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Iraks Zerfall – für Israel "ausgemachte Sache"

Außenminister Lieberman äußert in Berlin Erwartung, dass ein unabhängiger Kurdenstaat entstehen wird

Von Karin Leukefeld *

Während die US-Administration versucht, Irak zusammenzuhalten, setzt Israel auf dessen Zerfall und äußert die Erwartung, dass sich in Nordirak ein unabhängiger Kurdenstaat bildet.

Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman war am Montag in Berlin eigentlich zu einem Gespräch bei seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier über den Nahostfriedensprozess angekündigt. Dazu hatte Lieberman am Ende nichts Neues mitzuteilen, um so mehr über Israels Meinung zum Krieg in Irak.

Lieberman hatte bereits am Donnerstag in Paris bei einem Treffen mit seinem US-Amtskollegen John Kerry erklärt, dass der Zerfall Iraks eine »ausgemachte Sache« sei. Irak »bricht vor unseren Augen auseinander«, sagte er. Es sei an der Zeit, »eine neue diplomatisch-politische Struktur im Mittleren Osten« zu akzeptieren. Darum unterstütze Israel die Bildung eines unabhängigen Kurdistan. Um die Bereitschaft zur Anerkennung eines kurdischen Staates in Nordirak zu unterstreichen, hat Israel mittlerweile Öl aus der Region gekauft, das die kurdische Autonomieregierung Mitte Mai gegen den Willen der irakischen Regierung über die Türkei exportiert hatte. Auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Staatspräsident Schimon Peres hatten sich am Wochenende für eine Unabhängigkeit Kurdistans ausgesprochen. Die Kurden seien »ein Volk von Kämpfern«, das seine »Unabhängigkeit verdient« habe, so Netanjahu.

Israel fördert die Unabhängigkeit eines kurdischen Staates im Norden Iraks nicht erst seit Kurzem. Die geheimdienstliche Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) in Nordirak geht auf die 60er Jahre zurück. Israel suchte damals nach Verbündeten gegen die arabischen Staaten und fand sie bei der KDP von Mustafa Barsani.

Am Wochenende hatte der »Islamische Staat in Irak und Syrien« (ISIS) ein »Islamisches Kalifat« ausgerufen. Sollten die nordirakischen Kurden nachziehen, müsste die Landkarte in der Region neu gezeichnet werden und entspräche dem 2006 von der US-Außenministerin Condoleezza Rice skizzierten »Neuen Mittleren Osten«.

Rice hatte während des Krieges zwischen Israel und Libanon im Sommer jenes Jahres in Tel Aviv erklärt, dass »neue militärische Kräfte« entstehen und die Region mit Gewalt und Krieg überziehen würden. In dem so entstehenden »konstruktiven Chaos« würden die bestehenden Grenzen in der Region neu gezogen. Den Krieg in Libanon hatte Rice damals als die «Geburtswehen des Neuen Mittleren Ostens« bezeichnet.

Unmittelbar nachdem ISIS-Einheiten in Allianz mit ehemaligen Baath-Partei-Angehörigen und Übergelaufenen aus der irakischen Armee am 10. Juni die Stadt Mossul eingenommen hatten, schickte die kurdische Regionalregierung ihre Peschmergatruppen nach Kirkuk. Dort, wo die zweitgrößten Ölreserven Iraks lagern, werde man bleiben, bekräftigte der kurdische Präsident Massud Barsani, Sohn von Mustafa Barsani, am Wochenende in der Stadt. Die irakische Regierung müsse akzeptieren, dass »Kirkuk von nun an zu Kurdistan gehört«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. Juli 2014


Attacken auf ISIL

Kämpfe im Irak. Obama will Geheimdienstaktivitäten in der Region ausbauen **

Nach der Ausrufung eines »Kalifats« durch die Milizen des Islamischen Staats im Irak und in der Levante (ISIL/ISIS) hat die irakische Armee ihre Angriffe auf die Terrorgruppe fortgesetzt. Kampfhubschrauber attackierten am Montag den Ort Baidschi, wie irakische Medien berichteten. Nach Informationen des Nachrichtenportals Shafaaq News starben dabei sechs Zivilisten, darunter Frauen und Kinder. Die Terrorgruppe hatte am Samstag in den von ihr eroberten Provinzen des Iraks und Syriens ein »Islamisches Kalifat« ausgerufen. In einer Audiobotschaft wurde ISIL-Anführer Abu Bakr Al-Baghdadi zum Kalifen bestimmt.

Die Armee hatte am Samstag eine Offensive gegen die ISIL-Milizen begonnen. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen die Stadt Tikrit 170 Kilometer nordwestlich von Bagdad. Sie war am 11. Juni von den Terroristen eingenommen worden. Tikrit ist strategisch wichtig, da die Stadt an einer Hauptverbindungslinie zwischen dem Norden des Landes und Bagdad liegt.

Ein Offizier sagte der Nachrichtenagentur dpa, Regierungseinheiten hätten am Sonntag abend große Teile Tikrits zurückerobert. Die Soldaten seien sehr nahe an das Gebäude des Provinzrates und andere Regierungseinrichtungen herangerückt. Die Armee wehrte zudem nach eigenen Angaben am Montag morgen ISIL-Angriffe auf den Luftwaffenstützpunkt »Camp Speicher« zwischen Baidschi und Tikrit ab.

Die Angaben ließen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen. In der ISIL-Audiobotschaft hieß es, alle Muslime müßten dem neuen Kalifen Gefolgschaft schwören. Ein Kalifat ist ein auf islamischen Gesetzen basierendes Staatswesen, in dem die weltliche und religiöse Führung in einer Hand liegen. Laut der Audiobotschaft verkürzte die Terrorgruppe ihren offiziellen Namen zudem auf »Islamischer Staat«.

US-Präsident Obama warnte unterdessen vor »Dschihadtouristen«. Europäer, die zum Kämpfen in die Region reisten, könnten auch eine Gefahr für die Sicherheit Amerikas darstellen. Die Dschihadisten sammelten in Syrien und nun im Irak Kampferfahrung, sagte er am Sonntag im Fernsehsender ABC. »Dann kommen sie zurück. Sie haben europäische Pässe. Sie brauchen kein Visum, um in die Vereinigten Staaten einzureisen.« Es sei daher wichtig, daß die USA ihre Geheimdienst- und Überwachungsaktivität in der Region ausbauten.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 1. Juli 2014


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