstung für neue Kämpfe. Medikamente und Lebensmittel werden geschickt, damit die bedrängte Zivilbevölkerung das Hauen und Stechen noch weiter aushalten kann. Solange Iraks Zukunft nicht von den Irakern bestimmt wird, kann es dort nicht besser werden.

** Aus: neues deutschland, Samstag 16. August 2014 (Kommentar)


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